Kurzgeschichte
Ein Kuckuck im Nest

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"Ein Kuckuck im Nest"
Veröffentlicht am 13. April 2008, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich bin die Märchenliese. Meine HP gibt es leider nicht mehr. http://maerchenliese.npage.de Alle npage-Homer mussten ihre HP's neu erstellen, was ich leider nicht kann. Meine HP hatte mein verstorbener Ehemann liebevoll zusammengestellt. Nun ich sie Geschichte - leider!
Ein Kuckuck im Nest

Ein Kuckuck im Nest

Beschreibung

Martin verliebt sich in eine Betrügerin.

Ein Kuckuck im Nest

Martin Engel steht im Bad vor dem Spiegel, pfeift vergnügt "La Paloma" und kämmt sorgfältig das schüttere Haar über den Ansatz seiner Glatze. "Wirst auch nicht jünger, Martin. Müsstest wohl doch bald mal ans Heiraten denken." Er zieht die Augenbrauen hoch und grinst sein Spiegelbild an. Im selben Augenblick klingelt es an der Wohnungstür. "Nanu, wer ist das denn? Meine Nachbarin, die alte Schnepfe, ist doch im Urlaub. Vielleicht Harry zum Skat?", murmelt er vor sich hin, schlurft zur Tür und öffnet.
"Guten Morgen, Herr Engel! Ich störe nur ungern, aber haben Sie den Schlüssel von meiner Schwester bekommen? Sie sagte mir, dass Sie ihre Blumen gießen würden."
"Sie sind die Schwester von Frau Klimpel? Ich wusste gar nicht, dass sie eine hat."
"Ach, entschuldigen Sie. Mein Name ist Kuckuck, Gisela Kuckuck. Ja, was ist denn nun mit dem Schlüssel?"
"Tut mir leid, aber ich hab ihn nicht. Angeblich hätte ich im vorigen Jahr ihre Lieblinge ertränkt."
Gisela Kuckuck wird plötzlich blass und unruhig.
"Ist Ihnen nicht gut?", fragt Martin besorgt. "Kommen Sie erst mal rein. Ich wollte gerade frühstücken. Sieht aus, als könnten Sie einen guten Kaffee vertragen."
Gisela Kuckuck lächelt gequält, nimmt aber die Einladung gern an. "Sie haben es aber sehr schön hier", stellt sie mit Genugtuung fest und bleibt an einem Artikel in der Zeitung hängen, die Martin sich schon als Morgenlektüre zurechtgelegt hatte. Erschrocken, wie ertappt, dreht sie die Zeitung um, zupft ein Taschentüchlein aus ihrer kleinen schwarzen Handtasche und schaut dem jetzt mit klappernden Tassen und Tellern nahenden Martin Engel Mitleid erregend entgegen. "Wissen Sie, meine Schwester wollte mir Geld hinterlegen für unseren Vater. Er muss täglich sein Morphium kriegen. Er hat Krebs, es ist alles so schrecklich." Umständlich rührt sie im Kaffee und trinkt einen Schluck.
"Vielleicht kann ich helfen? Wie viel brauchen Sie denn?"
"Mit zweitausend Euro wäre mir fürs erste geholfen", sagt sie mit blitzenden Augen und nimmt hastig noch einen Schluck aus ihrer Tasse.
"Zweitausend Euro! Sind denn die Spritzen so teuer?", fragt Martin ungläubig, "und wieso zahlt das nicht die Kasse?"
"Ach, das ist kompliziert. Sein Limit für Arzneien ist erschöpft. Jetzt muss ich zusehen, wie ich ihm helfen kann."
Gisela nestelt an ihrem Taschentuch, tupft sich die Augen, schnäuzt geziert und vergräbt das Tuch in der linken Hand, um es gleich wieder einsatzbereit zu haben. Martin fährt sich mit der Hand übers Gesicht und überlegt nicht lange. "Ich werde Ihnen das Geld borgen."
"Wirklich? Das es jemanden wie Sie überhaupt noch gibt", schluchzt sie und zückt erneut gerührt ihr Taschentuch.
"Ich bringe es Ihnen morgen vorbei. Wo wohnen Sie denn?"
Beflissen erklärt Gisela ihren Wohnsitz und hat es plötzlich schrecklich eilig.
"Armes Frauchen", denkt Martin, als die Tür ins Schloss schnappt, schmunzelt, fühlt sich wie ein Ritter, der dieses hilflose Wesen beschützen muss, schnappt gutgelaunt die Zeitung, schmeißt sie in den Papierkorb und räumt auf.
Besonders früh macht sich Martin am nächsten Morgen auf den Weg zur Bank und danach schnurstracks zu Gisela.
"Sie sind ja schon da!", flötet sie begeistert und führt Martin gleich in die gute Stube.
"Mein Gott! Wie kärglich! Na, kein Wunder, da sie sich ja so für ihren Vater aufopfert", denkt Martin bewegt und nimmt auf dem abgenutzten Sofa Platz. Bei Kaffee und trockenem Streuselkuchen wird Gisela wieder schrecklich traurig. "Wissen Sie, Herr Engel, seit gestern hat sich etwas Neues ergeben. Der Arzt meint, mein Vater hätte eine Chance durch eine Operation, aber ich müsste in Vorkasse gehen."
"Und das heißt?", fragt Martin ohne Argwohn und nippt an dem lauwarmen, an Abwaschwasser erinnernden Kaffe.
"Ich soll zwanzigtausend Euro vorstrecken. Aber woher nehmen? Natürlich bekomme ich alles zurück … später."
Martin verschluckt sich fast, doch Gisela schaut ihn mit einem Augenaufschlag an, der ihm den Atem zu nehmen droht. Unwillkürlich lockert er seinen nagelneuen Schlips.
"Das Geld hätte ich schon, aber..."
"Sie würden natürlich alles zurück bekommen", sagt Gisela schnell. "Sehen Sie, ich habe ein notariell beglaubigtes Testament meines Vaters. Ich würde alles erben, da meine Schwester sich nie groß um ihn gekümmert hat. So würden Sie alles auf Heller und Pfennig zurückbekommen."
Ohne weitere Überlegung, überzeugt und auch etwas blind vor aufkeimender Liebe zückt Martin sein Scheckbuch und schreibt den entsprechenden Betrag aus. Zufrieden schiebt Gisela den Scheck unter den Kuchenteller und drängt Martin kurz darauf unter einem dringenden Vorwand zum Abschied. Flüchtig haucht sie ihm einen Kuss auf die Wange.
Einige Tage hört und sieht Martin nichts von Gisela, der Frau, die sein Herz im Sturm erobert hat. Sehnsucht nagt an seinem Herzen, bis es eines Abends klingelt. Martin stürzt zur Tür und reißt sie erwartungsvoll auf. Da steht sie, die Angebetete. Schluchzend fällt sie ihm in die Arme.
"Was ist passiert?", fragt er aufgeregt, führt sie ins Wohnzimmer, drückt sie sanft aufs Sofa und setzt sich neben sie.
"Ach, alles ist so furchtbar. Ich weiß nichts Genaues. Mein Vater, er verlangt nach mir, aber wie soll ich hinkommen?"
"Wohin denn, um Gottes Willen!", fragt Martin und reibt seine vor Sorge schwitzenden Hände.
"Nach Charlottenburg. Dort ist er operiert worden. Hatte ich das nicht erwähnt?" Gisela legt die Hände vors Gesicht und heult wie ein Kind.
"Passen Sie auf! Ich besorge Ihnen ein Taxi."
"Das hilft nicht viel. Ich muss eine Zeit bei ihm bleiben. Vielleicht, nein, sicher stirbt er, und da muss ich mich doch um die Formalitäten kümmern. Geld hab ich auch keins mehr."
Martin schaut in ihr tränenbedecktes Gesicht und ist zum Äußersten entschlossen. "Ich hab eine Idee! Aber ich weiß nicht, ob Sie allein in dieser Verfassung fahren können."
"Ach, sagen Sie doch einfach Gisela zu mir. Du bist so lieb, Martin...", haucht sie, und Martin durchzuckt es wie von Amors Pfeil getroffen.
"Gisela ...", haucht er zurück, zieht ihre Hände an seine Lippen und küsst sie zärtlich. "Du nimmst mein Auto. Ich kann auch mal ein paar Tage mit dem Bus fahren. Reichen dir fünfhundert Euro für die Zeit?"
"Du bist so süß, Martin."
Ein inniger Kuss erübrigt jedes weitere Wort. Keine Minute später stöckelt Gisela eilig mit dem Autoschlüssel in der Hand die kleine Treppe hinunter und wirft Martin noch einen Handkuss zu, der ihr vom Fenster aus nachwinkt.
"Sie liebt mich auch", lächelt er glücklich. Plötzlich hört er schrecklichen Radau vor dem Haus. Jemand schreit um Hilfe. Er bemüht sich, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. "Gisela", jagt es ihm durch den Kopf. In panischer Angst wirft er sich ein altes Jackett über, hastet die Treppe runter, rennt zum Parkplatz und glaubt nicht, was da vor sich geht.
"Du elende Schlampe. Hast mich um mein ganzes Geld gebracht, meine Ehe kaputt gemacht. Wollest wohl abhauen, du Aas, du", hört Martin eine hasserfüllte Männerstimme und ersticktes Röcheln einer Frau. Angst treibt Martin vorwärts. "Gisela", schreit er unsicher. Er sieht einen Mann davonrennen und Gisela mit einem Messer in der Brust am Boden liegen. Martin kniet sich neben sie, berührt entsetzt die Wunde und tastet nach ihrem Puls. Im selben Moment rast unter Sirenengeheul ein Streifenwagen auf den Parkplatz. Zwei Polizisten stürmen bewaffnet auf ihn zu und reißen ihn hoch. "Sie sind verhaftet", keucht einer der Uniformierten. Martin fühlt Handschellen, die sich kalt und hart wie etwas Endgültiges um seine Handgelenke schlingen. Ehe er überhaupt begreift, sitzt er vor Kommissar Rattmann auf dem Revier. "Name?", fragt er streng.
"Martin Engel", antwortet Martin total überrumpelt. Die Fragerei geht an ihm vorbei wie ein dichter Nebelschwaden.
"Warum haben Sie die Frau ermordet?"
Diese Frage rüttelt Martin aus seiner Lethargie. "Ich? Nicht ich. Mein Gott! Ich habe Gisela doch geliebt. Ich bin dazugekommen. Da war ein Mann. Er hatte ein Messer. Er hat sie einfach erstochen. Gisela!" Martin vergräbt das Gesicht in seinen Händen.
"Sie kennen die Frau also recht gut?", fragt Rattmann.
"Ja, sie heißt Gisela Kuckuck", antwortet Martin fast tonlos.
"Na schön! Würden Sie die Tote identifizieren?"
Martin nickt, erhebt sich schwerfällig und fährt mit dem für ihn gefühllosen Rohling zum Leichenschauhaus. Der Gang durch die kalten weißen Flure wirken auf ihn wie ein Horrortrip.
"Ist sie das?", fragt Rattmann mit forschenden Augen.
"Ja, das ist Gisela Kuckuck", murmelt Martin leichenblass.
Der Kommissar runzelt die Stirn, verzieht verächtlich seinen schmalen Mund und räuspert sich. "Herr Engel, das ist nicht Gisela Kuckuck. Sie heißt Steffi Geldermann, eine von uns seit langem gesuchte Betrügerin. Stand doch in der Zeitung, sogar mit Foto."
Martin versagen die Beine. Schnell schiebt ihm der Pathologe einen bereitstehenden Stuhl zu Hilfe. Martin weiß nicht, was mehr brennt, der Schmerz um seine verlorene Liebe oder der Hass auf die Durchtriebenheit dieser Frau. "Woher wusste Gisela, ich meine diese Frau Geldermann von meiner Nachbarin, ihrem Urlaub und das alles?"
"Ach, Herr Engel! Was glauben Sie, wie erfinderisch Menschen sind, wenn es ums liebe Geld geht. Namen stehen an jeder Wohnungstür. Blumen hat auch jeder. Beobachtungsgabe, etwas Mumm … die Gutmütigen sind die leichtesten Opfer. Übrigens, ein Herr Harry Klein hat sie entlastet.
Martin sitzt im Bus, neben ihm eine attraktive Blondine. Doch Martin hat momentan keinen Blick dafür.


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Maerchenliese
Ich bin die Märchenliese. Meine HP gibt es leider nicht mehr. http://maerchenliese.npage.de
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Maerchenliese Re: Da bin ich -
Zitat: (Original von 3balmers am 14.04.2008 - 22:51 Uhr) richtig platt! Nein, ehrlich Du schreibst super. Das liest sich wie ein Krimi. Hat mich richtig gefesselt. Sah alles wie in einem Film vor mir. Freue mich auf weitere Geschichten. LG Karin


Hallochen,

fein, dass dir die Geschichte gefällt. Wie du im anderen Kommentar lesen kannst, war ich höchstselbst dabei. Vielen Dank auch für deinen netten Eintrag in meine HP. Hast du auch eine, da du schreibst? Wenn ja, würd ich gern mal stöbern kommen. Bleibender Kontakt wird ja hier entstehen. Würde mich jedenfalls sehr freuen.
Liebe Grüße, Doris.
Vor langer Zeit - Antworten
Maerchenliese Re: von -
Zitat: (Original von Coeur am 14.04.2008 - 19:17 Uhr) solchen unglaublichen Betrügerinnen hört man immer wieder und jedes Mal frage ich mich, wie kann man nur so blöd sein?
Spannend und unterhaltend geschrieben... bin fast ein bisschen neidisch auf dein Können.. sniff
LG, Erna
PS. schon allein der Titel verdient *****


Vielen Dank für deine Beurteilung. Du wirst es nicht glauben, aber die Geschichte ist mir ähnlich selber passiert, hab sie nur modifiziert. Die ganze Wahrheit ist noch viel schlimmer. Ich bin so einer Frau aufgesessen, aber sie lebt fröhlich weiter, zu einer Verurteilung ist es nie gekommen. Ich war auch nicht die Einzige, der sie so übel mitgespielt hat. Was man selbst erlebt hat, kann man einfach am besten in einer Geschichte umsetzen. Ja, ich war so blöde. Ein klein Gutes hat es, es wurde eine gute Story.
Liebe Grüße, Doris
Vor langer Zeit - Antworten
3balmers Da bin ich - richtig platt! Nein, ehrlich Du schreibst super. Das liest sich wie ein Krimi. Hat mich richtig gefesselt. Sah alles wie in einem Film vor mir. Freue mich auf weitere Geschichten. LG Karin
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur von - solchen unglaublichen Betrügerinnen hört man immer wieder und jedes Mal frage ich mich, wie kann man nur so blöd sein?
Spannend und unterhaltend geschrieben... bin fast ein bisschen neidisch auf dein Können.. sniff
LG, Erna
PS. schon allein der Titel verdient *****
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