Kurzgeschichte
Glück

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"Glück"
Veröffentlicht am 18. April 2012, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Glück

Glück

Beschreibung

Shorts sind Kurzgeschichten, die bewusst sehr knapp gehalten sind. Sie sind als kleine Gedankensplitter zu sehen und sollen im Kopf des jeweiligen Lesers ihre Vollendung finden. Das Ende sieht oft ganz anders aus, als vermutet, manchmal aber kommen sie seltsam vertraut vor. Diese Short beruht auf waren Begebenheiten.

 

Glück

Seit fast zwei Jahren war er nun schon ein Gefangener in diesem Lager. Der Hunger war jetzt sein bester Freund, denn er hatte das Grauen des Krieges verdrängt. Die harte Arbeit machte ihn jeden Tag todmüde und ließ ihn abends sofort einschlafen. Zwanzig Personen waren sie in dem kleinen Verschlag, er lies ihnen kaum Bewegungsfreiheit. Er schützte sie aber etwas vor dem eisigen Ostwind. Es gab drei Mahlzeiten pro Tag. Morgens heißes Wasser und ein Stück Brot, mittags heißes Wasser und ein Stück Brot und das Gleiche abends. An den Sonntagen gab es auch manchmal eine Suppe mit einem kleinen Stück Fleisch. Doch die Sonntage waren nicht sehr oft. Sie nannten sie nur so wegen des besseren Essens.

Nach dem Frühstück mussten sie antreten. Es wurde durchgezählt. Manchmal fehlte einer,

 

 

dann wurden zwei damit beauftragt, den Mann zu beerdigen.Der Rest ging zur Arbeit. Eine Menge Boden musste bewegt werden. Seit er in diesem Lager war, hatten sie eine unzählige Menge an Bäumen gefällt, fast ein Jahr lang. Dann konnten sie mit der Einebnung des Bodens beginnen.

Die Arbeit war hart und das Gelände abschüssig. Den ganzen Tag standen sie am Hang und versuchten mit Hacken und Schaufeln ihre Arbeit zu verrichten. Manchmal kam einer der Aufseher und gab ihnen Anweisungen. Doch meist gingen sie still ihrer Arbeit nach, denn sie wussten, was zu tun war.

Den Aufsehern ging es nicht viel besser als den Gefangenen. Sie hatten nur selten mehr zu essen und ihre Baracken boten ihnen kaum besseren Schutz gegen den eisigen Wind im Winter und die sengende Hitze im Sommer. Es gab keinen Zaun um das Lager, denn es gab nichts, wohin man flüchten konnte.

 

Es war jetzt Sommer und ihre Arbeit war fast beendet. Morgen würde es soweit sein, die Landebahn des Übungsplatzes für Segelflugzeuge war fertiggestellt. Dann würde der vor einigen Tagen gelieferte und den Hang hinaufgezogene leichte Segler starten. Er hatte sich freiwillig gemeldet für den ersten Flug und der Kommandant hatte zugestimmt. Er stieg in das Fluggerät und steckte seine Beine durch die Öffnung im Boden. Zwei Gurte verbanden den Segler mit seinem Oberkörper. Als er sich aufstellte, spürte er das Gewicht des Gleiters an seinen Schultern hängen.

Dann rannte er, mit dem Segler der an seinem Oberkörper hing, den Hang hinunter. Er spürte, wie der Gleiter an Gewicht verlor und er sich mit einem Mal sehr leicht fühlte. Plötzlich verlor er den Bodenkontakt und die Last war an seinen Schultern nicht mehr zu spüren. In zwei, höchstens drei Metern Höhe schwebte er zu der weiter unten gelegenen Landebahn.

 

Er hörte die Luft, wie sie über die Tragflächen strich. Mit einem Mal fühlte er sich frei und ein unbeschreibliches Glück in sich. Er dachte an seine Kindheit zurück, als er sich nichts mehr wünschte, als einmal selber ein Segelflugzeug zu fliegen, so wie sein Vater.

Doch dann kam der Krieg und mit ihm der Tod und die Gefangenschaft. Der lange Weg in dieses Lager am Ural und jetzt schwebte er hier diesen Hang herunter, den er zwei Jahre lang mit gebaut hatte unter unerträglichen Bedingungen. Der vielen seiner Kameraden das Leben gekostet hatte und auch bestimmt noch kosten würde. Doch jetzt war er in der Luft, er war überwältigt von diesem Glücksgefühl. Er spürte keinen Hunger mehr, die Schmerzen in seinen mit Schwielen übersäten Händen und Füßen waren verschwunden.

Ein Jahr später, am 23. August 1951 kehrte er in seine Heimat zurück. Jetzt ist er 84 Jahre alt

 

und denkt immer noch an seine Zeit in diesem Lager zurück. Doch es ist das unbeschreibliche Glück, das er während seines ersten Segelfluges verspürt hatte, an das er sich erinnert. Glücklich war er in seinem Leben oft. Als er nach der Gefangenschaft seine Frau kennenlernte, als seine Kinder geboren wurden und dann deren Kinder.

Doch solch ein Glücksgefühl, wie er es während des Fluges verspürte, hatte er danach nie mehr in seinem Leben, sinniert er.

Gleich würden seine beiden Urenkel kommen. Er freute sich darauf, denn heute sollte das Segelflugmodell, das sie zusammen gebaut hatten, zum ersten Mal fliegen.

alt Diese Geschichte wird Teil eines speziellen Short-Bandes, dessen Shorts auf realen Erinnerungen beruhen.

 

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hajo
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Gast Das geht oft alles verloren - Viele Erinnerungen dieser Art gehen mit den Personen verloren, wenn sie nicht mehr sind.
Schön, dass jemand so etwas mal aufschreibt ...

Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Das ist sehr gut zu verstehen. Eine eindrucksvolle Szene. - In kleinerem Maßstab kennt das jeder, der sich nach langer Krankheit wie Schneekönig über die erste Runde übern Hof oder die erste Eiswaffel freute. Und kleine Klinikpatienten dürften daher Hirschhausens Rotnasen nie vergessen.

Deine Bücher lesen sich immer sehr gut und sind zudem von www-gemäßer Kürze.

Viele Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
SaenaPJ **** - Es ist das, was man aus dem macht
was man erlebte
welches am Ende so wertvoll ist

eingeprägt und für immer sich bewahrt
jene liebe zum Leben

danke für diese Geschichte

liebe Grüße petra-josie
Vor langer Zeit - Antworten
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