"Tretet ein und lasst Eure Wünsche die Schritte leiten..." Ein alter Jahrmarkt, der im Wechsel von einer Nacht zum Tag erscheint. Ein jeder ist eingeladen sich dort zu Tummeln, wo der Menschen Wünsche Gestalt gegeben wird... Jeffrey folgt dem Lockruf des Jahrmarktes, um dort der Frau seiner Träume, seine Liebe zu gestehen. Doch nicht alles funktioniert so, wie er dachte...
Mit einem leisen Stöhnen begann sich Jeffrey wieder zu regen, er hatte keine Ahnung wie lange er die gnädige Dunkelheit der Bewusstlosigkeit ihn umfangen gehalten hatte und im Moment war es ihm auch vollkommen gleichgültig, da sein schmerzender, misshandelter Körper seine gesamte Aufmerksamkeit forderte. Instinktiv hatte er seine Hände in seinen Schritt gedrückt, als könne er so den dumpfen, Übelkeit erregenden Schmerz damit irgendwie lindern, doch vergebens. Der junge Mann konnte sich nur auf dem biergetränkten, matschigen Boden zu einer fötalen Haltung zusammenkrümmen und leise schluchzend warten, bis die Schmerzen nachlassen würden. Und in diesen schier endlosen Minuten hörte er immer wieder Christines Stimme, wie sie in den Chor der Anfeuerungen eingestimmt hatte, wie sie nichts getan hatte, um ihm zu helfen, wie sie Markus und seine Schergen nicht aufgehalten hatte. Diese Gedanken verdrängten sogar für einen Moment den pochenden Schmerz in seinen Leisten, als seine Träume wie sprödes Glas zerplatzen und seine Seelen zerschnitten, bis er für einen Moment dachte, dass es besser war tot zu sein, als mit dieser Demütigung, mit diesem Versagen, mit dieser Ablehnung weiter leben zu müssen. Diese emotionale Leere hielt jedoch nur einen Herzschlag an, als eine neue Regung in seinem Inneren zum Leben erwachte. Wie eine glühend heiße Welle aus Feuer brandete Zorn über ihn hinweg und gab dem jungen Mann die Kraft sich auf Hände und Knie aufzustützen, wo er einen Moment lang auf allen vieren verharrte. Jahrelang hatte er alles getan, um dazu zu gehören, sich angepasst und jetzt, als er zum ersten Mal wirklich etwas für sich hatte erreichen wollen, da fielen sie ihm in den Rücken, diese miesen, verlogenen Bastarde, diese Schweine. Sie waren doch nur stark, wenn sie zusammenhingen und dann auch nur gegen Schwächere, niemals gegen Ebenbürtige.
Mit frischen, zornigen Tränen in den Augen wollte sich Jeffrey aufrichten, aber scharfe Schmerzen in der Leiste und am Bauch hielten ihn davon ab, so dass er fürs erste auf Händen und Knien verbleiben musste. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, sich nach dem verdammten Plüschpferd umzusehen, das in seinen Gedanken zum einzigen Erfolg des Abends geworden war, ein Zeichen dafür das er doch etwas alleine zustande bringen konnte. Dabei war es ihm egal, dass er wohl wie ein geprügelter Hund aussehen musste, wenigstens gelangte er so aus der Pfütze aus Bier heraus, das seine Peiniger über ihm ausgeschüttet haben mussten. Wie einfallsreich jemanden noch dann weiter zu quälen, nachdem er sich gar nicht mehr wehren konnte, dachte er bitter und sog die Luft durch seine geschwollenen, aufgeplatzten Lippen tief ein, als er das Stofftier dann doch noch sah. Irgendwie war es zum Zelt der Wahrsagerin befördert worden, wahrscheinlich von einem Fußtritt, wie Jeffrey abwesend dachte, während er auf Zelt und Stofftier zu krabbelte. Er konnte sich nicht erklären, warum es ihm mit einem Mal so wichtig war dieses mit Schaumstoff gefüllte Stück Stoff zu bekommen, aber er konnte einfach nicht anders. Bei jeder Bewegung in Richtung des Zeltes spürte der junge Mann das dumpfe Pochen seiner geschwollenen, misshandelten Hoden, neben dem eher brennenden Schmerz der von seiner Bauchdecke ausging. Endlich war er nahe genug an das Stofftier herangekommen, dass er seine Hand danach ausstrecken und es ergreifen konnte
Seine Finger schlossen sich gerade um das weiche, plüschige Material des Tieres, als plötzlich eine fremde, feingliedrige Hand unter der Zeltwand hervorschoss, sein Handgelenk ergriff und ihn mit erstaunlicher Kraft festzuhalten drohte. Erschrocken zuckte Jeffrey zurück, doch der Schrei, der ihm auf der Zunge lag, wurde durch die Schmerzen, die seine plötzliche Bewegung auslöste, zu einem Stöhnen reduziert.
„Hab ich dich endlich du, verdammter Mistkerl“ erklang eine, durch den dicken Stoff der Wand verzerrte, weibliche Stimme, der eiserne Griff schien sogar noch fester zu werden und die messingfarbenen Ringe, die um das zierliche Handgelenk geschlungen waren, klimperten leise in der kühlen Nachtluft.
„Ich… Hilfe… Nein… Bitte… Nicht…“
Panik stieg erneut in Jeffrey auf, als die Hand ihn nach vorne in Richtung des Zeltes zog, seine Stimme war nicht mehr als ein leises Flüstern, als er daran denken musste, was ihm jemand antun mochte, der ihn gar nicht kannte. Doch schon als das Wort „Hilfe“ seine Lippen in einem undeutlichen Blubbern verließ, lockerte sich der Griff der fremden Hand. Keinen Herzschlag später zog sich die Hand in das Innere des Zeltes zurück.
„Wer bist du denn? Rühr dich nicht von der Stelle, ich warne dich.“
Lautes Rascheln begleitete diese Worte und Jeffrey hätte hören können, wie eine Person das Zelt auf der anderen Seite verließ, wenn er nicht vor Angst gelähmt erstarrt wäre und nur noch das dröhnende Pochen seines Herzens hätte wahrnehmen können. Gerade als sich die Starre lösen wollte, kam auch schon ein Schatten um das Zelt geschossen und für einen Moment musste der junge Mann an die Bilder einer Todesfee denken, das flatternde Geräusch von Stoff, der wie eine Schleppe hinter der dunklen Gestalt her zuwehen schien, feurige Augen in einem verdunkelten Gesicht und wirr abstehende Haare. Vielleicht hätte er sich doch einfach zum Sterben hinlegen sollen, dachte er, doch da fiel der Schein einer Lampe auf die Schattengestalt und rückte so sein Weltbild wieder zurecht.
„Verdammt, was ist denn mit dir passiert?“
Überraschung und noch etwas anderes schwangen in der Stimme der Frau mit, die im Schein der Lampe keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der Schreckensgestalt hatte, für die sie der Junge gerade eben noch gehalten hatte. Die wirr abstehenden Haare entpuppten sich als eine wahre, dunkelbraune Lockenpracht und die wehende Schleppe der Todesfee war nichts weiter als das weite, farbenfrohe Kleid, dass zu einer Wahrsagerin passen mochte. Und die Augen, die Augen mussten einfach einen Reflex der Lampe eingefangen haben, erklärte sich Jeffrey das einzige Detail, das ansonsten keine Erklärung hatte. Die Frau schien ungefähr Mitte bis Ende zwanzig zu sein, ihre Haut hatte einen bräunlichen Schimmer als wäre sie früher oft, aber in jüngster Zeit kaum in der Sonne gewesen. Zusammen mit dem Kleid, den golden glänzenden Ohrringen und der kräftig aufgetragenen Schminke verstärkte sich das Bild einer stereotypen Zigeunerin so sehr, dass Jeffrey vollkommen davon verwirrt wurde und er mit offen stehendem Mund keine Antwort geben konnte.
„Hey, keine Angst. Ich fresse dich nicht… Was ist denn passiert? Kann ich dir helfen?“ wandte sich die fremde Frau erneut an den verletzten Jugendlichen, nun schwang auch Sorge in ihrer Stimme mit, was bei Jeffreys Anblick nicht weiter verwunderlich sein durfte, während sie sich neben dem Jungen in einer geschmeidigen Bewegung niederhockte. Oder lag der Anflug von Sorge darin begründet, dass sie mit einer anderen Reaktion gerechnet hatte? Doch dies war einerlei, da Jeffrey nach einem zittrigen Atemzug wieder Herr seiner Sinne wurde.
„Ein paar Jungen… haben mich verprügelt. Könne Sie mir… bitte… helfen?“ antwortete er gepresst, Schmerz und Scham machten es dem Jungen schwer zu antworten, da er sich in dieser Stunde seiner größten Not an ein fremde, attraktive Frau wenden musste, die ansonsten seine Phantasie für andere Dinge angeregt hätte. Und in seinem Zustand waren die Möglichkeiten, wenigstens noch ein wenig, Würde zu bewahren begrenzt, grundlos würde er nicht noch mehr Aufmerksamkeit und Spott auf sich ziehen, auch wenn es bedeutete sich für den Augenblick vor einer Fremden helfen zu lassen, wie ein schwaches Kind. Eine Träne rann über sein Gesicht als ihm aufs Neue bewusst wurde, was man ihm angetan hatte und wie sehr er enttäuscht worden war.
„Schon gut. Ich helfe dir. Komm mit in mein Zelt, ich hab da ein paar Sachen.“ antwortete die Frau, wobei sie ihre rechte Hand ausstreckte, die zuvor noch Jeffreys Handgelenk so eisern umfasst hatte, strich sanft mit den Fingern über die Wange des Jungen und wischte die Träne fort, bevor sie sich neben ihn hockte und ihn langsam und vorsichtig nach oben zog, in eine gebückte, aber stehende Haltung.
Und so führte die Unbekannte den Jugendlichen um das Zelt herum, bis die die Beiden den Eingang erreichten, neben dem ein Schild die erstaunlichen, prophetischen Fähigkeiten von „Madam Susanna“ und ihre Lebensratschläge anpries, die für ein kleines Entgelt zu haben waren. Ein wenig erleichtert nahm Jeffrey die Informationen des Schildes wahr, immerhin war somit erklärt, warum seine Helferin wie eine Film-Zigeunerin gekleidet war. Die Frau schlug die Stoffbahn zur Seite, die den Eingang des Zeltes verdeckte und half dem jungen Mann dann in das Innere, das nur von zwei Kerzen erleuchtet wurde. Ungewollt fasziniert betrachtete Jeffrey die Einrichtung bemerkte so auch nicht, wie die Frau die Fingerspitzen ihrer rechten Hand ableckte, bevor sie sich zu ihm gesellte.
Sternenkarten und vergrößerte Motive von Tarot-Karten waren als Wandbehänge im Inneren des Zeltes angebracht worden, kleine Regale an den Wänden beinhalteten die unterschiedlichsten Requisiten, Totenschädel, Zauberstäbe mit kristallenen Spitzen, Schalen, Tiegel und Einmachgläser, die mit spinnenfeiner Schrift auf vergilbten Zetteln beschriftet worden waren. Jedes Stück schien Jeffreys Blick magisch anziehen zu wollen, obwohl er eigentlich gar kein Interesse an okkulten Dingen, wie Wahrsagerei, hatte. Eine sanfte Berührung am Rücken schob in weiter in den kleinen Raum hinein, auf den runden Tisch zu, der sich in der Mitte befand. Eine schwarze Spitzendecke lag auf der alten, hölzernen Tischplatte, zwei steinerne Kerzenhalter bildeten die Heimat zweier roter Kerzen, deren Flammen noch vom Luftzug flackerten, der beim Betreten des Zeltes entstanden war. Die Kristallkugel in der Mitte des Tisches fing das flackernde Licht ein und reflektierte es mit rötlichem Funkeln in den Raum, wo die rötlichen Lichtflecken über die Wände, Poster, Jeffrey und auch seine Begleiterin tanzten.
Der Geruch von Weihrauch und Räucherstäbchen hing in der Luft, kitzelte Jeffrey Rachen, während die Unbekannte ihn zu einem der beiden für Gäste oder besser Kunden gedachten Stühle lotste und ihn dann wortlos auf dem rechten Stuhl Platz nehmen ließ. Mit raschelndem Kleid ging sie auf die andere Seite des Tisches und kramte dort in einer großen, schwarz lackierten Kiste, die der Jugendliche erst jetzt in dem wilden Sammelsurium an Gegenständen wahrnahm, was auch daran lag, dass sie durch ein dunkles, wahrscheinlich violettes, Tuch verdeckt gewesen war und so wie niedriger Tisch ausgesehen hatte. Achtlos hatte die Frau das Tuch zur Seite gezogen und den schweren, massiv wirkenden Deckel geöffneten, doch ihr Körper verdeckte nun den Inhalt, als sie in der Kiste zu kramen begann. Jeffrey fing inzwischen zu schlottern an, als die Auswirkungen der Schläge und des Stresses sich bemerkbar machten, als die Wirkung der körpereigenen, schmerzstillenden Substanzen nachließ.
„Hey, fall mir nicht vom Stuhl. Setz dich auf den Boden, bevor dir schwindelig wird.“
Die rauchige Stimme der Frau riss Jeffrey aus seinen Gedanken, als sie ihre Suche wegen seines Zähneklapperns für einen Moment unterbrach und sich halb zu ihm umwandte, so dass der junge Mann, dank ihrer vorgebeugten Haltung, einen tiefen Einblick in den tiefen Ausschnitt ihres Kleides bekam. Der Anblick der beinahe freiliegenden Brüste verschlug Jeffrey den Atem, noch nie war er einer realen Frau auch annähernd nahe genug gekommen, um einen solchen Anblick genießen zu dürfen und nun geschah dies im unwahrscheinlichsten Moment seines Lebens. Mit einem schweren Schlucken ließ er sich langsam und vorsichtig, um nicht erneut von einer Welle der Schmerzen überrollt zu werden, am Stuhl entlang auf den Boden hinab gleiten, das bösartige Grinsen auf den Zügen der Frau, dass bei diesem Anblick erschien, nahm Jeffrey nicht mehr wahr. Auch nicht, dass die Gesichtszüge der Frau für einen Moment wesentlich älter erschienen, tiefe Falten zeigten sich auf den zuvor makellosen Zügen, scharfe, gelbliche Zähne funkelten im Licht der Kerzenflammen und die Augen waren riesig und glänzend rot geworden, eine schwarze, rissige Zunge leckte sich über die schmalen, ausgedörrten Lippen, bevor sie sich wieder der Suche in der Truhe zuwandte, wobei die Veränderungen wieder verschwanden, wie ein Nebelhauch im Angesicht der Sonne.
Der ahnungslose Jugendliche stellte indes fest, dass der Boden des Zeltes mit einem alten Teppich bedeckt war, dessen Geruch nach altem Staub beinahe die sinnlicheren Gerüche im Inneren des Zeltes überdeckte. Er versuchte sich so aufrecht wie möglich zu halten, als die Bewegung dafür sorgte, dass sich das am verkrustenden Blut festklebende Shirt zu lösen begann und der brennende Schmerz der Schnittwunden, die Jeffrey bisher noch nicht gesehen hatte, erneut aufflammte. Noch während er den Atem zwischen seinen zusammengepressten Lippen einsog und sich neue Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten, kam die Zigeunerin um den Tisch herum und setzte sich mit einem verschrammten Erste-Hilfe Kasten auf den anderen Gästestuhl. Wie zuvor erschien sie wieder wie eine junge Frau, deren Gesicht von Sorgenfalten durchzogen wurde, als sie den Jungen zu ihren Füßen anblickte.
„Ok, dann erzähl was passiert ist, damit ich dir helfen kann.“ wandte sie sich an den Jungen, der mit großen Augen zu ihr aufsehen musste. Ihre schlanken Finger glitten über die Verschlüsse des Kastens und öffneten ihn geschickt, ihr Blick ruhte dabei erwartungsvoll auf Jeffrey, der schluckend zu erzählen begann.
„Ich… ich wollte heute einem Mädchen sagen, was ich für sie empfinde…“ begann er die gesamte, verkorkste Geschichte des Abends zu erzählen, schüttete der Fremden regelrecht sein Herz aus, er erzählte einfach alles. Sein Blick war in weite Ferne gerichtet, als er die Ereignisse des Abends erneut in seinen Erinnerungen durchlebte und sah so auch nicht das Zucken an den Mundwinkeln der Zigeunerin.
„… und dann bin ich in einer Lache aus Bier aufgewacht und zu deinem Zelt gekrabbelt. Mir tut immer noch alles weh… du weißt schon da unten und am Bauch.“
Chimera Re: - Zitat: (Original von HollywoodAkuma am 22.04.2012 - 17:29 Uhr) Und wieder eine wirklich sehr lebendig beschriebende Fortsetzung! Hoffe, dass es für den Jungen jetzt endlich mal bergauf geht! :) Liebe Grüße HollywoodAkuma Ich danke dir fürs lesen, kommentieren und bewerten :-) Das mit dem "bergauf gehen" kann ich aber nicht versprechen, ich möchte gar sagen, dass es meiner Intention zuwider läuft ;-) Aber Teil 4 ist in Arbeit und schon weiter fortgeschritten, d.h. in den nächsten Tagen wird er dann veröffentlicht^^ Liebe Grüße Chimera |
HollywoodAkuma Und wieder eine wirklich sehr lebendig beschriebende Fortsetzung! Hoffe, dass es für den Jungen jetzt endlich mal bergauf geht! :) Liebe Grüße HollywoodAkuma |
Chimera Re: - Zitat: (Original von Fianna am 14.04.2012 - 16:38 Uhr) Ich bin mal gespannt zu erfahren, was diese Wahrsagerin wirklich ist, da sie offensichtlich nicht nur die ist, die sie vorgibt zu sein. Liebe Grüße Fianna Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass sie eine "gute Fee" ist ;-) ? Ich danke dir für deine Zeit, zu lesen und zu kommentieren, Fianna. Liebe Grüße Chimera |