Romane & Erzählungen
Die Vergangenheit holt dich immer wieder ein 2

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"Die Vergangenheit holt dich immer wieder ein 2"
Veröffentlicht am 31. März 2012, 26 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Die Vergangenheit holt dich immer wieder ein 2

Die Vergangenheit holt dich immer wieder ein 2

Beschreibung

Hier das zweite Kapitel meines Romans :) Hoffe es gefällt euch genauso gut wie das erste Kapitel :)

Kapitel 2- Jack

 

Das Ganze ist nun ungefähr 12 Jahre her und vor genau 3 Jahren habe ich sie verloren. Langsam gehe ich durch die Wiese, die zu dem an unseren Ort angrenzenden Wald führt.
Ich spüre das Gras unter meinen Füßen. Es ist noch sehr früh und man sieht den Tau, der auf den Blättern und Grashalmen wie ein Kristall in der Sonne funkelt.
Ich bleibe kurz stehen. Die Welt um mich herum scheint still zu stehen. So früh am Morgen sind noch keine Menschen auf den Straßen zu sehen, kein fröhliches Kindergelächter und keine Motorgeräusche von den Straßen zu hören.
Ich schließe die Augen und nehme den frischen Duft des Grases in mir auf.
Es riecht nach Sommer und ich sehe Kinder vor mir, die auf der Straße toben. Wie gerne wünsche ich mir in diesem Moment, dass auch sie es riechen könnte, dass diese Kinder in meiner Vorstellung unsere Kinder wären.
Nachdem ich eine Zeit verweile, hebe ich den Blumenstrauß aus roten Rosen, das waren ihre Lieblingsblumen, auf und gehe schweren Herzens weiter.
Die Sonne strahlt auf meinen Rücken und ich spüre die Hitze, die durch mein Hemd an meine Haut dringt.
So eine Wärme habe ich lange nicht mehr gespürt. Das letzte Mal um genau zu sein, an dem Morgen bevor sie für immer ging.
Meine Füße fühlen sich an, als wären sie aus Blei und das Laufen fällt mir von Schritt zu Schritt schwerer. Ein paar Mal überlege ich wieder kehrt zu machen und einfach aufzugeben. Doch dann denke ich an Leas Worte und zwinge mich ein paar Schritte nach vorn zu gehen.
Als ich am Waldrand angekommen bin ist das Verlangen einfach wieder umzudrehen am Größten.
Selbst wenn es schon 3 Jahre her ist, hängen mit diesem Ort zu viele Erinnerungen, zu viel Schmerz zusammen.
Doch dieses Mal ist mein Mut und mein Wille stärker wie das Grauen in mir und ich gehe weiter. Nach 3 Jahren ist dies das erste Mal, dass ich meiner großen Liebe Anna ein Stück näher sein werde.
Mit jedem Schritt steigt die Erinnerung in meinem Innern, schreckliche Bilder verfolgen mich und ich muss immer wieder mit mir kämpfen um weitergehen zu können.
In meinem Kopf höre ich die Stimme meiner Psychologin Lea, die mir sagt, dass ich mich der Vergangenheit stellen soll. Doch was, wenn die Vergangenheit mich einholt, mich überrumpelt? Was mache ich dann?
Die Vögel, so wie es mir vorkommt, zwitschern mit jedem Schritt weiter in Richtung Wald lauter und lauter. Mein Atem wird schwerer. Ganz langsam hebt sich mein Brustkorb auf und ab. Ich hole das Asthma-Spray aus meiner Hosentasche und nehme einen großen Zug. Auch wenn ich jetzt etwas leichter atmen kann, fühlt sich mein restlicher Körper immer noch schwer wie Blei und steif an.
Mein Gefühl sagt mir, dass ich nicht aufgeben darf, also nehme ich meinen letzten Mut zusammen und setze einen Fuß vor den anderen.Mein Körper bebt. Ich weiß, dass ich fast da bin.
Dann erblicke ich sie. Schon von Weitem erkenne ich sie - die Waldlichtung an der meine geliebte Frau dem Tod ins Auge blicken musste, nachdem sie vergewaltigt und brutal ermordet wurde.
Es war ein ganz normaler Sommermorgen gewesen. Ich saß an unserem Küchentisch und las gerade Zeitung. Schon wieder ein Banküberfall im Nachbarsdorf. Erst letzte Woche hatte es zwei solcher Überfälle gegeben.
” Schatz, ich gehe mit dem Fahrrad Brötchen holen und bin in spätestens einer halben Stunde wieder da. Du bleibst schön hier und wartest auf mich ja?”, rief sie mir zu, küsste mich auf die Stirn und verschwand mit einem Lächeln zur Tür hinaus.
Wenn ich mir heute überlege, dass dieser Tag der letzte Tag war an dem ich sie lebend gesehen habe, wünsche ich mir nichts sehnlicher als dass ich sie noch einmal in den Arm nehmen und mich von ihr verabschieden könnte. Sie war so liebenswert, so einzigartig.
Dieser letzte Moment mit ihr, der von so kurzer Dauer war, hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt und begegnet mir seither in meinen Träumen.
Ich erinnere mich noch an alles, sogar an das Geräusch von den Reifen ihres Fahrrades. Sie waren ein wenig abgenutzt und hatten deshalb einen leicht metallenen Klang… Manchmal, wenn ich einkaufen bin oder einen Spaziergang mache und ein ähnliches Geräusch höre, drehe ich mich um und denke sie kommt mir gleich entgegen gefahren, bis ich dann zu meiner Enttäuschung feststellen muss, dass es nur eine alte Oma ist, die mir mit ihrem Klappergestell von Fahrrad entgegenkommt.
Nachdem also schätzungsweise eine Stunde vergangen war und ich das Zeitungslesen beendet hatte, schaute ich auf die hölzerne Kuckucksuhr, die an unserer blauen Küchenwand hing. 12 Uhr. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Da ich meine Frau nur allzu gut kannte, wusste ich, dass sie sich des Öfteren verspätete, wenn sie zufällig eine Freundin auf der Straße getroffen hatte und in ein Gespräch vertieft die Zeit vergaß. Manchmal sogar um mehrere Stunden. Böse war ich ihr deswegen nie, denn ich liebte sie so wie sie war mit jeder ihrer Eigenarten.
Doch an diesem Tag war alles anders, denn sie traf keine Freundin auf der Straße und kam auch nicht wegen etwas anderem zu spät.
Nein, denn sie traf ihren Mörder.
Um Zwei Uhr also ungefähr 3 Stunden nachdem sie aus der Tür herausgerauscht war, fing ich an mir ernsthafte Sorgen zu machen.
So eine Verspätung war selbst für Anna ungewöhnlich. Zwei Stunden- okay, ungewöhnlich aber gut, aber drei Stunden?
Ich klingelte sie auf ihrem Handy an, doch als auch nach mehreren Anrufen immer noch die Mailbox antwortete, kam mir das alles doch recht merkwürdig vor und ich beschloss das Auto zu nehmen und sie zu suchen.
Zuerst bog ich in die Forrestavenue zu unserem Bäcker ein, der sich direkt vor dem Wald befand- daher auch der Name der Straße. Als ich den Asphalt unter meinen Füßen sah und nicht wie erwartet Annas Fahrrad erblickte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Meine letzte Hoffnung, dass Anna vielleicht auf eine Tasse Kaffe mit zu einer Bekannten gegangen war, wurde bereits wenige Augenblicke später zerstört. Im Gespräch mit dem Bäcker erfuhr ich, dass Anna nie dort angekommen war. Ich bedankte mich und stieg wieder ins Auto ein.
Ich griff mir an die Stirn und merkte, dass ich schwitzte. Was war nur passiert? War ihr etwas zugestoßen? Hatte sie sich abgesetzt und mich verlassen? Den letzten Gedanken verwarf ich schnell, denn so etwas, so wusste ich, würde meine Anna nicht einmal in Betracht ziehen. Ich atmetet tief ein und legte den ersten Gang ein um weiterzufahren. Wenn es sein musste, würde ich die ganze Stadt nach ihr absuchen.
Nachdem ich alle öffentlichen Plätze, also Einkaufsmärkte, Fitnessstudios, Schwimmbäder und ähnliche Einrichtungen abgesucht und immer noch keine Spur auf ihren Aufenthaltsort gefunden hatte, traf ich die Entscheidung im weiteren Verlauf des Tages bei Nachbarn und Bekannten zu fragen und nach ihr zu suchen. Ich klingelte Straße für Straße, rief alle unsere Freunde an,  doch niemand wusste wo Anna war, geschweige denn hatte sie gesehen. Langsam stieg Panik in mir hoch. Wo in Gottes Namen war meine Frau?
Ich probierte es noch mehrmals auf ihrem Handy, doch immer wieder ging die Mailbox dran. Was war nur los?
Um neun Uhr abends brach dann die Nacht an. Ich war schon mehrere Stunden mit dem Auto unterwegs und Freunde hatten den ganzen Tag über geholfen Anna zu finden, aber nirgends war eine Spur von ihr. Ich bedankte mich bei unseren Freunden und bat sie nachhause zu ihren Familien zu gehen und mich alleine suchen zu lassen. Ich wollte nicht aufgeben. Gerade als ich in die Fallstreet einbog, wurde mir schwarz vor Augen und ich klappte auf offener Straße zusammen. Ich hatte einen Kreislaufzusammenbruch.
Frau Duke, bei der ich als Kind oft gespielt hatte, sah mich durch ihr Fenster und rief sofort um Hilfe. Eine Truppe von Männern trug mich die Treppe hinauf zu ihrer Wohnung, während Frau Duke den Arzt anrief. Sie legten mich auf die Couch und nachdem der Arzt mich untersucht und ich von dem Verschwinden meiner Frau berichtet hatte, entschied Frau Duke, dass ich sofort zur Polizei gehen sollte. Da ich noch etwas wackelig auf den Beinen und Frau Duke bereits in hohem Alter war, begleitete mich ihr Untermieter John auf das Präsidium. Mir war ganz mulmig zu Mute, als ich durch die blaue Tür trat und mich eine junge Polizistin mit einem : „Was kann ich für sie tun?“ ansprach. Nachdem ich ihr die Kurzversion der Geschehnisse geschildert hatte, führte sie mich in das weiträumige, dunkelblau gestaltete Büro ihres Vorgesetzten. Ich erzählte dem Kommissar, dass Anna schon fast einen Tag verschwunden war. Da wir schon öfter aufgrund meiner Tätigkeit in einer forensischen Klinik zusammengearbeitet hatten, kannte er meine Frau und wusste wie sie aussah, so dass ich mir die genauere Personenbeschreibung zunächst einmal sparen konnte.
„Ich werde sie finden“, versprach er und redete mir Mut zu:
„Mach dir keine Sorgen Jack, wahrscheinlich brauchte sie einfach etwas Abstand.“
„Aber warum? Wir haben uns nicht gestritten. Gar nichts. Es war ein ganz normaler Morgen.“
„Vielleicht gerade deswegen, Jack. Manchmal braucht man einfach etwas Abstand von der Normalität. Aber wie schon gesagt, ich versuche alles, um sie zu finden. Versprochen.“
Und sein Versprechen hielt er. Er fand sie wirklich. 
Nach dem Gespräch mit dem Kommissar überlegte ich, ob ich auch alles in meiner Macht stehende getan hatte, um Anna zu finden. In diesem Moment klingelte mein Handy. Konnte das Anna sein, die sich endlich bei mir meldete?
„Halloooo?“
„Hallo Jack. Ist alles gut verlaufen?“
Zu meiner Enttäuschung war es Frau Duke, welche nicht wollte, dass ich alleine in meine Wohnung zurückkehrte. Sie bot mir an die Nacht über wie früher bei ihr auf der Couch zu schlafen und ich nahm das Angebot dankend an. In unsere Wohnung wollte ich jetzt wirklich nicht und meine Eltern rief ich lieber nicht an, da ich nicht wollte, dass sie sich unnötig Sorgen um mich machten.
Bei Frau Duke angekommen, kümmerte diese sich rührend um mich und so hatte sie ihre Couch liebevoll zu einem Schlafplatz umgebaut und mir ein Glas Orangensaft und ein paar Kekse auf den Couchtisch gestellt.
Ich bedankte mich herzlich bei ihr und als ich ihr sagte, dass ich mich etwas ausruhen wolle, zog sie sich in ihr Schlafzimmer zurück und ließ mich allein. Ich legte mich auf das Sofa und schloss meine Augen.
Es war eine grausame Nacht. Tausende von Alpträumen versetzten mich in einen stetigen Angstzustand.
Ich sah Annas Lächeln vor meinen Augen, doch plötzlich veränderte sich ihr Gesichtausdruck und es schien, als würde sie vor Schmerzen schreien.
Dann kam ich auf einen Friedhof. Ich schlängelte mich zwischen den grauen Gräbern hindurch und fühlte die Dunkelheit und Trauer, die von ihnen ausging. Es war richtig gruselig.
Irgendwann blieb ich stehen und konnte nicht glauben, was da vor mir stand.
Ein weißer Grabstein mit goldverzierter Gravur. Doch nicht ein Name, sondern der meiner Frau war dort eingemeißelt.
Mit einem Schrei wurde ich aus meinem Schlaf gerissen. Meine Stirn war schweißnass gebadet und ich schnaufte tief. Mein ganzer Körper zitterte. Konnte das die Wirklichkeit sein? War meine Frau tot? Oder war ihr etwas anderes zugestoßen? Ich wusste es nicht.
Doch das was ich wusste war, dass ich ohne Anna nicht weiterleben wollen würde. Frau Duke hatte meinen Aufschrei gehört und setzte sich zu mir.
“Alles in Ordnung?” fragte sie und hielt mir ein Glas Wasser hin, während sie mir tief in die Augen sah.
„Ich .. Ich hatte nur einen Alptraum“, stotterte ich. Sie beäugelte mich kurz und stand dann auf um mir ein Handtuch zu holen,mit dem ich meinen schweißgebadeten Körper abtrocknen konnte.
Daraufhin hörte sie sich meinen Alptraum an und sprach mir tröstende Worte zu, doch das alles half mir nicht wirklich. Ich war am Boden zerstört und machte die Nacht kein Auge mehr zu. Ständig schwirrte das Bild von dem weißen Grabstein in meinem Kopf umher.
Da die nächsten Tage immer noch keine Neuigkeiten in Sicht waren und es mir mit der Zeit und mit der liebevollen Zuwendung von Frau Duke von Tag zu Tag etwas besser ging, machte ich mich auf den Weg nach Hause.
Noch länger konnte ich nicht Gebrauch von der Gastfreundschaft der alten Dame machen. Sie hatte sowieso schon viel zu viel für mich getan.
Ich hatte nämlich das ganze Wochenende bei der netten alten Dame verbracht, da die Polizei in unserem Haus nach Hinweisen suchte und ich mich nicht im Stande fühlte, das leere Haus zu betreten.
Als ich nun vor unserem Haus parkte wurde mir mulmig zu Mute.
So wie es da stand, erschien es ruhig und idyllisch. Wie ein normales Haus, in dem eine glückliche Familie wohnte.
An der grauen Haustür angekommen, erinnerte ich mich daran, wie Anna mit mir in dem Geschäft vor ihr gestanden und voller Freude gesagt hatte:
“Das ist sie. Diese Tür soll der Weg zu unserer Wohnung, zu unserm gemeinsamen Leben sein!”
Wie sie vor Freude herumgehüpft war und wie ihr Lächeln strahlte. Ich liebte es. Ich liebte Sie.
Als ich den Schlüssel im Schloss herumdrehte, hoffte ich fast, dass Anna gleich angehüpft kommen und mich mit ihrem strahlenden Lächeln in Empfang nehmen würde, wie sie es sonst immer tat, wenn ich von einem stressigen Arbeitstag aus der Forensischen Klinik nach Hause kam.
Doch dem war nicht so. Keine Anna, keine Umarmung- lediglich eine leere Wohnung. Diese Leere ließ mir die Haare zu Berge stehen. Mit langsamen Schritten betrat ich die Wohnung und sah schon von Weitem, dass der Anrufbeantworter voller Nachrichten rot aufleuchtete. In der naiven Hoffnung, dass Neuigkeiten von Anna darauf waren, horchte ich ihn sofort ab.
Zu meiner Enttäuschung waren es also nur besorgte Freunde oder meine Eltern, die verzweifelt eine Nachricht hinterlassen hatten:
“ Kindchen, ist alles in Ordnung bei dir? Wir haben die Plakate gesehen. Wieso hast du dich denn nicht gemeldet? Wir wissen wie es dir geht und wir sind immer für dich da mein Schatz. Wenn du Jemanden zum Reden brauchst, dann ruf an. Wir lieben Dich! “
Wir wissen wie es dir geht? Nein, das konnte keiner verstehen. Allein der Heimweg auf dem mir immer wieder Plakate meiner Frau entgegenstarrten, war die Hölle gewesen. Es grenzte nahezu an ein Wunder, dass ich keinen Unfall gebaut hatte, so aufgewühlt, wie ich durch den Anblick der Plakate gewesen war. Die Gefühle, die ich zurzeit hegte, konnte keiner verstehen. Mein Blick schweifte zu der Uhr in unserem Flur. Es war drei Uhr mittags.
Es war drei Uhr mittags und ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich ging in die Küche um mir etwas zu essen zu machen, doch kaum sah ich den Good-Morning Klebesticker, den sie an unseren Schrank geklebt hatte, musste ich wieder weinen. Egal, was ich auch anfasste, alles war mit einer Erinnerung an sie verbunden.
Da ich ein paar Tage nicht zu Hause gewesen war, ließ sich zudem auch nichts Essbares mehr in unserem Kühlschrank auffinden. 
Glücklicherweise hatte mir Frau Duke noch ein paar Pfannkuchen in eine Tüte gepackt, die ich mir warm machte, um überhaupt etwas in den Magen zu bekommen.
Es fiel mir zwar schwer das Essen hinunterzubekommen, doch ich merkte auch, dass  es  mir gut tat, da ich kurz vorm Verhungern gewesen war.
Ich räumte das Geschirr in die Spülmaschine und griff dann nach dem Hörer um meinen Eltern mitzuteilen, dass ich wieder zuhause war und um ihnen zu sagen, dass sie sich keine Sorgen machen sollten.
Wie erwartet glaubte mir meine Mutter nicht, dass alles in Ordnung war und schlug völlig in Sorge vor sofort vorbeizukommen und nach mir zu sehen.
Ich redete auf sie ein und so gelang es mir sie für das Erste abzuwimmeln und ihr klar zu machen, dass ich jetzt alleine sein wollte. Ich legte den Hörer auf und setzte mich auf unsere Terrasse. Dort saß ich bis die Sonne unterging und dachte die ganze Zeit über Annas Verschwinden nach.
Mit dem Anbruch des Abends beschloss ich etwas anderes zu tun als weinend umherzusitzen und mir Sorgen zu machen. Da ich bei einem Spaziergang durch Vermissten-Plakate nur stets an das Verschwinden meines Lebensinhaltes erinnert werden würde,
setzte ich mich stattdessen in unser hellgrünes Wohnzimmer und holte das Fotoalbum unserer Hochzeit, dem schönsten Tag meines Lebens, aus dem alten und staubigen Schrank. Wenn ich schon mit ihrem Verschwinden konfrontiert werden musste, dann lieber beim Anblick des schönsten Tages meines Lebens. Der Schrank, aus dem ich das Album holte, war bestimmt schon 100 Jahre alt. Auch das war wieder typisch für Anna. Sie hatte einen Tick für alte Möbel und Gegenstände gehabt. Ich öffnete die erste Seite und mir lächelte eine wunderhübsche Frau entgegen. Ihre braunen schulterlangen Haare umspielten ihr Lächeln. Wie schön es doch war. Genauso besonders wie sie.
Anna und ich hatten schon sehr früh geheiratet. Mit 19 Jahren um genau zu sein. Wir waren mit 17 Jahren auf einer Klassenfahrt zusammengekommen und von da an keinen Tag getrennt gewesen. Fast jede Nacht schlich ich mich aus unserer Wohnung und kletterte über das Dach ihrer Gartenlaube zu ihrem Fenster herein. Dann schliefen wir eng aneinander gekuschelt ein und am nächsten Morgen schlich ich mich heimlich wieder aus dem Fenster heraus.
Das Problem war nämlich, dass ihre Eltern zunächst nicht viel von mir hielten.
Kein Wunder nach alldem was ich ihrer Tochter vorher angetan hatte.
Umso glücklicher war ich gewesen, als sie auf unserer Hochzeit erschienen und mich somit als ihren Schwiegersohn akzeptierten.
Nachdem ich weitere Fotoalben aus dem Schrank gezogen, durchgeblättert und mich an unsere schöne gemeinsame Zeit erinnert hatte, musste ich wohl über den Alben eingeschlafen sein.
Das Klingeln der Tür weckte mich am nächsten Morgen. Langsam und entkräftet trottete ich hin und erwartete einen meiner Freunde oder meine Eltern, die nachsehen wollten, ob ich bereits durchgedreht war oder noch lebte. Als ich jedoch näher an die Tür trat, erkannte ich sofort die Stimme des Kommissars. Was wollte er hier? Hatte er Anna gefunden? Sofort riss ich die Tür auf.
“Hallo?“- Meine Begrüßung war eher eine Frage nach Anna.
“ Hallo Jack, darf ich reinkommen?”
Seine Stimme wirkte traurig und schien nichts Gutes zu verheißen. Im Flur angekommen, schaute er mir in die Augen und sprach dann das aus, was mein ganzes Leben zerstörte:
„Jack- am Besten wäre es, wenn du dich erst einmal setzt.“
„ Warum? Was ist mit ihr? Was ist los?“
„Es tut mir so Leid, so schrecklich Leid Jack.”
Er machte eine Pause und ich begann zu schluchzen. Nein, das durfte nicht wahr sein.
Es erschien mir wie eine halbe Ewigkeit, bis er endlich weiter sprach:
“Vor einer Stunde haben wir eine Leiche im Wald gefunden… eine weibliche Leiche, wahrscheinlich Mitte zwanzig. Dem Anschein nach wurde sie vergewaltigt und dann mit mehreren Messerstichen ermordet.”
Er senkte die Stimme und es schien fast als weinte er:
“Es tut mir so Leid Jack”.
“Neeeeeiiiiiiiiin! “, schrie ich laut und sank schluchzend zu Boden.
„Neeeeein, nein, nein…“ . Ich hämmerte mit den Fäusten auf den Teppichboden.
Die Tränen liefen meine Wangen herunter und meine ganze Umgebung verschwand unter ihnen. Das konnte nicht sein. Nein, das durfte nicht wahr sein. Nicht meine Anna, nicht meine große Liebe. Nein !
Doch es war die Wahrheit. Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei der gefundenen Leiche um niemand anderen als meine Frau. Ihre Eltern hatten sie an meiner Stelle identifiziert.
Ihr Mörder musste sie in der Nähe vom Bäcker abgefangen und dann in Richtung Wald verschleppt haben. Dort verging er sich an ihr und erstach sie danach mit mehreren Messerstichen. Dem Gerichtsmediziner nach war Anna sofort tot.
Nur mit Mühe und Not konnte mich die Psychologin damals beruhigen. Sie hatte direkt hinter dem Kommissar gestanden und war sofort an meiner Seite gewesen, als ich auf den Boden gesunken war. Sie half mir mit allem- mit den Beerdigungsplanungen, mit den Beileidsbekundigungen, mit dem Alltag.
Trotz ihrer Hilfe dauerte es Monate bis ich überhaupt wieder über Anna reden konnte. Anna war einfach fort. Sie wurde mir einfach genommen.In einem Moment war sie noch hier und im nächsten war sie fort.
Die Beerdigung war damals das Schlimmste gewesen. Ihre Eltern, meine Eltern- einfach alle weinten bitterlich. Und Ich? Ich stand einfach nur daneben und fühlte mich leer. Ich konnte nicht weinen. Ich konnte nicht sprechen. Ich konnte einfach nur dastehen und das ganze an mir vorbeiziehen lassen.Ich fühlte mich damals wie ein Automat, der einfach nur funktionieren musste.
Auch die Zeit nach der Beerdigung beschränkte ich mich einfach darauf zu funktionieren.
Die Presse berichtete ständig im Fernsehen über die Ermittlungen und das Schicksal meiner Frau. Auch mich versuchten sie zu interviewen, lauerten mir auf, wenn ich aus dem Haus gehen wollte. Immer wieder spulte ich  von neuem die Aussage „ Kein Kommentar“ ab und bat sie mich in Ruhe zu lassen. Ich funktionierte einfach. Denn das war das Einzige, wozu ich mich im Stande fühlte.
Und heute kann ich nicht funktionieren, denn heute stehe ich hier. .. an dem Ort, an dem Anna umgebracht wurde.
Um mich herum scheint die Welt still zu stehen. Kein Vogelgezwitscher ist mehr zu hören und kein Geraschel der Bäume durch den Wind wird an mein Ohr getragen. Es ist eine Angst einflößende, bedrückende Stille. Vor mir liegt nun der schwerste Schritt meines Lebens. Der Schritt geradeaus, der mich an die Vergangenheit erinnert. Der Schritt, den ich mehrere Jahre nicht wagte. Der Schritt in Richtung Anna.

 

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FindYourselF Re: Re: Der Anfang ist wirklich traurig... -
Zitat: (Original von Elsewhere am 01.04.2012 - 22:04 Uhr) Hallo Jule,

vielen Dank fürs erneute Vorbeischauen auf meiner Seite :)
Freut mich, dass dir der zweite Teil meines Buches so gut gefallen hat, dass du ihn zu deinen Favos aufgenommen hast, obwohl das Thema über das ich schreibe sehr traurig ist !!

LG Mona

Zitat: (Original von xXFlameXx am 01.04.2012 - 14:07 Uhr) ... und super geschrieben, diese ganzen Kleinigeiten.. das passt einfach :-) Man, dass ist wirklich voll traurig :-(

Aber so gut, dass ich es zu meinem Favos gemacht habe.

LG Jule




Ja weil du es gut umgesetzt hast, da musste ich es einfach zu meinen Favos tun :)
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Elsewhere Re: Der Anfang ist wirklich traurig... - Hallo Jule,

vielen Dank fürs erneute Vorbeischauen auf meiner Seite :)
Freut mich, dass dir der zweite Teil meines Buches so gut gefallen hat, dass du ihn zu deinen Favos aufgenommen hast, obwohl das Thema über das ich schreibe sehr traurig ist !!

LG Mona

Zitat: (Original von xXFlameXx am 01.04.2012 - 14:07 Uhr) ... und super geschrieben, diese ganzen Kleinigeiten.. das passt einfach :-) Man, dass ist wirklich voll traurig :-(

Aber so gut, dass ich es zu meinem Favos gemacht habe.

LG Jule

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FindYourselF Der Anfang ist wirklich traurig... - ... und super geschrieben, diese ganzen Kleinigeiten.. das passt einfach :-) Man, dass ist wirklich voll traurig :-(

Aber so gut, dass ich es zu meinem Favos gemacht habe.

LG Jule
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