Das Funkeln der Sterne
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Das Funkeln der Sterne war irgendwie beruhigend.
Adam atmete tief durch und schloss die Augen. Ein sanfter Wind wirbelte seine Haare durcheinander und ließ die Laubblätter tanzen.
Sekunden verstrichen und wurden zu Minuten. Und auch die Minuten verstrichen wieder.
Die Stille der Nacht tat gut. Sie war mittlerweile zur einzigen Konstanten geworden, zur immer wiederkehrenden Sinfonie der Ruhe, der Unendlichkeit und der Hoffnung.
Und das in einer Welt, die doch eigentlich schon längst hoffnungslos verloren war und sich mitten im trüben Sumpf des Kapitals und des Konsums befand.
Das Wasser, dutzende Meter unter Adams Füßen, hingegen war noch klar.
Es spiegelte das Licht der Gestirne wieder, die da königlich strahlten am Himmelszelt und thronten über all den endlichen Gestalteten die für sich die Macht der Welt proklamierten.
Tief in sich gekehrt nahm Adam nicht wahr, was um ihn herum passierte. So bemerkte er auch die Schritte nicht, die schlurfend immer näher und hinter ihm zum Stehen kamen.
„Was tust du da?“, eine dunkle, männliche Stimme ließ Adam zusammenzucken. Er öffnete die Augen und drehte sich vorsichtig um.
„Warum stehst du da hinter dem Geländer? Willst du springen?“
„Und wenn?“, antwortete Adam und versuchte dem Blick des Mannes auszuweichen. Der Mann musste bestimmt schon über sechzig sein. Zumindest wirkte er mit seinem kahlen Kopf und den vielen Falten im Gesicht ziemlich alt.
„Dann müsste ich dich wohl davon abhalten.“
„Das würdest du nicht schaffen.“
Der Mann sagte darauf nichts mehr.
„Komm ja nicht näher!“, rief Adam ihm zu. Seine Finger gruben sich in das kalte Eisen des rostigen Brückengeländers.
„Tue ich nicht“, antwortete der Alte und versuchte besonders ruhig zu klingen.
Adams Herz pochte stärker. Was zum Teufel hatte der Typ auch um so eine Uhrzeit hier verloren?
„Meinst du wirklich, dass die Brücke hoch genug ist um zu sterben?“, fragte der Alte nach weiteren Sekunden der Stille.
„Das hoffe ich doch.“
„Aber was wenn nicht?“
„Was zur Hölle willst du eigentlich?“, Adams Stimme bebte.
„Dich vor einer großen Dummheit bewahren.“
„Hast du keine eigenen Probleme?“
„Gerade nicht.“
„Wie schön für dich.“
Der Alte verschränkte seine Arme vor der Brust. Er machte keinerlei Anstalten näher zu kommen.
„Warum willst du überhaupt sterben?“, fragte er.
„Warum nicht. Wir müssen alle mal sterben!“
„Aber du bist noch jung.“
„Tja.“
„Niemand will doch grundlos sterben. Was ist mit deiner Familie und deinen Freunden?“
Adam lachte laut auf.
„Was tust du wenn du springst und nicht tot bist?“, fuhr der Alte weiter fort.
„Dann hab ich wohl Pech gehabt“, Adam lachte wieder, „kannst du jetzt bitte gehen.“
„Nein.“
„Dann wirst du wohl mit ansehen müssen wie ich sterbe.“
„Du willst doch gar nicht sterben.“
„Natürlich will ich das!“
„Warum stehst du dann immer noch hier?“
„Halts Maul!“
„Erst wenn du zu mir rüber kommst.“
„Niemals.“
„Dann müssen wir uns wohl weiter unterhalten.“
„Nicht wenn ich jetzt springe!“
Der Alte schwieg und schien nachzudenken.
„Dann sag doch wenigstens warum du dein Leben beenden möchtest.“
„Reicht es dir, wenn ich dir sage, dass ich keine Arbeit mehr habe, wohl nie mehr eine finden werde und niemanden im Rücken habe, der mir Kraft gibt, mich unterstützt?“
„Nein.“
Adam runzelte die Stirn. Das Mondlicht wurde von dunklen Wolken verdeckt.
„Das ist doch kein Grund“, erklärte sich der Alte, „ du bist in einer Phase der Depression. So etwas hat fast jeder einmal.“
„Aber nicht jeder bringt sich um.“
„Ja“, antwortete der Alte, „und warum? Weil eine solche Phase auch wieder vorbei geht. Nach Regen kommt die Sonne. So ist das nun mal im Leben.“
„Bei mir ist das anders“, sagte Adam nüchtern und drehte sich von dem Alten weg, „ich werde jetzt springen.“
„Gut.“
„Gut?“
„Ja, anscheinend ist es ja wirklich das was du willst.“
„Ja.“
„Dann werde ich jetzt gehen, Adam.“
Adam zögerte.
„Woher kennst du meinen Namen?“
„Wie gesagt Adam. Ich werde jetzt gehen.“
Adam drehte sich um und sah wie der Alte sich immer weiter von ihm entfernte. Er drehte sich nicht mehr um und war schließlich ganz in der Dunkelheit verschwunden. Adam blieb regungslos hinter dem Brückengeländer stehen. Die Stille der Nacht kehrte zurück.
Und mit ihr das Funkeln der Sterne.