An einem einzigen Tag kann sich ein Leben um hundertachtzig Grad wenden. Es kann jeden Treffen, eine dreißigjährige Jornalistin, eine neunzigjährige Oma oder auch eine zehnjährige Zauberin. Niemand bleibt vor solchen Schicksalsschlägen bewahrt, die ganz plötzlich und ohne jede Vorwarnung auftreten können. Dies ist der Tag, an dem das Leben eines jungen Mädchens seinen Wendepunkt nimmt...
Das leise Zirpen der Grillen lag in der Luft, ein leichter Wind ließ die Blätter der Bäume rascheln und die Sonne strahlte vom blauen Himmel herab. Ich liebte den Sommer, vor allem wenn ich in meiner Freizeit im Schatten unter einem nahen Baum liegen konnte und vor mich hin träumte, während ich entspannt das Lichtspiel der Sonne durch die Blätter und Zweige des hohen Geästs beobachtete.
„Zoey!“
„Zoey wo steckst du?!“
Ich sog nochmal die warme Luft ein und genoss das Gefühl meiner vollgepumpten Lungen, dann seufzte ich herzhaft und setzte mich auf.
Ein Stück weiter hinten liefen Sarah und Cloe wie Falschgeld umher und sahen sich suchend um. Gut zwanzig Meter hinter ihnen erblickte ich auch mein Zuhause, eine riesige Villa, die normale Leute wahrscheinlich schon mehr als Schloss bezeichnen würden. Sie war im viktorianischen Stil erbaut worden, hatte eine schöne, trotz ihres Alters nach wie vor weiße Fassade und dunkelblaue Dächer. Außen rum verlief eine edel verzierte Veranda und es gab sogar noch mehrere kleine Türme. Auf den drei Stockwerken plus Turmzimmern fand unsere große Familie problemlos Platz und meine Freundinnen kamen an den Wochenenden immer zum Übernachten aus dem nahen Dorf herüber.
„Hier bin ich!“, rief ich und winkte.
Meine beiden Freundinnen erspähten mich fast augenblicklich und liefen schnell rüber. Ihre schulterlangen, blonden Haare wehten im Wind und keuchend kamen sie bei mir an.
„Wir sind dann das Wochenende wieder hier“, grinste Cloe.
„Habt ihr eure Sachen bei William abgegeben?“, fragte ich und klopfte mein lockeres Sommerkleid ab. Es hatte eine schöne Farbe, wie Flieder, mit weißen und violetten Mustern. Nur zwei dünne Träger lagen über meinen Schultern und es reichte mir bis knapp unter die Knie. Allerdings sah man ihm an, dass es von hoher Qualität war.
„Jap“, erwiderte Sarah, „Aber auch wenn wir uns jetzt schon seit zwei Jahren kennen, kann ich mich immer noch nicht daran gewöhnen, dass deine Familie sogar Diener hat.“
„In deinen teuren Kleidern siehst du auch echt immer wie eine richtige, junge Prinzessin aus“, stellte Cloe schwärmerisch fest, „Wie aus einem der Märchen, die Mama mir früher immer vorgelesen hat.“
„Wenn ihr wollt, kann ich euch welche leihen“, bemerkte ich und unterdrückte ein schiefes Lächeln. Wenn die beiden wüssten, wie nahe sie der Wahrheit kamen, würden sie wahrscheinlich glatt aus den Socken fallen. Immerhin war ich wirklich fast so etwas wie eine Prinzessin – mal davon abgesehen, dass die Bediensteten mich immer so nannten –, allerdings auf etwas andere Art und Weise.
„Aber uns stehen sie sowieso nicht so gut wie dir“, stellte Sarah fest, die genau wie ihre Schwester wie eigentlich immer bei solchem Wetter eine dreiviertellange Stoffhose und ein buntes T-shirt trug.
„Hey ihr drei Lausemädchen!“, schallte in dem Moment der Ruf herüber, „Es gibt Kaffee und Kuchen, also kommt her und lungert da hinten nicht so doof rum!“
Meine sechzehnjährige Cousine konnte manchmal ganz schön anmaßend sein und hatte ein ziemliches Mundwerk, wenn ich das so ausdrücken durfte. Allerdings war ich mit meinen zehn Jahren leider die Jüngere und von daher war es mir nicht erlaubt, ihr groß zu widersprechen. Außerdem sah ich, wie Cloe und Sarah bei den Gedanken an den herrlichen Kuchen meiner Tante, die den Sommer ebenfalls hier draußen auf dem Land mit der Familie verbrachte, das Wasser im Munde zusammenlief.
„Gut, wir kommen!“, rief ich zurück und gab Cloe und Sarah einen Wink, „Wer als letztes hinten im Garten ist, muss nachher in voller Bekleidung in den kleinen See springen!“
Damit sprintete ich auch schon los und lief barfuß über das weiche, von der Sonne angewärmte Gras. Meine zwei Freundinnen, die ebenfalls zehn waren, schalteten schnell und rannten mir rasch hinterher. Die beiden waren allerdings recht fix auf den Beinen und so musste ich mich anstrengen, damit sie mich nicht noch überholten. Mein Kleid war zwar recht dünn und sehr hübsch, aber damit zu schwimmen war keine leichte Übung – die Erfahrung hatte ich unfreiwillig schon mal gemacht. Zumal ich sowieso nicht unbedingt ein Fan von Wasser war.
Völlig unvermittelt spürte ich jedoch einen heftigen Druck in der Luft. Es waren düstere Kräfte, die ihren Ursprung in der Finsternis selbst hatten. Meine Freundinnen konnten nichts dergleichen wahrnehmen, doch bei mir war das anders. Plötzlich erschien es so als würde die Luft mehrere hundert Kilo wiegen und ich krachte zu Boden. Ich hustete und verzog vor Schmerz das Gesicht, bevor ich mir mühsam gelang aufzusehen.
Unter meinem fassungslosen Blick sah ich, wie ein dunkler Nebel die große Villa und ihre Umgebung vollständig einhüllte. Mir standen sämtliche Nackenhaare zu Berge und ich schrie verzweifelt, dass meine Freundinnen anhalten sollten – denn sie konnten auch das weder sehen noch spüren.
In dem Augenblick aber stand alles urplötzlich in Flammen. Alles brannte lichterloh, wie in Benzin getränkt – das Haus, das Gras und der Wald drum herum. Alles stand in dunklen, tief orangenen bis roten Flammen und ich hörte markerschütternde Schreie aus Richtung Villa. Meine gesamte Familie war dort drin! Mama, Papa, meine drei älteren Schwestern, mein jüngerer Bruder, meine Cousinen und Cousins, meine Tante und auch meine Großeltern. Sie alle waren noch da drin!
Zutiefst erschrocken versuchte ich auf die Beine zu kommen, doch ich merkte, dass jemand auf mir lag. Als ich mich umdrehte, stellte ich entsetzt fest, dass es Katrina war, die uns vorhin gerufen hatte. Sie sah mich noch mit einem letzten, verbissenem Lächeln an, bevor sie das Bewusstsein verlor und von mir runter rutschte. Erst jetzt bemerkte ich, dass das dunkle Feuer auch sie erfasst hatte – und dass sie ihren eigenen Körper als Schild benutzt hatte, um mich zu retten! Da drangen auch die schmerzerfüllten und vollkommen verängstigten Schreie von Cloe und Sarah an mein Ohr und ich blickte entgeistert nach vorne. Die Flammen leckten an ihnen, hatten sie umzingelt und bereits vollständig in ihren brennend heißen Fingern gefangen, für sie gab es kein Entrinnen mehr. Ich konnte nicht mehr als sie völlig entsetzt anstarren.
Das Feuer war so völlig anders als das, das ich kannte. Viel düsterer und grausamer, von ihm ging ein Gefühl von Hass und Gewalt aus – das komplette Gegenteil von dem, was ich von dem meiner Großeltern und Eltern kannte. Es war vernichtend, absolut todbringend.
Und inmitten dieser Flammen kam ich gerade auf meine zitternden Beine. Ich befand mich an dem wohl einzigen Fleck in einem Umkreis von über einem halben Kilometer, der nicht brannte. Die Bäume waren bereits dabei zu sterben, sie knarrten und ächzten, bevor sie unter qualvollem Bersten und Brechen den letzten Rest ihres Lebens aushauchten. Die Schreie in der Villa waren verklungen und weiter vorne konnte ich undeutlich die verbrennenden Leichen meiner beiden Freundinnen sehen. Ein Anblick, den ich wohl nie in meinem Leben vergessen würde.
Mein Herz pochte laut und das Blut rauschte mir in den Ohren. Die kaum erträgliche Hitze des Feuers überall um mich herum nahm ich erst jetzt richtig war und Angst stieg in mir auf. Es war die Angst um mein eigenes Leben, von der vollkommenen Verzweiflung über den Verlust meiner Familie und Freunde gar nicht zu sprechen – den ich noch nicht mal richtig begriffen hatte. Was um Himmels Willen geschah hier?
„Hou.. ich hätte nicht erwartet, dass es hier jemanden gibt, der noch am Leben ist.“
Ich blickte entsetzt auf und sah das Unglaubliche. Ein junger Mann, ich schätzte ihn auf etwa einundzwanzig, trat mit langen, flachsfarbenen und im Wind wehenden Haaren einfach durch das Feuer hindurch auf mich zu. Als würden die Flammen ihm absolut nichts anhaben können. Oder besser, als wäre er derjenige, die sie kontrollierte, wie mir auf einen Schlag bewusst wurde.
Er sah mich mit seinen eiskalten, dunkellilanen Augen abschätzend an. „Du scheinst ebenfalls zu den Crimsons zu gehören.. auch wenn du anscheinend noch zu jung für die Zeremonie bist, wie langweilig.“
Er wusste von der Zeremonie?! Er kannte das Geheimnis meiner Familie?! Ich war vor Angst fast wie gelähmt. Dieser Mann hatte eine genauso finstere Aura wie das Feuer und auch wenn ich noch jung war und vielleicht nicht so viele Erfahrungen hatte, erkannte ich, dass er nicht menschlich sein konnte. Diese eindeutige Aura der Finsternis ließ nur einen einzigen Schluss auf seine Herkunft zu.
„Ein Dämon…“, hauchte ich und wollte zurückweichen, doch ich spürte die heißen Flammen direkt hinter mir, die mich daran hinderten auch nur einen Schritt zurückzutun.
Meine Eltern hatten mir immer eingebläut, sollte ich aus irgendeinem Grund mal auf einen Dämon treffen, und sei er noch so schwach, sollte ich in jedem Fall verschwinden. Zumindest bis ich fünfzehn war und durch das traditionelle Ritual unserer Familie einen Pakt mit einem mächtigen Elementargeist schließen konnte. Zwar besaß ich als Zauberin auch eigene Kräfte, doch ich war noch in der theoretischen Lernphase und dabei, mir all das nötige Wissen anzueignen, bevor ich erst mit vierzehn auch Kampftraining erhalten sollte – in der ersten Zeit sollte der Geist wohl vor allem als mein Beschützer fungieren. Auch wenn mir bewusst wurde, dass all diese traditionsmäßigen Pläne hinfällig waren.
„Ganz recht, kleine Crimson.“ Der junge, ziemlich hochgewachsene Mann kam mit langsamen, aber großen Schritten auf mich zu – bis nur noch knapp zwei Meter zwischen uns waren und er sich ein Stück zu mir herunterbeugte. „Und zufällig ist mir befohlen worden, das Geschlecht der Crimsons auszulöschen.“
Ich erstarrte zur Salzsäule, bevor ich im nächsten Augenblick anfing wie Espenlaub zu zittern. In dem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher als dass alles nur ein schlimmer Alptraum wäre. Doch die stechenden, dunkellilanen Augen des Dämons zeigten mir, dass dies die knallharte Realität war. Fast doppelt so groß wie ich ragte er wie ein gefährliches Monster vor mir auf und sah mich leicht höhnisch an, die ich vollkommen verängstigt vor ihm stand. Ich wusste, dass es gleich vorbei sein würde. Er würde einfach kurzen Prozess mit mir machen, entweder von Hand oder durch die Flammen.
Jedoch kam mir plötzlich wieder das Gespräch mit meiner Großmutter in den Kopf. Es war ganz komisch gewesen, da sie sonst eigentlich eine fröhliche alte Zauberin war und meine Geschwister und mich immerzu verwöhnte, aber an diesem Morgen hatte ein seltsamer, trauriger Schimmer in ihren azurblauen Augen gelegen, die dieselbe Farbe hatten wie meine.
„Was auch immer in der Zukunft passieren mag, du darfst auf keinen Fall aufgeben“, hatte sie eindringlich gesagt, „Du magst es vielleicht noch nicht bemerkt haben, aber du hast eine unglaubliche Kraft in dir und mit dem richtigen Partner an deiner Seite wirst du in der Lage sein das Schicksal zu verändern. Der Wille ist der Grundstein der Macht – wenn du an dich und deine Fähigkeiten glaubst, wirst du alles erreichen können. Vergiss das niemals, meine kleine Zauberin…“
Ich biss die Zähne zusammen und konzentrierte mich so gut ich konnte auf die Macht, die irgendwo in mir verborgen sein musste. Bisher hatte ich noch nie irgendwelche Zauber eingesetzt, nur von ihnen gelesen, doch jetzt musste ich es. Es musste einfach funktionieren. Ich wollte noch nicht sterben! Und ich wollte meine Familie und Freunde rächen!
Leise Worte, die ich irgendwo in einem der unzähligen Bücher unserer Bibliothek gelesen hatte, kamen mir über die Lippen und ich spürte etwas in mir pulsieren. Ein warmes Gefühl erfüllte mich und fühlte sich angenehm entspannend und irgendwie aufkratzend zugleich an. Kurz flimmerte etwas in der Luft vor mir und just in dem Augenblick streckte der Dämon seine Hand aus, um mich zu packen. Jedoch stießen seine Finger dabei gegen etwas und ein kleiner Energiestoß ließ ihn überrascht die Hand zurückziehen.
„Hooou.. in dir scheint ja mehr zu stecken, als man auf den ersten Blick vermuten mag“, stellte der Dämon dann jedoch mit einem düsteren Lächeln fest und streckte seine Hand erneut aus. Wieder trafen seine Finger auf den Schild um mich und der Energiestoß sollte ihn eigentlich zurückwerfen, doch dieses Mal hielt er einfach dagegen.
Ich riss erschrocken die Augen auf und versuchte meine Konzentration zu erhöhen, um den Schild noch zu verstärken, doch unter meinem ungläubigen Blick drang der junge Mann langsam mit seiner Hand durch den Schild, bis dieser plötzlich Risse bekam und im nächsten Augenblick zerbrach. Der Dämon packte mich am Hals und riss mich in die Höhe, bevor ich den nächsten Zauber auch nur denken konnte. Mir blieb augenblicklich die Luft weg und ich versuchte mich mit meinen – im Gegensatz zu seinen – kleinen Händen an seinem Arm festzuhalten, doch es war alles zwecklos. Tränen standen mir vor Schmerz in den Augen und um uns herum war immer noch alles in düstere, orangerote Flammen gehüllt. Eine panische Angst stieg aus der Tiefe meines Herzens auf, der ich verzweifelt versuchte Einheit zu gebieten – aber ich war nur eine junge, zehnjährige Zauberin. Unsere Weisheit und Macht kamen erst mit dem Alter und vielen Erfahrungen. Wie sollte ich da gegen diesen übermächtigen Dämon ankommen? Außerdem war da ein heftiges, stechendes Gefühl in meiner Brust, das so schmerzhaft war, dass ich kurz davor war zu schreien. Es war fast unerträglich.
„Du bist ganz schön zäh, das muss man dir lassen“, stellte der Dämon fest, während er noch etwas fester zudrückte, „Aber selbst als Zauberin hast du in deinem Alter und unter der Wirkung des alten Spruchs keine Chance gegen mich…“
In dem Augenblick jedoch spürte ich auf einmal ein Kribbeln, das durch meinen ganzen Körper fuhr. Es war ein prickelndes, aber nicht unangenehmes Gefühl – fast so ähnlich wie meine magischen Kräfte. Es taute mich langsam wieder auf – unter dem Blick des furchteinflößenden Dämons vor mir war ich regelrecht eingefroren und mir war trotz des Feuers um uns herum eiskalt gewesen.
„Was soll das denn jetzt noch wer- verdammt!“ Mit einem Satz sprang er zurück und ließ mich dabei fallen. Er hielt sich seine Hand als wäre sie verbrannt worden und starrte mich leicht verärgert an, bis seine Gesichtszüge kurzzeitig beinahe entgleisten.
Ich hustete und keuchte, doch dann – die Schmerzen in meiner Brust hatten Gott sei Dank wieder aufgehört – fiel auch mir der Junge nur zwei Schritte vor mir auf, der ganz plötzlich aus dem Nichts heraus erschienen war. Er sah aus als wäre er selber erst um die sechzehn Jahre alt, aber das Verrückteste war, dass seine kurzen, goldblonden Haare von hellen, orange-gelben Flammen umgeben waren – Flammen, die mir vertraut erschienen – und Funken von ihnen aufstiegen. Er trug ein einfaches, gelbes T-shirt und dazu eine dunkelbraune Shorts mit einem ziemlich breiten und außerdem noch schief sitzenden Gürtel. Seine Augen waren golden und er sah mich mit einem Blick an, der direkt und ohne Umwege bis in die Tiefen meines Herzen blicken konnte.
„Willst du einen Pakt?“, fragte er, „Ich kann dir die Kraft geben, diesen Dämon zu bekämpfen, wenn du mir im Austausch dafür deine Seele versprichst.“
Ich starrte ihn völlig ungläubig an. Erst jetzt bemerkte ich diese überirdische Aura, die von ihm ausging und weder zu einem Dämon, noch zu einem Menschen, Magier, Hexer oder Zauberer gehörte. Er war ein Geist, besser gesagt ein Elementargeist des Feuers!
„Du…“
„Ich gehörte zu der Familie Feuergeister, die seit mehreren Jahrhunderten einen Vertrag mit deiner Familie hat“, erwiderte er, bevor ich meine Frage überhaupt gestellt hatte, und sah mich ernst an, „Und ich werde dich nicht sterben lassen, Zoey. Vertrau mir.“
Er hielt mir eine Hand hin und ich starrte ihn immer noch verdattert an. Ich wusste, was es bedeutete einen Pakt mit einem Feuergeist einzugehen. Dafür, dass ich abgesehen von meinen auch seine Kräfte benutzen konnte, war ich ihm spätestens nach meinem Tod etwas schuldig – in unserer Familie war es seit jeher die Seele. Es war ein Vertrag, der beiden Seiten etwas einbrachte und unsere Familie seit Generationen beschützt hatte. Bis heute, wo ein so völlig unerwarteter, übermächtiger Angriff auf einen Schlag fast alles ausgelöscht hatte. Stellte sich nur die Frage, ob ich bereit war ihm meine Seele zu überlassen – immerhin wusste keiner genau, was nach dem Tod eigentlich mit uns geschah.
„Das werdet ihr schön bleiben lassen“, knurrte der Dämon und kam mit schnellen Schritten auf uns zu.
Ein Blick auf ihn und der Gedanke an das, was er alles getan hatte, machte die Entscheidung jedoch ganz einfach. Ich packte die Hand des Geisterjungen und ließ mich von ihm schwungvoll auf die Füße ziehen.
In dem Augenblick aber stand der Dämon bereits vor uns und hatte mit einer Hand ausgeholt, doch der Feuergeist sah ihn einen kurzen Moment lang mit seinen durchdringenden, goldenen Augen an, und im nächsten Moment schleuderte eine kräftige Druckwelle den Dämon wieder ein ganzes Stück zurück.
Anschließend sah der Geisterjunge sich kurz um und gab dann ein wenig begeistertes Zischen von sich. „Ich hab´s geahnt“, stellte er leicht gehetzt fest, „Hier ist nichts mehr, was als Vertragsmedium dienen könnte.“
Ich erinnerte mich vage an den Text aus einem der Bücher, die meine Mutter eigentlich immer gut vor mir versteckt gehalten und das ich nur durch Zufall gefunden hatte. In diesem war nämlich einiges über die Zeremonie geschrieben gewesen, durch die ein zumeist mehrere Jahre anhaltender Pakt mit einem Elementargeist geschlossen wurde. Abgesehen von dem gesprochenen Zauberspruch zur Schließung des Vertrages, das Versprechen, wurde außerdem noch ein sogenanntes Vertragsmedium benötigt – zumeist ein Amulett, Ring oder etwas dergleichen – das zum einen natürlich als Symbol des Paktes galt, und zum anderen aber auch praktisch die Brücke zwischen Elementargeist und Magier darstellte, über die der Magier auf die Kraft des Geistes zugreifen konnte und die den Magier spätestens am Ende der Vertragslaufzeit dazu zwang den versprochenen Preis an den Geist zu zahlen. Ohne dieses Vertragsmedium war es unmöglich einen Pakt zu schließen.
Der Geist sah mich daraufhin an und ich erwiderte seinen Blick. Ich wusste nicht genau wieso, vielleicht war es diese außergewöhnliche, schöne Farbe seiner Augen, aber es fiel mir schwer den Blick von ihnen zu nehmen – so unmöglich das in dieser Situation hier auch sein sollte. Komischerweise legte sich meine Angst zum großen Teil alleine schon durch die bloße Anwesenheit dieses Geistes und ein seltsames Gefühl von alter Vertrautheit stellte sich ein. Fast als wäre er schon immer an meiner Seite gewesen, obwohl ich ihn heute definitiv zum ersten Mal vor mir sah.
Fast erschien es mir so als würde sein Blick für einen Moment weicher werden, als ich plötzlich ein Geräusch hinter mir vernahm. Bevor ich mich aber erschrocken umdrehen konnte, hatte der Geisterjunge mich schon gepackt und machte einen großen Satz zurück. Erst dachte ich dabei schon, dass wir inmitten der dunklen Flammen landen würden, doch diese wurden auf einmal von hellem Feuer verdrängt und wir landeten sicher auf dem Überresten des verbrannten Grases.
„Mein Name ist übrigens Evan“, sagte er und sein Blick wurde wieder ernst. Für einen kurzen Moment schwieg er, bevor er weiter sprach. „Ich werde gleich eines der größten Tabus von uns Elementargeistern brechen. Es wird auch dich ein großes Opfer kosten, aber es ist der einzige Weg, wenn du hier lebend raus.. und deine Familie und Freude rächen willst.“
Ich schluckte kurz, doch ich sah ihn so entschlossen an, wie es eine zehnjährige Zauberin in meiner Situation nur konnte. „Ist mir gleich, wenn du bereit bist dieses Tabu zu brechen.“
„Versuch es gar nicht erst, elendes Bürschchen“, knurrte der Dämon plötzlich und wieder gelang es Evan erst im letzten Moment mit mir unter dem Arm zur Seite zu springen.
Anschließend sah der Geist mich mit einem seltsam vieldeutigen Lächeln an. „Auch wenn es vielleicht ein wenig zweideutig klingt, ich habe dich schon seit du klein warst beobachtet und ich will dich beschützen, Zoey. Dafür werde ich auch ohne es zu bereuen die Konsequenzen für das Brechen dieses Tabus tragen.“
„Dann werde ich dir vertrauen“, erwiderte ich nur. Es gab so vieles, wie mir jetzt auffiel, was meine Großmutter mir früher immer erzählt hatte, wie als wenn sie mich auf diesen Tag hatte vorbereiten wollen, indem sie mir viel nicht unbedingt in Büchern stehendes Wissen mitgab. Ich wollte leben. Leben, um zu sehen wie die Welt aussieht, und leben, um mich an diesem Dämon dafür zu rächen, dass er mir meine Familie, Freunde und um ein Haar wirklich alles genommen hatte.
„Auf das ganze schöne Drumherum der Zeremonie wirst du verzichten müssen“, flüsterte Evan und nahm meine Hand. Dass diese ganz offen und blutig war, bemerkte ich erst jetzt – von meinen duzenden anderen Schrammen und blutigen Stellen gar nicht zu sprechen. Der Feuergeist aber ritzte sich nun auf einmal mit einem kurz aus Flammen entstandenen Messer einen langen Schnitt in die rechte Handfläche. Einen Augenblick lang sah er mich nochmal an, dann ergriff er mit seiner nun ebenfalls blutenden Hand meine und presste damit die Wunden aufeinander, dass sich das Blut vermischte.
„Mein Name ist Evan und hiermit erbitte ich einen Pakt mit der Zauberin Zoey Alice Crimson vor mir“, flüsterte der Geist und beugte sich zu mir herunter, „Unter der strahlenden Sonne, nach dem Gesetz von Feuer zu Asche, biete ich meine Kräfte gegen ihre Seele. Möge das Versprechen andauern für ihres Lebens Ewigkeit!“
Unter unseren Füßen leuchtete ein goldener Siegelkreis mit alten Runen und Symbolen am Rand und mehreren Konstellationen von großen und kleinen Quadraten, Dreiecken und Kreisen auf, die alle in ihrer Verbindung mit weiteren Runen ihre eigene Bedeutung hatten. Ich kannte zwar jetzt nicht jede einzelne, doch ich wusste, dass bei den Zeremonien meiner älteren Schwestern ebenfalls so ein Siegelkreis mit Kreide auf den Boden gezeichnet worden war. Bloß wurde einer jungen Zauberin die exakte Bedeutung dieses Kreises erst etwa einen Monat vor ihrer eigenen Zeremonie erklärt – ansonsten würde es wohl Unglück bringen. Von daher war mir nicht ganz klar, für was dieser Kreis jetzt stand, aber in ihm waren auf jeden Fall die Konstellationen und Runen für Leben, Feuer, Versprechen und Ewigkeit. In jedem Fall handelte es sich um einen äußerst mächtigen Siegelkreis.
Der Dämon hatte in der Zeit aber einen erneuten Angriff gestartet und der schwarze Nebel um ihn herum machte keinen sehr freundlichen Eindruck. Es blieb keine Zeit mehr für den aufwendigen Zauberspruch, der von meiner Seite nötig war!
Der Wille ist der Grundstein der Macht – wenn du an dich und deine Fähigkeiten glaubst, wirst du alles erreichen können…
„Ich schwöre bei meiner Seele, dass ich den Pakt mit Evan eingehen und mein Versprechen halten werde!“, rief ich und fand mich plötzlich in Evans Armen wieder. Er begann von innen heraus wie das Feuer zu leuchten und kurz schlugen helle Flammen nach dem Dämon, der daraufhin gezwungen war wieder zurückzuweichen. Dann wurde Evan plötzlich selbst zu Feuer, das sich aber komischerweise gar nicht heiß anfühlte, wurde leicht durchsichtig und verschwand völlig unerwartet in mir. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich fassungslos, doch dann wurde mir plötzlich unglaublich warm und ich begann so wie Evan von innen heraus zu leuchten.
Das tief dunkelrote Feuer, das sich mir nun mit rasender Geschwindigkeit näherte, wich erschrocken wieder zurück und bildete einen weiten Kreis um mich herum. Ohne dass ich wirklich die Kontrolle darüber hatte, gingen von mir plötzlich ebenfalls Flammen aus, doch diese waren von einem hellen Orange und schienen viel freundlicher als die von dem Dämon. Es war das Feuer, das ich aus meiner Familie kannte. Der Siegelkreis war wieder erloschen, doch stattdessen schlugen auch aus dem Boden um mich herum helle Flammen.
„Hoh? Das bedeutet wohl Höllenfeuer gegen Himmelsfeuer, das wird interessant“, stellte der Dämon fest und lächelte mit einem seltsam aufgeregten Funkeln in den Augen, „Mal sehen, welches das Stärkere ist...“
In dem Augenblick jedoch war ein heftiges Donnergrollen zu hören und ein Blitz zuckte über den Himmel, wo schon seit geraumer Weile dunkle Gewitterwolken das Regiment übernommen hatten. Danach standen plötzlich noch zwei weitere Personen auf der Wiese, die von Wind umgeben zu sein schienen, zumindest sah das dunkle Feuer um die Stelle herum so aus als würde es weggeblasen werden.
„Was zum Teufel?!“, fragte einer der beiden Neuankömmlinge entsetzt, ein Mann mittleren Alters, „Was hast du angerichtet, du verdammter Dämon?!“
Dieser legte den Kopf lediglich leicht schief und blickte schon fast gelangweilt drein, während der Blick des Mannes hinten zu der inzwischen in sich zusammenfallenden Villa wanderte.
„Du Monster!“, schrie er und stürmte aus dem Kreis, der scheinbar von Wind geschützt wurde. Er jagte dem jungen Mann mit den langen, flachsfarbenen Haaren hinterher, welcher jedoch mit Leichtigkeit einfach ein paar Sätze nach hinten sprang. Dabei bemerkte ich aber auch den zweiten Neuankömmling, der den beiden anderen nur mit einem seltsamen Blick zusah. Er schien so um die neunzehn zu sein und seine pechschwarzen Haare reichten ihm fast bis auf die Schultern. Er trug auch schlicht schwarze Klamotten und der einzige, beinahe schon leuchtende Farbtupfer waren seine kräftig orangenen Augen, die sich in dem Augenblick auf mich richteten.
Ich war mir nicht ganz sicher, doch ein ungutes Gefühl hauste in meiner Magengegend und ich wich zurück. Er war mir irgendwie unheimlich, von ihm ging fast so ein ähnliches Gefühl aus wie von dem Dämon, den der andere Kerl noch jagte. Überhaupt hatte ich keine Ahnung, was diese beiden Neuen hier wollten. Ich wusste nur, dass man gerade meine gesamte Familie und meine Freunde eiskalt umgebracht und das Gleiche auch bei mir versucht hatte. Und mein Gefühl sagte mir, dass ich mich vor dem Jüngeren der beiden Neuankömmlinge in Acht nehmen musste.
Dieser machte in dem Moment einige Schritte in meine Richtung und ich wich weiter zurück, ehe ich mich zwang stehen zu bleiben. Ich war die Letzte meiner Familie und ich musste mich hier irgendwie rauskämpfen. Auch um ihretwillen!
„Es ist alles gut“, sagte der junge Mann in dem Moment aber mit ruhiger Stimme und blieb stehen – es befanden sich noch gute sechs Meter zwischen uns. Er schien zu glauben, dass ich Angst hatte, aber da täuschte er sich!
Irgendwie gelang es mir einen Zauber aus meinem Kopf zu graben und wieder die leisen Worte zu murmeln, gerade als der ältere Junge mit den orangenen Augen wieder auf mich zukommen wollte. Die hellen Flammen des Feuers – meines Feuers! – um mich herum sammelten sich kurz vor mir und schossen keine zwei Sekunden später schon in die Richtung des Jungen. Dieser wich leicht überrascht zur Seite, als das Feuer sogar einfach durch seine Barriere aus Wind hindurchbrach.
Jedoch lief mir in dem Moment ein eiskalter Schauer über den Rücken und als ich mich erschrocken umdrehte, stand der Dämon kaum fünf Meter von mir entfernt und sah mich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen an.
„Wir werden uns noch wiedersehen, kleine Crimson“, versprach er, während der andere Kerl von hinten auf ihn zugelaufen kam und mit einem Revolver auf ihn zielte, „Mein Name ist Gerrár. Vergiss ihn nicht, denn ich werde es sein, der dein Leben beendet.“ Für einen Sekundenbruchteil sah es so aus als würde er über meinen Kopf hinweg den anderen jungen Mann ansehen, dann war er plötzlich spurlos verschwunden.
Mit ihm verschwanden auch die dunklen Flammen und der ältere Mann kam fluchend zum Stehen, um sich anschließend betroffen umzusehen und die völlig zerstörte Natur und den Trümmerhaufen der ehemals schönen Villa vor sich zu erblicken.
„Wir wollen dir nichts tun“, erklang plötzlich wieder die Stimme des anderen, dieses Mal direkt hinter mir.
Ich drehte mich erschrocken um und wollte einen Zauber anwenden, doch unvermittelt fand ich mich in seinen Armen wieder. Trotz dessen immer noch helle Flammen um mich herum loderten und bereits fröhlich an ihm leckten wohl bemerkt!
„Schhhh“, machte er nur wieder und strich mir über das völlig zerzauste Haar, „Beruhige dich, es wird alles gut.“
„Ares?“ Der andere Mann blickte stirnrunzelnd herüber.
Ich war zu keiner Antwort fähig. Allerdings schien er wirklich nicht vorzuhaben, mich umzubringen. Zwar war ich noch immer misstrauisch, doch nun erst spürte ich auch die unvorstellbar große Anspannung, unter der ich stand. Zu meiner Verblüffung begann diese in seinen Armen aber langsam zu zerbröckeln und ich entspannte mich sogar allmählich wieder. Was auch immer ich vorhin gefährliches an ihm gespürt hatte, jetzt schien es nicht mehr da zu sein – genau wie auch dieser Dämon verschwunden war. Die Gefahr war vorüber und ich sackte beinahe zeitgleich mit dieser Erkenntnis in mich zusammen – huch, wieso war ich plötzlich so vollkommen fertig? Wo war meine ganze Kraft hin? Auch wenn da auch eine Träne in meinem Augenwinkel war, denn unterschwellig war mir bereits klar, dass ich, sobald ich aufwachte, alleine sein würde. Alle anderen Crimsons und auch meine Freundinnen waren tot. Alle.
Wie die von mir ausgehenden Flammen ebenfalls erloschen und Ares mich auffing, bekam ich nicht mehr mit. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits das Bewusstsein verloren.
„Lass sie los.“ Aus den letzten hellen Flammen heraus erschien Evan in leicht durchsichtiger Form und sah den jungen Mann drohend an.
Dieser hatte das Mädchen in seinen Armen nachdenklich angesehen und erwiderte nun seinen Blick. In den orangenen Augen funkelten unterschiedlichste Gefühle und Evan wurde ernst. Diese Sekunden, in denen sie einander so anstarrten, schienen eine Ewigkeit zu dauern. Fast als würde die Zeit für einen Moment lang stehen bleiben. Für einen schier unendlich langen Augenblick.
SilverRose Re: Deine Inhaltsangabe - Zitat: (Original von Rina83 am 29.04.2012 - 17:56 Uhr) Hey SilverRose, ohne deine Geschichte jetzt gelesen zu haben, möchte ich eine kleine Anmerkung zu deinem Klapptext abgeben. Wenn du schreibst, dass sich das Leben um 360° wendet, würde das implizieren, dass gar nichts passiert (wenn du dich um 360° drehst, ist das, was vor dir liegt und das was hinter dir liegt, immernoch dasselbe ;o) ). Von daher, solltest du, sofern du das Leben deines Helden komplett auf den Kopf gestellt wird, lieber von einer 180° - Wende reden. Viele liebe Grüße Rina danke für den Hinweis, bin ich selbst gar nicht drüber gefallen xD |
Rina83 Deine Inhaltsangabe - Hey SilverRose, ohne deine Geschichte jetzt gelesen zu haben, möchte ich eine kleine Anmerkung zu deinem Klapptext abgeben. Wenn du schreibst, dass sich das Leben um 360° wendet, würde das implizieren, dass gar nichts passiert (wenn du dich um 360° drehst, ist das, was vor dir liegt und das was hinter dir liegt, immernoch dasselbe ;o) ). Von daher, solltest du, sofern du das Leben deines Helden komplett auf den Kopf gestellt wird, lieber von einer 180° - Wende reden. Viele liebe Grüße Rina |