Für den Rest des Nachmittags blieb Ray tatsächlich weg und Cassie führte den Laden allein. Erfreut stellte sie dabei fest, dass die Angestellten bereits sehr gut eingespielt waren und keinesfalls mehr der dauernden Überwachung bedurften. Vor allem John gefiel ihr immer besser, er hatte eine natürliche Begabung, mit den Gästen umzugehen. Vielleicht konnte sie ihn weiter fördern, damit er ihren Platz einnahm, wenn sie weiter zog.
Â
Denn darüber, dass sie es tun musste, hatte sie keine großen Zweifel mehr, es ging nur noch um das Wann. Dass ihr diese Entscheidung überraschend abgenommen wurde, damit hätte sie nicht gerechnet.
Â
Das Abendgeschäft lief sehr gut und viele äußerten die Bereitschaft, auch im Herbst oder im Winter einmal wieder zu kommen. Damit wäre der Fortbestand des Sunset auch über den Sommer hinaus im Bereich des Möglichen. Spät in der Nacht sperrte Cassie dann das Restaurant ab und entschloss sich, noch einen Moment an den Strand zu gehen.
Â
Der lag verlassen im silbrigen Mondlicht da, kleine Wellen plätscherten einladend auf den Sand und Cassie folgte der Einladung gerne, indem sie ihre Schuhe fort kickte und ein Stück ins Wasser watete. Das tat so gut nach einem langen Tag im Stehen!
Â
Es setzte jedoch bereits eine gewisse Kühle ein, der Sommer war unwiederbringlich vorbei. Der Sand fühlte sich allerdings immer noch warm unter ihren nackten Fußsohlen an und sie ertappte sich bei der Vorstellung, sich hier mit Ray zu lieben...
Â
Zuerst war sie über den Gedanken erschrocken, doch dann ließ sie die Bilder zu. Wenn schon die Realität so bescheuert war, warum dann nicht ein wenig in der Phantasie schwelgen... Wo Ray wohl jetzt war? Ob er vielleicht doch Kendras Verlockungen erlegen war?
Â
~Und wenn schon, dich geht es nichts an, Cassiopeia!~, mahnte sie sich, sammelte ihre Schuhe ein und ging zu ihrem Trailer. Ein paar Stunden Schlaf, das war es, was sie jetzt brauchte.
Â
Viel bekam Cassie davon aber nicht. Im Morgengrauen wurde sie durch ein lautes Klopfen an ihrer Tür geweckt, das gar nicht mehr aufhören wollte. Für einen Moment hatte sie die bestürzende Vision eines betrunkenen Rays, der da so stürmisch Einlass begehrte und bemühte sich, wach zu werden.
Â
Indes hörte das Klopfen nicht auf und sie rief laut „Jaja, ich komm ja schon!!!” Das Geräusch hörte auf, immerhin, so streifte sie sich ihren Morgenmantel über und öffnete vorsichtig die Tür.
Â
Davor stand ein Fremder, der nun etwas Abstand von der Tür nahm und fragte „Miss Cassiopeia Zanzini?”
Â
„Höchstpersönlich”, bestätigte sie und er streckte ihr etwas entgegen.
Â
„Ich habe hier ein Telegramm für Sie. Würden sie mir das bitte bestätigen?”
Â
„Ähm, ja sicher”, murmelte sie, leistete ihre Unterschrift und bekam das Telegramm in die Hand gedrückt, das wie Feuer darin brannte. Der Postbote wünschte ihr nun einen schönen Tag und ging wieder zu seinem Auto.
Â
Unschlüssig stand Cassie da und starrte, immer noch nicht ganz wach, das Telegramm an. Einen Absender gab es außen nicht zu lesen, also gab es nur eines. Seufzend riss sie die kleine Versiegelung auf, um es zu lesen. Und erstarrte vor Entsetzen über das, was sie da las.
Â
*~*~~~*~*
Â
Mit einem lauten Stöhnen öffnete Ray die Augen. Es war gestern nicht nur spät geworden, sondern aus lauter Frust über Kendras Benehmen hatte er sich ein paar Cocktails genehmigt, anscheinend den einen oder anderen zuviel... Nebelhaft wurde ihm klar, dass sein Wagen auch noch irgendwo in der kleinen Stadt stehen musste, so schlau war er noch gewesen, sich ein Taxi zu nehmen.
Â
Das Sonnenlicht stach böse in seine Augen und das sagte ihm, dass es schon recht spät sein musste. Als es dann plötzlich laut an seine Tür klopfte, drohte sein Schädel ganz zu zerplatzen. Um der drohenden Explosion zu entkommen rief er spontan herein, ohne daran zu denken, dass er noch nackt im Bett lag.
Â
Natürlich war es dann ausgerechnet Cassie, die herein kam und erschrocken die Luft anhielt. Dann wendete sie sich leicht ab, fragte „Soll ich in ein paar Minuten noch einmal wieder kommen?”
Â
In Gedanken fluchend rieb Ray sich die Schläfe, ärgerte sich, dass sie ihn so sehen musste. Doch jetzt war eh schon alles egal. „Nein nein, bleib ruhig. Dein gute Rayray hat gestern einen über den Durst getrunken, kein schöner Anblick, ich weiß...”
Â
Cassie schluckte. Der Meinung war sie ganz und gar nicht. Zu süß sah er aus, mit diesmal absolut katastrophalen Haaren, das Laken nur knapp über seinem perfekten Sixpack... Sie meinte beinahe, die Wärme seines Körpers unter dem Laken auf ihrer Haut zu spüren und rief sich streng zur Ordnung.
Â
Davon musste sie sich nun sowieso verabschieden und es gab Wichtiges, was sie ihm mitteilen musste. Sie räusperte sich.
Â
Ray blinzelte in den Raum und sah sie an. Irgendetwas war anders heute und dann fiel es ihm auf, sie trug nicht ihr übliches Geschäftsoutfit, sondern eine einfache Jeans mit einem weißen T-Shirt. Ein Outfit, in dem sie noch mal so sexy wirkte wie sonst. Aber wieso....
Â
Cassie holte tief Luft und legte los.
„Ray, ich muss dir etwas dringendes sagen. Du wirst in Zukunft ohne mich auskommen müssen. Ich muss weg und kann dir leider nicht mehr helfen. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass du und die Mannschaft jetzt prima alleine auskommt. Du bist ein prima Boss und hast ein tolles Team, die Kritiken waren gut, also steht deinem Erfolg nichts mehr im Wege. Ich-”,
ratterte sie hastig runter, bis Ray verwirrt ein Timeout-Zeichen machte.
Â
„Moment mal, stopp, ich … ich komme nicht mit! Ich hör immer nur, dass du mich alleine lassen willst!”, brach es aus ihm hervor und merkte selber, wie kindisch das klang. Dabei hatte er im Moment ganz uns gar unkindische Gedanken darüber, wie es wohl wäre, wenn Cassie jetzt ihre Jeans abstreifen und zu ihm unter die Decke schlüpfen würde...
Â
~Konzentrier dich!~, befahl er sich dann, ~Sie will dir etwas Wichtiges sagen.~ Nur was sie ihm da sagte, das durfte doch einfach nicht wahr sein!
Â