Biografien & Erinnerungen
Muttertags-Erinnerungen

Muttertags-Erinnerungen

oder

Muttertag der kleinen Leute

Ich bin ein Mensch, dem die Bedeutung des Augenblicks immer wichtig war und wichtig ist.

So hat auch der Muttertag seit meiner Kindheit seinen ganz besonderen Stellenwert.

Ich bin schon alt und habe bereits viele Muttertage kommen und gehen gesehen. Trotzdem erlebe ich ihn immer noch mit den Augen eines Kindes, mit dem Herzen des kleinen Mädchens, das ich einmal war. Und jedes Mal, wenn sich dieser Tag jährt, steigen Erinnerungen in mir empor.

In meiner Kindheit schwindelten wir uns frühmorgens, wenn noch alles schlief, leise aus unseren Betten und deckten den Frühstückstisch. Am Tag zuvor hatten mein Bruder und ich Blumen gepflückt, meistens ein Sträußchen Vergissmeinnicht oder einige Stämme vom großen Fliederbusch in unserem Hof und  hatten sie gut versteckt. Jetzt stellten wir die Vase mit den Blumen auf den Tisch. Dazu legten wir Zeichnungen mit Muttertagssprüchen und vielen guten Wünschen. Dieser Auftakt des Tages war immer sehr feierlich.

Mehr hatten wir nicht, konnten wir nicht geben, denn in diesen ersten Nachkriegsjahren herrschte bittere Not.

Doch wir hatten uns und unsere Liebe, die wir an diesem Tag zu schenken versuchten. Wir bemühten uns, so brav als möglich zu sein; wuschen das Geschirr ab, holten vom Keller Holz zum Einheizen (damals mussten wir zum Kochen noch jedes Mal im Küchenherd Feuer machen), wir kehrten die Stube, machten die Betten - und alles freiwillig und gern.

Mutter zwangen wir zum “Nichtstun”. Sie musste spazieren gehen oder sich in einen bequemen Sessel setzen und ein Buch lesen. Wahrscheinlich war sie froh, wenn der Tag zu Ende ging.

Später, als ich schon die Hauptschule besuchte, begann ich, für diesen Tag Reime zu verfassen. Meine ersten Gedichte waren die an meine Mutter, wie z. B. dieses:

Mutti, heute ist dein Tag!

Heut´ vergesse Müh´ und Plag´,

denke nicht an morgen -

lasse mich für dich heut´ sorgen!

 Hörst du nicht die Vöglein singen:

“Glückwünsche wollen wir dir bringen!”

“Viel Glück!” die fleiß´gen Bienen summen,

“Viel Glück!” im Gras die Käfer brummen.

Das Bächlein plaudert munter drein,

wünscht dir viel Glück, lieb Mütterlein!

“Viel Glück!” will ich mit allen singen

 und den liebsten Gruß dir bringen!

Meine Mutter hat sie alle aufgehoben und in einer kleinen Mappe gesammelt.

Zu dieser Zeit etwa erhielten wir bereits hin und wieder ein paar Schillinge. Kein regelmäßiges Taschengeld, nur ab und zu ein paar Münzen. Und da kaufte ich mein erstes Geschenk für meine Mutter - ein kleines, weißes Gipsherz.. Beim Puppendoktor. In dieses Geschäft trugen die Leute ihre lädierten Puppen und Teddybären, die nun rundum auf Regalen saßen und auf ihre Behandlung warteten. Dazwischen lag vielerlei Kitsch und Ramsch. Ich ging gern und jedes Mal staunend in dieses Geschäft.t auch entdeckte ich jenes schneeweißes Herz , nicht größer als es in eine Kinderhand passt. Es schien mir das Geschenk zu sein, Symbol für mein eigenes kleines Herz, Symbol für meine Liebe. Ich war so stolz darauf - und bin Mutti dankbar, dass sie erst viele Jahre später erzählte,

was sie bei dem Herzen aus Gips empfand - nämlich die grässlichste Geschmacksverirrung meinerseits.

Sie erinnerte sich fast jährlich an diese Liebesgabe und erzählte sie immer wieder.

Später, als wir schon einige Schillinge mehr zusammen sparen konnten, kauften wir nützliche Dinge. Hausrat, der dringend gebraucht wurde, denn es mangelte überall. So weiß ich noch, dass wir einmal Kaffeeschalen mit Untertassen kauften. Wie stolz waren wir darauf! Als ob wir Mutti ein Schloss geschenkt hätten! Sie war beinahe so gerührt wie wir. Bis dahin hatten wir nur aus alten, ausgeschlagenen Heferln getrunken. Doch Untertassen und so zierliche Schalen - so etwas Vornehmes - hatten wir nur bei unseren seltenen Kinobesuchen in  Filmen gesehen. Diese Kaffeetassen mit roten Punkten auf weißem Grund dienten uns viele, viele Jahre lang. Heute noch steht der Rest von ihnen in meiner Kredenz, denn ich bringe es nicht über mich, sie auszumustern.

 Als ich erwachsen wurde, wurden auch die Geschenke etwas größer.

 Und dann hatte ich selbst Kinder. Plötzlich saß ich am gedeckten Frühstückstisch und vor mir standen Blumen, lagen Zeichnungen und Muttertagssprüchlein.

Und wie meine Mutter sammelte auch ich diese rührenden Liebesbeweise der Kinder.

Längst sind meine Kinder erwachsen und haben selbst schon erwachsene Kinder .... und immer noch gibt es den Muttertag ... auch für mich. Sogar heute noch gelingt es meinen Kindern, mich zu rühren.

Natürlich freut mich ihre berufliche Karriere und ich bin stolz auf ihre Leistungen - doch was mich wirklich stolz macht und mit Freude erfüllt, sind die Momente, in denen ich ihr Herz, ihre Liebe, ihr Menschsein spüre und sehen kann - dann weiß ich: sie sind o.k.

 In den letzten Jahren organisiert den Muttertag Ulli, meine Tochter. Und sie besteht darauf, dass ich schon Samstag abends komme.

Warum? Ja, dass ich mich am Muttertagsmorgen an den gedeckten Frühstückstisch setzen kann, dass Blumen vor mir stehen,  Billetts mit Gedichten und Zeichnungen der Enkelkinder an meinem Platz liegen, sowie kleine, liebevolle Geschenke..... dass wir diesen Tag gemeinsam beginnen und gemeinsam erleben können....

Und ich darf den ganzen Tag nichts angreifen, nichts tun, sondern mich nur verwöhnen lassen.

Kommt mir das alles nicht sehr bekannt vor? Der Kreis hat sich geschlossen - ist das nicht wunderbar?

 Es macht mich glücklich, dass der Muttertag in meinen Kindern und Enkelkindern auf dieselbe Art weiterbestehen wird. Nämlich Gefühl, Liebe und Dankbarkeit zu zeigen, sich füreinander Zeit zu nehmen. Es nicht für kitschig oder überflüssig zu halten, an diesem Tag seine Muter zu ehren, auch wenn man sich das ganze Jahr über lieb hat und füreinander da ist.