Journalismus & Glosse
Vom Nicht-Zuhören-Können

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"Vom Nicht-Zuhören-Können"
Veröffentlicht am 06. Juli 2012, 6 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
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Über den Autor:

Bisher von mir erschienen im Verlag neun9zig Liebe mbH ISBN 978-3-944907-00-0 Querfeldein ISBN 978-3-944907-02-4 Beide Bücher leider komplett ausverkauft. Noch erhältlich bei Amazon, Verlag neun9zig oder direkt bei mir: Quertextein und hinterm Komma links ISBN 978-3944907215 Kontaktaufnahme über meine Homepage: http://quertextein.jimdo.com/
Vom Nicht-Zuhören-Können

Vom Nicht-Zuhören-Können

Mama! Du hörst mir gar nicht richtig zu“, wies mich meine Tochter unlängst zurecht. Ungehalten.

Hm? Natürlich höre ich dir zu, mein Schatz“, antwortete ich beiläufig, nicht ohne einen Hauch Empörung in meine Stimme zu legen, und tippte weiter konzentriert auf der Tastatur herum. Selbstverständlich hatte ich ihren Worten gelauscht. Ganz gewiss. Oder? Ich ließ es auf einen Versuch ankommen.

Du willst am Samstag mit dem Wagen in die Zwergstadt.“ Wo zum Teufel war das denn? „Dort bist du mit Steffi und Nina zum Onlinedating verabredet.“ Hä? Watt'n Quatsch. Und Steffi und Nina kannte ich auch nicht. Aber jetzt hatte ich einmal angefangen und so fabulierte ich mutig weiter: „Heute Abend begleitet dich der Alte ins Kino.“ Seit wann sprach das Kind so respektlos von seinem Erzeuger? „.. und dann ...“, endete ich ziemlich lahm, als ich sah, das meine Tochter missbilligend den Kopf schüttelte. Ich ließ die Hände auf den Schreibtisch sinken.

Das war klar.“ Meine Tochter verdrehte die Augen, konnte sich aber dennoch ein Grinsen nicht verkneifen. „Mein Wagen ist seit Samstag in der Werkstatt. Ich bin mit Steffen und Tina zum Inlineskating verabredet und später begleitet mich der Malte ins Kino. Kann ich bitte dein Auto haben?“ Hätte meine Tochter mich nicht so vorwurfsvoll auf mein Versäumnis als liebevoll interessierte Mutter hingewiesen, hätte ich auf ihre Frage vermutlich ganz nebenher und ohne nachzudenken mit „Aber ja, mein Kind“ geantwortet und für den Abend auf meinen fahrbaren Untersatz verzichten müssen. Gesagt ist schließlich gesagt! So aber … Ich holte tief Luft, um entrüstet abzulehnen. „Na gut“, hörte ich mich zu meiner Überraschung sagen, „aber du musst vorher noch tanken, nimm dir Geld aus meiner Tasche!“ Ja, war ich denn von allen guten Geistern verlassen? Mein Auto? Ich sah das Aufblitzen in den Augen meines Kindes und wusste umgehend, weshalb mir bei einer ablehnenden Antwort unbehaglich gewesen wäre: Ich hatte ein schlechtes Gewissen.

 

Von nun an, beschloss ich, würde ich jedem Menschen die ihm gebührende Aufmerksamkeit zukommen lassen, auch wenn sein Gelaber noch so unwichtig wäre. Und sei es nur, um mich in Zukunft davor zu bewahren, zu einem Termin mit dem Fahrrad statt dem Wagen fahren zu müssen. Gut, dass ich die kurze Tour an der frischen Luft eigentlich ganz angenehm fand, lasse ich hier mal unerwähnt. Lindenblütenduft pur ist doch etwas anderes als gefiltert durch eine Belüftungsanlage.

 

Randvoll mit guten Vorsätzen, meine Höflichkeit potentiellen Gesprächspartnern gegenüber betreffend, machte ich mich wenige Tage später auf den Weg zum Einkauf in der örtlichen Niederlassung eines großen Drogeriewarenanbieters. Das Personal dort ist stets ausgesprochen nett und zuvorkommend. Ich stand an der Kasse, vor mir war niemand, hinter mir trödelte eine junge Frau mit Kind zwischen den Regalen herum. Die Kassiererin lächelte freundlich. Draußen schien die Sonne, der Feierabend stand vor der Tür, es war nicht mehr allzu viel zu tun; vermutlich war sie in Gedanken bereits auf ihrer Terrasse. Ich zahlte, sie gab mir mein Wechselgeld heraus und ich verabschiedete mich höflich: „Dankeschön und tschühüss ...“

Und da geschah es. Sie antwortete fröhlich: „Jaha, danke, Ihnen auch ...“, sprachs und widmete sich der nachfolgenden Kundin, die soeben ihren quengelnden Nachwuchs mit den Worten „Hör mir gefälligst zu, wenn ich mir dir rede!“ zusammenstauchte.

 

Mit aufs Äußerste geschärften Sinnen setzte ich meinen Einkauf fort. Dieses Mal ging es zum Discounter mit den blau-roten Buchstaben auf gelbem Grund. Von der Vorgabe, jeden einzelnen Kunden in jeder einzelnen Filiale mit den immer selben Worten „Vielen Dank für Ihren Einkauf und bis zum nächsten Mal“ zu verabschieden, hatte die Konzernleitung wohl wieder Abstand genommen. Vermutlich hatte sie erkannt, dass dieser Spruch eher zu einem Tante-Emma-Laden als zu einem Supermarkt in der Stadt passte. Man war wieder zum unverbindlichen „Vielen Dank und einen schönen Tag noch!“ zurückgekehrt. Das aber konsequent. Eine Weile stand ich in der Schlange vor den Kassen und lauschte. Dann kam ich an die Reihe. Und ich machte die Probe aufs Exempel. „Ich wünsche ihnen noch einen stressigen und arbeitsreichen Vormittag“, flötete ich herzlich, als ich mein Portmonee in der Tasche verstaute. Und siehe da: „Vielen Dank und einen schönen Tag noch“, kam die Antwort folgerichtig.

Das nächste Mal nehme ich meine Tochter mit zum Einkaufen, damit sie sieht, dass Nicht-richtig-Zuhören heute offenbar zum guten Umgangston gehört.

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Hörbuch

Über den Autor

Gunda



Bisher von mir erschienen im Verlag neun9zig

Liebe mbH
ISBN 978-3-944907-00-0
Querfeldein
ISBN 978-3-944907-02-4

Beide Bücher leider komplett ausverkauft.

Noch erhältlich bei Amazon, Verlag neun9zig oder direkt bei mir:
Quertextein und hinterm Komma links
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DoktorSeltsam Wollte mal sehen, - ob du ausgewandert oder mit George Clooney durchgebrannt bist. Ehrlich gesagt, immer wieder ein Vergnügen, jemanden zu lesen, der das Schreiben beherrscht. (Soweit man das Schreiben überhaupt beherrschen kann. Wahrscheinlich eher umgekehrt.) Und ich füge mit einer mir nicht unähnlichen Boshaftigkeit hinzu, ein Vergnügen, an dem teilzuhaben, man nicht oft Gelegenheit findet.

Liebe Grüße

Dok
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: ;-)) -
Zitat: (Original von Christina_Maverik am 19.07.2012 - 12:18 Uhr) ..ja, da hast Du Recht.
Scheinbar ahnt man heute so oft die Antworten im vorraus, dass man sich wirklich nicht mehr die Mühe macht, richtig hin zu hören. Natürlich ist mir das auch schon passiert. Aber kommen dann noch die Wechseljahre hinzu, in denen man eh schon sehr unkonzentriert und vergesslich ist.. OH Backe!!
Ich glaube, da könnte ich nicht mal auf ein Fahrrad zurückgreifen. :-))
Toll geschrieben, Gunda
lg Christa



Grinzzzz .... Wechseljahre? Was ist datten? Das ignoriere ich völlig :o)

Liebe Christa, ich danke dir mal wieder sehr für dein Durchwühlen meines Archivs. Selbstverständlich habe ich alle deine Anmerkungen gelesen und sie entweder mit einem Schmunzeln oder einem Nicken quittiert. Im Moment fehlt mir ein bisschen die Zeit für ausführliche Re-Kommis und vor allem auch für das Lesen und Kommentieren selbst, ich erlaube mir daher nur ein ganz umfassendes Danke, ohne auf jeden deiner Kommentare einzeln einzugehen.

Einen schönen Sommer wünsche ich dir.
Lieben Gruß
Gunda

Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: -
Zitat: (Original von Luap am 17.07.2012 - 20:10 Uhr) Und wieder mal hast du mich zum Lachen gebracht...
Vor ein paar Jahren lernte ich an einem Managemet-Seminar man müsste hinhören, denn beim Zuhören würde man ja die Ohren verschliessen...
egal ich höre trotzdem zu! ;-)

Liebe Grüsse
Paul




Ahhh, ich liebe solche sprachlichen Spitzfindigkeiten :o) Danke, Paul, für die kleine Anekdote.

Klar, zum Lachen war mein Text als allererstes gedacht.

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: wie wahr -
Zitat: (Original von Rajymbek am 11.07.2012 - 10:35 Uhr) Aber ganz ehrlich, Gunda, wie oft passiert uns das auch?

VLG Roland



Lach: Keine Ahnung, man merkt es ja meist selbst nicht ...
Nein, natürlich hast du Recht. Die Frage ist nur, ob das auf geistiger Abwesenheit oder auf Gleichgültigkeit beruht.

Lieben Gruß und Dank
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: Eiegentlich nehem ich dieses "Randgeschehen" kaum wahr -
Zitat: (Original von Boris am 11.07.2012 - 09:20 Uhr) aber man macht doch auch Unterschiede zwischen nahen und fernen Mitbürgern?!

LG Jürgen



Na klar macht man da Unterschiede, Jürgen. Aber wo wäre der Witz an der Geschichte, wenn ich sie nicht "überzeichnen" würde ;o))
Und für dich habe ich natürlich immer ein offenes Ohr :o)

Lieben Gruß und Dank
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: -
Zitat: (Original von Carolyn2 am 11.07.2012 - 08:21 Uhr) Sehr treffend beschrieben - es macht einfach Spaß, deine Texte zu lesen.

LG Dörte


Danke, Dörte, freut mich.

Lieben Gruß und Dank
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: Lachend genossen ;) -
Zitat: (Original von UteSchuster am 09.07.2012 - 23:14 Uhr) erinnert mich an meine Zeit bei Juwelier Christ....
Öffnende W - Fragen :) usw.

Ich glaube man muss nicht jedem ein offenes Ohr schenken,
aber den Kinder natürlich ;)

Liebe Grüße

UTE



Grins: Manchen schenke ich sogar ZWEI offene Ohren: Eines, in das alles hineingeht - und eines, auf dem es ungefiltert wieder rauskommt ;o))

Lieben Gruß und Dank
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Christina_Maverik ;-)) - ..ja, da hast Du Recht.
Scheinbar ahnt man heute so oft die Antworten im vorraus, dass man sich wirklich nicht mehr die Mühe macht, richtig hin zu hören. Natürlich ist mir das auch schon passiert. Aber kommen dann noch die Wechseljahre hinzu, in denen man eh schon sehr unkonzentriert und vergesslich ist.. OH Backe!!
Ich glaube, da könnte ich nicht mal auf ein Fahrrad zurückgreifen. :-))
Toll geschrieben, Gunda
lg Christa
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Und wieder mal hast du mich zum Lachen gebracht...
Vor ein paar Jahren lernte ich an einem Managemet-Seminar man müsste hinhören, denn beim Zuhören würde man ja die Ohren verschliessen...
egal ich höre trotzdem zu! ;-)

Liebe Grüsse
Paul
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Rajymbek wie wahr - Aber ganz ehrlich, Gunda, wie oft passiert uns das auch?

VLG Roland
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