Erschrocken fuhr Cassie zu ihr herum. „Leni, ich-”
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„Ist schon gut, Peia, du musst ja nicht alles erzählen! Es ist nur.... Ich hab das Gefühl, dass du nicht glücklich bist. Aber anders als früher, wo du einfach nur von uns weg und aufs College wolltest...”
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Das konnte Cassie nicht leugnen, sie hatte damals ziemlich rebellisch agiert und gemeutert, sicher auch ihre Leute vor den Kopf gestoßen. Das war zum Glück später aus dem Welt geschafft worden und alle hatten sich längst wieder versöhnt. Und Cassie war ja auch immer, so wie jetzt, da gewesen, um in Notlagen zu helfen. Es ärgerte sie allerdings, dass sie diesmal anscheinend so durchschaubar war.
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Helena fuhr fort „Hör mal, große Schwester, wir haben uns sonst immer jeden Fliegenschiss erzählt. Ich wusste sogar, wie viele Nägel in der Wand deiner Studentenbude steckten, ohne sie je gesehen zu haben. Und jetzt verbringst du einen ganzen Sommer am Meer, am Strand, wo Sonne scheint und die Wellen rauschen, dein Laden floppt, dafür hilfst du einem anderen... und alles was man darüber hört, ist 'Naja, Ray brauchte Hilfe..'. Da muss ich doch hellhörig werden!”
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„Oh Mann”, stöhnte Cassie, „ich hab nicht mit der spanischen Inquisition gerechnet!”
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„Niemand erwartet die spanische Inquisition, Baby!”, erwiderte Helena grinsend. Dann sagte sie leise, geradezu zärtlich „Cassie, dich bedrückt etwas und nicht mal die Aussicht darauf, bald wieder frei über dich entscheiden zu können, scheint dich aufmuntern zu können. Und ich vermute, dass es irgendwie mit diesem 'Ray' zu tun hat.”
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Ihr Kopf ruckte hoch. „Hat er dir was getan? Sollen wir die Zwillinge auf ihn hetzen?!”
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~Die Gelegenheit habe ich schon verpasst~, dachte Cassie und schüttelte energisch den Kopf. „Ach Leni, du hast ja keine Ahnung...”
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„Dann hilf mir! Erzähl mir davon, hilf mir, dich zu verstehen. Erleichtere dich!”
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„Ich...” Vielleicht hatte Helena ja Recht. Vielleicht musste sie einfach mal ihr Herz ausschütten und bei ihrer Schwester war es gut aufgehoben. Also hockte sie sich zu ihr ins frische Stroh und erzählte ihr die Geschichte. Helena hörte geduldig zu und sah sie dann mit großen Augen an.
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„Und du bist ganz sicher, dass du es nicht mit ihm versuchen willst?”
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„Ich habe einfach nicht den Mut dazu”; bekannte Cassie und Helena nickte stumm. Und sie bewies anscheinend auch, dass Cassie sich auf sie verlassen konnte, denn sie insistierte nicht weiter, sondern beließ es bei Cassies Antwort.
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Eine weitere Woche später hatte Helena ihre Nummer wieder voll übernommen, nur die akrobatischen Auftritte absolvierte vorerst noch ihre Schwester. Die erhielt eines Nachts plötzlich einen Anruf, als sie gerade in ihrem Trailer zu Bett gehen wollte.
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Es war der Makler, den sie für den Verkauf ihres Lokals engagiert hatte. Eigentlich hatte er gute Nachrichten, denn er hatte einen Käufer gefunden und war froh, Cassie endlich zu erreichen. „Aber es gibt ein kleines Problem”, fuhr der Mann dann fort. „Der Interessent möchte die Vertretung durch mich nicht akzeptieren und besteht für die Vertragsunterzeichnung auf Ihre persönliche Anwesenheit.”
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„Oh nein”, stöhnte Cassie, „darf er das denn?”
„Leider ja. Ihre Vollmacht für mich gilt nur dann, wenn die andere Partei sie akzeptiert, was in etwa zwei Dritteln solcher Verträge mit großem räumlichen Abstand der Fall ist. Aber wenn der Käufer auf persönliche Anwesenheit besteht, gelten einfach die normalen Regeln eines Notarvertrags....”
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„Also, naja, vielleicht warten wir dann einfach, bis sich jemand anderes meldet?!”
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„Miss Zanzini, ich muss ehrlich sein: Es gibt sonst niemanden. Ich fürchte, wenn das jetzt nicht klappen sollte, dann finden sie in diesem Jahr keinen Käufer mehr. Die Konkurrenz nebenan ist einfach zu stark. Und selbst diesen Interessenten konnte ich nur knapp davon überzeugen, den von Ihnen vor gegebenen Preis zu akzeptieren.”
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„Hm. Es dauert allerdings noch ein wenig, bis ich kommen kann... ”
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„Ich glaube, das wäre für ihn in Ordnung. Rufen sie mich einfach an, wenn Sie können, dann machen wir einen Termin aus.”
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„Na gut. Vielen Dank auf jeden Fall für Ihre Bemühungen!”
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Cassie klappte das Handy zusammen und ließ sich endlich auf ihr Bett fallen. Das war ja blöd. Oder vielleicht auch nicht, es bot zumindest die Chance, hier weg zu kommen. Aber für kurz oder lang? Und lief sie so nicht Gefahr, Ray über den Weg zu laufen? Aber das war wohl nicht so, sie würde ja nur in der Stadt gebraucht werden und Ray war offenbar mit dem Sunset voll ausgelastet, wenn es so gut lief. Ihr Herz machte einen kleinen freudigen Hüpfer, so als wäre es ihr Lokal. Nun ja, ein bisschen war es das ja auch!
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Ihre Familie nahm die Ankündigung gelassen auf. Wahrscheinlich hatten sie eh schon damit gerechnet, jetzt, wo Helenas Genesung beinahe vollständig war und allen schien klar zu sein, dass Cassie auch fürs Erste nicht wieder kommen würde. Ein bisschen überraschte diese Einstellung Cassie, verletzte sie sogar ganz leicht doch dann schalt sie sich selber. ~Was erwartest du denn, du dumme Kuh? Du bist nun mal ein Wanderer zwischen den Welten...~
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Es dauerte noch ein paar Tage, aber dann war es soweit: Helena war endlich komplett gesund und konnte ihre Aufgaben wieder voll und ganz übernehmen. Die Saison war quasi zuende und Cassie hatte nun etwas Zeit für die endgültige Entscheidung: Entweder eigene Nummern einzustudieren, um wieder Teil der Artisten zu sein, oder sich irgendwo anders eine Arbeit suchen.
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Mit ihrem Trailer fuhr sie nun also schweren Herzens wieder zurück zur Westküste, wo sie sich wie verabredet bei ihrem Makler meldete. Insgeheim war sie schon sehr gespannt auf den Käufer. Für den kurzen Aufenthalt stieg Cassie in einem kleinen Motels ab. In ihrem Trailer suchte sie für den nächsten Tag ein Outfit für den Notartermin heraus, dabei fiel ihr auch der Rock in die Hände, mit dem sie Tickler handzahm gemacht hatte.
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Vielleicht sollte sie den morgen anziehen, um den Preis zu erhöhen. Vielleicht aber war der Käufer ja auch eine Frau, da war das Risiko zu groß... So entschied sie sich lieber für einen ihrer gedeckten Hosenanzüge, in dem sie dann am nächsten Tag in Stornges Büro erschien, wo man sie bat, noch eine Weil Platz zu nehmen.
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*~*~*
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Derweil hatte Ray Besuch bekommen, mit dem er wirklich nicht gerechnet und der sich auch nicht angekündigt hatte: Seine Eltern standen plötzlich vor der Tür! Die Wunder nahmen anscheinend kein Ende, hatten mit einem seltsamen Anruf vor knapp zwei Wochen begonnen und gipfelten ausgerechnet heute in diesem Zusammentreffen.
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Er begrüßte sie mit einer Mischung aus Ärger und Neugier, denn gerade seine Mutter verließ ungern ihr vertrautes Terrain. Zum Glück, so empfand es Ray, war Eugene bei ihnen, auch wenn er sich fragte, warum eigentlich?!
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Vielleicht stand ihm die Frage allzu deutlich ins Gesicht geschrieben, denn Eugene lachte freudlos auf. „Wunder dich nicht, lass uns lieber in dein Büro gehen. Unsere Eltern haben dir etwas zu sagen.”
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Innerlich fluchte Ray aufs übelste. War sein Bruder nun doch auf die andere Seite gewechselt? „Hm, eigentlich habe ich leider gar keine Zeit....”
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„Dafür wirst du Zeit haben, das garantiere ich dir!” Eugene war so bestimmend wie schon lange nicht mehr und zu seiner Ãœberraschung schlug seine Mutter geradezu beschämt die Augen nieder. Jetzt war er wirklich neugierig, bat Mary darum, einen Anruf für ihn zu erledigen und führte die kleine Gruppe in seine Räume.