Beschreibung
Ein altes Ehepaar hat sich nicht mehr allzu viel zu sagen. Dann stirbt die Frau ...
Schon seit einiger Zeit hatte er die Kälte bemerkt, die jedes Mal in ihm aufstieg, wenn er sie sah, strickend, die Lippen immer in Bewegung, nie nach Ruhe sinnend.
Er wusste, diese Kälte war mit der Zeit gekommen. Sie hatte sich ganz leise und scheinbar unmerklich entwickelt. Zuerst schrieb er dieses Gefühl der Einöde des Alltags zu, dann seiner Umwelt und seinem stets in Bewegung bleibenden Gegenüber, schliesslich war es ihm gleichgültig geworden. Er akzeptierte es wie die Maus die Fresslust der Schlange akzeptieren muss.
Er fühlte sich von ihr gestört, sie drang in sein Leben ein. Weinte sie, so nahm er es ihr übel, lachte sie, so missbilligte er den Grund.
Nun war sie tot. Es geschah ganz schnell, und er hatte es kaum bemerkt. Es war ihm an der plötzlichen Ruhe aufgefallen, der warmen behaglichen Ruhe, wie sie Winterabende vor dem Feuer des knisternden Kamins in sich hatten.
Er stand auf und schlenderte befreit durch die leeren dunklen Räume, die sie früher gemeinsam bewohnt hatten, er die Zeitung lesend, sie an ihrer endlosen Handarbeit strickend.
Es war Sommer, und er vermisste sie nicht. Nein, er genoss die unendliche Stille.
Wie immer nahm er die Zeitung zur Hand, setzte sich, blätterte, verblätterte, las die Reklame, blätterte und lauschte ... Stille, einfache, erträgliche Stille. Kein Klappern aufgeregter, immer eifriger Stricknadeln, keine unnötigen, stets störenden Fragen.
Die Handarbeit lag ruhig auf dem Sessel ihm gegenüber. Sie lag noch genauso da, wie sie sie gestern hatte sinken lassen, einfach, als ob man sie vergessen hatte. Langsam stand er auf und trat auf den Sessel zu, nahm sie. Er betrachtete sie lange, und ein Lächeln der Erinnerung spielte sich in seinen alternden Zügen. Doch als die Nadeln wieder zu klappern beginnen wollten, warf er sie auf den Boden.
Er setzte sich wieder und las ohne aufzublicken die Zeitung von vorne bis hinten durch, mit wachem Ohr dem Geräusch der Stille lauschend. Schliesslich wurden ihm die Augen schwer und er ging zu Bett.
Stille ... er wartete ... Stille ... er lauschte ... Stille ... er wälzte sich im Bett ... Stille.
Langsam setzte er sich auf und knipste die Nachttischlampe an. Er fröstelte, ihm war kalt.
Er sehnte sich nach der Wärme des Kamins im Winter, nach einer Tasse Tee, nach dem eifrigen Geklapper aufgeregter Stricknadeln, nach der endlosen Handarbeit.
Er ging den dunklen Gang bis in die Wohnstube entlang. Die Strickerei lag noch am Boden, wo sie ihm vorhin entglitten war. Sachte hob er sie auf und trug sie ins Schlafzimmer.
Er bettete Nadeln und Gestricktes neben sich, legte seine Hand auf die ruhig liegenden Nadeln und weinte wie ein kleiner Junge bis in den hellen Sommermorgen hinein.