Beschreibung
"Diese Geschichte soll dem Menschen vor Augen führen, wie grausam er wirklich ist"
- Manzana Apfelbaum -
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26. November 1994: Es war kalt, eiskalt. Der warme Atem aus meiner Nase, stieg als kleine Wolke zum Scheunendach empor. Ich öffnete meine kleinen, bernsteinfarbenen Augen, doch konnte ich nichts erkennen. Wo ich war, wusste ich nicht. Von überallher vernahm ich ein tiefes Röcheln, welches stetig lauter wurde. Es roch nach Gülle und Exkrementen. Ein Gestank, den ich nicht länger aushielt. Ich versuchte mich aufzuraffen und stellte fest, dass mein Körper zu schwach war, mir wurde übel. Angst überkam mich und mit einem krächzenden Bellen rief ich nach meiner Mama. Jedoch bekam ich keine Antwort. Ich zitterte am ganzen Leib, als mich eine nass-kalte Nase anstubste. Meine Nase erkannte den Geruch sofort, was schon verwunderlich war, denn durch die Kälte war es mir fast unmöglich gewesen, überhaupt etwas wahrnehmen zu können. Meine Mama begann mich abzulecken, damit mir etwas wärmer wurde.
Ich spürte, dass es ihr nicht gut ging und kauerte mich an ihren ausgehungerten Bauch. Kurz darauf vernahm ich ein dröhnendes Knarren und Lampen, die an den Decken hingen, gingen plötzlich an. Es ging alles so schnell: Irgendjemand Fremdes packte mich am Nacken und entriss mich so meiner Mama. Warnend knurrte und bellte sie den Fremden an. Er schenkte ihr keinerlei Beachtung, stattdessen beauftragte er einen Zweiten die "Töle" - so seine Bezeichnung für meine Mama - ruhig zu stellen. Ich zappelte und wippte hängend an seiner Hand, bis er mich ruckartig hin und herschleuderte. Mir wurde schwarz vor Augen und dann....
NICHTS!
 Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem Transportkäfig. Er war hart, eng und die kalten Eisenstäbe bohrten sich in meine zarten Fußballen und in einzelne Rippen hinein. 10 weitere Welpen waren bei mir.
Freude und Unbehagen mischten sich als ein zäher Gemütsbrei in mir zusammen. Nicht zu wissen,wo wir waren, wann wir wieder herauskamen und wieso diese Fremden uns so etwas antaten, war ein furchtbares Gefühl. Da fiel mir plötzlich ein viel schrecklicherer Gedanke ein: Wo war meine Mama? Ich wusste nicht genau, was es hieß "jemanden ruhig zu stellen".Es konnte sich allerdings in Anbetracht dessen, was uns hier gerade wiederfuhr, nur um etwas Grausames handeln. Unsere Gruppe wurde etwas später getrennt: Die Weibchen und Männchen wurden jeweils Paarweise in einen extra Käfig gesperrt. Mein Blick wanderte über den ganzen Hof. Ich konnte nun sehen wo wir uns befanden. Die Käfige standen inmitten eines Bauernhofes. Drei rot-weiß gemusterte Scheunen standen links, rechts und mittig als Halbkreis zusammen. In die rechte Scheune brachten die Fremden erwachsene Hunde unter, jeder von ihnen an Ketten stramm geführt. Alle von derselben Rasse: Dobermänner.
Ich selbst war gerade 4 Monate alt und hatte nicht wie die anderen deformierte Ohren und Ruten. Aus der mittigen Scheune trat nun der zweite Fremde heraus. Wo hatte er meine Mama gelassen? Der Mann öffnete den Käfig, indem eine Artgenossin und ich angekuschelt nebeneinanderlagen. Ihren Namen kannte ich nicht. Der Fremde war dürr, seine Arme sahen viel zu lang für seinen Körper aus und er hatte einen üblen Geruch an sich. Er kaute die ganze Zeit, was ziemlich bedrohlich auf mich wirkte. Er fletschte uns praktisch seine Zähne entgegen. Als er versuchte sie hinauszuziehen, bellte und biss die Kleine nach ihm, sodass er vor Schreck nach hinten auswich und über eine Unebenheit im staubigen Sand fiel. Ganz erschöpft von ihrem Angriff, keuchte die kleine Hündin und leckte sich die Pfötchen. Sie trug ein auffälliges Medaillon an ihrem Halsband. „Jetzt oder nie“, dachte ich mir und sprang mit einem Satz aus dem engen Käfig.
Als ich zurückschaute, sah ich, wie der schmale Mann sich über das kleine Wesen beugte, welches flehend um Hilfe schrie. Ich schaute kein 2. Mal zurück.Unbemerkt schlich ich mich in die Scheune, tapste von einer Ecke in die nächste, über Heu und Stroh hinüber, doch nirgends fand ich meine Mama. Meine weit aufgerissenen Augen suchten hastig jeden kleinen Winkel in der Scheune ab. Da! Endlich fand ich sie. Meine Mama lag angekettet an einem der leeren Käfige. Ihre Schnauze war mit einem dünnen Draht umwickelt. Eilig rannte ich auf sie zu, unsere Blicke trafen sich. Meine Mutter brummte bedrohlich. Ich spitzte meine Ohren und blieb wenige Schritte von ihr entfernt stehen. Der Draht hatte sich zentimetertief in ihr dünnes Fleisch gebohrt. Aus der Wunde rann dunkelrotes Blut. „Komm nicht näher“, keuchte sie. Ich tapste unsicher von einer Pfote auf die andere. Meine Mama. Nein, ich konnte sie doch nicht einfach dort am Boden liegen lassen!
Entschlossen trat ich einen Schritt näher an sie heran, doch nun wurde sie langsam panisch.„Komm...nicht...näher! Lauf weg, Diego. Lauf so schnell du kannst. Folge deinem Instinkt und schau nicht zurück! Lass mich hier liegen. Ich schaff das schon...Ich...bin..doch...deine Mama.“ Mit zittrigen Beinen trat ich noch einen weiteren Schritt heran, doch aus der Nähe vernahm ich menschliche Gerüche. Die Männer waren ganz in der Nähe. Einer von ihnen roch entsetzlich nach Schweiß. Wie von einem Floh gebissen, rann ich auf meine Mama zu. Ohne ihre Reaktion warzunehmen, begann ich das viele Blut aus ihrer Wunde abzulecken. Sie seufzte leise. Das Scheunentor klapperte und ich wusste, gleich würden die Männer hereinkommen und meine Mama mitnehmen. Das musste ich verhindern! Denn auch wenn sie mir viele brenzlige Geschichten aus ihrer Jugend erzählte, so wusste ich aus irgendeinem Grund, dass diese hier mit keinem Happy End enden würde.
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Ich knabberte an dem langen Seil, mit dem sie meine Mutter festgebunden hatten. Zog daran. Knurrte und bellte aus reiner Verzweiflung. Doch das Seil gab keinerlei Anzeichen, aufzugeben.Plötzlich riss meine Mama die Augen weit auf. Sie schrie: „Diego, lauf!“ Und biss mir in mein zartes Fleisch. Ich jaulte auf und begann zu rennen. Mein kleines Herz pochte nun merklich schneller. Entweder die Männer würden mich töten oder aber mein eigenes Herz, wenn es mir aus der Brust fallen würde, soviel war sicher. Ich spürte förmlich wie das Blut durch meine Venen schoss, hinein ins Herz, um es heftig Pulsieren zu lassen. Mein gesamter Körper erfuhr einen gewaltigen Adrenalinschub. Es war dasselbe Gefühl wie damals, als meine Mama und ich vor dem Imbissbesitzer davongelaufen waren, weil wir aus seiner Mülltonne gefressen hatten. Nur diesmal kam etwas entscheidendes hinzu: Todesangst. Ich rannte und rannte. Meine Lungen brannten wie Feuer. Draußen angekommen, verschnaufte ich kurz.
Ich schaute zur Scheune, leckte mir die Lefzen und erwartete fälschlicherweise, dass meine Mama jede Sekunde aus dem Scheunentor hinaussprang und wir von diesem schrecklichen Ort endlich fliehen konnten. Doch sie kam nicht. „Folge deinem Instinkt“, erinnerte ich mich. Wieder begann ich zu rennen. Diesmal in Richtung Straße. Es wurde langsam dunkel. Die Sonne stand blutrot tief am Abendhimmel. Fast an der Straße angekommen, vernahm ich ein entsetzliches, von Schmerz geprägtes Jaulen. Bald darauf begannen alle anderen Hunde auf dem Hof agressiv zu Bellen und gegen die Gitterstäbe zu springen. Ohne mich ein einziges Mal umzudrehen, lief ich hoffnungslos die endlose Landstraße entlang.
Ich wusste: Meine Mama würde ich nie wieder sehen.
-1. Kapitel folgt-