Mümmelinchen und Quatto
Direkt neben dem Bach, der sich fröhlich springend durch die grünen Wiesen schlängelt, wohnten Vater und Mutter Mümmelnase mit ihren neun Kindern. Für Menschenverhältnisse war es eine sehr große Familie, aber bei Hasenfamilien war und ist es das normalste von der ganzen Welt so viele Kinder zu haben.
So wie es sich für eine echte Hasenfamilie gehört, wohnten sie nicht in einem unterirdischen Bau mit vielen Gängen, sondern in einer flachen Bodenmulde, die von Gestrüpp und ein paar alten Rosenbüschen verdeckt war. Familie Mümmelnase lebte dort sehr sicher und niemals hätten sie gedacht, dass sie dort jemand suchen oder gar finden würde.
Die Mümmelnasen-Kinder hatten ein wunderschönes Leben. Am Tag spielten sie auf der Wiese fangen oder jagten Schmetterlinge und in der Nacht kuschelten sie sich dicht aneinander, damit auch keines von ihnen frieren musste.
Alles war in bester Ordnung und wäre es wohl auch immer geblieben, wenn nicht Vater Rotfuchs-Schleicher plötzlich die Idee gekommen wäre, seinen vier Kindern die Welt zu zeigen. Zu sechst machten sie sich auf den Weg und überlegten, ob nicht vielleicht sogar irgendwo ein Plätzchen als Sommerresidenz zu finden wäre. Sie kamen an Frühlingswiesen vorbei, die in löwenzahlgelb und kleeblattweiß leuchteten und an rosarot blühenden Apfelbäumen. Die kleinen Schleicher-Kinder entdeckten den Bach, der so lustig über die Kieselsteine sprang, zuerst.und weil der Bach es nicht nur den Hasenkindern, sonder auch Papa und Mama Mümmelnase angetan hatte, beschlossen sie einstimmtig: . „Hier bleiben wir, hier verbringen wir den Sommer!"
Die Eltern gruben am nahen Waldrand einen Fuchsbau aus und als am Abend die Sonne hinter den Hügeln verschwunden war, krochen die vier müden Fuchskinder eines nach dem anderen in den Bau und schlief eng an die Geschwister gekuschelt ein. Sie lagen so dicht, dass man kaum sehen konnte, ob wirklich vier kleine Füchschen dort schliefen. Sie sahen aus wie ein einziges rotbraunes Fellknäuel. Herr Rotfuchs-Schleicher beschloss gleich in der ersten Nacht eine Erkundungstour zu machen. Leise schlich er durch die Wiesen und dann hatte er Familie Mümmelnase entdeckt. Es gab einen Riesentumult und dann war es ganz still.
Mümmelinchen, das kleinste Häschen aus der Mümmelnasen-Familie hatte sich in letzter Sekunde in den alten, halb verfallenen Schuppen, der zwischen den Apfel- und Birnenbäumen stand, flüchten können. Wohin alle anderen aus der großen Mümmelnasenfamilie verschwunden waren, das wollte das kleine Häschen lieber nicht wissen.
In dem fast baufälligen Schuppen wohnte seit vielen Jahren die Kröte Quatto. Irgendwann hatten Mümmi und er sich am Bach kennengelernt und mit der Zeit war eine wunderbare Freundschaft daraus geworden. Natürlich wurde Mümmelinchen von allen ausgelacht, denn kein normales Hasenkind war jemals mit einer Kröte befreundet gewesen. Aber je mehr die anderen lachten, umso tiefer wurde diese ganz besondere Freundschaft.
***
In ihrer großen Traurigkeit, nun keine Familie mehr zu haben, rückt die kleine Mümmi so dicht an die kalte Kröte, dass es dieser ganz warm wurde. Nicht nur auf der kalten pockigen Haut, sondern auch im Herzen. „Weißt Du“ tröstet Quatto die Freundin, „Es ist so gut, dass wir wenigstens uns haben. Ich verspreche Dir, dass ich immer auf Dich aufpassen werde, damit Dir nie wieder etwas Trauriges passiert. “
Dicke Tränen, laufen aus den großen braunen Augen, des kleinen Häschens. Der Schmerz, die ganze Familie verloren zu haben ist so groß, dass es den Trost der Kröte nur zu gern annimmt. Mümmelinchen weiß ganz genau, dass auf Quatto immer Verlass ist. Einen besseren Freund kann sie sich gar nicht wünschen. Es gibt nichts, was der eine noch ohne den anderen macht. Mümmi und auch Quatto sind sich absolut sicher, dass sie zusammengehören und zwar für immer.
Dem kleinen Hasenmädchen ist nicht bewusst, dass sich die Kröte immer mehr und mehr in sie verliebt. Auch die tiefen Blicke nimmt das niedliche Häschen nicht wahr. Natürlich freut sich Mümmi über die knackigen Gänseblümchen und die saftigen Sumpfdotterblumen, die Quatto ihr als Geschenk mit in den alten Schuppen bringt, aber mehr als Dankbarkeit und Freude, empfindet Mümmelinchen nicht für den Freund.
Dem Frühling folgt ein heißer Sommer und nach einen stürmischen Herbst, als die Kröte und das Häschen schon dachten der alte Schuppen würde zusammenbrechen, zieht ein kalter Wind über das Land und trägt im Gepäck Schnee und Eis mit sich. Er lässt den Bach gefrieren, legt eine dicke Schneedecke über die Wiesen und setzt den letzten Äpfeln, die noch am Baum hängen, weiße Schneehauben auf. Es ist der strengste Winter seit Jahren und so bitterkalt dass Mümmelinchen und Quatto noch viel enger zusammenrutschen, als sie es im Herbst schon getan hatten.
In den langen Winterabenden erzählen sie sich immer wieder die alten Erinnerungs-Geschichten und manchmal sprechen sie sogar von dieser schrecklichen Nacht, in der die ganze Familie Mümmelnase verschwand. Mümmi spricht immer nur von *Verschwinden*, das hilft ihr nicht so traurig zu sein, denn hätte sie ausgesprochen was wirklich in dieser Nacht passiert war, dann hätte sie bittere Tränen geweint. Ja vielleicht sogar Eistränen, denn es war so kalt, dass selbst der Atem zu kleinen Eisperlen wurde.
Endlich kommt der neue Frühling und die Beiden können wieder über die Wiesen springen und am Bach in der Sonne liegen. Quatto gönnt sich ein Mittagsschläfchen und Mümmi freut sich an der bunten Wiese. Mal nascht sie an einem Gänseblümchen, dann an einem lila Veilchen, dann wieder an einem gelben Löwenzahn. Die Nase in die Wiese und die Blüten gesteckt, hoppelt sie weiter und entfernt sich immer mehr von dem Bach…
„Na, da hat sich wohl jemand verlaufen“ hört Mümmelinchen eine Stimme und als sie sich umschaut, steht ein stattlicher Hasenmann vor ihr. „Ja, das habe ich wohl. Ich war mit meinem Quatto am Bach und dann waren die Gräser und frischen Blumen so lecker, dass ich mich immer weiter vom Bach entfernt habe und in den Wald gekommen bin.“ „Ruh dich ein wenig aus, danach bringe ich dich zurück nach Hause. Denn wer so verträumt wie du durch die Gegend hoppelt, dass er die Wiese mit dem Wald verwechselt, der sollte auf keinen Fall allein gehen. Ach nun hätte ich doch fast vergessen mich vorzustellen . Mein Name ist Hopps Hasenohr aus der Familie der Feldhasen.“
Mümmi erzählt von ihrer früheren Familie und dass sie nur noch ihren Freund Quatto hat. Beide haben sich so viel zu erzählen, dass der Tag wie im Flug vergeht. Am späten Nachmittag bringt Hopps, Mümmi zurück an den Bach.
Quatto hatte sein Mümmelinchen schon überall gesucht. Als er die beiden so einträchtig nebeneinander hergehen sieht, bekommt er große Angst, seine geliebte Mümmi an diesen großen Hasen zu verlieren. Das Beste ist, denkt sich Quatto, wenn ich so tue, als würde ich diese Magie zwischen den Beiden nicht spüren. Vielleicht merkt ja Mümmelinchen nicht, dass genauso die Liebe aussieht.
Immer öfter kommt Hopps Hasenohr an den Bach und je öfter er dort erscheint, umso größere Schmerzen hat Mümmi im Herzen. An manchen Tagen ist es so schlimm, dass sie nur noch weint. Sie weiß einfach nicht was mit ihr los ist, noch nie in ihrem ganzen Hasenleben ging es ihr so schlecht. Sie war immer gesund und Herzschmerzen? nein, die hatte sie noch nie. Quatto versucht sie aufzumuntern, aber so recht will ihm das nicht gelingen, denn auch sein Herz ist ganz schwer. Im Gegensatz zu Mümmelinchen, weiß er natürlich, woher dieser Schmerz kommt. Es ist die Angst! Angst seine Mümmi an Hopps Hasenohr zu verlieren.
Doch auch Hopps Hasenohr bleibt nicht von Schmerzen verschont, viel zu oft denkt er an die kleine Hasendame. An manchen Tagen verbietet er sich sogar an den Bach zu gehen, dann bleibt er den ganzen Tag traurig in seinem Bau liegen und sucht nach den richtigen Worten. Irgendwann hat er sie gefunden, die richtigen Worte und gesteht Mümmelinchen endlich seine tiefen Gefühle. „Sag mir, sag mir bitte, was wir tun können“ klagt Mümmi und wackelt aufgeregt mit ihrer Nase „Ich kann doch Quatto nicht verlassen, er war und ist doch immer für mich da. Er hat mir so treu zur Seite gestanden als meine ganze Familie vom Fuchs geholt wurde, ich weiß nicht was ich ohne ihn gemacht hätte. Wir sind schon so lange zusammen, eine Ewigkeit und noch viel mehr, ich muss einfach bei ihm bleiben. Ich könnte es nicht ertragen, ihn traurig zu machen."
Mümmi schweigt und auch Quatto tut so, als wäre alles wie immer. Keiner wagt ein Wort zu sagen. Mümmelinchens und Hopps Hasenohrs Herzen werden immer schwerer und schwerer und irgendwann sind sie versteinert. Ihre unerfüllte Liebe hat zuerst ihre Herzen und dann auch ihre Körper zu Stein werden lassen.
Quatto liegt immer noch am liebsten auf dem dicken Stein, wärmt sich den Bauch und lässt die langen Beine im Bach baumeln. Wäre nicht irgendwann eine kleine fröhliche Laubfroschdame auf einem tellergroßen grünen Rhabarberblatt daher gesegelt gekommen und hätte sich in Quatto verliebt, dann wäre er wohl auch vor Kummer zu Stein geworden…. So aber lebt er mit seiner niedlichen Qacki, im Winter im alten Schuppen und im Sommer mitten im Bach auf dem großen Stein…..
© Ute AnneMarie Schuster.. 2011/2012