Es ist die Geschichte eines adoptierten Mädchens, dessen Welt sich vollkommen verändern wird. Die Geschichte von Dawn McKency, die bisher ein Leben als Mensch führte. Doch als sie sich eines abends verirrt, trifft sie auf den mysteriösen und doch furchterregenden David und seinen Freund Elias, die scheinbar mehr über ihre Vergangenheit wissen, als sie selbst...
Plötzlich schreckte sie auf.
Sie war eingeschlafen, als sie im Zug saß und das matte, künstliche Licht auf sie herabschien, während die Waggons über die Gleise ratterten.
Die junge Frau sah sich etwas verwirrt und orientierungslos um, bis sie wieder wusste wo sie war und wohin sie fuhr. Schon legte sich etwas Entspannung über sie, doch noch immer war ihr anzumerken, dass etwas nicht stimmte.
Aufgewühlt rutschte sie auf ihrem Sitzplatz herum, unfähig still zu sitzen.
Erneut sah sie sich um und besah sich die wenigen Gestalten, die mit ihr in dem Waggon saßen: ein älterer Mann mit Gehstock saß ihr schräg gegenüber.
Ein Jugendlicher, der ziemlich laut Musik durch seine Kopfhörer hörte, stand an eine Stange gelehnt und in Gedanken versunken, etwas weiter entfernt.
Außerdem waren da noch zwei andere Jugendliche, allerdings zwei Mädchen. Sie schienen den Jungen zu verfolgen, denn sie tuschelten ständig und sahen in seine Richtung.
Zuletzt war noch ein junges Pärchen anwesend, das, Händchen haltend und sich gelegentlich küssend, dasaß und auf ihre Haltestelle wartete.
Einen Moment lang sah die junge Frau die Beiden etwas sehnsüchtig an, schloss dann die Augen,
schüttelte leicht den Kopf und wandte sich dann ab.
Sie hasste es, sich dabei zu ertappten, Pärchen so anzusehen.
Es hatte nichts mit dem Ansehen an sich zu tun, sondern mit den Gefühlen, die sie dabei hatte: Bedrückung, Eifersucht und Sehnsucht nach genau dieser Art von Zuneigung. Sie würde es wohl kaum aussprechen, aber sie fühlte sich oft einsam und überflüssig, auch wenn sie von ihren vielen Freunden umgeben war.
Als sie darüber nachdachte wanderte ihr Blick unwillkürlich wieder zu dem Paar und als es ihr nun bewusst wurde, sah sie nicht weg.
Nun stellte sie sich vor, wie es wohl wäre, wenn man so geliebt werden würde, wenn man jemanden hatte, der, egal was war, für einen da ist.
Wieder überkamen sie die bekannten Gefühle und sie merkte, wie sie kleine Tränen in die Augen bekam. Schnell wischte sie mit dem Handrücken über ihre Augen, um dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Sie wollte keine Schwäche zeigen, wollte nichts von ihrem Innern preisgeben.
Warum auch?
Viel zu oft wurde sie von der Welt verraten und verletzt, wieso sollte man dann darauf hoffen, dass sich daran etwas ändert und sich nicht vor allem schützen?
Sie war sich sicher: sollte so was noch einmal passieren, würde sie daran zerbrechen. Sie könnte diesen Schmerz nicht länger ertragen, konnte es jetzt kaum noch.
Das Einzige, was sie noch zusammen hielt, waren ihre Freunde und ihre Familie.
Doch selbst mit ihrer Familie gab es in letzter Zeit immer öfter Streit, darum war sie auch mehr unterwegs als früher. Sie brauchte immer mehr Abstand und das führte zu neuem Streit.
Sehr lange würde sie das nicht mehr aushalten, darum hatte sie beschlossen, sich eine Wohnung zu nehmen, damit sie ihre Ruhe hatte. Den ganzen Tag hatte die damit verbacht, mit einem Makler von einer Wohnungsbesichtigung zur Nächsten zu gehen und bisher hatte sie noch nichts gefunden, das ihr zusagte.
Weder ihrem Geschmack, noch ihrem Geldbeutel.
Sie seufzte enttäuscht. Wie lange würde es noch dauern, bis sie endlich von allem Ärger wegkam?
Wochen?
Monate?
Oder sogar noch Jahre?Doch ihre Überlegungen wurden unterbrochen, denn im nächsten Moment läutete es und die Stationsansage verkündete die Haltestelle, an der die junge Frau aussteigen musste.
Als der Zug angehalten hatte, stand sie auf und ging
zur Tür hinaus. Beim Aussteigen bemerkte sie, dass auch das Pärchen den Zug verlassen hatte.
Sie interessierte sich nicht weiter dafür, bis sie feststellen musste, dass die Beiden vor ihr hergingen.
Genervt und mit den anderen Gefühlen im Bauch, die sie bei dem Anblick solcher Leute verspürte, folgte sie ihnen über den Bahnhof, auf die dunklen Straßen der Stadt.
Eine Weile ging sie hinter ihnen her und versuchte sie zu ignorieren, doch schon bald schaffte sie es nicht mehr. Gerade als sie an einer kleinen dunklen Seitenstraße vorbeiging, beschloss sie spontan den Weg zu ändern und bog in eine der Seitenstraßen ein.
Schnellen Schrittes passierte sie die Straße, bog in eine weitere Straße ein und wieder in eine andere.
Bald darauf wurde ihr bewusst, was sie getan hatte und ihr wurde ebenso klar, dass sie sich verlaufen hatte. Orientierungslos sah sie sich nach etwas um, das ihr sagen konnte wo sie hinmusste.
Doch so etwas fand sie nicht.
Sie hatte sich definitiv verlaufen.
Es war auch niemand auf der Straße unterwegs, den sie nach dem Weg hätte fragen können.
Sie spürte, wie nach und nach die Angst in ihr hochkroch, gemischt mit Panik.
Sie durchwühlte ihre Taschen, stellte dann jedoch fest, dass sie ihr Handy auf dem Tisch in ihrem Zimmer hatte liegen lassen.
Sie seufzte resigniert und versuchte sich dann zu beruhigen.
Entschlossen, nicht einfach tatenlos rumzustehen, entschied sie sich dazu, sich für eine Straße zu entscheiden, der sie folgen konnte.
Nur um wenigstens etwas zu tun.
Um die Chance zu haben, den Weg zurück zu finden.
Auf dem Weg durch die Straße, die kaum beleuchtet und ziemlich schmutzig war, sah sie sich ständig ängstlich um. Immer darauf gefasst, dass im nächsten Moment etwas aus dem Schatten springen und sie angreifen würde. Sie beschleunigte ihre Schritte, lief fast durch die dunkle kleine Straße, die ihr wie ein enger Tunnel schien. Sie hatte das Gefühl, das es eine Ewigkeit dauerte, bis das Ende zu sehen war, doch dann tauchte endlich der Schein einer Laterne an der nächsten Straßenecke auf.
Überglücklich über dieses Hoffnungslicht, eilte sie darauf zu und bemerkte nicht die Gestalt, die hinter ihr auftauchte und ihr leise folgte.
Als sie die Laterne erreicht hatte blieb sie stehen und atmete erleichtert auf.
Die Straße auf die sie nun gelangt war, hatte mehr Laternen und sie war auch nicht so klein und dreckig wie die, aus der sie gerade kam.
Die junge Frau sah sich erneut um, wieder auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, doch stattdessen bemerkte sie die Gestalt, die sie verfolgte. Sie stand zwar im Schatten und bewegte sich kaum, doch sie sah sie trotzdem.
Die Frau wurde nun leicht panisch, ihr schnürte es die Kehle zu. Doch sie versuchte sich selbst zu beruhigen. Es ist nichts. Das kann Zufall sein, das da jemand steht. Es muss nichts heißen! versuchte sie sich Mut zuzureden.
Sie schluckte schwer und versuchte durchzuatmen.
Wieder sah sie sich um, aber nicht nach einem Anhalts-punkt, sondern nach möglichen Fluchtwegen. Wenn sie weglaufen musste, würde sie dafür gewappnet sein.
Immer wieder schaute sie schnell zu der Gestalt im Schatten, um bei der kleinsten ihrer Bewegungen sofort weglaufen zu können und so die Chance zu haben, zu entkommen.
Doch es rührte sich nichts.
Nicht einmal das Herbstlaub, das in einigen Abstanden zu großen Haufen zusammengeharkt worden war, bewegte sich.
Der Wind war zu schwach, um die schweren Blätter in Bewegung setzen zu können. Nur einzelne Haare der Frau wehten leicht im sanften, spätabendlichen Wind und kitzelten sie gelegentlich im Gesicht. Es lenkte sie immer wieder ab, aber sie wegzustreichen kam nicht in Frage.
Sie wollte sich so wenig wie möglich bewegen.
Stattdessen versuchte sie, nicht auf ihre Haare zu reagieren, wenn sie ihr leicht die Sicht versperrten oder sie am Hals oder im Gesicht kitzelten.
Die reglose Gestalt und ein möglicher Fluchtweg waren das Einzige, was sie im Moment interessierte.
Nach vielen suchenden Blicken in beide Richtungen der Straße und mindestens doppelt so vielen prüfenden und wachenden Blicken in Richtung der fremden Person, hatte sie sich unbewusst eine Strategie zurechtgelegt: Sie würde noch einen Moment lang stehen bleiben und abwarten ob der fremde und unheimliche Mann – so viel hatte sie sich auf Grund der schemenhaften Umrisse zusammenreimen können – irgendeine Reaktion zeigte.
Dann würde sie sofort weglaufen und sich so schnell sie konnte in Sicherheit bringen.
Doch ebenso reglos, wie sie dastand und wartete, stand auch der Fremde da.
Und nachdem einige Augenblicke verstrichen waren, konnte sich die junge Frau nicht mehr zurückhalten und machte ohne zu wissen warum, einen Schritt auf den Unbekannten zu.
Es war ein kleiner Schritt, indem sich Unsicherheit und Entschlossenheit miteinander verbanden.
Und doch machte der Fremde augenblicklich einen Schritt zurück.
Er schien muskulös zu sein und folglich auch mutig. Aber da er ihr nicht erlaubte, auf ihn zuzugehen, war er wohl doch nur ein feiger Kerl, der allein herumirrenden Frauen Angst machten wollte, um sich stark zu fühlen.
Erleichtert atmete die junge Frau aus.
Selbst wenn dieser Typ sie angreifen sollte, fühlte sie sich nun in der Lage, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen.
Auch wenn er stärker war als sie, war sie im Stande sich zu helfen. Ihr ganzes Leben lang hatte ihr Vater ihr beigebracht, wie sie sich wehren konnte. Es war zwar nicht viel, aber er hatte es sooft mit ihr geübt, dass sie die wenigen Verteidigungsmaßnahmen im Schlaf beherrschte. Aber bisher schien es so, als ob es nicht zu einer Auseinandersetzung kommen würde.Um ihr Gegenüber aber wirklich als „gefahrlos“ einstufen zu können, machte sie erneut einen Schritt auf ihn zu und beobachtete ihn dabei genau.
Doch diesmal wich er nicht zurück, rührte sich nicht einmal.
Sofort beschleunigte sich ihr Puls und wurde so stark, dass sie ihn im ganzen Körper spürte und in den Ohren pochen hörte.
Für einen Moment schossen ihr Gedanken durch den Kopf – verschiedene Abläufe ihrer momentanen Situation:
Der Typ würde sie angreifen, festhalten und sonst was mit ihr anstellen.
Er würde stehen bleiben wo er war und warten bis sie davonlief.
Oder die eher unwahrscheinlichen Versionen:
Er würde die Situation aufklären.
ER würde davonlaufen.
Doch als sie ihre Gedanken genauer durchdachte fragte sie sich nicht, welche davon stimmen könnte.
Sie war sich fast vollkommen sicher, dass es keine davon sein würde.
Selbst wenn sie versuchen würde zu fliehen, würde der Kerl ihr nachlaufen. Sie wusste nicht, wieso sie das dachte, aber sie wusste, dass es so sein wird.
Nur, was sollte sie jetzt tun?
Sie konnte nicht fliehen.
Sie konnte nicht stehen bleiben.
Sie konnte nicht einmal nichts tun, denn das würde bedeuten, dass sie bleiben würde, wo sie war.
Also blieb ihr nur die Flucht nach vorn, auf den Fremden zu. Wohin das Ganze auch führen mochte.
Ohne nachzudenken machte sie erneut einen Schritt vorwärts, obwohl sich alles in ihr dagegen wehrte.
Ihr Körper schrei: es ist falsch!
Ihr Verstand schrie: es ist falsch!
Doch irgendetwas machte ihr Mut. Irgendetwas in ihr war der Meinung, dass es richtig war, was sie tat.
Es war nur ein winziger Teil in ihr und doch vertraute sie darauf.
Sie starrte den Fremden immer noch an, wartete eine Reaktion auf ihr Näherkommen ab.
Und nun bewegte sich die Gestalt tatsächlich.
Er machte ebenfalls einen Schritt auf sie zu. Dann etwas zögerlich noch einen zweiten.
Noch ein Schritt weiter und sie würde sein Gesicht im Licht der Laterne sehen können.
Ihr Puls beschleunigte sich weiter, soweit es überhaupt noch möglich war.
Ihr Atem beschleunigte sich ebenfalls, doch sie versuchte ihn möglichst flach zu halten und leise zu atmen, um ihre Anspannung zu verbergen. Eine ihrer Angewohnheiten.
Sie schluckte schwer.
Würde er sich noch einen weiteren Schritt vorwagen?
Sich dem Licht aussetzen und ihr sein Gesicht zeigen? Ihre Reaktion abwarten?
Oder sich nun gnadenlos auf sie stürzen?
Sie verscheuchte ihre Gedanken mit einem kurzen Zusammenkneifen ihrer Augen und versuchte Ruhe zu bewahren, sich nicht noch mehr in Panik zu versetzen.
Und es zahlte sich aus.
Er machte einen weiteren, jedoch kleineren Schritt nach vorn und stand nun halb im Licht.
Seine pechschwarzen, ihm teilweise ins Gesicht fallenden Haare glänzten, seine Augen waren wegen der plötzlichen Helligkeit zusammengekniffen.
Die Gesichtszüge lagen jedoch im Halbdunkeln, auch sie blieben damit verborgen.
Die Schultern des Fremden waren recht breit, die Arme muskulös. Die Bauchmuskeln zeichneten sich unter dem schwarzen T-Shirt ab.
Die Hose war ebenfalls aus schwarzen Stoff, der locker an seinen Beinen herunterhing, aber an seinen Hüften von einem breiten Ledergürtel gehalten wurde.
Sie musterte ihn von oben bis unten, mehr als einmal und überlegte sich ihren nächsten Schritt.
Doch sie wusste nicht was sie tun sollte.
Unsicher blieb sie stehen.
Sie wusste nicht was der Mann mit seinem Auftreten bezwecken wollte.
Ebenso wenig wusste sie, was er nun tun würde.
Doch derselbe Instinkt wie vor wenigen Minuten sagte ihr, dass ihr nichts passieren würde.
Dass sie sicher war.
Und sie vertraute diesem Gefühl, auch wenn sie immer noch nicht wusste, weshalb.
Ihr Puls schlug immer noch schnell und dröhnte ihr in den Ohren, doch ihr Atem wurde ruhiger.
Ihre Panik nahm ab.
Sie fühlte sich fast wie jemand, der wegen einer merkwürdigen, unbekannten Gestalt Panik bekommen hatte und schließlich feststellte, dass diese Gestalt ein Freund war.
Aber eben nur fast.
Dieser Mann war kein Freund. Nicht mal ein entfernter Bekannter. Sie hatte ihn nie in ihrem Leben gesehen.
Und doch hatte sie dieses unbestimmte Gefühl der Vertrautheit.
Als würde sie ihn kennen.
Sie versuchte ihm in die Augen zu sehen, doch sie waren noch immer zusammengekniffen.Er hatte sich nicht bewegt. Stand wie eine Statue da und schien auf etwas zu warten.
Die Frau schluckte erneut, überlegte und machte einen kleinen, vorsichtigen Schritt auf ihn zu.
Nun standen sie nurnoch zwei oder drei Meter voneinander entfernt.
Würde er seine Meinung nun ändern und sie doch angreifen, hätte sie keine Chance mehr zu entkommen. Sie war schon immer eine schlechte Langläuferin gewesen und der Kerl war so durchtrainiert, dass er sie wahrscheinlich schon nach einigen Metern eingeholt hätte.
Doch sie empfand keine Angst.
Eine innere Stimme versicherte ihr, dass der Mann ihr nichts antun würde.
Und seltsamerweise glaubte sie ihr. Auch wenn sie nicht wusste wieso. Es war wie ein Instinkt, der ihr die Richtung wies.
Die Beiden standen einige Minuten lang schweigend und regungslos da, starrten sich an.
Doch irgendwann hatte ihre Geduld ein Ende und ihre Neugier siegte. Sie wollte wissen was hier los war, also sprach sie den Fremden an.
„Was wollen Sie von mir?“ brachte sie hervor, ihre Stimme war ruhig und sie war sich sicher, dass sie ihre Verunsicherung gut verborgen hielt. Dann wartete sie auf eine Antwort.
Doch der Mann in schwarz tat nichts weiter, als sie weiterhin anzustarren.
„Reden Sie mit mir, Teufel noch eins!“ fuhr sie ihn an und wunderte sich kurz darauf über ihren kleinen Gefühlsausbruch.
Es kam nicht oft vor und wenn, dann hatte es einen guten Grund. Ein Fremder, der ihr nicht antwortete passte allerdings nicht in dieses Schema.
Doch dieser kleine Ausrutscher erfüllte seinen Zweck.
Als die Frau noch überlegte, warum sie ihn gerade angeschrien hatte, sog der Mann die Luft scharf ein und sah dann plötzlich nach links, die Straße hinunter.
Erschrocken über seine ruckartige Bewegung machte die Frau es ihm nach und erblickte am Ende der Straße eine kleine Gruppe von Männern. Ihre trainierten Körper waren drei Schatten außerhalb des Lichtkegels der Laternen.Mit erschrockenem, kurzem Einatmen und vor Schreck weit aufgerissenen Augen, machte die junge Frau einen Satz in die entgegengesetzte Richtung.
Von einer Bewegung abgelenkt sah sie wieder zu dem Mann, der wenige Meter von ihr entfernt stand.
Es sah danach aus, als würde er sich auf einen Kampf vorbereiten – und als würde er sie dabei beschützen wollen, denn er machte einen vorsichtigen und zugleich selbstbewussten Seitwärtsschritt in ihre Richtung.
Um die Reaktion der Gruppe zu sehen, die noch weit entfernt war, wandte sie sich wieder dem Ende der Straße zu – und stellte fest, dass die Männer verschwunden waren.
Ungläubig und zugleich erschrocken über das plötzliche Verschwinden riss sie die Augen auf, doch das Bild hatte sich nicht verändert.
Die junge Frau drückte sich mit dem Rücken an die Wand um Schutz zu finden, nachdem sie einige Schritte rückwärts auf sie zugestolpert war.
Der Mann hatte sich ihren Bewegungen angepasst und war ihr gefolgt – langsam und wachsam, um keine Bewegung zu verpassen.
Plötzlich schnellte ihr Beschützer vor, so schnell, dass sie es kaum noch wahrnehmen konnte.
Sie zwinkerte mehrmals, um sich über die Echtheit der schnellen Bewegung zu vergewissern. Doch kaum hatte sie den Mann wieder klar vor Augen, war er schon wieder verschwunden.
Panisch und verängstigt über diese übermenschliche Schnelligkeit, warf sie ihren Kopf nach links und rechts, immer im Wechsel, um möglichst viel mitzubekommen und daraus vielleicht Profit schlagen zu können.
Der Fremde, der ihr anfangs noch zu helfen schien und auf unerklärliche Weise Sicherheit ausgestrahlt hatte,
war ihr nun unheimlich und strahlte eine solche Gefahr aus, dass sie nicht mehr auf seine Hilfe vertraute.
Stattdessen hatte sie beschlossen, auf sich selbst zu setzen und hoffte bei ihrem geplanten und kurz bevorstehenden Fluchtmanöver nicht der Länge lang hinzuschlagen.
Das konnte sie in der jetzigen Situation nun wirklich nicht gebrauchen.
Erst recht nicht in Anwesenheit eines solchen Monsters, das sich nicht nur unheimlich schnell bewegen, sondern sie auch unter normalen Umständen nahezu sofort hätte einholen können.
Als sie niemanden mehr auf der Straße entdecken konnte, rannte sie nach rechts und hoffte, dass sie nicht sofort auf Hindernisse stoßen würde, die ihre Flucht verzögerten.
Doch bisher lief alles glatt.
Sie stürzte auf die jetzt scheinbar sichere Parallelstraße zu, von der die Angreifer vor wenigen Momenten aufgetaucht waren und hoffte, dass von dort nicht Verstärkung unterwegs war.
Als es noch vier oder fünf Meter bis zur Straße waren, drehte sie sich kurz um, um nach Verfolgern Ausschau zu halten.
Doch sie sah niemanden.
Nicht eine Bewegung konnte sie in der dunklen Straße ausmachen.
Sie drehte sich wieder um und stieß einen schrillen Schrei aus, als sie nur etwa eineinhalb Meter vor sich eine Gestalt im Laternenlicht sah.
Die Gestalt war weiblich, ihre blonden Haare waren verdreckt und filzig und hingen ihr in fettigen Strähnen ins Gesicht. Ihre Augen glühten vor Raserei und Gier, was von der weißen Farbe der Iris hervorgehoben wurde. Die Lippen zu einem Zähnefletschen zurückgezogen, starrte sie die erschrockene und verängstigte Frau vor sich an.
Diese machte einen vorsichtigen Schritt nach hinten, wollte der Gefahr vor sich entgehen, doch schon im nächsten Moment stand der Fremde mit den übernatürlich-schnellen Bewegungen zwischen ihr und der wilden Frau.Plötzlich wurde die junge Frau von etwas nach hinten gestoßen, von dem sie nicht wusste was es war und konnte gerade noch erkennen, wie ihr Beschützer – denn das schien er nun zu sein – die blonde Frau wie ein tollwütiges Tier ansprang.
Dann spürte sie einen sich unnatürlich anfühlenden Druck an Kopf und Taille, der sie nach hinten riss und sie erschrocken aufschreien ließ.
Sie rechnete damit, dass sich jeder der Beteiligten zu ihr umdrehen und sie angreifen würde, doch sie konnte
nichts erkennen. Die Bilder vor ihren Augen nahm sie nurnoch verschwommen war.
Die junge Frau wusste nicht was mit ihr geschah. Sie spürte lediglich ein komisches Gefühl im Magen, wie man es manchmal beim Fahren mit dem Fahrstuhl empfand. Und sie spürte den Druck, der sich noch immer auf Kopf und Taille auswirkte und deren Quelle sie nicht kannte.
Eine Weile konnte sie dieser Flut von Gefühlen und Eindrücken standhalten, doch dann begann ihr Bewusstsein langsam nachzugeben und sie nahm bis auf den Druck nichts mehr war.
In diesem Zustand befand sie sich einige Zeit, dann bemerkte sie, wie zuerst der Druck verschwand und schließlich auch das seltsame Gefühl im Magen nachließ. Auch ihre Sinne fanden allmählich wieder zu ihrer gewohnten Kraft zurück, sodass die Frau das Geschehen um sich herum nach und nach wieder wahrnehmen konnte.
Als erstes fiel ihr auf, dass sie sich an einem anderen Ort befand.
Sie war nicht mehr in der Straße, in der sie eben noch einer wilden Frau und einem Mann mit übernatürlichen Kräften ausgeliefert war.
Die Frau versuchte ihren Aufenthaltsort zu bestimmen, konnte jedoch nichts erkennen, da es keine Laternen
gab, die ihre Umgebung erhellten.
Und das verwunderte sie.
Da sie aus verschiedenen Gründen oft nachts unterwegs war, wusste sie, dass sie sich weit weg von ihrem Zuhause befand. Sie kannte die Umgebung ihrer Wohnung und wusste, dass dort überall Laternen waren, die die Straßen des nachts in künstliches Licht tauchten.
Als ihr das bewusst wurde, fiel ihr auch wieder ein, dass sie etwas hierher gebracht haben musste und sie sah sich erschrocken um, darauf gefasst etwas zu sehen, das sie nicht sehen wollte.
Ihr Bewusstsein sagte ihr, dass sie nichts sehen würde außer tiefschwarze Nacht, doch ihr Unterbewusstsein behielt die Oberhand und hielt in der jungen Frau die Hoffnung wach, doch etwas zu sehen.
Egal wer es war.
Es konnte nur Vorteile haben, das Unbekannte zu sehen: war es auf ihrer Seite, konnte es ihr helfen.
Wollte es ihr etwas antun, konnte sie weglaufen.
Doch all diese Gedanken schwirrten nur unterschwellig in ihr herum, denn ihr Herz raste und beschleunigte ihren Atem, als sie sich in der Dunkelheit umsah und nach Bewegungen Ausschau hielt.
Und schon kurz darauf bemerkte sie eine Bewegung.
Schlagartig erstarrte die Frau, sie hielt vor Schreck den
Atem an und schluckte schwer, die Augen weit aufgerissen.
Einen Moment lang verharrte sie in dieser Bewegungs-losigkeit, dann erschrak sie von Neuem und machte einen erschrockenen Schritt zurück, als sie eine Stimme hörte.
„Ist alles in Ordnung mit dir? Ist dir schlecht? Du bist ziemlich blass. Setz dich erst mal und trink etwas.“
Mit diesen Worten kam ein Mann auf sie zu. Sie konnte es zwar nicht sehen, aber sie spürte es und auch der Kies, der unter den Sohlen des Fremden krackte, verriet die Richtung in die er sich bewegte.
Hastig machte sie einige Schritte zurück um den Abstand zwischen ihnen zu wahren, dann blieb der Mann stehen.
„Hab keine Angst, ich werde dir nichts tun. Wieso sollte ich auch? Ich habe dich doch beschützt.“ Sprach er mit sanfter, beruhigender Stimme und machte nach einem Augenblick des Zögerns einen weiteren Schritt auf sie zu.
Die Frau kämpfte mit sich selbst, wollte einerseits so schnell sie nur konnte weglaufen.Aber andererseits wusste sie, dass er die Wahrheit sagte und sie ihm vertrauen konnte.
Sie überlegte immer noch, als er bereits einen weiteren Schritt auf sie zumachte und sie sog erschrocken die
Luft ein.
„Ganz ruhig. Du brauchst vor mir keine Angst zu haben.“ Versuchte er sie erneut zu beruhigen und blieb, wo er war, um sie nicht weiter zu ängstigen.
Als er sich einigermaßen sicher war, dass sie bei seiner nächsten Bewegung nicht die Flucht ergreifen würde, streckte er langsam seine Hand nach ihr aus.
Da die junge Frau sich nun langsam an die Dunkelheit gewöhnt hatte und allmählig schemenhafte Umrisse erkennen konnte, sah sie, dass er etwas in der ausgestreckten Hand hielt.
Fragend und skeptisch starrte sie darauf und überlegte was er ihr wohl entgegenhielt.
„Es ist etwas zu trinken. Ich dachte, du könntest etwas Kühles brauchen, um dich zu beruhigen.“ Erklärte der Mann, woraufhin die Frau zögerlich ihre Hand danach ausstreckte, um danach zu greifen.
Erst jetzt, als sie etwas zu trinken vor Augen hatte, spürte sie den quälenden Durst.
Nachdem sie die kleine Flasche vorsichtig mit ihren zittrigen Fingern umschloss und sie ihm abnahm, ließ der Mann seine Hand sinken und sie spürte seinen Blick auf ihr ruhen.
Doch das kümmerte sie nicht. Der Durst war zu groß, um auf Scham Rücksicht zu nehmen.
Schnell schraubte sie den Verschluss der Flasche auf,
hob sie an den Mund und trank gierig, während der Fremde sie weiterhin beobachtete.
Nachdem sie die Flasche geleert hatte, wurde sie mutiger und fixierte ihren Beobachter keuchend.
„Was?“ fragte sie, während sie versuchte herauszufinden warum er sie so anstarrte.
„Geht es dir jetzt besser?“
„Wenn du mir sagst was hier eigentlich los ist, vielleicht.“
Eine kleine Pause entstand, in der er darüber nachzudenken schien, wie er anfangen sollte.
„Die Leute, die uns eben angegriffen haben, wollten dich töten.“ Begann er und sah ihr dabei tief in die Augen.
Sie spürte seinen brennenden Blick auf ihr ruhen, um ihr stillschweigend zu versichern, dass ihr in seiner Gegenwart keinerlei Gefahr drohte.
Wieder entstand eine Pause, doch diesmal war es die Frau, die nachdachte.
„Und warum wollten sie mich ... umbringen?“ brachte sie schließlich heraus und stockte bei dem letzten Wort, versuchte sich jedoch ihre Angst und Erschrockenheit, die in dieser winzigen Pause zum Ausdruck kamen, nicht anmerken zu lassen.
Als sie sprach sah sie den Fremden nicht an, starrte stattdessen auf die leere Flasche in ihren Händen und
fuhr mit den Daumen den Flaschenhals hinauf und wieder hinab, kratzte etwas am Aufkleber, um ihre Nervosität zu verarbeiten.
Sie spürte seinen Blick immernoch auf ihr ruhen und nach einem Augenblick sah sie zu ihm auf.
Kaum hatte sie diese kleine Bewegung vollbracht, trafen sich ihre Blicke und sie hatte das unbestimmte Gefühl, den Fremden von irgendwoher zu kennen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihn noch nicht nach seinem Namen gefragt hatte. Sie war gerade dabei ihren Mund zu öffnen, um nach seinem Namen zu fragen, da unterbrach er sie bereits, indem er selbst zu sprechen begann.
„Nicht hier. Lass uns an einem anderen Ort weiterreden. Die Gefahr, belauscht zu werden, ist hier zu groß.“
Während er sprach hatte er den Blickkontakt zu der jungen Frau abgebrochen und sah sich stattdessen um. Sofort kehrten die Gedanken an die zurück, die sie vorhin angegriffen hatten und die Frau sah sich ebenfalls um, jedoch ängstlicher als ihr unbekannter Begleiter.
„Komm, hier lang. Und bleib dicht bei mir.“ Wies er sie an und deutete mit der linken Hand hinter sie, wo sich eine unbeleuchtete Gasse befand, die die junge Frau in der Dunkelheit nicht ausmachen konnte.
Zusammen gingen sie auf die Gasse zu, die Frau zuerst, der Mann wies ihr die Richtung.
Ihr noch immer namenloser Begleiter folgte ihr, seine Augen schweiften wachsam umher, um jede noch so kleine Bewegung sofort ausmachen und gegebenenfalls angreifen zu können.
Die Panik war zu der jungen Frau zurückgekehrt.
Sich ängstlich umsehend und vor Anspannung keuchend hatte sie nach unendlich langen Sekunden die Gasse erreicht, in die der Fremde sie geführt hatte.
Nachdem sie noch einige Meter in die Gasse hineingegangen waren, lehnte sich die Frau an eine der Mauern, schloss keuchend und schwer schluckend die Augen und versuchte sich wieder zu beruhigen. Die Angst zu bekämpfen, die ihr die Brust zuschnürte und sie wie Espenlaub zittern ließ. Ihre Hände bebten besonders stark, wenn sie sie nicht gerade ineinander verschränkte oder sich mit ihnen an ihrer Kleidung festkrallte.
Plötzlich spürte sie, wie eine angenehm warme Hand ihre umschloss und sich gleichzeitig eine zweite Hand auf ihren Mund legte, um ihren erschrockenen Schrei zu unterdrücken, der der unerwarteten Berührung folgte. Die Augen der Frau waren vor Schreck geschlossen. Sie kniff sie zusammen, um all ihre Kraft in den Schrei zu stecken, der unterdrückt wurde.
„Scht, ich bin´ s!“ flüsterte die inzwischen auf eine seltsame Weise vertraut wirkende Stimme des Fremden und der Schrei der Frau verstummte. Gleichzeitig hatte sie ihre Augen geöffnet, um in das mehr zu erahnende als zu erkennende Gesicht zu blicken, das nur wenige Zentimeter von ihr entfernt war.
Als der junge Mann sich sicher war, dass sie nicht sofort wieder anfangen würde zu schreien, ließ er die Hand, die ihren Mund bedeckte, sinken und umgriff damit ihre andere Hand, mit der sich die junge Frau noch immer ängstlich und panisch in den Stoff ihrer Jacke festkrallte.
Sanft löste er zuerst die eine, dann die andere Hand, legte sie übereinander und umschloss ihre Hände mit seinen.
„Es passiert dir nichts. Ich passe auf dich auf.“ versicherte er ihr und sah ihr tief in die Augen, um sie von der Wahrheit seiner Worte zu überzeugen.
Sie sah ihn noch einen Augenblick lang an. Auch wenn sie in der Dunkelheit nicht viel von ihm sehen konnte, spürte sie die Intensität seines Blickes, der ihr sagte, das er die Wahrheit sprach. Dann nickte sie zögerlich.
Der junge Mann drückte kurz ihre Hände, um sie weiter zu beruhigen, dann begann er wieder zu sprechen.
„Und jetzt möchte ich, das du mir vertraust, auch wenn
das angesichts der Umstände zu viel verlangt ist.“
Wieder sah er ihr tief in die Augen, fast schon hypnotisierend.
„Ich lasse dich hier für einen Augenblick allein, aber ich passe auf, das dir niemand zu nahe kommt, okay? Ich muss kurz wo hin, von wo aus du mich zwar nicht sehen, aber ich beschütze dich. Auch wenn ich nicht in deiner direkten Nähe bin, hast du verstanden? Ich bin bei dir, auch wenn du mich nicht siehst.“
Während er ihr das sagte bekam sie nur eins mit, das für sie oberste Priorität hatte:
Er ließ sie in einer dunklen Gasse allein.
Sie wusste nicht wo sie sich befand.
Wusste nicht, wann er wieder da sein würde.
Und was noch viel wichtiger war: sie wusste nicht, wann die Angreifer, die es auf sie abgesehen hatten, sie finden würden.
Der Mann wartete auf eine Antwort, um sicher zu sein, das sie ihn verstanden hatte, doch er bekam keine.
Stattdessen starrte sie ihn nur panisch und doch mit leerem Blick an und rührte sich nicht.Er sprach sie ein weiteres Mal an, diesmal noch nachdrück-licher als zuvor und rüttelte sie leicht, um sie aus ihrer Starre zu holen.
Doch auch das nützte nichts, die junge Frau war so geschockt von dem, was ihr gleich bevorstand, dass
sie von ihrer Umgebung nichts mehr wahrnahm.
„Darelia! Jetzt hör mir endlich zu! Ich sagte doch, dir passiert nichts! Das schwöre ich dir! Aber wenn ich dich jetzt nicht kurz allein lasse, kann ich dich nicht von hier wegbringen, verstehst du?!“
Diesmal sprach er etwas lauter und noch eindringlicher als vorher und nahm ihr Gesicht in beide Hände, damit sie ihn direkt ansah.
Die junge Frau sah ihn mit einer Mischung aus Panik und Verwirrung an.
„Wie hast du mich genannt?“ fragte sie schwach und erwiderte den tiefen Blick in ihre Augen.
Zuerst etwas erschrocken, dann erleichtert dreinblickend, seufzte der junge Mann, bevor er erneut zu ihr sprach.
„Dawn, das erkläre ich dir alles später, aber jetzt mach bitte was ich dir gesagt habe. Wir haben nicht viel Zeit und wenn du nicht doch vorhast, von den Typen geschnappt zu werden, bleib hier und warte bis ich zurückkomme.“
Diesmal wartete er keine Antwort ab, sondern ließ ihr Gesicht los und verschwand in der dunklen Gasse.
Überrascht von seinem plötzlichen Verschwinden sah sie sich hektisch zur einen, dann zur anderen Seite der Gasse um. Doch sie konnte nichts außer der Nacht sehen, die alles in unheimliche Stille und Dunkelheit
tauchte.
Angespannt lauschte die junge Frau in die Nacht hinein, versuchte ein Geräusch zu erhaschen, das ihr etwas mehr über ihre Lage verriet.
Ob sie sich verstecken musste oder nicht.
Doch alles blieb still.
Das Einzige, was sie klar und deutlich hören konnte, war ihr Herzschlag.
Sie achtete einen Moment auf den panischen Rhythmus ihres Herzens – er schien immer schneller und lauter zu werden – bis sie merkte, dass sie vor Anspannung den Atem angehalten hatte.
Mit einem Seufzer ließ sie die Luft aus ihren Lungen strömen, um ihren Körper mit neuem Sauerstoff versorgen zu können.
Sie sog die so dringend benötigte Energie mit einem langen Atemzug in ihre Lungen und machte dabei ein Geräusch, das in der drückenden Stille der Gasse viel lauter und mächtiger klang als es eigentlich war.
Die junge Frau hielt kurz inne, um ihre Umgebung zu prüfen. Dann atmete sie in tiefen Zügen weiter ein.
Erst jetzt spürte sie, wie die kalte Nachtluft in ihren Lungen brannte und sie legte eine Hand auf ihre Brust. Ein Versuch, die eisige Luft in ihren Lungen zu erwärmen.
Die junge Frau war so abgelenkt, dass sie die Bewegungen auf einem der Hausdächer über ihr nicht wahrnahm.
Bei jeder Bewegung, die derjenige machte, war ein leises Geräusch zu hören, das die Frau erreichte, doch sie überhörte es.
Erst als der Unbekannte verschwand und kurz darauf um eine Ecke der Gasse kam und auf sie zuging, bemerkte sie ihn.
„Wer ist da?“ rief sie halblaut. In ihrer Stimme schwang Überraschung und Unsicherheit mit.
„Ein Freund.“ Antwortete eine tiefe Männerstimme. Sie schien sie überzeugen zu wollen, das kein Grund zur Panik bestand, sollte ruhig und freundlich klingen.
Doch die junge Frau konnte eine unbändige Wut und Hass aus ihr heraushören, die ihr einen kalten Schauer den Rücken hinunterjagte.
„Komm, ich bringe dich hier weg. Du bist hier nicht sicher.“ Sprach er weiter und die junge Frau wich zurück, drängte sich dicht an die kalten Steine der Häuserwand hinter ihr.
Sie riss ihre Augen weit auf, um mehr sehen zu können, doch sie konnte trotzdem nichts anderes sehen als die Dunkelheit, die ihr die Augen wie ein tiefschwarzes Tuch verdeckte.
Die Frau schluckte schwer und atmete dann keuchend aus. Langsam tastete sie sich an der Mauer entlang, in die entgegengesetzte Richtung, aus der sie die Stimme gehört hatte.
Sie hörte ein leises, grimmiges Lachen, das kurz darauf wieder verstummte. Dann vernahm sie das Geräusch von Schritten, als der Mann langsam und leise auf sie zukam.
„Warum versuchst du vor uns zu fliehen? Wir haben dir doch gar nichts getan.“
Nun war der Mann nicht mehr um Freundlichkeit bemüht, sondern sprach mit dem ganzen Hass und der ganzen Wut, die die junge Frau schon vorher aus der Stimme herausgehört hatte.
Sie bemerkte, das der Mann im Plural gesprochen hatte, doch ihr war es egal ob nur der gefährliche Typ vor ihr oder noch mehr seiner Sorte etwas vorhatten, das ihr ganz und gar nicht gefallen würde.
Die Frau versuchte sich weiter an der Mauer entlang zu tasten, möglichst unbemerkt, doch sobald sie einen Schritt mehr zwischen sich und der Gefahr in Form des Mannes gebracht hatte, machte dieser einen noch größeren auf sie zu.
Der Abstand zwischen ihnen beiden wurde immer geringer und der Mann schien die Spannung und die Angst, die in der Luft lagen, zu genießen.
Er hätte die junge Frau mit wenigen langen Schritten so schnell erreichen können, dass sie keine Chance gehabt hätte ihm zu entkommen.
Doch er ließ sich Zeit. Er wollte den Moment auskosten, wollte die Angst spüren, die die Frau zittern und sich eng an die Mauer drücken ließ.
Dann änderte sich plötzlich etwas: statt ihr mit einem großen Schritt zu folgen und sie so langsam einzuholen, blieb er bei ihrem nächsten Schritt stehen.
Da die Frau nicht sehen konnte, was sich auf dem Gesicht des Mannes abspielte, blieben ihr nur ihre spontanen Überlegungen, die wie Blitze durch ihren Kopf zuckten: Er will mich in Sicherheit wiegen und dann angreifen.
Oder er hat etwas hinter mir gesehen, das gefährlicher ist, als er selbst.
Als sie sich ihrer Spekulationen bewusst wurde, dachte sie kurz über ihre Wahrscheinlichkeit nach.
Da ihr das Erste eher abwegig erschien, tippte sie auf die zweite Möglichkeit. Auch wenn ihr diese ebenso wenig zusagte wie die Erste.
Doch gerade diese Gefahr, die nicht nur vor, sondern auch hinter ihr lauern könnte, machte ihr Mut. Wenn sie sich jetzt umdrehte und dort war nichts außer Dunkelheit, würde der Mann sie wahrscheinlich zu Tode foltern – den Eindruck machte er zumindest.
Würde sie sich nicht umdrehen und dort wäre wirklich etwas, würde sie wohl trotzdem sterben.
Sie hatte also nichts zu verlieren, darum drehte sie sich vorsichtig um, darauf bedacht, keine zu schnellen Bewegungen zu machen, um die Aufmerksamkeit des Mannes möglichst nicht auf sich zu ziehen.
Ihr Gesicht hatte sie bereits fast in die Richtung gewandt aus der die neue Gefahr kommen könnte, doch ihre Augen hafteten immer noch auf dem bekannten Angreifer, der wie erstarrt dastand.
Erst nach einigen Augenblicken konnte sie ihren Blick von ihm abwenden und sich auf das Unbekannte konzentrieren, welches er unverwandt anstarrte und zu fürchten schien.
Doch sie sah nichts.
Nur vollkommende Dunkelheit, die die ganze Gasse ein-schloss und die junge Frau im Ungewissen ließ.
Plötzlich war ein Geräusch zu hören. Es klang wie ein tiefes, böses Knurren, doch es war eher unterschwellig und kaum wahrnehmbar.
Darum war sich die Frau nicht sicher, ob sie es wirklich hörte oder nur einbildete.
Um herauszufinden, ob ihr verängstigter Angreifer das Knurren ebenfalls hörte, wandte sie sich wieder ihm zu. Doch auch hier konnte sie nicht mehr das geringste erkennen.
Sie schien plötzlich wieder allein in der Gasse zu sein.
Und nun hatte sie das Gefühl, sich alles nur eingebildet zu haben: Die kleine Verfolgung in der Gasse, ein Mann, der mit offener Feindseligkeit auf sie zukam. Die unbekannte Gefahr hinter ihr.
Sie sah sich noch einige Male hektisch um, dann atmete sie erleichtert auf.
„Ein Glück.“ Hauchte sie und schloss für einen Moment die Augen, um sich etwas zu beruhigen. Danach lehnte sie sich an die Mauer hinter ihr, ließ den Kopf in den Nacken fallen und konzentrierte sich auf die Kälte, die von den Mauersteinen aus langsam durch ihre Kleidung drang.
Erst dadurch spürte sie, wie warm ihr inzwischen war und sie fuhr sich mit einer Hand über die Stirn, um die kleinen Schweißtropfen wegzuwischen, die sich dort gebildet hatten.
„Geht es dir nicht gut?“ fragte nun eine vertraute Stimme vom anderen Ende der Gasse.
Erschrocken fuhr die junge Frau zusammen und starrte in die Dunkelheit. Sie hatte die Stimme zwar erkannt, doch war sie zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, als dass sie sie sofort wiedererkannt hätte.
„Was ist hier los“ fragte die junge Frau kaum hörbar, die Angst und die Verwirrung wären ihr vom Gesicht abzulesen gewesen. Auch in der Stimme waren ihre
Gefühle deutlich hörbar.
„Wurdest du angegriffen? Bist du verletzt?“ fragte der junge Mann, der ihr bereits einmal das Leben gerettet hatte und war im gleichen Moment bei ihr, in dem er die Fragen stellte. Sofort ließ sich die junge Frau erleichtert an seine Brust fallen und holte ein paar Mal tief Luft, um ruhiger zu werden und ihm die Situation erklären zu können.
Doch als sie zum Sprechen ansetzen wollte, kam kein Wort über ihre Lippen.
Die Geborgenheit, die sie in seinen Armen fühlte, raubte ihr die Kraft zu sprechen.
Und im Grunde hatte sie auch nicht das Bedürfnis, alles noch einmal durchleben zu müssen.
Auch als der ihr auf seltsame Weise so vertraute Mann sie noch einmal fragte, was geschehen war, konnte sie nichts sagen. Mit der Stirn an seiner Brust, die Augen geschlossen, schüttelte sie den Kopf.
„Nicht jetzt.“ Flüsterte sie.
Eine kleine Pause entstand, in der niemand der beiden sich zum Weiterreden verpflichtet fühlte. Doch dann kam der jungen Frau ein Gedanke, den sie bisher verdrängt hatte.
„Sagst du mir jetzt endlich, wie du heißt?“ rutschte es ihr heraus, ehe sie über den angemessenen Zeitpunkt dieser Frage nachdenken konnte.
Es war ihr unangenehm, dass sie so genervt klang, aber im Moment war sie genervt – in letzter Zeit passierte ihr so viel Verwirrendes und so viel Schlechtes, dass sie genug davon hatte.
Doch trotz der bissigen Frage antwortete der Mann mit der gleichen sanften und beruhigenden Stimme, mit der er sie das erste Mal angesprochen hatte.
„Mein Name ist Damian Vincent Devonshire. Aber für Freunde und Familie bin ich David.“
„Wieso denn David?“ fragte die Frau verwirrt.
„Wenn man die ersten zwei Buchstaben meiner Vornamen und den ersten meines Nachnamen nimmt, ergibt das David.“ Erklärte er.
„Oh, okay. Ich heiße Dawn. Dawn McKency.“ Antwortete sie diesmal etwas zurückhaltender.
„Aber sag mal, wieso nennt man dich David und nicht Damian? Warum so kompliziert?“
„So hat mich meine Mutter bereits genannt.“ Erklärte er und sie meinte zu spüren, wie er sie ein wenig fester umarmte. Sie rückte etwas von ihm ab und schaute dahin, wo sie seine Augen vermutete.
„Was ist los?“ fragte sie, obwohl sie ahnte, dass es mit seiner Mutter zu tun hatte.
„Nichts, es waren bloß Erinnerungen. Ich vergesse immer wie schmerzhaft sie sein können und doch erinnere ich mich immer wieder selbst an Dinge, an die
ich nicht erinnert werden will.“ Dann lachte er leise auf.
„Ich rede ganz schön wirres Zeug. Du verstehst sicher nicht ein Wort von dem, was ich sage, oder?“ Die junge Frau konnte das breite Lächeln auf seinem Gesicht förmlich sehen, das sie aus seiner Art zu reden heraushörte. Unwillkürlich begann auch sie zu lächeln. Erst war es ein fröhliches Lachen, da sie das Gefühl hatte, David etwas besser einschätzen zu können. Doch dann wurde es bitter und spiegelte ihre Erfahrungen und Erlebnisse.
„Du glaubst gar nicht, wie gut ich dich verstehe. Mein Leben war nie einfach, voller Probleme. Darum weiß ich, was du meinst.“ Diese kleine und doch viel von ihr preisgebende Aussage ging ihr so leicht über die Lippen, wie sie es nie gedacht hätte.Es war ihr schon immer unangenehm gewesen, offen über sich zu sprechen, selbst bei Freunden oder der Familie. Doch mit einem vollkommen Fremden auf diese Weise zu reden... doch aus irgendeinem Grund war er für sie nicht fremd.
Irgendetwas an ihm erinnerte sie an etwas, das sie eigentlich wissen müsste und ihr doch nicht einfiel.
„Das kann ich mir vorstellen. Man hat es in dieser Welt nie leicht wenn...“ begann David, doch er beendete seinen Satz nicht sondern drehte den Kopf zu der Seite der Gasse, von der er kurze Zeit zuvor aufgetaucht war.
war.
„Was ist? Kommt er zurück?“ fragte Dawn und ihr gingen Bilder der Szene durch den Kopf, die sie eben noch hautnah erlebt hatte.
Sie drückte sich wieder enger an David und starrte erschrocken in die Dunkelheit. Angst konnte sie nicht richtig empfinden, denn David war bei ihr und gab ihr Sicherheit.
David lauschte noch einen Moment in die Stille der Nacht hinein, dann schüttelte er den Kopf.
„Elias, lass das Rumschleichen. Sie hat schon genug durchgemacht.“
„Okay, ´tschuldige. Ich wollte euch halt nicht stören.“ Hörte man eine männliche Stimme, die immer näher kam.
Wortlos nahm David die Entschuldigung an, sprach dann jedoch erneut.
„Es wird auch langsam Zeit, dass du auftauchst. Wir sind schon lang genug hier. Und wer weiß, wann Coray mit seiner Bande wieder auf einen Besuch vorbeischaut.“ Sagte er. Dann wandte er sich wieder Dawn zu.
„Dawn, das ist ein sehr guter und alter Freund von mir. Elias. Man kann sich voll und ganz auf ihn verlassen. Auch wenn er oft alles auf Umwegen erledigt.“ Erklärte er.
Durch die Art, wie er seinen Freund vorstellte, wurde ihre gute Beziehung zueinander mehr als deutlich.
Dawn nickte Elias als Begrüßung etwas zurückhaltend zu und murmelte ein leises „Hallo“.
„Hey Dawn. Schön dich mal in natura zu sehen. Echt lang her seit dem letzten Mal.“ Begrüßte Elias sie gut gelaunt und grinste sie an.
Dawn wollte gerade fragen, was er mit dem letzten Mal meinte, da mischte David sich in ihre kleine Unterhaltung ein.
„Wir müssen hier weg. Alles andere kann warten, Dawn.“ Sagte er und warf seinem Freund einen tadelnden Blick zu, den Dawn nicht sah.
Elias zuckte nur leicht die Schultern und antwortete mit einem entschuldigenden Blick.
„Wo gehen wir denn hin?“
„Weg von hier, wo uns niemand findet.“ Meinte David und entließ Dawn aus der Umarmung, die ihr Sicherheit geben sollte.
„Lass uns gehen. Elias, du passt auf dass uns niemand folgt.“ Dieser nickte kurz und verschwand dann in der Dunkelheit.
„Wo ist er hin?“ fragte Dawn.
„Keine Sorge, er folgt uns. Aber er hält ein bisschen Abstand, um von eventuellen Verfolgern nicht bemerkt zu werden und uns im Falle eines Angriffs warnen zu
können.“
Als Dawn von Verfolgern hörte, sah sie automatisch hinter sich, konnte jedoch aufgrund der Dunkelheit nichts erkennen.
Sie seufzte, angespannt und enttäuscht zugleich.
Dann legte sich ein Arm um ihre Schulter und David zog sie zu sich heran.
„Ich werde für uns beide sehen. Und Elias sieht für uns alle. Dir wird nichts geschehen.“ Versicherte er ihr und sie beide ging kurz darauf los.
Strigoia Also erst einmal ein tolle Idee. Die Geschichte ist wirklich spannend. Allerdings wird der Lesefluss durch einige Wortwiederholungen gestört. Du solltest, wie Rose17 schon anmerkte, "die junge Frau" auch mal durch andere Ausdrücke ersetzen. Teilweise war es für mich etwas schwer durch die beieindruckende Eigenart deines Schreibstils der Handlung vollständig zu folgen. Ich hoffe auf eine baldige Fortsetzung. ;) Lg Strigoia |