"Geschenke darf man nicht zurücknehmen." Daher sollte man immer gut darüber nachdenken. Eine falsche Entscheidung kann fatale Folgen haben. Dieses Buch ist das Geburtstagsgeschenk für eine Freundin gewesen. Es ist aus ihrer Sicht erzählt.
„Ach was war das für ein suuuppeerrr Tag heute! Ich liiieeeebe Donnerstage!“, jubelte ich, als die Schule aus war. Alles lief perfekt. Wirklich. Die Physik-Klausur, für die ich gestern die ganze Nacht gelernt habe, war so einfach, dass alles andere als 15 Punkte eine Enttäuschung wären. Das wäre dann mein drittes „sehr gut“ in diesem Schuljahr, und es ist erst November. Jetzt muss mir meine Mutter doch einfach dieses Auto kaufen.
„Jetzt komm mal wieder runter, Annika!“, sagte mein Bruder. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er hinter mir her gegangen ist.
„Eine gute Physik-Klausur ist noch kein Grund so rumzubrüllen.“
„Sagt der, der seine Leistungskurs-Klausur in Physik verkackt hat. Wie war eigentlich Geschichte?“
„Halt die Klappe!“, sagte er, drehte um und ging zurück zur Schule.
Sein Verhalten möchte ich mal gerne Verstehen. Aber was soll's. Ich bin gut, er nicht und damit kann ich zufrieden sein, zumal dies vor ein paar Monaten noch ganz anders war. Und damals hat er immer auf mir rumgehackt, weil ich die schlechteren Noten habe. Jetzt ist es anders rum. Hehe.
Dazu sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass wir Zwillinge sind und beide in einem Monat 18 werden. Wir wohnen direkt neben unserer Schule, einem mittelklassigen Gymnasium im Herzen des Ruhrgebietes.
Aber genug über Schule geredet. Jetzt heißt es erst mal, das Wochenende zu organisieren. Dort feiert nämlich meine beste Freundin Svenja ihren 18. und ich wollte zusammen mit Denise überlegen, was wir ihr kaufen.
Als ich nach Hause kam, öffnete meine Mutter mir die Tür. Sie fragte sofort, wie die Klausur verlaufen ist. Sie hat ja gemerkt, wie intensiv ich gelernt habe.
Antworten musste ich auf ihre Frage nicht, sie hat schon anhand meines Lächelns die Antwort bekommen.
„Ahhh, das freut mich aber für dich. Das hast du dir verdient!“, sagte sie.
„Danke Mama, ich freue mich auch sehr. Aber erst mal abwarten, kann ja noch 'ne Drei werden.“
Sie bemerkte meinen Unterton, dass ich nicht mit einer drei rechnete und fing an zu lachen.
„Hast du deinen Bruder gesehen? Er hat doch jetzt auch Schluss oder?“
„Ja, aber der musste noch was wichtiges erledigen. Er kommt später.“
„OK, sagst du ihm, dass sein Essen in der Mikrowelle steht? Ich muss zur Arbeit.“
„Ja, kann ich machen, aber Denise kommt gleich, wir wollen in die Stadt was für Svenjas Geburtstag kaufen.“
„Na ok, dann lass ich ihm das in Folie eingewickelt auf dem Tisch stehen.“
„Ja mach das. Ich ess dann in meinem Zimmer, ne?“
„Klar, wenn du den Teller auch wieder in die Spüle stellst, wenn du fertig bist. Ich muss jetzt los. Wann bist du heute Abend zuhause?“
„Etwa acht Uhr schätze ich, wir wollen heute Abend noch in Herten ne Pizza essen gehen.“
„Gut, dann ruf aber bitte deinen Vater an, dass er für dich heute Abend nichts zu essen machen muss.“
„Mach ich, viel Spaß auf der Arbeit.“
„Danke, werde ich brauchen. Tschüss!“
„Tschüss.“
Ich rief meinen Vater auf seinem Handy an, und ging dann mit dem Essen in mein Zimmer. Erst mal allen auf Facebook über den schönen Tag erzählen.
PC hochfahren, Chrome öffnen und Facebook anmelden.
„heute meeeegaaaa einfache physik-klausur geschrieben:)))
Herr Biller, sie sind der Beste! Gleich mit der Besten De Nise in die Stadt shoppen:) und Samstag paarrrtyyy!“
Kaum hatte ich zuende geschrieben, klingelte es an der Tür.
Ich rannte hin und machte auf. Leider war es nicht Denise, sondern mein liebster Bruder.
„Wo warst du denn?“, fragte ich.
„Was geht dich das an?“, sagte er.
„Keine Ahnung! Ich dachte nur, da ich deine Schwester bin, erkundige ich mich mal über dich.“
„Ja ja, red' mit der Hand!“ Er hielt mir seine Hand vors Gesicht und ging an mit vorbei.
„Du könntest ruhig etwas netter sein. Immerhin habe ich dir, großherzig wie ich bin, geholfen, dein Geschichtsreferat fertig zu machen.“
„Boa Annika, weißt du eigentlich, wie sehr du mich nervst?“
Er ging in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab.
„Essen steht auf dem Küchentisch.“, schrie ich noch und ging dann mach in mein Zimmer.
Auf Facebook habe ich eine Nachricht von Denise bekommen. Sie schrieb:
„ich hab schon das perfekte Geschenk für Svenja gefunden. Sie trägt doch so gerne Ketten, ich hab in bei Ebay eine sehr schöne gefunden. Nur 50 Euro zum Selbstabholen in Herten. Hier ist der Link: ….
Guck sie dir mal an, ich komm ein 30 Minuten, dann besprechen wir, ob wir sie kaufen.“
Ich klickte auf den Link um mir die Kette anzuschauen. Es war eine goldene Kette mit einem Anhänger in Ei-Form. In ihm war ein Rubin eingelassen. Der Rubin war wunderschön. Schon sein Foto lies jede Faser meines Körpers nach ihm rufen. In der Beschreibung steht, dass die Kette mit dem Anhänger aus Arabien stammt und schon 250 Jahre alt ist.
Bei dem super günstigen Preis und der schönen Kette müssen wir sie einfach kaufen.
35 Minuten später klingelte es, ich machte Auf und Denise stand vor der Tür.
„Hey Sister!“, sagte sie und wir umarmten uns zur Begrüßung wie wir es immer taten.
„Komm rein.“, sagte ich. „Die Kette ist echt der Hammer. Und auch noch so günstig. Wenn wir die kriegen, haben wir ein großartiges Geschenk.“
„Dann lass schnell auf Ebay gehen und sie kaufen.“
„Ja, ich hab mich schon in den Account meines Vaters eingeloggt.“
„Woher hast du das Passwort?“
„Ich bitte dich! „Schalke04“ war jetzt nicht schwer zu erraten.“
Wir gingen an den PC und kauften die Kette. Wir schrieben der Noch-Besitzerin, dass wir sie am besten noch heute abholen wollen.
Knapp 20 Minuten später bekamen wir eine Antwort, in der stand, dass wir die Kette um halb 7 abholen können. Unter der Nachricht stand noch die Adresse.
Es war in Herten, das wussten wir, aber die Straße kannten wir nicht, also guckten wir bei Google Maps nach. Wir stellten fest, dass wir mit dem Bus, der bei mir vor der Haustür hält, direkt bis zur Verkäuferin fahren können.
„Heute ist echt mein Glückstag.“, sagte ich. „Gute Klausur, sehr gutes Schnäppchen und ein Tag mit meiner Besten.“
„Ach komm, ich bin doch nicht besser als Svenja.“ sagte Denise.
„Ihr seit beide meine Besten.“
„Achso, na dann ist ja gut.“
„Was wollen wir dann noch die drei Stunden machen bis wir die Kette abholen. In Herten shoppen gehen?
„Können wir machen. Ich brauch noch 'ne neue Jeans.“
Und so fuhren wir zum Shoppen nach Herten. Übrigens unsere Lieblingsstadt.
3 Stunden später standen wir vor dem Haus der Verkäuferin.
Es war ein altes Reihenhaus an einer Hauptstraße, von außen nicht besonders schön anzusehen. Aber wir mussten ja nicht da drin wohnen.
Wir klingelten an, und sofort öffnete sie die Tür. Wir gingen die Treppe hoch in die erste Etage. Da stand die Verkäuferin, eine ältere Dame Mitte 50 mit angegrauten Haaren und einer Kochschürze in der rechten Tür, und strahlte uns an.
„Ohh, was bin ich froh, dass ich für die Kette zwei so hübsche Abnehmer gefunden hab.“ Sie ging auf uns zu und umarmte uns. Denise und ich tauschten einen verwunderten Blick aus, dann sagte Denise: „Ja, äh, freut uns auch, dass wir die Kette bekommen, und dann auch noch so günstig.
„Oooch, das Geld spielt mir keine Rolle, Hauptsache ich kann jemandem eine Freude machen!“, sagte die Frau.
„Gut, denn die Kette soll ein Geburtstagsgeschenk für eine Freundin von uns sein.“ sagte ich.
„Ahhh, ja, da ist die Kette natürlich sehr gut. Wartet kurz, ich hol sie eben.“
Sie ging in die Wohnung und 30 Sekunden Später kam sie mit einem Schuhkarton in der Hand zurück.
„Hier ist die Kette drin. Ich habe es mit Watte gefüllt, damit sie nicht beschädigt wird. Schaut ruhig rein, dann wisst ihr, dass ich euch nicht bescheiße.“ sagte die Frau und gab und den Schuhkarton. Wir schauten rein, und sahen in mitten von Watte die goldene Kette mit dem großen, roten Rubin in der Mitte funkeln. In Realität war er noch schöner. Er leuchtete in allen Farben des Regenbogens. Er strahlte eine innerliche Wärme aus, die jegliche Schönheit übertraf. Es war wie Liebe, nur noch besser.
Ich konnte sehen, dass auch Denise von dem Stein angetan war.
„Vielen Dank.“, sagte ich, „Und hier haben sie ihr Geld.“
Ich gab ihr den 50-Euro Schein.
„Perfekt, dann haben wir alles geklärt. Ich hoffe, ihr könnt eurer Freundin eine Freude damit machen. Soll ich euch noch nach Hause fahren, es ist schon dunkel draußen?“
„Ehm, nein danke, wir fahren mit dem Bus.“ sagte Denise.
„Oke, ich kann euch ja nicht zwingen. Dann eine gute Rückfahrt und einen schönen Abend noch.“
„Danke, ihnen auch.“
Wir verließen das Haus, zwar um 50 Euro ärmer aber mit einem großartigen Geschenk in der Hand. Wir beschlossen, die Kette in der Kiste zu lassen, um keine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Nicht, dass sie uns noch gestohlen wird.
Wir gingen nach rechts zur Bushaltestelle. Ich sah, wie die Frau uns von ihrem Fenster aus hinterher guckte und dabei freudig grinste. Das Grinsen hatte fast schon einen Anflug von Boshaftigkeit.
„Was meinst du, wieso sie sich so freut, die Kette los zu sein?“, fragte ich Denise.
„Keine Ahnung, vielleicht hat die ja jede Menge davon und macht gerne Leuten eine Freude.“
„Wenn sie mehr hat, dann muss sie doch reich sein. Und das Haus sieht nicht so aus, als wäre die Miete sonderlich hoch.“
„Na ist doch egal, Hauptsache wir haben ein gutes Geschäft gemacht.“
„Stimmt, aber seltsam finde ich das schon.“
„Hm, wie du meinst. Pizza?“
„Pizza!“
Wir verbrachten den Rest des Abends damit Pizza zu essen. Um Halb 9 kam ich nach Hause. Wir haben abgemacht, dass ich die Kette bis zur Feier aufbewahre, da bei Denise gerade renoviert wird. Gut so, so konnte ich noch ein wenig die Ausstrahlung des Rubins genießen.
„Du bist eine halbe Stunde zu spät!“, begrüßte mich mein Vater.
„Ja, Entschuldigung, ich hab den Bus verpasst.“, log ich. In Wirklichkeit war die Pizza schuld.
„Ist ja jetzt auch egal, ruf aber bitte das nächste Mal an.“
„Ja, mach ich.“
Ich ging in mein Zimmer, stellte die Kiste auf den Schrank und holte die Kette raus. Sie funkelte immer noch wie eine Million Goldmünzen und ich wurde von einem stolzen Gefühl erfasst, dass ich so etwas schönes in meinen Händen halten konnte.
Ich konnte mich nicht mehr dagegen wehren, ich musste mir die Kette um den Hals hängen.
Es war ein sagenhaftes Gefühl. Ich fühlte mich, als wäre ich reich, berühmt, wunderschön und hätte Superkräfte. Ich weiß nicht warum das so war, aber es war einfach toll!
Dann kam mein Bruder ins Zimmer.
„Annika, kann ich mal von deinem PC ins Internet? Meiner funktioniert irgendwie nicht und ich muss für Englisch Informationen über den Amerikanischen Bürgerkrieg raussuchen. Ist das eine neue Kette?“
Auf einmal überkam mich ein Gefühl der Wut. Wut auf Lukas, weil er den wunderbaren Moment zerstört hat.
„Wieso klopfst du nicht an?“, brüllte ich ihn an.
„Eh, sorry! Soll ich nochmal raus und von vorne?“
„NEIN!“, schrie ich, „Du gehst raus und bleibst auch da!“
„Aber...“
„RAUS!“
„Ok, ganz ruhig. Bin schon weg.“
Er ging raus und schloss die Tür hinter sich.
Ich war so sauer. Wieso muss er immer alles ruinieren? Wieso bin ich kein Einzelkind, dann hätte ich ruhe vor ihm?!
Ich legte die Kette zurück in die Kiste und ging schlafen. Es war zwar erst Viertel vor Neun, aber aus irgendeinem Grund war ich todmüde.
Ich legte mich ins Bett und plötzlich war meine gesamte Wut auf Lukas verraucht. Ich wusste auch gar nicht mehr so recht, warum ich eigentlich so wütend war.
In der Nacht schlief ich sehr unruhig. Ich hatte Alpträume. Den seltsamsten Traum hatte ich gegen Ende der Nacht. Ich war mit Lukas in der Wüste. Wir hatten nichts bei uns, außer der Kette. Sie war allerdings nicht aus Gold, sondern aus Eisen. Es war auch kein Schmuck mehr, sondern eine Fessel, die unsere Hälse aneinander gekettet hatte. Zwischen uns beiden hing der Anhänger mit dem Rubin. Er leuchtete heller als die Sonne und verbrannte mit seiner Hitze unsere Schultern.
„Wieso hast du die Kette gekauft?“ fragte Lukas. Seine Stimme klang schwach und ausgetrocknet. „Die Kette wird uns beide umbringen.“
Dann änderte sich die Situation. Wir waren nicht mehr in der Wüste, wir waren im Wald, in dem es brannte. Die Kette hat sich von unseren Hälsen gelöst, und fesselte uns stattdessen an den Händen um einen Baum herum. Wir konnten uns nicht bewegen und um uns herum brannte alles. Die Bäume, die Büsche, sogar der Boden.
Die Flammen kamen immer näher.
Von der anderen Seite des Baumes hörte ich Lukas mit der Stimme von Denise sagen: „Die Frau hat uns beschissen. Die Kette ist kein Schmuck. Sie ist ein Folterinstrument.“
Und wieder änderte sich die Situation.
Diesmal war ich alleine in einer Turmhalle. Ich hatte die Kette um den Fuß gebunden. Der Rubin war auf die Größe eines Autos angewachsen. Ich konnte mich nicht Bewegen. Von den Seiten der Turnhalle lief Wasser in den Innenraum und füllte diesen langsam. Ich schrie um Hilfe aber niemand hörte mich.
Als mir das Wasser bis zum Kinn stand, kam Svenja angeschwommen. Sie befreite mich von der Kette, so dass ich weg schwimmen konnte, aber dafür schlang sich die Kette um Svenjas Bein. Ich wollte sie befreien, aber sie sagte: „Geh! Geschenke kann man nicht zurücknehmen.“
Ich wachte auf, schweißgebadet und mit starken Kopfschmerzen. Es war Halb 7. der Wecker würde in einer halben Stunde klingeln. Ich spürte etwas hartes, schweres auf meiner Brust liegen. Ich ertastete den Gegenstand und identifizierte ihn als die Kette mit dem Rubin. Ich fragte mich, wieso ich die Kette trug. Ich hatte sie doch am Abend zuvor in die Kiste gelegt.
Ich stand mit pochendem Schädel auf, machte Licht an, und suchte die Kiste. Aber sie war nicht mehr auf dem Schrank. Auch nicht auf dem Tisch oder unter dem Bett. Sie war weg.
Ich blieb den Rest des Tages im Bett liegen. Ich hatte 39 Fieber und dazu diese höllischen Kopfschmerzen. Immer, wenn ich einschlief bekam ich wieder diese Alpträume. Und jedes mal wenn ich aufwachte lag die Kette auf meiner Brust, obwohl ich sie vorher auf den Tisch gelegt habe.
Am Nachmittag kam Denise. Sie brachte mir die Hausaufgaben und eine Zeitung.
„Schau mal auf Seite 3, ganz oben.“, sagte sie.
Es war ein Artikel über ein Hausbrand. Ich schaute auf das Bild über dem Artikel. Das Haus kam mir bekannt vor.
„Das ist das Haus der Frau, die uns die Kette verkauft hat.“, sagte ich.
Ich überflog den Artikel. Dort stand, dass nur eine Person bei dem Feuer umgekommen ist. Eine Frau, Mitte 50 die in der ersten Etage wohnte.
„Was für ein schrecklicher Zufall.“, sagte Denise.
Ich wusste, dass es kein Zufall war. Ich wusste, dass es der Rubin war.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und erzählte Denise von den Träumen, auch auf die Gefahr hin, dass die mich für verrückt erklärte.
Als ich fertig war, sagte ich ihr, dass wir die Kette vernichten müssen, bevor sie uns etwas antut. Oder Svenja.
„Bist du dir sicher?“, sagte Denise, „Du hast hohes Fieber, da kann man sich schon mal was einbilden. Was sollen wir denn dann Svenja schenken, wenn wir die Kette vernichten?“
„Ich denke das dürfte nur Nebensache sein. Hauptsache ist, dass wir uns vor der Kette schützen, bevor sie uns was tut.“
„Ok, ich glaube dir, aber was wollen wir machen?“
„Hier neben an fließt doch diese Köttelbecke lang. Schmeiß' sie darein, dann sind wir sie los.“
Ich gab ihr die Kette.
„Bist du sicher?“
„Ja!“
Die Zeit verging, aber Denise kam nicht zurück. Ich wartete über eine Stunde. Der Bach war nur 5 Minuten entfernt. Es musste was passiert sein.
Dann endlich, nach anderthalb Stunden, klingelte es. Ich rannte zur Tür, da meine Eltern übers Wochenende in unser Ferienwohnung sind und mein Bruder nach der Schule noch nicht nach Hause gekommen ist.
Es stand aber nicht Denise vor der Tür. Es war eine Polizistin.
„Guten Tag, Wellner mein Name. Sind sie Annika N., die Schwester von Lukas?“
Mein Herz rutschte mir in die Hose.
„Ja.“, würgte ich raus.
„Sind ihre Eltern zu Hause?“
„Nein.“
Sie nahm ihre Mütze ab.
„Ich muss ihnen leider mitteilen, dass ihr Bruder unter der Brücke des Hellbaches gefunden wurde. … Tot. Es war wohl Suizid.“
Stille
„W-was sagen sie?“
„Es tut mir sehr leid. Eine angebliche Freundin von ihnen, Denise, hat ihn gefunden und uns benachrichtigt. Der Notarzt hat noch versucht ihn zu reanimieren, aber es war zu Spät.“
Ich fühlte mich, als wäre mein Herz zehn mal überfahren worden. Ich konnte nicht mehr klar denken.
„Wo ist Denise?“, fragte ich.
„Im Auto. Soll ich sie zu ihnen bringen?“
„Ja. Bitte!“
Sie ging zum Auto und kam mit Denise zurück.
„Annika, es tut mir ... furchtbar leid. Ich wollte die Kette in den Bach werfen und … als, als sie unten ankam, habe ich gesehen, dass … dass er da unten liegt.“, sagte Denise während sie die Tränen unterdrückte.
„Wie kann ich ihre Eltern benachrichtigen?“, fragte die Polizistin.
„Die sind im Urlaub.“, antwortete ich geistesabwesend.
Ich gab ihr einen Zettel mit der Adresse der Ferienwohnung.
„Danke. Kann ich sie beide alleine lassen, oder soll ich einen Kollegen schicken?“
„Es geht schon.“ sagte ich, „Danke für … die Benachrichtigung. Tschüss.“
Ich zog Denise in die Wohnung und schloss die Tür. Ich konnte immer noch nicht fassen, was passiert ist. Lukas … tot. Und alles weil wir die Kette gekauft haben. Die Kette...
„Wo ist die Kette?“, fragte ich Denise.
„Versenkt.“
„Sicher?“
„Ja, ich hab gesehen, wie die Strömung sie davon trug.“
„Gut.“
„Ist wirklich alles OK bei dir? So ein Schicksalsschlag ist schlimm. Willst du wirklich keine Hilfe? Oder deine Familie?“
„Nein. Du bist da.“
„Aber...?“
„Ich will Ruhe.“
Wir gingen in mein Zimmer und fanden auf meinem Bett ein Stück Gold mit einem roten Punkt. Die Kette.
„NEIN!“, schrien wir beide.
„Wie ist das möglich?“
„Wir sind verflucht.“
„Was wollen wir jetzt machen, Annika?“
„Wir müssen die Kette verschenken. So wie die Frau.“
„Die Frau ist tot.“
„Wenn wir es nicht tun, sind wir vielleicht bald tot.
„Aber wem sollen wir mit dem Fluch belasten? Das können wir doch nicht machen, wir würden das Leben der jeweiligen Person zerstören.“
„Nicht wenn sie schon tot ist.“
„Du meinst, wir sollen das einem Toten schenken?“
„Ja, die einzige Möglichkeit.“
„Wen und wie?“
„Wir verschicken sie als Paket. An Adolf Hitler von mir aus. Als Absender geben wir Michael Jackson oder so an. Wenn das Paket nicht zugestellt werden kann, wird es entsorgt. Dann sind wir sie los.“
Wir hatten keine Wahl. Wir gingen, trotz meiner Krankheit, zur Post und kauften einen großen Briefumschlag, legten die Kette rein, frankierten und beschrifteten den Umschlag und warfen ihn in den Briefkasten.
Am Abend kamen meine Eltern. Sie hatten von einem Polizisten von Lukas erfahren und sind sofort nach Hause gefahren. Ich erzählte ihnen die ganze Geschichte. Ob sie mir glaubten, weiß ich nicht.
Am nächsten morgen stand das Haus noch. Kein Feuer, keine Kette. Aber auch keine Party. Nach den Ereignissen wollte ich keine Party. Meine Eltern hätten es sowieso verboten.
Ende Dezember, anderthalb Monate später sind wir Gemeinsam im Silvesterurlaub gefahren um aus dem tristen Alltag rauszukommen.
Als wir wiederkamen fanden wir unser Haus als Brandruine vor. Alles war verkohlt, zerstört.
Vor dem Haus war ein großes Hakenkreuz gemalt. Die Farbe war rot. Rubinrot.