5 Kapitel
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Lea
Scheiße!
Mit einem lauten Knall landet der gesamte Inhalt meines frisch gekauften Nagellacks auf dem Boden.
Eine knallrote Pfütze breitet sich über die gesamten Badezimmerfließen aus. Ehe ich mich versehe, hat sich mein Bad in einen riesengroßen Mordschauplatz verwandelt und es sieht aus, als hätte ich eine Leiche in meiner Badewanne versteckt.
Scheiße, Scheiße, Scheiße Lea.
Schnell packe ich das gelbe Tuch, welches aus dem grünen Eimer unter dem Waschbecken herauslugt und versuche die Ausbreitung der Pfütze auf die wenigen noch weiß gebliebenen Stellen meines Badezimmerbodens zu verhindern.
Ich knie mich auf den Teppich und schrubbe und schrubbe und schrubbe, aber die Farbe will sich einfach nicht von den Fliesen lösen. Was mache ich jetzt nur?
Es ist 7 Uhr und Jack will bereits in einer Stunde hier sein. Wenn ich bis dahin die Flecken nicht aus dem Boden bekomme, habe ich ein Problem.
So wie das Bad nämlich jetzt aussieht, ruft es bestimmt keine angenehmen Erinnerungen in ihm hervor und deshalb will ich ihm dieses Bild nicht unbedingt vor Augen führen, wie sich sicherlich versteht. Scheiße.
Ich laufe in die Küche und krame in den Schränken nach etwas, dass die Flecken beseitigen könnte. Und tatsächlich werde ich fündig:
ein altes Fleckenmittel. Jetzt muss es nur noch helfen. Ich sprühe das weiße Zeug auf den roten Fleck und starre den Boden an. Komm schon.. Erst nach einigen Minuten beginnt sich die rote Farbe langsam von den Fließen zu lösen. Erleichtert werfe ich den Teppich über die nun nur noch leicht rosa gefärbte Stelle und schmeiße den nun rot verfärbten Lappen in die blaue Wäschetrommel.
Als ich erneut auf meinen Wecker schaue, stelle ich fest, dass ich nur noch eine halbe Stunde habe, bis Jack eintrifft. Wie schnell die Zeit doch vergangen ist.
In Windeseile hole ich mir meinen Ersatznagellack aus dem Schrank und lackiere mir die Nägel meiner rechten Hand zu Ende. Ich schwenke den Föhn kurz über sie, damit sie durch die warme Luft schneller trocknen und puste dann noch mal über jeden einzelnen um sicherzugehen, dass auch alles wirklich getrocknet ist.
Danach schlüpfe ich in meinen schwarzen Spitzen- BH, der bis dahin über der Badewanne hing. Meine noch nassen Haare föhne ich kurz an, sodass sie sich leicht wellen und befestige sie dann mit etwas Haarspray von Wella.
Auf meine Lippen trage ich roten Lippenstift auf , nicht zu knallig- aber auch nicht zu dezent- und meine langen Wimpern hebe ich mit etwas Wimperntusche hervor. Dann streife ich mir noch mein schwarzes Kleid über und ziehe meine schwarzen Absatzschuhe an. Fertig! Ein erneuter Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch einen Moment habe und so beschließe ich das Endresultat zu betrachten.
Ich trete vor den 2 Meter großen Badezimmerspiegel, den mir mein Vater vor eineinhalb Jahren an der Wand befestigt hat, und blicke auf mein Spiegelbild. Obwohl mir mein Äußeres gefällt und ich ausnahmsweise mal nicht so viel an mir herumzunörgeln habe , macht sich sofort ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend breit und die verdrängten Gedanken beginnen in meinem Kopf umherzuspuken.
Wieso mache ich das überhaupt? Was hat das für einen Sinn?
Ich bin seine Psychologin und mehr nicht. Auch wenn ich mir noch so sehr wünsche, dass er mich nur einmal so ansieht wie Anna, weiß ich, dass diese Vorstellung nicht sehr realistisch ist.
Er liebt Anna und wird dies auch immer tun.
Wer bin ich schon, dass ich mir einbilden könnte, dass Jack, der seine geliebte Frau verloren hat, mit mir ein neues Leben anfangen wollen würde? Ich bin doch nur Lea, seine gute Freundin und seine Psychologin. Ich bin die, die ihm zuhört und hilft und der er sich anvertraut. Das sieht er in mir - seine Vertraute und nicht etwa seine Geliebte. Also wieso verhalte ich mich dann nicht auch so? Ich kenne die Antwort nur zu gut. Jack ist für mich schon lange nicht mehr nur guter Freund oder Patient. Schon seit unserer ersten Sitzung nicht mehr. Unsere Gespräche waren so echt, so vertraut, so anders wie alle Gespräche, die ich bis jetzt mit Patienten von mir geführt hatte.
Wir waren auf einer Wellenlänge, verstanden uns einfach von Anfang an.
Oder war ich etwa zu nachlässig geworden? Hatte ich mir nur eingebildet ihn verstehen zu wollen? Unsere berufliche Beziehung zu einer privaten gemacht?
Ich starre mein geschminktes Spiegelbild an und fühle mich auf einmal so gar nicht mehr hübsch, sogar ganz fehl am Platz und overdressed.Â
Ich beschließe mich noch mal umzuziehen, bevor Jack kommt, doch dann ist es schon zu spät.
Gerade will ich den Reißverschluss meines Kleides öffnen, als es klingelt.
Mist, das ist Jack.
Scheiße.
Jack
Ich stehe vor Leas blauer Haustür. In meiner linken Hand halte ich einen Strauß Lilien, den ich vor einer halben Stunde noch schnell im Blumenladen nebenan besorgt habe. Die Verkäuferin war so nett gewesen und hatte mir die Blumen sogar noch in einem schönen blauen Kräuselpapier eingepackt.
Nachdem ich geklingelt habe, vernehme ich von innen ein lautes Geräusch und mit einem Blick nach rechts stelle ich fest, dass das Licht im Badezimmer brennt. Ich lächele.
Auch die Nachbarin scheint das Poltern mitbekommen zu haben, da diese mich nun von ihrer Haustür aus mustert. So ein neugieriges Weib, diese alte Dame. Ich schüttele meinen Kopf. Nur gut, dass ich meinen Smoking angezogen habe und wenigstens etwas dem “heißen” Männerbesuch entspreche, den Lea sich gewünscht hat.
Es dauert nicht lange bis ich Schritte höre, die sich langsam der Tür nähern. Ich zupfe schnell noch einmal meine Krawatte zurecht als schon die blaue Haustür von innen aufgerissen wird. Was ich sehe raubt mir den Atem. Lea steht vor mir. Sie trägt ein kurzes Seidenkleid, was ihre weiblichen Kurven zum Vorschein bringt und ihre schlanken Beine offenlegt. Ihre Haare sind leicht gewellt und der von ihr aufgetragene Lippenstift umschmeichelt die Form ihrer Lippen. Noch nie habe ich Lea so weiblich und wunderschön gesehen. Vor Erstaunen muss ich meinen Mund leicht geöffnet haben, da sie plötzlich anfängt nervös zu kichern und leicht zu erröten.
“Hei Jack, schön dass du gekommen bist! Schick siehst du aus!”, begrüßt sie mich.
“Hei Lea! Wow…”, ist alles was ich herausbringe. Sie kichert erneut: “ Du Charmeur… Komm erst mal rein!“
Ich folge ihr in die Wohnung und bin immer noch ein wenig neben der Spur. Lea zeigt mir, wo ich meine Schuhe abstellen kann und verschwindet dann schnurstracks in die Küche.
Als ich wenig später in die Küche komme, wartet sie bereits mit einem Glas Sekt auf mich.
“Freut mich, dass du gekommen bist. Auf einen schönen Abend, Maestro!”, sie trägt ein breites Grinsen im Gesicht.
“Auf einen schönen Abend und hoffentlich haben sie Hunger Seniorita, denn Maestro Jack hat für sie etwas ganz besonderes vorbereitet.”
Ich versuche einen italienischen Akzent nachzuahmen, was mir aber kläglich misslingt. Sie lacht.
“Das will ich hoffen, Jack, ich habe nämlich einen Bärenhunger.”
Ihr Magen knurrt. “Siehst du!”
“ Also, wenn das so ist, dann fange ich gleich an! Am Besten sie machen es sich schon mal im Wohnzimmer gemütlich. Der Maestro braucht nämlich Ruhe bei der Arbeit! Silenzio…”
Ich stimme in ihr Lachen mit ein: “ Also hopp, ab mit dir! Schließlich will ich dich ja überraschen!”
Sie schaut mich mit hervor geschobener Unterlippe an, erhebt sich dann aber trotzig und zieht sich ins Wohnzimmer zurück.
Der Mann in mir kommt durch und ich erwische mich, als ich ihr beim Hinausgehen auf den Hintern starre.
Mir wird klar, dass ich seit Annas Tod nicht nur meine alltäglichen sondern auch meine sexuellen Bedürfnisse nicht mehr befriedigt habe.
Ich hatte mir einen Abend versucht einen Erotikfilm anzusehen, doch irgendwie kam ich mir dabei vor als würde ich Anna verraten.
Jetzt handelte es sich nicht mal um fiktive Personen. Was war das dann also? Betrügen?
Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken, denn ich muss mit der Essenszubereitung anfangen.
Auf der Speisekarte des heutigen Abends stehen Gnocchi al Forno mit Gorgonzolakäse und Thymian.
Ich schneide gerade den Thymian als ich mich dabei ertappe wie ich wieder an Lea denken muss. Ich verspüre den Drang ihr durch die welligen Haare zu fahren und ihre sanften Wangen zu berühren.
Ich schüttele mich um mich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren.
Das Thymian brate ich kurz mit Butter in der Pfanne an und schütte es dann zu den bereits in einem Topf brodelnden Gnocchi. Nun gieße ich das Wasser ab, sodass der Thymian an den Gnocchi haften bleibt und gebe das Hackfleisch und den Käse dazu. Da das ganze noch etwa eine halbe Stunde vor sich hinköcheln muss, beschließe ich mal kurz im Wohnzimmer bei Lea vorbeizuschauen.
“ Na du! “
Sie sitzt auf der Couch und blättert in einem Fotoalbum. Ich setze mich neben sie und werfe einen Blick darauf. Mein Blick fällt auf ein Foto von Lea und mir. Ich kann mich an das Bild zunächst gar nicht erinnern, doch dann fällt mir der Moment wieder genau ein.
Es war mein Geburtstag und der Tod meiner Frau war erst 4 Monate her.
Ich lag den ganzen Tag auf dem Sofa und schaute Fernsehen, meinen Eltern hatte ich gesagt, dass mir nicht nach Feiern zumute war, als es plötzlich an der Tür klingelte. Ich legte das Quillt zur Seite und stampfte in Richtung Tür und als ich die Tür dann öffnete, stand Lea mit einem Muffin in dem sich eine Wunderkerze befand vor der Tür und sang lautstark Happy Birthday.
Eigentlich hätte ich am Liebsten die Tür wieder zugeschmissen und mich wieder auf die Couch verkrochen. Da ich aber wusste, dass Lea nicht locker lassen würde, bat ich sie herein.
“ Was willst du hier Lea?”, fragte ich sie in leicht genervtem Ton.
“ Was ich hier will? Den Geburtstag eines Freundes feiern, der sich wahrscheinlich sonst den ganzen Tag voller Kummer auf der Couch verbringen würde, das will ich!”
Ich seufzte. Ich wusste, dass sie Recht hatte und beschloss deshalb so zu tun, als würde ich mich freuen, damit sie schnellst möglich wieder gehen würde.
Wir saßen am Küchentisch und tranken wie üblich Kaffee und aßen Kuchen.
Mit einem Mal stand Lea auf und begann in meinen Schubladen zu kramen. Als ich sie gerade fragen wollte, was sie suche, murmelte sie, dass sie doch gewusst habe, dass es hier sei.
Sie kam wieder und überreichte mir den Schokomuffin in dessen Mitte nun die Wunderkerze brannte.
“Jetzt musst du ihn dir anschauen und dir was wünschen! Aber warte.. Wir müssen das auf Kamera festhalten!”
Ich kam mir zwar vor wie bei einem Kindergeburtstag aber dennoch amüsierte mich das Ganze. Sie stellte die Kamera auf den Tisch und betätigte den Selbstauslöser.
“ 1.. 2.. 3.. Cheeeeeeseee!!”
Klick. Mit einem Mal kehre ich aus den Erinnerungen wieder in die Gegenwart zurück.
Lea führt gerade ein intensives Gespräch mit mir über ihre Fingernägel, sie scheint also nicht bemerkt zu haben, dass ich ihr eigentlich gar nicht zugehört habe.
“Und diese rote Farbe.. Einfach schrecklich.. Kurz bevor du gekommen bist ist mir der halbe Nagellack dann auch noch auf den Boden gefallen.. So eine Sauerei, das sage ich dir..” Ich lehne mich zurück und lausche dem Klang ihrer Stimme.
Lea
Irgendwie verhält er sich komisch. Ich weiß auch nicht, wie ich es erklären soll, aber irgendetwas ist anders an ihm.
Schon als ich die Tür geöffnet habe, hat er mich so komisch angestarrt. Kann es sein ,dass ich ihm gefallen habe oder mache ich mir wieder zu viel Hoffnungen?
Auch während ich ihm von meinem Nagellackmissgeschick erzählt habe, wirkte es als wäre er nicht anwesend, irgendwie mit etwas anderem beschäftigt.
Ich traue mich nicht ihn zu fragen, was mit ihm los ist, da ich Angst habe den schönen Abend zu versauen, also halte ich mich lieber zurück.
“ Ich gehe dann mal wieder nach den Gnocchis schauen, okay?”
Er steht auf und geht zurück in die Küche.
Der Duft des leckeren Essens schwappt zu mir herüber und mein Magen beginnt erneut zu rumoren. Man habe ich einen Hunger.
Es dauert nicht lange bis Jack mit zwei toll dekorierten Tellern ins Wohnzimmer kommt und diese mit der Geste eines Kellners vor mir abstellt.
“ Ich darf servieren: Gnocchi al Forno alla Maestro Jack. Ein wahrhaftiger Gaumenschmaus ”
“ Da bin ich ja mal gespannt, ob MAESTRO Jack auch wirklich so gutes Essen zaubern kann wie er es verspricht!!”
Ich hole zwei Gläser Wein und dann stoßen wir auf den schönen Abend an.
Ich probiere den ersten Löffel Nudeln und bin begeistert. Mmh ist das lecker.
Ich muss das “MMMH” etwas lauter gesagt haben, da Jack zufrieden lacht.
“ Ich höre es schmeckt dir. Das freut mich!”
“ Auch wenn Eigenlob stinkt, hast du Recht. Es schmeckt wirklich super Jack. Wenn sie dich nach dem Probekochen nicht nehmen, dann geht ihnen ein großes Talent verloren!”
Ich nippe an meinem Weinglas und stelle fest, dass ich den stärksten Wein aus dem Schrank gegriffen habe.
Der Abend vergeht wie im Flug. Wir essen, trinken und trinken.
So langsam merke ich wie der Alkoholpegel in meinem Blut immer mehr steigt. Ich bin richtig beschwipst und Jack scheint es ähnlich zu ergehen. Mit einem Blick auf den Tisch stelle ich fest, dass nicht nur eine leere Weinflasche, sondern auch zwei leere Bier und eine leere Flasche Vodka vor uns stehen.
Jack und ich beschließen,leicht lallend, das Geschirr abzuräumen und zu spülen. Ich muss mich wirklich konzentrieren, dass ich die Teller nicht fallen lasse, so schwummrig ist mir.
In der Küche angekommen, lasse ich das Wasser ein und als Jack einen Spritzer Spüli dazugeben will, fällt der Deckel ab und das ganze Spülmittel landet im Waschbecken.
Folglich beginnt das Wasser immer mehr zu schäumen, bis es irgendwann voll von Schaum überläuft.
Jack tunkt seine Hand in das Waschbecken und ich verstehe schnell was er vorhat.
“Wag disch Schäck..lasss dass..!” Doch es ist schon zu spät. Mit einem riesigen Aufschrei meinerseits beginnt Jack mich mit Schaum zu bewerfen und mir den Schaum in die Haare zu schmieren.
“ Warte dass kriegsss du zurück…!” Ich hole aus und… treffe.
Wir albern herum und lachen lauthals. Die Küche sieht schon bald aus wie ein Schlachtfeld .
Jack nimmt den letzten Ballen Schaum aus dem Waschbecken und rennt mit einem Angriffsgebrüll hinter mir her. Ich versuche in das Wohnzimmer zu flüchten, als er sich plötzlich auf mich stürzt und ich rücklings auf die Couch falle.
Jack schmiert mir den Schaum in das Gesicht und auf meine Wangen. Plötzlich hält er inne und schaut mir tief in die Augen. Ich kichere, immer noch ziemlich angeschwipst, als Jack mich von einer auf die andere Sekunde küsst.
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