Jetzt stand sie hier und wusste gar nicht genau, wie sie dorthin gekommen war. Die Herbstsonne hüllte sie in eine sanfte Wärme. Die leichte Brise ließ die wenigen Blätter an den Bäumen rascheln. Irgendwo brummte ein Auto und es roch nach frischer Erde. In ihrem Bauch flogen die Schmetterlinge Loopings.
Er war der Mann ihrer Träume. Sie sahen sich so oft wie möglich, trotz der vielen Arbeit, die sie beide zu verrichten hatten. Erst neulich waren sie gemeinsam im Theater gewesen, hatten später in einem gemütlichen Restaurant gegessen. Er war sensibel, las ihr eigentlich jeden Wunsch von den Augen ab und sie meinte, dass sie sich auch ohne große Worte verstehen würden. Vielleicht hatte er das auch so gesehen. Sie wusste es nicht so genau, denn wirklich miteinander geredet, vor allem über sich und ihre Beziehung, hatten sie eigentlich nie.
Sie sah dafür auch nie wirklich einen Grund. Sie war eigentlich zufrieden. Irgendwann, so dachte sie, würde sich das Schicksal erfüllen und die Dinge ihren Lauf nehmen. Sie meinte, er würde doch sowieso schon wissen, wie viel er ihr bedeuten würde, ihre Augen hätten es doch längst verraten. Ihre Liebe hatte er doch sicher gefühlt. Ganz bestimmt sogar. Was wenn nicht, was, wenn er ständig gezweifelt hätte, sich vielleicht sogar abgewiesen gefühlt hätte? Diese Zweifel schnürte ihr den Hals zu. Es schmerzte.
Tränen liefen über ihr Gesicht. Die Trauer drohte sie aufzufressen. Was ehemals hell, warm und angenehm war, wurde nun dunkel, still und kalt. Eigentlich war da nur noch Leere. Sie versuchte sich an Worte zu erinnern, die sie einmal irgendwo gelesen hatte: "Sag es, wenn du es fühlst". Hätte sie es doch nur gemacht. Hätte sie einmal "Ich liebe dich" gesagt, er würde es jetzt wissen.
Nun gab es keine Möglichkeit mehr. Nur noch einmal würde sie ihn sehen wollen, einmal noch mit ihm sprechen, ihm endlich ihre Liebe gestehen, mit den richtigen Worten. Sie wollte noch einmal die Umarmung von ihm spüren, seine starken Arme sollten sie umschließen.
Plötzlich wurde es still um sie. Vielleicht stand sie schon seit Stunden hier. Es war schon dunkel. Die Sonne wärmte sie nicht mehr und ihre Trauer wurde immer stärker, immer intensiver. Sie musste diesen Ort verlassen. Beinahe zerdrückte sie den Strauß Rosen in ihrer Hand. Sie legte ihn auf das frische Grab und ging.