Am Zipfel der Welt
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 So wollte ich doch nie enden, dachte Pia.Sie steht mit den Füßen im kalten Bodensee. Hinter ihr liegt die menschenleere Promenade. Vor ihr schwebt die Sonne, bald wird sie im Wasser verschwinden, denkt Pia. So wie ich.
Pia wartet nur noch auf den passenden Moment.
Oft war sie hier, bisher hat sie immer gedacht, der See wäre blau, schäumend und voller winziger Fische. Segelboote würden leise über ihren Bodensee gleiten. Doch heute war der See grau und trübegerade mal so aufregend wie irgendein Baggersee in Hinterdupfingen.Nein, so wollte sie nicht enden, denkt sie erneut wie wenn sie in einer Zeit schleife gefangen wäre.Ausgerechnet hier war sie gelandet, an dem Ort an dem sie damals schwimmen lernte mit "ihm".Für sie konnte es der Zipfel der Welt sein sie fühlte sich trotz der schmerzenden Erinnerungen hier geborgen. Gleichzeitig jedoch schmerzte sie dieser Ort auch. Er war der Anfang und das Ende von allem, hier wollte auch sie ihr Ende finden.
Langsam kriechen Pias Gedanken zu der Frage : Was genau sie eigentlich hier wollte? Ihre Zehenspitzen versanken im matschigen Sand. Pia ist hier um sich zu ertränken.Der Moment dazu ist geradezu perfekt: einsam öde und leer. Der Horizont ist nur ein dünner Strich, zwischen Himmel und dem Wasser. Nur ein paar Punkte kleben darauf. Die Fähre wahrscheinlich.
Papa hat immer gesagt der Bodensee ist beliebt für seine Sonnenuntergänge. Touris kommen immer hier her, nur um einen dieser Sonnenuntergänge zu sehen. Sie machen sich dann am ganzen Ufer breit mit ihren Decken früher haben sie sogar noch Lagerfeuer gemacht und lustige Lieder gesungen, mittlerweile ist offenes Feuer am See verboten. Es ist ein Ort der Gemeinschaft, der Freude hat er immer gesagt.Papa, denkt Pia, und eine kleine Welle klatscht gegen ihre Füße. Ich weiß nicht mal wo Papa nun ist.
Die Sonne hängt jetzt nur noch ein kleines Stück über der Fähre. Die Mischung aus Matsch und Steinen haben Pias Seidenstrümpfe ruiniert, ihre High Heels liegen irgendwo im Sand auf dem kleinen Spielplatz. Schwarze High Heels eigentlich hasste Pia hohe Schuhe einmal und nie wieder schwörte sie sich. Es ist für alle das beste wenn ich ertrinke!
Die Sonne malte den Himmel in allen rottönen, es sah aus wie wenn der Himmel anfing zu brennen. Es war ein prickeln, ein funkeln kennst du das Gefühl von Brausepulver genau so fühlte es sich an. Sie atmete tief ein und wie es roch! MHHHHH! Nach Kindheit nach Erinnerungen nach Zeit mit Papa. Und es war wie wenn Pias Hand gehalten wurde. Es war als wäre sie das erste mal seid der Beerdigung wieder lebendig.Was für ein herrliches Ende! Pia bis sich entschlossen auf die Lippen, zog ihr Kleid ein Stück hinauf das es nicht gleich ganz saß wurde, und geht den ersten entschlossenen Schritt, sie geht ganz langsam. In einem dieser kitschigen Hollywoodfilme würde nun eine noch viel schnulzigere Musik eingespielt. Aber hier in der Realität hörte man nur irgendwo das kläffen eines Hundes. Schade irgendwie.
Der zweite Schritt auf dem Weg zum Ende. Mama wird Pia nie wiedersehen, Sie wird sich nie mehr ausnutzen lassen oder irgendwann in einem Seniorenstift vor sich hin altern, und nein sie würde auch nicht auf dem heimigen Friedhof bestattet werden, es wird keine Beerdigung geben. Es würde wohl eh keiner kommen und sie vermissen. Irgendwann wird man ihre Leiche auf dem Grund des Bodensees finden, die wahre Todesursache wird man nicht feststellen können, denn gebrochenes Herz und Sehnsucht sind nun mal medizinisch nicht nachweisbar.Vielleicht ist es ja doch falsch sich zu ertränken, vielleicht stimmt es ja doch dass das Leben schön ist und das irgendwann doch alles wieder gut wird. Vielleicht aber auch nicht.
Nicht umgebracht hat Pia sich aber schon oft.
Sie geht den dritten Schritt in den kalten See hinein Das Wasser geht ihr nun schon bis zum Bauch.
Aber plötzlich hört sie die Glocken der Birnau läuten, der Wallfahrtskirche in der sie damals geheiratet hatte, und Papa sie zum Altar führte. BIMM-BIMMMM-BIMMMMMMM es klingt fast wie wenn das läuten aus dem Himmel kommt. Pias Herz beginnt zu flattern, fast so wie ein kleiner Vogel. Danke flüstert sie und eine träne fließt über ihre Wangen. BIMMMM-BIMMMMMM-BIMMMMMMMMMMMMMMM. Und dann ist sie wieder da die stille. Pias träne fällt ins Wasser.
Erst da bemerkt Pia sie, da steht eine kleine Frau im Wasser genau wie sie selbst. Eine kleine zarte Frau, ihre Haare schimmern ein bisschen wie Gold in der Abendsonne. Wer das wohl ist? Genauso wie Pia lässt die Frau das Wasser um ihre Füße spielen. Ihre Augen zwinkern gar nicht. Die Fremde macht einen kleinen Schritt ins Wasser hinein, so klein das man es kaum sehen kann. Auf ihren Wangen spiegelt sich die Sonne und es funkelt kurz auf wie bei einem Diamanten,Hallo? die Frau reagiert nicht, sie scheint Pia nicht zu hören.Vielleicht ist sie ja eine Fee, oder doch ein Engel? Sie sieht fast durchsichtig aus, so als könne sie übers Wasser tanzen. So wollte ich immer sein denkt Pia neidisch. So schön und federleicht wie dieses Wesen.
Die Frau geht weiter , langsam und mit einem lächeln im Gesicht, das Wasser schwappt schon bis an ihre Ellenbogen hinauf.
Hallo?? ruft Pia noch einmal dieses mal etwas lauter. Jetzt hat die fremde Frau Pia wahrgenommen. Sie streicht ihr goldenes Haar aus dem Gesicht es scheint als würde sie aus einem entfernten Traum erwachen. Ihr Rock mit dem Blumenmuster fällt ihr aus der Hand und schwimmt wie eine kleine Wolke um sie herum, nun sieht sie wirklich aus wie ein Engel denkt sich Pia. Dann trifft ein unbeschreiblicher Blick aus hellen Augen Pia, es ist ein Blick mitten ins Herz, sie kennt diese Augen aber weiß nicht woher. Der Blick trifft sie mitten im Herz.
Sie weiß es, denkt sich Pia. Sie schämt sich und eine Röte steigt ihr ins Gesicht, nervös scharrten ihre Füße in der Mischung aus Matsch und Kies im Wasser eine Sandwolke auf." Wie schön, nicht wahr ? sagte die kleine Frau und zeigte hinauf auf den See. Ihre Stimme war leise und sanft. Sie sagte es so wie wenn sie Pia schon Jahrelang kannte.
Pia nickte stumm. Die Frau nickte auch. Wehmut lag in ihrem Blick. Ein Abschied, irgendetwas das man auf später verschieben musste. Aber ihr Mund lächelte trotzdem.
Hätte ich doch bloß meinen Mund gehalten, dachte sich Pia.
Ein Wind wehte nun vom See ans Ufer. Dort wo Pias Träne gekullert war, fühlte es sich kalt an.Irgendwie ist der Horizont verschwunden. Nun war es ganz und gar unmöglich dort hinaus zu gehen.
Schöne Scheiße, denkt Pia. Was in aller Welt mach ich den jetzt? Weiter leben hatte sie nicht eingeplant.
Ihr Leben besteht im Moment aus Kummer und ner Menge Ärger. Und aus einem paar verhassten viel zu hohen Schuhen bei denen zu allem Überfluss auch noch ein Absatz abgebrochen war.
Da sagte die Frau etwas zu ihr kam langsam und schwere los zu ihr herüber. Pia lächelte schüchtern , da sie nicht wusste was sie tun sollte.
" Geht es Dir gut ? "Pia schüttelte den Kopf.
Traurig ?
Ja, sagte Pia mit einem Kloß im Hals.Die kleine Frau stand nun eine Handbreit neben ihr. Ihr Blumenrock schaukelte im Wasser.
Willst Du reden? fragte die kleine Frau mit einer so liebevollen Stimme.
Pia überleckte kurz und ohne das sie es wollte sagte sie leise den Tränen nahe " Papa ist tot".
Die Frau lachte leise, und ihr Blick schweifte hinaus auf die weiten des Bodensees, man meinte sie wäre in einer anderen Zeit.Vielleicht war diese geheimnisvolle Alte ja doch verrückt. Normale Menschen stehen ja auch nicht in voller Montur im Wasser.
" Angel " stellte sie sich vor." Pia" sagte Pia.
Ein schöner Name für eine schöne Frau.
Phhhh, schniefte Pia, dann ist er bei mir aber falsch!
Angels Blick musterte Pia. Weist du Pia, man muss mit dem Herzen sehen, nicht mit den Augen, sagte Angel."Das tut doch keiner konterte Pia trotzig.
Ich habe einen gekannt, er hat es getan, erzählte Angel und blickte in den Himmel hinauf.
Ja?
"Paul", singt Angel in den Himmel hinauf und tänzelt dabei im Wasser.
Und? Wo ist dein Paul jetzt? fragte Pia und denkt: Sicher hat er sie verlassen oder er hat sie betrogen. Sonst würde Angel ja nicht allein hier im Bodensee stehen.
" Gestorben ist Paul"
" Oh, sagte Pia ziemlich klein laut. Das das tut mir Leid. Ich hab nicht gedacht, dass .... an so was hab ich echt nicht gedacht versuchte Pia sich zu entschuldigen.Da draußen, lächelte Angel. Es war ein heißer Sommertag, die Kinder tollten im Wasser und Paul wollte sein neues Schlauchboot testen. Er fuhr mit seinen Freunden weit hinaus auf den See, Paul und seine Freunde waren sehr übermütig als sie mitten im See waren kam plötzlich ein Sturm auf, der Himmel wurde schwarz und sie ertranken als ihr kleines gelbes Gummiboot kenterte. Sie sind damals alle drei gestorben. Pia folgte Angels Blick hinaus auf den so friedlich wirkenden See. Ein magisches Licht schimmerte im Wasser.
Er war noch sehr jung, mein kleiner Paul. Ihr lächeln wird zu einem leuchten.Sie muss ihn sehr geliebt haben denkt Pia und ihr Herz verkrampft sich hinter ihrer Brust. Auch Pia hatte einen Menschen sehr geliebt ihren Papa. tapfer schluckt Pia die aufsteigenden Tränen hinunter und lauscht weiter Angels Erzählungen.Ich komme jeden Tag hierher spricht Angel weiter.Jeden Tag.Ich sehe ihn da draußen.Paul heute komme ich zu Dir! sage ich ihm.
Und antwortet er Dir, wollte Pia neugierig wissen?
Ja liebe Pia er antwortet mir.
Und was sagt er? Nun wollte Pia es genau wissen.
Er wartet, bis ich komme, er kommt dann und holt mich ab.
Ja aber warum...?
Angel beginnt zu lachen, ach mir kommt immer irgendetwas dazwischen und zwinkert Pia zu. Meist irgendwelche Leute aus dem Dorf. Sie denken ich bin hier um was für meine Gesundheit zu tun, im Wasser stehen ist ja gut dafür. Du weist ja selbst auf dem Dorf glauben sie immer was sie wollen. Angel lachte wie wenn sie einen guten Witz gehört hätte. Pia nickte stumm, langsam aber sicher zweifelte sie doch an Angels Verstand.
Eine Weile standen sie stumm zusammen, die alte und die junge Frau. Der Himmel überm Bodensee färbte sich dunkelrot. Und über ihnen stand der erste Stern.
Angel meinte tonlos "es ist völliger Unsinn sich hier zu eränken, sie sagte es wie zum Abchied.
Warum Unsinn? fragte Pia.
Man muss weiter raus gehen, viel weiter hinaus, bis es tief genug wird und eine Strömung komt.Deswegen kommt immer etwas dazwischhen.
"Ach so" sagte Pia.
Heute bist du dazwischengekommen.
"Tut mir echt leid, antwortete Pia schuldbewusst.
"ach, kleine Pia, das macht nichts, lächelte die ältere Frau.Es gibt noch so viele Tage, und so viele Tage sind schon vergangen. Auf einen mehr oder weniger komt es da nicht an.
Villeicht wäre es näher am Hafen besser, sagt Pia.Dort wo die Schiffe hinaus fahren. Sicher rauscht der See dort wenn die Schiffe ein und aus fahren und es bilden sich richtige Wellen.
Dort sind zu viele Touris, konterte Angel kritischSie dreht sich um und geht zurück ans Ufer.Ihr Blick fällt auf Pias Schuhe sie liegen wie ein Schatten einsam und allein im Sand.
Dreiundfünfzig Jahre, denkt Pia, Papa war gerade 53 Jahre. Wieviele Tage sind eigentlich 53 Jahre?Sie merkt zuerst gar nicht , das sie sich auch umdreht. Erst als der sand unter ihren Füßen an den Zehen knirscht.
Angels Hände wringen den Rock aus, ganz von allein tun das ihre Hände. Pia bückt sich nach ihren Schuhen, sie hatt eigentlich gar nichts passendes dazu anzuziehen, fällt ihr da ein.