Kurzgeschichte
Schutzengel

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"Schutzengel"
Veröffentlicht am 11. Juli 2012, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich schreibe gerne Kurzgeschichten und Gedichte. Am liebsten illustriere ich die Geschichten selber, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Eine besondere Kurzgeschichte von mir ist "Crazy Lilli" in: Kaffeepausengeschichten, Band 4 (Die Zeit der Magie) 60 Seiten, Paperback ISBN 978-3-943295-22-1 Mein erstes Buch ist gerade bei Golub-Books erschienen: Geschichten aus dem Leben eines Au-pairs.
Schutzengel

Schutzengel

Schutzengel

Ich ließ mich auf das große Bett plumpsen und atmete tief durch. Geschafft! Ich war hier! In Zimmer 213!  Mit einem Handgriff löste ich meine Hochsteckfrisur und schüttelte meine blonde Langhaarmähne. Über mir hing ein bombastischer Kronleuchter, dessen Lichtschein sich in seinen unzähligen Glasanhängern unregelmäßig brach. Die rote Kontrolllampe eines Feuermelders blinkte in regelmäßigen Abständen, irgendwo tickte leise eine Uhr. Ansonsten Stille.

Ich versuchte mich zu entspannen, doch es gelang mir nicht. Ich spürte eine innere Unruhe, die mich in letzter Zeit oft befiel und versuchte, leise bis zehn zu zählen. Dann streifte ich meine weißen Schuhe ab, denn meine zierlichen Füße schmerzten. Den ganzen Tag war ich in den ausgelatschten Schlappen herumgelaufen, es war entsetzlich. Doch auch das Schuheausziehen brachte nicht die gewünschte Erleichterung. Gedankenfetzen jagten unentwegt durch meinen Kopf, ich konnte einfach nicht abschalten. Der Tag heute hatte es in sich gehabt: Zuerst musste ich ein Schulkind vor einem zu schnell fahrenden Auto retten, dann einen Mann vor einem herabstürzenden Ziegelstein und schließlich eine Bankangestellte vor einem Banküberfall. Und dann?  Keiner dankte es einem. Da riss man sich ein Bein aus und tat alles, um eine Katastrophe zu verhindern und die Leute merkten es noch nicht einmal. Wenn ich Glück hatte, hieß es manchmal: „Da habe ich wirklich einen Schutzengel gehabt!“ Doch das kam selten vor. Oft wussten die Leute auch nicht einmal, wovor ich sie beschützt hatte. Die Bankangestellte heute zum Beispiel hatte einen ganz normalen Arbeitstag in der Bank, denn ich ließ den Banküberfall bereits vor seiner Durchführung platzen, indem ich das Bankräuberauto gegen einen Baum rasen ließ. Die Angestellte ging um 18 Uhr muffelig wie immer nach Hause und hatte nicht die geringste Ahnung, was passiert wäre, wenn ich nicht rechtzeitig eingegriffen hätte .... . 

Es war einfach zu viel, ich konnte nicht mehr. Ich versuchte mich auf das  Hier und Jetzt zu konzentrieren: Ich war hier, in meinem Hotelzimmer und alles war gut. Keiner musste gerettet oder beschützt werden. Es gab nur mich. Himmlisch!

Schließlich sprang ich mit einem Schwung wieder aus dem Bett und lief zum Balkon. Ich spürte eine fast kindliche Freude, als meine Füße den samtweichen Teppich berührten. Schwungvoll zog ich die schwere Schiebetür auf. Ich hatte viel Kraft in den Armen, obwohl ich sehr klein und zierlich war. Dann  trat ich auf den Balkon und atmete die kalte Luft ein. Es war schon dunkel geworden, jetzt im September um acht Uhr. Die Lichter der Großstadt blinkten hektisch zu mir empor und ich fröstelte in meinem dünnen, langen Kleid. Wie ich es hasste! Aber ich musste es tragen... . Ich hatte einen grandiosen Blick, er nahm mir fast den Atem. „I love you!”, schrie ich so laut ich konnte in die Nacht. Doch keiner antwortete, anstatt dessen vernahm ich lediglich das eintönige Rauschen der vierspurigen Autobahn unter mit und das ewige Hupen. Ich war allein – mutterseelenallein. Es war einfach göttlich.

Um mich abzulenken, lief ich wieder zurück in das Zimmer. Mein Auge streifte die Minibar. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Mein Magen knurrte heftig und ich riss den Kühlschrank auf. Erdnüsse, Schokoriegel, Sekt und Wasser. Ich entschied mich für den Sekt und die Schokoriegel. Mit einem sicheren Handgriff hatte ich die edle Flasche geöffnet. Der Plastikverschluss flog mit einem lauten Knall durch den Raum und landete irgendwo hinter der Sitzgruppe. Egal. Ich setzte mich wieder aufs Bett und nahm einen Zug. Dann zappte ich mich durch die unzähligen Fernsehkanäle. Viel Werbung, zwischendurch Nachrichten. Eine Katastrophenmeldung jagte die nächste.

Aber wir Schutzengel sind einfach alle am Ende! Wir können nicht mehr! Es passieren so viele schreckliche Dinge jeden Tag, so dass wir mit unserer Arbeit gar nicht nachkommen. Wir schieben Überstunden ohne Ende, machen keinen Urlaub mehr und brennen schließlich ganz aus. Am liebsten würde ich allen Menschen zurufen: „Passt doch ein bisschen besser auf! Helft euch gegenseitig! Achtet auf die Umwelt! Teilt das, was ihr habt!“

Aber sie würden mich nicht hören. 

Genervt schaltete ich den Fernseher wieder aus und aß meinen Schokoriegel.

Das Bad! Ich war noch gar nicht im Bad! Wenige Minuten nach dieser Erkenntnis hatte ich mein Kleid abgestreift und stand unter der Dusche. Ich probierte alle Einstellungen aus: Landregen, Nieselregen bis hin zum tropischen Wasserfall. Dazu benutzte ich den hoteleigenen Vorrat an Seifen und Shampoos.  Sie dufteten herrlich nach Lavendel und nicht nach Weihrauch und Myrre.

Jetzt noch ein Bad .... . Ich warf den Schalter um und legte mich in das langsam immer höher steigende Wasser. Schließlich war die Wanne bis zum Rand vollgelaufen und ich tauchte unter in dem herrlichen Schaum, der sich unermüdlich um mich aufbäumte. In diesem Moment vergaß ich alle Sorgen und Probleme. Es gab nur dieses herrliche warme Wasser und mich.

 

Dann hörte ich, wie jemand den Schlüssel in der Tür meines Zimmers umdrehte. „Nein, bitte nicht.....!“, schoss es mir durch den Kopf. Hatte ich denn nicht das Schild „Bitte nicht stören!“ herausgehängt? Anscheinend hatte ich es vergessen. Wie dumm von mir.

Ich hörte Schritte und dann eine Stimme, die schrill und laut in meinen Ohren klang: „ Meine Güte, was machen Sie denn hier?“ „Eine Pause...!“, versuchte ich dem Zimmermädchen zu erklären, doch die ließ nicht lange mit sich fackeln.

„Jetzt ziehen Sie Ihr albernes Kostüm wieder an und checken augenblicklich aus! Sonst rufe ich den Manager!“

Widerwillig stieg ich aus der Wanne, zog mein Gewand wieder an, schnallte meine Flügel um und entschwebte aus dem Fenster.         

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