Romane & Erzählungen
Schachmatt

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"Schachmatt"
Veröffentlicht am 11. Juni 2012, 16 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Schachmatt

Schachmatt

Beschreibung

Es ist Dienstag und das bedeutet das der 19 Jährige Leon und der 48 Jährige Joey im Park Schach spielen. Langsam werden aus den beiden misstrauischen Einzelgängern Freunde, aus den Außenseitern Verbündete die sich übers Leben austauschen. Doch eines Tages kommt Joey nicht zum Schachspielen. Leon macht sich auf die Suche und entdeckt Dinge über Joey die er nie für möglich gehalten hätte.

3

Der Herbst hält Einzug in unsere Stadt und taucht die wöchentlichen Schachspiele in eine vollkommen neue Atmosphäre. Der Wind treibt die herabfallenden Blätter der Bäume durch den Park und die rot-goldenen Lichtstrahlen der langsam untergehenden Sonne, lassen die bereits zu Haufen aufgetürmten Blätter in tausend verschiedenen Farben leuchten. Die Temperatur ist innerhalb der letzten Woche rapide gesunken, sodass ich statt des üblichen T-Shirts Joey heute mal schon mit einer dicken Winterjacke gegenübersitze. Der alte Haudegen trägt wie immer seine ausgefranste braune Lederjacke und insgeheim frage ich mich, ob er sie jemals wäscht. Sein graues Haar und der ebenso graue Bart lassen ihn heute älter als sonst aussehen. Fast wirkt es so, als wäre sein Gesicht aus Stein gemeißelt.
„Ist alles Okay mit dir Joey?“, frage ich ihn. Für einen Moment wirkt es so als habe ich ihn aus einer Trance geweckt und er starrt mich verdutzt an.
„Natürlich, was soll denn nicht in Ordnung sein?“ seine Hand wandert in die Innentasche seiner Jacke und kommt kurz darauf und mit einer Zigarette zwischen den Fingern hervor, die er sich sogleich in den Mund steckt. Ich ziehe meinen Ärmel zurück und blicke auf meine Armbanduhr.
„Nun, du brauchst sonst nie über 5 Minuten für einen Zug … außerdem hast du vergessen deine Zigarette anzuzünden.“
Joey schüttelt den Kopf:“ tut mir leid Kleiner, ich bin nur etwas zerstreut heute. Das macht das Alter weißt du?“ Aus seiner linken Brusttasche kramt er eine Packung Streichhölzer hervor und zündet sich die Zigarette an.
„Sicher, dass es nur das Alter ist? Du wirkst reichlich zerstreut heute.“
Er schüttelt den Kopf und zieht endlich seinen Läufer. Doch wenn es eine Möglichkeit gibt, an der man merkt, dass etwas nicht stimmt, dann ist es Joeys Schachspiel. Er ist ein Perfektionist, der sich jeden Zug zweimal oder gar dreimal überlegt um bloß keinen Fehler zu machen. Doch gerade hat er mit seiner Dame meinen Springer geschlagen und verliert diese jetzt durch einen Zug mit einem meiner Bauern. Es ist nicht unüblich beim Schach eine Figur zu opfern, um eine wertvollere zu schlagen, doch eine Dame für einen Springer? So einen unvorteilhaften Tausch würde Joey nie machen, wenn er vollkonzentriert wäre.
„Sag mal Leon, denkst du wir sind Bauern? Oder Spieler?“
Ich schaue ihn verdutzt an, das ist das erste Mal, dass er meinen Namen verwendet. Normalerweise nennt er mich immer kleiner.
„Wie meinst du das?“
Seine Zigarette wandert Nervös von Mundwinkel zu Mundwinkel und er scheint sich seine nächsten Worte genau zu überlegen.
„Erinnerst du dich an das Gespräch über den Bauern und die Umwandlung?“
Ich nicke:“ Klar tue ich das.“
„Was ist, wenn ich mich geirrt habe? Was ist, wenn wir die Spieler sind und die Schachfiguren so etwas wie das Schicksal wären. Oder denkst du, dass wir doch eher Schachfiguren sind, die von jemandem gelenkt werden?“
Ich lehne mich zurück und lasse eine Hand durch meine kurzen braunen Haare fahren. Vielleicht hilft mir das ja beim Denken.
„Nun das würde deine alte Theorie ad absurdum führen, da du sagtest das wir zwar einen vorbestimmten Weg haben uns innerhalb dieses Weges aber entscheiden können, was wir wollen.“
„Und wenn es etwas gibt, was uns erst auf unseren vorbestimmten Pfad lotst?“ Joey sieht mir bei diesen Worten, direkt in die Augen. So ernst habe ich ihn noch nie erlebt.
„Was sollte das sein? Gott? Schicksal? Eine höhere Macht?“
Er schüttelt den Kopf und ein humorloses Lächeln huscht über sein Gesicht.
„Denkt nicht so hoch, vielleicht ist es viel, viel einfacher. Was ist mit Politik? Schulsystemen? Unserer Gesellschaft? Es gibt überall Leute, die uns beeinflussen. Mal mehr, mal weniger stark, mal direkter und mal indirekt.“
So langsam verschwinden auch die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Horizont und die Temperatur sinkt ein wenig. Ich fröstle und meine Zähne fangen leicht an zu klappern, das ist wirklich keine gute Zeit für philosophische Grundsatzdiskussionen.
„Du meinst also, dass es im Leben Spieler und Spielfiguren gibt?“
Wieder nickt Joey.
„Aber“, setze ich noch mal an. „müsste das dann nicht bedeuten, dass man sich zwischen einer Rolle als Spielfigur oder als Spieler entscheiden kann?“
„Vielleicht aber wahrscheinlich nicht immer. So wird der Sohn eines Königs auch immer ein König werden.“
Ich schlinge die Arme um meinen Oberkörper, weil mir mittlerweile doch arg kalt wird, trotz dicker Winterjacke.
„Joey, wenn du auf irgendwas hinauswillst, dann sag es jetzt. Mir ist kalt und ich würde gerne noch die Schachpartie zu Ende bringen.“
„Gut, ich komme zum Punkt. Wenn ein Spieler dich auf ein Leben vorbereitet das Du gar nicht haben willst. Wenn du Läufer bist, obwohl du lieber ein Turm wärst. Wenn du dann kurz vor dem Ende des Schachbrettes stehst und merkst das alles falsch gelaufen ist. Was denkst du, würdest du tun? Denk darüber nach.“
Joey steht auf und zieht eine Spielfigur.
„Remis, Gratulation du wirst besser.“ Sind seine letzten Worte, bevor er in die Dunkelheit verschwindet und mich nachdenklich zurücklässt.

 

1

Schachmatt
„Jetzt mach endlich hin, mir schlafen die Beine ein!“ fordert der alte Mann der mir gegenüber sitzt.
Ich schaue ihn an und hebe beschwichtigend meine linke Hand.
„Eile mit Weile alter Mann, lass mich nachdenken.“
Er seufzt mir zu: “Bevor du nachgedacht hast, ist meine Rente abgelaufen.“
Ich schenke ihm mein schönstes Hör-auf-zu-drängeln-sonst-dauerts-ewig Lächeln.
Der alte Knacker hat wirklich keine Geduld. Joey Romanov, 48 Jahre alt auch wenn er aussieht wie 65. Zigaretten und Alkohol haben ihn schneller altern lassen, nichtsdestotrotz strahlt er eine Kraft aus, die ich gerne hätte. Er wirkt immer noch wie ein Bär, der einen ohne Probleme in zwei Hälften brechen kann und zur Hölle er ist der beste Schachspieler, den ich kenne.
Ich ziehe meinen Springer, betätige die Uhr und übergebe an Joey.
„Damit hast du nicht gerechnet, was alter Mann?“, schleudere ich ihm Siegesgewiss entgegen.
Er verdreht nur die Augen. Das fiese an diesem Kerl ist, dass du nie weißt, was in seinem Hirn vor sich geht.
„Pass auf Kleiner, ich zeig dir wie man das macht.“
Ich beobachte wie Joey seinen Arm einen Moment über dem Schachbrett wandern lässt.
In diesen Momenten sieht er immer ein wenig wie einer dieser Straßenmagier aus.
Fehlt nur noch, dass er die Augen schließt und irgendwelche angeblich magischen Worte murmelt. Ich schaue ihm zu wie er die Hand übers Schachbrett wandern lässt, eine Figur anfasst, sie wieder loslässt und zur Nächsten wandert, währenddessen versuche ich mir schon mal die nächsten paar Züge zu überlegen. „Schachmatt, mein junger Freund.“
Dieser Satz lässt mich wortwörtlich fast vom Stuhl kippen.
„Das kann doch nicht…oh es kann….du hast mich ausgetrickst Joey.“
Er kramt eine Schachtel Zigaretten aus seiner Jackentasche und zündet sich eine an bevor er mir antwortet.
„Hab ich nicht Kleiner, DU vergisst nur immer an die Zukunft zu denken. Schach ist, ja Schach ist ein wenig wie das Leben. Du kannst nicht alles planen, aber ein wenig voraus denken solltest du schon, wenn man die ganze Zeit nur träumt wird man schneller Matt gesetzt als man gucken kann.“
„Wenn ich was über mich wissen möchte, lese ich Freud Joey aber danke für den Psychologie Unterricht.“
„ Sag das noch mal wenn du es schaffst Sigmund zu buchstabieren.“
Ich werfe einen Blick auf meine Uhr.
„Ich würde dir ja gerne Paroli bieten Großväterchen, aber ich muss los. Ich haue dich nächstes Mal in die Pfanne, wenn ich Zeit und Muße habe und vor allem gehst du nächstes Mal Schachmatt.“
Er winkt ab: „Wenn ich für jedes Mal, das ich diesen Satz höre einen Fünfer kriegen würde, würde ich garantiert nicht jeden Dienstag mit dir Schach spielen.“
Ich schenke ihm noch ein wunderschönes Haifischlächeln, schnappe mir meinen Rucksack und schwinge mich auf mein Fahrrad.
Ich winke Joey ein letztes Mal zu bevor er aus meinem Blickfeld verschwindet.
„Auf wiedersehen Joey, bis nächsten Dienstag.

2

Ich greife in die Tüte Cracker die ich in der Hand halte, fische mir einen raus und beobachte wie Joey seine übliche Schachbewegung ausführt.
„Sag mal kleiner, “ spricht er mich an „ hast du jemals drüber nachgedacht, das dass Leben wie ein Schachspiel ist?“
Ich blicke ihm ihn sein zerfurchtes Gesicht, er wirkt konzentriert aber nicht wie sonst, eher so als würde er gerade fleißig über etwas nachdenken.
Das Leben ein Schachspiel, ich lasse mir diesen Gedankengang noch mal durch den Kopf gehen.
„Nein nicht wirklich Joey, wo siehst du denn bitteschön parallelen?“
Er kratzt sich am Kinn bevor er auf einen seiner Bauern zeigt.
„Schau dir diesen Bauern an, er beginnt immer am gleichen Punkt wenn die Partie beginnt, wenn wir das auf das Leben übertragen, wäre das die Geburt.“
Er zeigt auf mein Ende des Schachbretts.
„Und das, dass Ende des Schachbretts wäre –wenn man es aufs Leben überträgt- der Tod.“
Ich fange an seine Argumentation zu verstehen, doch ein wichtiger Punkt stört mich.
„Aber deine These, hat einen Fehler Joey. Eine Schachfigur bewegt sich niemals selbst, sie wird gezogen, sie bestimmt nicht selbst was sie auf dem Schachbrett macht. Wenn ich deine Theorie aufs echte Leben übertrage, dann würde das bedeuten, das ich keinerlei Einfluss auf mein Leben habe.“
Er nickt mir zu „ Das hast du gut erkannt, kehren wir noch mal zu diesem Bauern zurück. Natürlich hast du recht, dieser Bauer hat einen vorbestimmten Weg, er wird nicht davon abweichen, es sei denn ich möchte das er eine andere Figur schlägt und selbst dann bewegt er sich nur seitlich, er würde nie einen Schritt zurück machen. Aber kann er deswegen nichts verändern? Was passiert wenn der Bauer am Ende ankommt?“
Mir geht ein Licht auf. „Er wird umgewandelt.“
„Bingo er wird umgewandelt, was wäre wenn das im echten Leben bedeuten würde, das wir alle gleich anfangen, nämlich als Baby, aber wenn wir am Ende ankommen, dürfen wir uns aussuchen was wir sein wollen oder sein wollten. Was ist wenn du die Chance hast, am Ende alles zu sein?“
„Ich verstehe worauf du hinaus willst aber du hast immer noch einen Fehler in deiner Argumentation. Warum sollte ich mich erst am Ende entscheiden, was ich sein möchte?“
Er greift sich in seine Tasche, kramt wie jede Woche eine Zigarette hervor und zündet sie sich an.
„Was ist, wenn das, was du am Ende bist, nur das Ergebnis von allem ist was du in deinem Leben getan hast. Du bist übrigens Schachmatt.“
Ich starre ungläubig aufs Schachbrett.
„Das kann nicht, du kannst nicht…..oh du hast. Wie hast du das gemacht?“
Er schenkt mir ein Grinsen. „Zauberkräfte.“
„Du mieser, alter…..“
„Ja?“
„Willst du nen Cracker?“
„Nein danke.“
Ich lache ihn an, er lacht zurück. Ich mag verloren haben und doch bin ich weder schlecht gelaunt noch von mir enttäuscht.

 

 

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Phenix

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Kommentare
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Ally242 Schachmatt - Was ich über die Geschichte denke, haben wir schon oft genug besprochen ;) Dass ich sie sehr gut finde weißt du auch schon.

Vier Sterne gebe ich nur deshalb, weil ich finde, dass du einen kleinen Ansporn brauchst ... SCHREIB ENDLICH WEITER! Dann, wenn es gut ist, bekommst noch einen halben dazu ;)
Und wenn sie jemals fertig wird, die Geschichte, DANN bekommst alle 5.

Einen lieben Pingigruß an den Superhelden
Vor langer Zeit - Antworten
Alociir77 Es ist gut geschrieben und ich finde du kannst die Umgebung gut geschreiben.. ;)

Leider versteh ich nicht so viel von Schach..

Lg Alociir
Vor langer Zeit - Antworten
Andy91 Nicht schlecht... - ... wann geht's weiter?
Freu mich auf die nächsten Seiten!
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