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Langsam schlenderte sie dann über die Senke zu 'ihrem' Lokal. Es wurde langsam Zeit, einen Käufer zu finden, dachte sie angesichts der Leute, die immer wieder mal hoffnungsvoll auf das Gebäude zu steuerten und dann enttäuscht abzogen. Vielleicht konnte ein neuer Betreiber mit mehr finanziellem Rückhalt die Eröffnung wagen. Ihre Zeit hier lief dagegen langsam ab, auch wenn Ray wie ein Magnet wirkte. Normalerweise wäre sie schon lange wieder auf der Landstraße!
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Von seinem Büro aus beobachtete Ray wieder einmal, dass sie sicher in ihrem Wagen ankam, was natürlich Blödsinn war. Aber sie war auch von hinten ein schöner Anblick, keine Frage. Mit einem Ruck drehte er sich wieder seinem Schreibtisch zu und legte eine der Mappen zur Seite. Dabei flatterte einer der Briefe zu Boden. Als er ihn aufhob und kurz überflog, stutzte er.
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Ray las den Brief noch ein zweites Mal und wusste einfach nicht, wie er ihn einordnen sollte. Fast schon wollte er sich auf den Weg zu Cassie machen, aber ließ es dann lieber bleiben. So unselbständig wollte er dann doch nicht aussehen. Trotzdem wusste er nicht, ob die Ankündigung in diesem Brief, dass der bekannte Restaurantkritiker James Tickler sich im Lauf der nächsten Woche 'die Ehre' geben würde, eine gute oder eine schlechte war...
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Jetzt war es eh Zeit, das Dinner zu überwachen. Zum Glück ging der Betrieb heute nicht ganz so lange, die Ausflügler mussten am Montagmorgen wieder an ihren Bürotischen sitzen... Kurz vor dem Schlafengehen warf Ray noch einen Blick über die Senke. Vor Cassies Wagen hing wieder die kleine Lampe und verbreitete ihr spärliches, aber warmes Licht.
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Ob ihre Besitzerin wieder in der warmen Luft am Tisch hockte? Schon wieder wäre er am liebsten zu ihr gegangen, in Erinnerung an die friedliche Atmosphäre vor ein paar Tagen. Aber auch diesmal ließ er es lieber bleiben.
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Cassie war derweil damit beschäftigt, Anzeigen für den Verkauf ihres Lokals zu schalten. Es hatte eine tolle Lage, da musste doch jemand Interesse haben! Andererseits lief die Hauptsaison langsam aus, da sollte ein Lokal besser schon einigermaßen etabliert sein. Um so wichtiger war es, das 'Sunset' und sein Personal auf Vordermann zu bringen, damit es auch in der Nebensaison Leute anzog...
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Mit einem Stöhnen lehnte sie sich zurück. Sie nahm es also schon persönlich, was Rays Erfolg anging, so ein Blödsinn.
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Aber er war sehr nett zu ihr gewesen und gleichzeitig noch so niedlich unerfahren, was sein Geschäft anging. Wenn schon ihr eigener Laden nichts wurde, warum nicht wenigstens dem anderen zum Erfolg verhelfen. Wäre doch peinlich, wenn sie von einem Versagerladen geschlagen worden wäre...
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Der nächste Morgen war wieder warm und strahlend, als Cassie zum Strand ging, wo sie, eigentlich nicht mal überraschend, Ray traf, der gerade aus dem Wasser kam. Er grüßte sie fröhlich und ließ sich in den Sand fallen. Die Art, wie das Wasser über seinen gut gebauten Körper perlte, ließ sie ganz und gar nicht kalt...
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Ray schien davon nichts zu merken, sank nach hinten und sagte: „Stellen Sie sich vor, gestern habe ich noch einen Brief gefunden. Darin kündigt ein Restaurantkritiker seinen Besuch an. Wenn wir bis dahin die Kommunikation des Personals auf die Reihe bringen und eine gute Kritik kriegen, dann hätten wir doch schon mal einen Fuß in der Tür.“
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Er wunderte sich, dass Cassie nichts sagte und richtete sich auf. „Oder?“
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„Naja, das ist wie auf Gericht und auf hoher See: Da ist man in Gottes Hand! Steht da auch, wer kommt?“
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„Er heißt John, nein, James Tickler...“
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Ihre Reaktion war so spontan wie unverblümt: „Ach du Scheiße! Dann sind wir im Arsch.“ Auch ihr fiel dabei nicht auf, wie selbstverständlich sie 'wir' sagte.
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Ray ruckte hoch. „Was?!!?“
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Jetzt ließ sich Cassie in den Sand fallen. „Ausgerechnet Tickler! Das ist der härteste Hund in der Branche! Aber wieso ein Brief? Der kündigt sich normal nicht an..“
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„Hm, es gab wohl einen Briefwechsel mit Crunner. Er dankt ihm für die Einladung und das Angebot – von dem ich nicht weiß, was damit gemeint ist – und kündigt sich für diese Woche an.“
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„Irgendein bestimmter Tag?“
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„Mittwoch oder Donnerstag“, antwortete Ray ein wenig mutlos. Cassies Reaktion war so spontan gewesen, er ahnte, dass sein Lokal einer solchen Herausforderung noch nicht gewachsen war.
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Doch erstaunlicherweise wurde die nun wieder munter. „Dann haben wir noch eine Chance! Aber wir müssen gut mit dem Personal üben. Tickler ist wirklich eine Zecke, er hängt sich in die Abläufe rein und kritisiert fast alles. Es ist sehr schwer, ihn zufrieden zu stellen, aber er hat eine große Macht in der Presse. Das einzige, was mich wundert: Normalerweise kommt selbst er erst, wenn ein Lokal schon ca. ein halbes Jahr geöffnet ist. Und ich habe noch von keinem Geschäftsführer gehört, der ihn freiwillig eingeladen hätte...“
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Sie sprang auf. „Sie müssen gleich heute beginnen, das Personal einzuschwören. Wir müssen ein paar Umbauten vornehmen. Und ich..“ Sie stockte, stoppte ihren Redefluss, um sich von ihren eigenen Gedanken überholen zu lassen. „Ray, es gibt eine reelle Chance, aber dafür müsste ich ein paar Einkäufe tätigen. Und dafür, nun ja, ich bin zu Zeit etwas klamm...“, murmelte sie abschließend, die Situation war ihr mehr als peinlich.
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Ray sprang ihr bei. „Sie brauchen einen Vorschuss“, meinte er. Er wusste, wenn er es so nannte, würde sie darauf eingehen. „Aber wenn es für das 'Sunset' ist, sind es ja eigentlich Geschäftskosten. Wann wollen Sie einkaufen gehen?“
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„Nach der Mittagszeit. Vorher müssen wir.. müssen Sie noch mit den Leuten reden.“
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„Ja, WIR“, betonte er, „müssen die Kommunikation verbessern.“ Er stand auf. „Dann sehen wir uns in einer Stunde, oder? Aber ich habe Sie vom Schwimmen abgehalten, bitte, lassen Sie das nicht ausfallen!“
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Das war vielleicht gar nicht so eine schlechte Idee. „Okay!“, antwortete Cassie und sprang gehorsam ins Wasser.