Beschreibung
Auszüge aus der Autobiografie von Daniel Pfennig (Erschienen bei uns im Region-Zwei-Verlag)
Vorwort
Eigentlich weiß ich ja gar nicht, ob ich den Begriff „Vorwort“ nutzen darf, da ich eigentlich zu Beginn des Buches gleich mehrere Sätze schreibe. Aber beim Studieren diverser Bücher habe ich gesehen, dass die anderen Autoren es in ihren Büchern auch nicht anders gemacht haben. Bevor Sie diese verfassten Seiten als Staubfänger, Briefbeschwerer oder Türstopper einsetzen oder die eBook-Version auf Ihrer Festplatte verschimmeln lassen, wollen Sie bestimmt erfahren, was Sie auf den nächsten Seiten erwartet.
Nun, es sind die Zeilen eines Interviews. Ich stand einer lieben Journalistin als Interviewpartner zur Verfügung und habe so über mein bisheriges Leben reden können, habe meine Meinung zu diversen Themen geäußert und so eine erste Bilanz über meine ersten 35 Jahre gezogen. Als ich das fertige Interview als Dokument in den Händen hielt, wollte ich es als Buch veröffentlichen.
Es wurde ein sehr persönliches Zwiegespräch geführt, welches sehr viele schöne, aber auch viele bittere Erinnerungen hervorbrachte. Es ist halt das Leben eines völlig einfachen Kleinbürgers. Ja, mein Leben, das bisher alles andere als gradlinig verlaufen ist.
Ihr Daniel PfennigKinderjahre
Wann bist du geboren?Obwohl es ja schon mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt, kann ich mich noch genau an das Datum erinnern. Es war 1971. Genauer gesagt: am 21. Dezember 1971.
Und wo bist du geboren?Ich entdeckte das elektrische Licht des Lebens in Essen an der Ruhr. Dort lernte ich dann auch meine Eltern kennen. Die waren während meiner Geburt auch zufällig dort.
Bist du ein Wunschkind deiner Eltern gewesen?
Na das will ich doch hoffen. Ich war ein Prachtexemplar von Baby. Ich sah aus wie das leibeigene Kind des berühmten Michelin-Männchens. Zudem besaß ich nur wenig Haare und Zähne waren auch nicht gerade viel vorhanden. Also eigentlich sah ich damals genauso aus wie heute. Nur ist es in der heutigen Zeit viel schwerer geworden Leute zu finden, die einen noch süß finden und dies auch noch in der Öffentlichkeit zugeben. Ich glaube die meisten, vor allem Frauen, haben einen Ruf zu verlieren.
Du bist drei Tage vor Weihnachten geboren. Hat sich das irgendwie auf die Geschenke ausgewirkt?
Eigentlich nicht. Und ich bin froh, dass ich nicht am Heiligabend geboren bin. Was hätte ich denn mit Weihrauch, Myrrhe und dem ganzen Zeugs anfangen sollen?
Aber auch so ein Heiligenschein hätte mir nicht so gut gestanden. Dafür bin ich zu scheinheilig. Nee, einen Heiligenschein brauche ich nicht. Ich bin selber eine Leuchte.
Du hast eine Schwester. Ist sie älter oder jünger als du?
Meine Schwester ist jünger als ich. Sie kam im März 1978 als frisch gepresstes Baby auf die Welt.
Hast Du Dir damals ein Geschwisterchen gewünscht?
Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich glaube ja. Im Nachhinein war es schön, der große Bruder zu sein, auch wenn es nicht immer einfach war.
Was war so schwer daran?Die Unterschiede zwischen uns. Sie war ein Mädchen, ich ein Junge. Dazu klafften sechs Jahre Altersunterschied zwischen uns. Da gehen die Interessen doch sehr arg auseinander.
Habt ihr euch oft gestritten?Das kann man wohl sagen. Und ich muss zugeben, dass ich meistens der Auslöser der Streitigkeiten war.
Was hast du so angestellt?Einiges. Aber vor allem habe ich bei gemeinsamen Karten- oder Würfelspielen gemogelt. Oh man das gab Ärger, wenn meine Schwester mich mal dabei erwischt hatte.
Zu verlieren war also nicht dein Ding?
Das konnte ich absolut nicht. Und schon gar nicht gegen meine jüngere Schwester.
Das mit dem Verlieren war damals wirklich so eine Sache. Es gab eine Phase, da habe ich mir immer wieder selber vor den Kopf gehauen, wenn ich verloren habe. Das war echt eine Macke von mir. Aber dafür habe ich heute eine Entschuldigung, wenn ich mal nicht ganz so richtig ticke.
Ernsthaft: neben der Schreierei war das Einschlagen auf meinen eigenen Kopf, die wohl größte negative Eigenschaften von mir.
Und heute kannst Du verlieren?
Heute macht mir das Verlieren nichts mehr aus. Ich habe mich an’s Loser – Dasein gewöhnt.
...
die ersten Schuljahre
Wie waren die ersten Jahre in der Schule für dich?Na ja… Was soll ich sagen? Am besten, ich zeige Ihnen ein ganz bestimmtes Foto von meiner Einschulung. Das erklärt dann ganz schnell meine damalige Einstellung zur Schule. Was ist denn auf dem Foto zu sehen?Ich sitze an einem Tisch, meinen Kopf aufgestützt und in meinem Gesicht steht das pure Desinteresse geschrieben. Das Positive an der Einschulung war, dass es nicht allzu lange dauerte, bis wir wieder nach Hause konnten. Da hoffte ich dann noch in meinem jugendlichen Leichtsinn, dass dies immer so sei. Denkste! Wie bist du denn so als Grundschüler gewesen? Nächste Frage bitte…! Ehrlich? Eher Durchschnitt.
Vor ein paar Wochen fand ich meine alten Zeugnisse. Das hat meine Erinnerung an die Grundschulzeit wieder gehörig aufgefrischt. Was stand denn in den Zeugnissen so drin?Er war nicht immer bereit, mit anderen zusammenzuarbeiten…Daniel verfolgte den Unterricht sehr zurückhaltend und mit wenig Interesse…Er arbeitet am liebsten selbstständig und wollte nur selten Hilfe in Anspruch nehmen…Lehrern ist Daniel gegenüber sehr verschlossen…Daniel gibt sich wenig Mühe nachzudenken und so weiter…
In der Grundschule hatte ich einen Notendurchschnitt von etwa 3,5. Wobei die beste Note mit „gut“ aus dem Sportbereich kam und die schlechteste Note in der Regel im Fach Mathematik zu finden war. In Mathe kamen schon mal Fünfer vor. Ich denke, dass ich früher, und vielleicht ja auch noch heute, an der Dyskalkulie leide. Früher war diese Dyskalkulie einfach noch nicht bekannt. Was ist denn die Dyskalkulie? Die Dyskalkulie bedeutet Rechenschwäche. Sie ist im Großen und Ganzen das Gegenteil von der Legasthenie, der Lese-& Schreibschwäche. Dadurch, dass diese Rechenschwäche bei mir ja nie festgestellt wurde, zog diese sich natürlich durch meine gesamte Schulzeit. Und so musste ich zusehen, dass ich immer schön brav neben einen Mitschüler saß, der Mathe richtig gut konnte. Das hat mich wenigstens von den Sechsern bewahrt.…… Die 1. Liebe
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Wie ging es mit der ersten Liebe weiter?Etwa drei bis vier Wochen nach unserem ersten Kuss starb sie bei einem Verkehrsunfall. Sie verunglückte vor meinen Augen. Was war passiert?Ich möchte darüber nicht sprechen. Diese Bilder begleiten mich noch heute und ich möchte diese Ereignisse einfach auf sich beruhen lassen. Aber wie ging es für dich nach dem schweren Verlust weiter?Ich stürzte ab. Mein Leben geriet total aus den Fugen. Ich schwänzte immer häufiger die Schule und besuchte das Grab von ihr. Stundenlang hielt ich mich auf dem Friedhof auf. Ich dachte über die Zukunft nach, trauerte und lebte nur noch in der Vergangenheit.Es war nicht mehr mein Leben, in dem ich mich trotz so mancher Krisen noch wohl gefühlt hatte. Meine unbeschwerte Jugend- beziehungsweise Teenagerzeit ist mit ihr gestorben. Du bist abgestürzt. Wie machte es sich bemerkbar?Wie ich schon gesagt habe: ich schwänzte immer häufiger die Schule. War ich mal dort, lief der Unterricht an mir vorbei. Ich prügelte mich, fühlte mich sehr schnell provoziert und auch gewisse Lehrer, wie zum Beispiel mein damaliger Biologielehrer, mussten meine Aggressionen und meine Lustlosigkeit ertragen.Meine Noten wurden immer schlechter. Am Ende des ersten Halbjahres des zehnten Schuljahres gefährdeten mehrere fünfen meinen Schulabschluss. Und wie lief es zu Hause? Haben deine Eltern von deiner schweren Zeit etwas mitbekommen?Zu Beginn der Krisenzeit nicht. Erst als ich nach einem Streit mit meiner Mutter von zu Hause abgehauen bin, bekamen sie unweigerlich mit, dass mit mir was nicht stimmte. Du bist von zu Hause abgehauen? Ja. Eigentlich waren es nur wenige Stunden, die ich weg war. Ich hatte einen Abschiedsbrief geschrieben und mich ohne einen Cent in der Tasche aus dem Staub gemacht. Mir wurde sehr schnell klar, dass ich da Mist gebaut hatte. Wo sollte ich hin? Außerdem plagte mich ein absolut schlechtes Gewissen. Meinen Eltern, die ich so sehr liebte, tat ich damit sehr weh. Und bevor diese noch mehr wegen meinem Verschwinden leiden müssten, kehrte ich reumütig zurück.
Während mein Vater mächtig wütend auf mich war, weinte meine Mutter. Ihre Tränen waren der Auslöser dafür, dass ich mir selber in den Hintern trat und gegen diese innere Krise ankämpfen wollte. Mir war in dem Moment klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Und meine Eltern wollten mir dabei helfen. Was hast du deinen Eltern eigentlich für Gründe deiner Krise genannt?Ich habe Ihnen irgendwas von einer Gruppe erzählt, mit denen ich ziemlichen Ärger hatte. Die Gruppe und den Ärger mit denen gab es wirklich. Aber diese belasteten mich kein bisschen. Die Halbstarken waren mir total egal. Zu dieser Sache dichtete ich noch ein paar kleinere Sachen hinzu. Von meiner ersten großen und heimlichen Liebe, dem Unfall und meiner Trauer, wollte ich damals nichts sagen. Hätte ich es getan, wäre ich mir wie ein Verräter vorgekommen. Es klingt blöd, ich weiß. Aber so dachte ich damals. Diese Liebe sollte unser Geheimnis bleiben. Hast du dich tatsächlich aus der Krise kämpfen können?Ja. Ich habe wirklich gegen diese harte Zeit gekämpft. Und am Ende wurde ich belohnt. Am Ende der Schulzeit hatte ich das beste Zeugnis meiner schulischen Laufbahn in den Händen gehalten. Dank der Lehrer und meinen Eltern....
Lehrzeit
……
Nach den zehn Pflichtschuljahren hast du eine Lehre zum Handelsfachpacker beziehungsweise Lagerfachkaufmann begonnen. War das dein Wunschberuf?Ehrlich gesagt nein. Ich wollte Polizist werden oder was in der Kunststoffherstellung machen. Aber daraus wurde halt nichts. Bis kurz vor Ende der Sommerferien hatte ich keine Lehrstelle in Aussicht. Es hagelte Absagen ohne Ende. Eigentlich hatte ich mich schon auf weitere Schuljahre eingestellt, als mich plötzlich eine sehr bekannte Firma für Kosmetik- und Pharmaprodukte zu einem Gespräch einlud. Bei denen bekam ich dann schließlich eine Lehrstelle.
Und wie verlief die Lehre so?Zunächst war alles noch recht okay. Die Arbeit hat mir Spaß gemacht, die meisten Kolleginnen und Kollegen waren in Ordnung und mit der Arbeitszeit und dem Gehalt konnte ich ebenfalls zufrieden sein.
Warum lief es dann auf einmal nicht mehr so gut?Ich rasselte durch die Zwischenprüfung. Und seit dem Zeitpunkt hatten mich gewisse Leute in dem Betrieb auf dem Kieker. Keine Ahnung warum. Gerade ein paar ältere Kollegen meinten, mich damit aufziehen zu müssen. Teilweise schlugen sie mit ihren Sprüchen unter die Gürtellinie. Sie machten sich einen tierischen Spaß daraus, mich vor anderen Kollegen nieder- zumachen. Als wäre das nicht schon schlimm genug. Der damalige zweite Bezirksleiter und zwei weitere Vorarbeiter mischten ebenfalls mit. Sie schikanierten mich wo sie nur konnten.
Es wurde also Mobbing betrieben? Früher kannte man den Begriff ja noch nicht. Heute würde ich sagen: ja, es war Mobbing!
....
Stichworte
Machen wir eine kurze Pause und sprechen später weiter über dich und deine persönlichen Erinnerungen.
Jetzt gebe ich dir einfach ein paar Stichworte beziehungsweise Begriffe und du sagst, was dir dazu gerade einfällt. Obdachlosigkeit:Es ist ein Skandal, dass in einem Land wie Deutschland Menschen unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen. Eigentlich dürfte und müsste kein Mensch in Deutschland unter einer Brücke leben und im Winter frieren.
Ängste:Ja, hab ich. Meine größte Angst ist es, irgendwann mal als Pflegefall zu enden oder mit großen Schmerzen zu sterben.
Alter:Lebt bei meiner Mutter in Friesland…Ernsthaft: ich kann Menschen verstehen, die Angst vor dem älter werden haben. Vor allem wenn ich sehe, was Menschen im Alter, so nach vielen Jahren geleisteter Arbeit, noch an Rente bekommen werden.
Kinder:Habe leider aus gesundheitlichen Gründen keine eigenen. Aber meine Patenkinder sind ein großer Ersatz.
Familie:Ich habe die beste Familie die man sich wünschen kann. Ohne meine Eltern, meine Schwester und meine verstorbene Oma wäre ich heute in der Gosse oder schon längst ein „Abnippelexperte“ geworden.
Organspende:Ich würde meine Organe spenden wollen, muss aber zugeben, dass ich noch keinen Spendenausweis habe. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob irgendein Organ von mir überhaupt noch in Ordnung ist. Wenn ich mir recht überlege: der Spendenausweis muss her!
Politiker:Höre mir auf mit denen. Ich persönlich habe das Vertrauen in die Politiker und ihre Aufgaben verloren. Sie schröpfen die „Kleinen“ und bereichern die, die schon genug haben. Die heutigen Politiker haben keinen Draht mehr zu den kleinen Leuten des Volkes. Sie sorgen dafür, dass die Kluft zwischen den Armen und Reichen immer größer wird. Während der Kleine immer mehr bluten muss, erhöhen sie sich ihre Diäten.Die meisten Politiker sind Menschen, die auf legale Art und Weise Unrechtes tun. Sie sind nicht besser als die üblichen Verbrecher.
Natur:Sie ist sehr wichtig für mich. Da wo Wasser ist, da fühle ich mich wohl. Es tut mir weh zu sehen, wie man aus Habgier und Zerstörungswut der Natur ihre Schönheit nimmt.
Fliegen:Die Viecher nerven mich nur. Ernsthaft: ich gehe gerne mal in die Luft. Es ist eine sehr schöne Art zu reisen. Der Ausblick ist einfach nur phantastisch.
Jugendliche:Ich habe das Gefühl, dass ich sie nicht mehr verstehe. Und das liegt jetzt nicht nur an ihrer Aussprache und ihrem Deutsch. Aber ich würde sie gerne besser verstehen wollen. Daher suche ich auch immer wieder ihren Kontakt.
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Der türkische Mitarbeiter
Da gab es dann noch eine Sache mit einem türkischen Mitarbeiter, oder?Stimmt. Ich weiß nicht mehr den Namen des Mitarbeiters, der uns als Aushilfe zugeteilt wurde. Auf jeden Fall war er nicht sehr schnell und eigentlich auch nicht der große Arbeiter. Aber er war ein netter Kerl und wir verstanden uns.Ich sage hier ganz offen, dass mein Onkel kein Freund von Ausländern war. Und somit hatte er unsere türkische Aushilfe gleich auf dem Kieker. Er ließ ihn die unbeliebten Arbeiten verrichteten und nannte ihn grundsätzlich Ahmet oder so ähnlich. Der türkische Kollege stellte sehr schnell klar, dass er einen anderen Vornamen hatte. Doch mein Onkel rief ihn zu sich und sagte: “Für mich heißen alle Türken Ahmet!“ Der Kollege war ziemlich aufgebracht und ich machte ihm einen Vorschlag. Ich gab ihm den Rat, sich beim Betriebsrat darüber zu beschweren. Mich könnte er ruhig als Zeugen des Gespräches benennen.Wenige Tage später kamen drei Leute vom Betriebsrat zu meinem Onkel in den Betrieb und sprachen mit ihm. Der türkische Kollege hatte sich tatsächlich beschwert. Ich muss zugeben, dass ich diese Unterhaltung zwischen meinem Onkel und den Herren vom Betriebsrat genoss. So nervös habe ich meinen Onkel und Vorarbeiter noch nie gesehen. „Es war doch alles nur ein Spaß“, meinte er. „Ihr kennt mich doch“, fügte er hinzu. Seine Stimme zitterte. Natürlich nur ein Spaß, dachte ich und schüttelte den Kopf. Hättest du gegen deinen Onkel und Vorarbeiter tatsächlich ausgesagt?Ja, hätte ich. Eiskalt! Was geschah danach?
Der türkische Kollege kam auf einmal nicht mehr zur Arbeit. Ich gehe mal davon aus, dass man ihn damals entlassen hat. Und der liebe Vorarbeiter kam wie immer mit einem blauen Auge davon. Ich selber musste zu dieser Sache nicht mal aussagen. Dass ich damals nicht angehört wurde, war nicht okay. Aber letztendlich wundert es mich nicht. Mein Onkel genoss in dem Betrieb einen großen Respekt. Man kann auch sagen: Sie hatten Schiss vor ihm! ……