Kapitel 1 In den Hallen von Kivale Helle Aufregung herrschte in den Hallen Kivales. Die bleichen Wesen, die aus Pergament zu sein schienen, schwebten unruhig durch die Nacht. Keine Farbe schmückte sie, dennoch war ihr Anblick außergewöhnlich. Ihre Haut war makellos und eben flächig wie feinst gefertigtes Porzellan. Ruaidhri stampfte mit seiner königlichen Art vor seinem Thron hin und her. Wie oft hatte er ihr verboten, in den Ebenen zu tanzen? Die Winde waren dort
tückisch. Er konnte ihr nicht helfen, nicht bevor die folgende Nacht heran brach. Erst wenn sich erneut die Dunkelheit übers Land legte, würde er seine Tochter zurück holen können. „Wie konnte das nur passieren?“, dröhnte seine Stimme durch die gläserne Halle. Alannah und Pearl, seine beiden jüngeren Töchter schluchzten. Die Ungewissheit über den Verbleib ihrer älteren Schwester ließ sie bitteren Tränen weinen, die sich wie ein Regenmeer über die Wiesen des gesamten Countys ergossen. Alle im Reich waren durcheinander und
aufgebracht. Niemand traute sich nur einen Mucks zu sagen oder zu denken. Ihr König herrschte über den Wolken, im Reich Kivales. Doch auf der Erde war seine Macht begrenzt. „Was wirst du nun tun?“, schrieb Alannah mit kivalischen Buchstaben auf den Wolkenteppich neben den Thron ihres Vaters. Ruaidhri blickte, wissend, dass die Sonne sich schon bald über die Ebenen von Maurice legen würde, zum westlichen Horizont. Entschlossen griff er sein aus Malera bestehendes Zepter und richtete es auf die Kastanie, unter der Siobhan verweilte. Sie versteckte sich in der schützenden
Dunkelheit unter der Baumwurzel. Ihrem kindlichen Tanze verfallen, missachtete sie die Verbote ihres Vaters und verirrte sich in den sehnsüchtigen Küssen der Erde. Sollten die ersten Sonnenstrahlen sie berühren, würde sie augenblicklich verbrennen. Verängstigt harrte sie aus im Schutz des Morgennebels, der sich wie eine Decke über den Waldboden legte. In den Fängen des Waldes war ihre Hülle nur ein Hauch von irgendwas. Auch mit gezieltem Blick konnte man sie nur erahnen. Siobhan war perfekt getarnt. Ruaidhri schickte einen Blitz los. Und sein Schlag traf genau in ihr Herz. Ein
Schrei, gleich dem eines Kindes, durchbrach die nächtliche Stille des Waldes im selben Moment, da das erste Licht des Morgens ihren Körper erreichte.
Kapitel 2 Erinnerung Irland/Oktober 1783 Ieuan saß wie an so vielen Abenden unter der alten, knorrigen Eiche, die mit ihrem gewaltigen Wuchs alle Bäume des Waldes überragte. Ihre Blätter schienen wie jedes Jahr dem Herbst zu trotzen. Es war der schönste Ort am Rande von Clar Cloinne Mhuiris. Die Dorfbewohner nannten ihn die 'Ebene von Maurice'. Den Namen hat sie vom normannischen Eroberer Maurice de Prendergast, der um 1170 dies Land sein Eigen nannte. Schon seine Mutter liebte diesen Ort. Als Ieuan gerade fünf Jahre alt war, wanderte Màire mit ihm ins Tal.
Viele Jahre vergingen seit her. Und viele Tage und Nächte quälten ihn seine Erinnerungen an die Zeit seiner Kindheit. So auch jener Tag im November 1758: Sein Vater Aidan hatte drei Tage und Nächte in den Wäldern westlich von hier gelauert. Der kalte Wind und die immer andauernde Feuchtigkeit hatten ihm ordentlich zugesetzt. Am vierten Tag kam er erschöpft, doch erfolgreich von der Jagd. Die Hungersnot sollte nun ein Ende haben. Das Schwein, das Aidan erlegt hatte, stand allerdings selbst kurz vor dem Hungertod. Und damit war nicht viel Fleisch an ihm. Aber es sollte für die nächsten Wochen reichen.
„Ich werde mich an die Arbeit machen und das arme Tier abziehen“, sprach Màire, endlich wieder Hoffnung schöpfend. „Lennon, Ieuan, lauft schnell in den Wald und holt Holz!“ „Heute Nacht werden wir satt zu Bett gehen.“ Aidan rieb sich den knurrenden Bauch, als befände der saftige Braten sich bereits in ihm. Die Sorge in den müden Augen des Vaters war verschwunden. Das gefiel Ieuan sehr. Die Jungen flitzten wie der Wind, der sie flugs ins Tal führte. „Lass uns nach rechts gehen.“ „Aber dort ist das Moor. Da dürfen wir
nicht hin.“ Ieuan wusste, ihr Vater würde sie hart bestrafen. Da liegt massenhaft trockenes Holz. Ich sah es schon beim letzten Mond. Wir brauchen es nur noch einsammeln." „Aber wir werden großen Ärger bekommen.“ Lennon war sieben Jahre älter als Ieuan und ignorierte seine Worte. Er rannte, von seinem Schatten gejagt. Er schien beinah abzuheben. Sein braunes Haar hüpfte bei jedem Sprung mit und fiel zunehmend schwerer vom feuchten Hauch des aufsteigenden Abendnebels auf seine schmalen Schultern. Ieuan konnte ihm nicht folgen. Seine
kleinen Füße trugen ihn nicht schnell genug. Sie hatten seit Tagen so gut wie nichts gegessen. Und der Hunger zeichnete seinen kleinen Körper am meisten. Die scharfen Halme des Moores schnitten ihn zwischen seine Zehen. Die kalte Nässe kroch in seinen Körper. Und etwas hatte ihn in die Wade gebissen. Es brannte wie Feuer. Doch die Wut über Lennons Ignoranz ließ ihn durchhalten.Völlig außer Atem erreichte er schließlich seinen Bruder, nur um die Worte deutlicher zu wiederholen: „Aber wir werden großen Ärger bekommen.“ Sein großer Bruder riss die Arme weit zu den Sternen, und jeder Zug in seinem
Gesicht jubelte. Sein Blick zeigte auf einen umgefallenen Baum, der auf dem Moorboden über einem Graben lag. „Was habe ich dir gesagt? Wir brauchen nur noch alles zusammenbinden. Und dann nach Hause.“ Die Kiefer musste im vergangenen Herbst der starke Sturm umgerissen haben. Es war genau zu sehen, an welcher Stelle das Unwetter sie brach. Ieuan hatte noch nicht die Kraft, Zweige und Äste zu brechen. Er sammelte einfach nur das herumliegende Holz und packte es auf einen Haufen. Beide machten sich keine Gedanken darüber, wie sie es den ganzen Weg zurück tragen sollten.
Lennon trat gegen die dicksten Äste und sprang auf ihnen herum. Der erste Sprung gab den Takt an. Er tanzte auf den Ästen. Die Zweige wippten mit, und er fühlte den Trommelschlag unter seinen nackten Füssen. Er trat und sprang, und sprang und trat. Und dann passierte es. Er rutsche ab und fiel in den Graben. Es war tief genug, dass ein spitzer Ast sich in seinen Brustkorb bohrte. Dieses Bild brannte sich für immer in Ieuans Kopf. Die ganze lange Nacht schluchzte er, legte sich auf die Brust des Toten. Bis zur Erschöpfung weinte er und wischte sich die Tränen von den Wangen, und so
vermischte sich das Nass auf seinem Gesicht mit dem Blut von Lennon. In diesen Stunden verschwand die Unschuld, die Reinheit aus dem Gesicht des Vierjährigen. Seine Augen hatten den kindlichen Blick verloren. Die zusammengepressten Lippen verrieten seine Verzweiflung. Er hoffte so sehr, dass bald jemand käme. In seinen Gedanken wiederholte er den immer gleichen Satz: Das ist nicht fair, Vater wird schimpfen, weil wir nicht auf ihn gehört haben. Und sein winziger Körper krümmte sich vor Hunger, Angst und Kälte. Doch Aidan Ó Briain schimpfte nicht, als
er seine beiden Söhne am nächsten Morgen fand. Schweigend nahm er Ieuans Hand und hob seinen kleinen, erschöpften Körper hoch und drückte ihn an sich. Sein Blick richtete sich zögernd auf seinen Erstgeborenen. Das Leid schmerzte in jedem seiner Glieder, auf jedem Zentimeter seiner Haut. Nein, er schimpfte nicht. Er schimpfte nie wieder seit jenem Tag.
Kapitel 3 Der erste Fall Oktober 1783 Der Wind wehte mild über die satten Wiesen. Immerzu schienen sie grün. Das Land des ewigen Frühlings. Die reine Luft ließ Ieuan vergessen, ließ ihn ziehen für einen Augenblick. Zu tief noch saß der Schmerz, den er erleiden musste. Wird er je wieder lieben können? Wird sein unendlicher Hass auf die Engländer sein ständiger Begleiter sein? Sie waren verantwortlich. Zu viele derer, die er kannte, mussten ihr Leben lassen, ob in Krankheit, vor
Hunger oder im scheinbar aussichtslosen Kampf um ihre Freiheit. Auch sein Vater wurde Opfer. Er starb vor einigen Wochen. Eine mysteriöse Krankheit, sagte Lennon Mac Suibhne. Er war der beste Freund seines Vater. In vielen Schlachten und Aufständen gingen sie Seite an Seite. Dreimal schon rettete er Aidan das Leben. Und wofür? Für nur noch mehr Leid? Dafür, dass er in seinem Bett dahinsiechte wie ein kranker Hund? Dafür, dass er seiner Frau Màire beim Sterben zusehen musste? Dafür, dass er so viele um sich herum sterben sah?
Ieuan war wütend, und es gab niemanden, dem er das sagen konnte. Er saß allein unter der alten, knochigen Eiche. Seine grauen Augen starrten abwesend auf die Wurzelenden, die sich wie Finger in den Boden gruben. Die Rinde rieb an seinem Rücken. Und ein Ast schwankte in den Fängen des Windes hin und her. Ieuans Blick folgte ihm. Schon Großvater erzählte von der alten, knochigen Eiche, die alles hören und sehen konnte. Welche Geheimnisse verbarg sie wohl unter ihrer warmen, schützenden Rinde? Ieuan lauschte dem Rascheln der herabfallenden
Blätter. Sie kam in die Jahre. Es war noch nicht einmal November und sie verlor schon ihre Blätter. Die Kräuter und der Pinienduft badeten im Westwind und legten sich müde auf Ieuans Gesicht. Seine Lider wurden schwer. Sein Kopf schmerzte. Zu viele Gedanken durchstreiften sein Hirn. Ein Donnergrollen fuhr durchs Firmament und legte sich tonnenschwer auf seine Schläfen. In den Ebenen von Maurice zog ein starker Sturm auf. Die Wolken zogen schneller als gewöhnlich vorbei. Ein Teppich aus Laub, Sand und Blüten verschiedenster Art legte sich übers
Land. Wenn es am Horizont auch noch finster war, konnte man doch die ersten Sonnenstrahlen schon erahnen. Die Winde kreiselten über jeden Zentimeter der Erde, so als suchten sie nach etwas. Ieuan zuckte zusammen, als auch er durchstöbert wurde. Seine Augen öffneten sich im selben Moment, als fünfhundert Meter westlich von ihm, neben den Mooren etwas vom Himmel zu fallen schien. Ein heller Lichtstrahl zwang ihn, die Augen zuzukneifen. Er konnte nicht genau erkennen, was es war. Schnell sprang er auf, wollte loslaufen und nachschauen. Seine Füße rutschten
im nassen Gras aus. Der Hunger hatte seinem Körper stark zugesetzt, und er hatte in den letzten Monaten mehr als zwanzig Pfund verloren. Doch Beine und Arme trugen eine schwere Last. Es fiel ihm schwer zu laufen. Und jeder Meter, den er dem Moor näher kam, wurde zu einem gefühlten Tagesmarsch. Seit dem Tod seines Bruders hatte er das Moor immer gemieden. Heute war es anders. Etwas außergewöhnliches hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nicht zu erklären war das, was seine Augen vor Sekunden erspähten. Für einen Vogel war es zu schnell und auch zu groß. Etwas war aus den Wolken
gefallen. Ieuan musste unbedingt wissen, was es war.
Kapitel 4 Die erste Begegnung Siobhans Augen waren geschlossen. Der Schutzzauber, mit dem ihr Vater sie belegte, marterte ihren zerbrechlichen Körper. Ihr braunes Haar verriet einen Hauch von Gold, es legte sich mit sanften Wellen über ihr makellos schönes Gesicht. Ihr Körper war nackt und wirkte grazil und gebrechlich, nur geschützt von der Kastanienwurzel. Ihre Haut war so ebenmäßig und rein und straff, dass sie wie eine Hülle wirkte. Ihre Seele lief völlig wirr durch ihre Träume, die ihren Kopf im Schlaf durchströmten.
Ieuan schleppte sich durch den Tag, den Abend und die heran brechende folgende Nacht. Seine mageren Waden waren von dem Gestrüpp, das er durchwanderte, völlig zerkratzt. Ohne es zu ahnen, hatte er den richtigen Weg genommen. Nur bewegte er sich kurz vor dem Ziel ständig im Kreis. Erschöpft blieb er schließlich stehen und schaute sich vorsichtig um, sofern seine Augen in der Finsternis etwas erblicken konnten. Da war nichts, nur göttliche Stille. Ging er sonst nächtens durch diese Wälder, wurde er immer von den neugierigen Augen der Baumbewohner beobachtet. Und es knisterte und knarrte und raschelte. In dieser Nacht
schien selbst sein Herz lautlos zu schlagen. Gerade kam ihm der Gedanke, vielleicht von seinen Augen getäuscht worden zu sein, vielleicht ist doch nichts vom Himmel gefallen. Wie konnte das auch sein. Sicher hatte er nur einen Vogel gesehen,der nun verendet hier irgendwo in den Büschen lag. Siobhan öffnete ihre Augen, es war anders wie sonst zu sehen, klarer und dennoch nebulös. Der Körper schien ihr voll und rund. Das Atmen fiel ihr schwer. Sie hatte keine Kraft in den Beinen, und Gleichgewicht war praktisch nicht vorhanden. Sie wollte sich irgendwo
festhalten, um sich aufzurichten. Der Ast, nach dem sie griff, rutschte allerdings durch ihre Finger, da auch sie grazil und gebrechlich waren. Ein unweigerliches Aaah entwich ihrem Mund, und sie erschrak so sehr vor ihrer eigenen Stimme, dass sie aufsprang ohne das Gefühl jeder Anstrengung. Da stand sie, verwirrt, makellos schön und nackt. Und Ieuan erstarrte, als er sie vor sich sah. Allem Anstand zum Trotz konnte er seine Blicke nicht von ihrem perfekt proportionierten Körper lassen. „Das ist sehr unhöflich“, dachte sie
eigentlich nur, doch die Worte waren ihrem Mund bereits entfleucht. Aus seinem Wachtraum herausgerissen, öffnete er nervös und ungelenk sein Lèine, das Band, welches er um seine Hüften trug. Schnell zog er das Hemd über den Kopf, und nein, er zog sich nicht aus, um ihr gleich zu tun, er reichte es ihr langsam herüber. Gerade streckte sie ihre Hand aus, um es zu greifen, als ein lautes Donnern den Himmel erfüllte. Beide erschraken. Ruaidhri schickte zwei Blitze los. Einer traf Ieuan, der sogleich das Bewusstsein verlor. Der andere machte Siobhan wieder zu dem, was sie war. Nur ein Hauch voller Gedanken, getragen vom
Nebel zog sie gen Himmel. Wie ein flüchtiger Kuss streifte sie die schorfige Wange des Fremden zum Abschied. In tiefer Nacht durchfuhr ihn ein Zucken. Und in der Sekunde, da sich seine Augen wieder öffneten, suchten seine Blicke sogleich die Verschollene. Die vorher herrschende Finsternis wurde nun durch den Mondschein verdrängt, der ein so wundervolles Schattenspiel in die Landschaft zauberte, dass Ieuan für einen Moment dachte, er würde sich noch immer in einem Traum befinden. Der Mond war voll und stand weit oben. Seine Helligkeit ließ nichts ungesehen. So suchte Ieuan Ò Briain nach der Frau,
die von nun an sein Leben verändern sollte.
Kapitel 5 Schwarze Tage „Du musst ihn vergessen!“ Seine Worte waren streng und bestimmend und schienen endgültig. Siobhan weinte bittere Tränen. „Ich kann ihn nicht vergessen. Als ich einen Körper hatte, konnte ich fühlen, wie mein Herz schlägt - für ihn, Vater.“ „Er ist ein Erdling. Ich befehle dir, ihn zu vergessen!“ Sie hatte sich in ihrer Trauer vergraben. Nicht ein einziges Mal mehr hatte sie getanzt. Ihr farbloser Körper regte sich nicht mehr, sie wirkte unsichtbar, kein Gedanke durchlief sie, kein Gefühl der
Trauer und des Schmerzes regte sich in ihr. Ihre pergamentscheinende Hülle wirkte nun wie Glas. Niemand konnte ihren Geist erreichen. Ihre Schwestern machten sich Sorgen. „Vater, du musst sie gehen lassen!“, Pearls Stimme durchdrang die Ohren des Königs wie ein Pfahl aus Eis. Ruaidhris Blick ruhte auf dem Haus des Bogners. Er beobachtete ihn unaufhörlich seit jener Nacht. Tief im Innern wusste er, seine Tochter würde ihn bis ans Ende ihrer Tage verachten für seine Sturheit. „Vater, du musst dich entscheiden.“ „Ich soll sie da runter schicken in dieses Elend?“
Alannah trat hervor, seine Jüngste. Mit sanfter Stimme sprach sie in sein Ohr: „Wir werden sie verlieren.“ „Ich hab sie doch schon verloren“, sprach er mit einem Grollen, das die Kraft seiner Worte unterstützte. „Sie liebt dich doch.“ „Ist sie nah, ist sie dir fern. Und ist sie fern, wird sie dir nah sein. Du musst dich entscheiden!“ Pearl streifte die Hand ihres Vaters mit ihrer ganzen Wärme: „Gib ihr einen Körper! Nur du kannst das.“ Die Entscheidung war bereits gefallen. Doch versuchte ein letzter Zweifel seine Gedanken zu verlassen. „Ich soll sie da runter schicken, da wo
die Männer sich seit Jahrhunderten auf den Feldern abschlachten wie Vieh, und ihre Frauen verbrennen auf Scheiterhaufen ? Wie könnte ich das tun?“ Clar Cloinne Mhuiris/November 1783: Seine Verzweiflung ließ das Wetter über dem County unberechenbar werden. In einer Minute schien die Sonne, der Wind wehte gleichmäßig von Westen her, und Sile Ò Ceallaigh hängte ihre Wäsche auf. In der anderen Minute zogen finstere Wolken auf und der Regen prasselte im 45° Winkel auf Siles frische Wäsche, die sie sogleich wieder abnahm. Dann schien wieder die Sonne. Sile
schaute misstrauisch und hängte nach kurzem Zögern ihre Wäsche wieder auf. Dann zogen Wolken auf, finsterer noch. Sile schnaubte und riss die Sachen wieder von der Leine. Und so ging das stundenlang. Währenddessen hockte Ieuan in seinem Haus aus Stein und Lehm, eigentlich war es nur eine Hütte, und er fühlte sich hier schon lange nicht mehr zu Hause. Das Dach musste repariert werden, die Tür schloss nicht mehr richtig. Eines der drei Fenster im vorderen Teil war zu gehangen. Seit Monaten hatte niemand mehr den Boden gefegt oder Staub gewischt. Es war schummerig. Jegliches Gefühl von
häuslicher Geborgenheit war im März diesen Jahres mit seiner Mutter gestorben. Ieuan erinnerte sich an diesen furchtbaren Tag und ihre Worte: „Es ist ein Ende abzusehen, mein Sohn.“ Was sie damit meinte, wusste er damals noch nicht. Máire sagte es jedes mal, wenn sie zu der alten, knochigen Eiche kamen. Der Baum war riesig und wirkte beinah lebendig. Wenn Ieuan unter ihm im dichten Gras lag, schienen seine gewaltigen Äste vom Wind getrieben nach ihm zu greifen. Ieuan wurde älter, wuchs heran, und mit ihm das Wissen, welches das Geschehen um ihn herum betraf. Es wurde seltener, aber der Geruch, der
widerliche Gestank brannte sich in seine Nase.
Eigentlich waren die schlimmsten Zeiten der Hexenverfolgung und Verbrennung in Irland bereits vorbei. Und sie hatten noch Glück gehabt. In Mitteleuropa, erinnerte er sich gehört zu haben, gab es Tausende, meist Frauen und auch deren Kinder, die sie auf den Scheiterhaufen verbrannten. Doch es gab auch hier immer irgendeinen von teuflischem Ehrgeiz getriebenen Inquisitor, der einen Grund für eine Anklage fand. Ieuans Körper spannte sich an, jeder Muskel verhärtete sich. Und im schummerigen Licht der Kerzen konnte
man meinen, sein Körper sei in Bronze gegossen. Wie glühende Kohle hatten sich die Worte seiner Cousine von jenem Tag in sein Hirn gebrannt: "Sie sind hinter mir her. Sie wollen mich töten! Lasst nicht zu, dass sie mir weh tun!" „Caoimhe, beruhige dich!“ Máire holte sie ins Haus und nahm ihr den durchnässten Umhang ab. Ihr Gesicht war mit Blut und Dreck verschmiert. Ieuan saß in der Ecke und schnitzte Pfeile für die Jagd. Er war groß gewachsen wie sein Vater. Und er hatte den Schein der Abendsonne im Gesicht, der sich durch die Fensteröffnungen
quälte. Stumm und Anteillos verfolgte er das hastige Gespräch zwischen Caoimhe und seiner Mutter. „Sie werden dich nicht auf den Scheiterhaufen bringen. Sie haben keine Beweise.“ „Sie brauchen keine Beweise. Letzten Monat nahmen sie die junge Brighid Ó Riagáin und ihren erst drei Jahre alten Sohn Fearghas fest. Nur einen Tag später wurden sie beide verurteilt und verbrannt.“ Caoimhe zitterte am ganzen Leib. Die Angst schnürte ihren Hals so eng, dass sie nur noch flüsterte. Máire schüttelte ihren Kopf unweigerlich hin und her,
nicht verstehend, was hier passierte. Sie wollte ihr Trost spenden und hielt ihre Hände. Sie waren geschwitzt und kalt. „Was war die Anklage?“ Caoimhe trank hastig einen Schluck Wasser, den Máire ihr in einem Tonbecher gereicht hatte. „Für uns brauchen sie doch keine Anklage. Wir sind Frauen, Mütter.“ Sie schluchzte und rang nach Atem, bevor sie weiter reden konnte. „Also ich ging in den Wald, um nach Heilkräutern zu suchen. Und Lan wurde auch bald darauf gesund. Dann kamen SIE, schleppten mich zu ihrem Inquisitor. Der sagte, ich sei femina - zu schwach
zu glauben. Und er beschuldigte mich der Hexerei. Ich konnte fliehen, doch sie sind hinter mir her.“ Plötzlich fing Caoimhe hysterisch an zu lachen. In ihren Gedanken spielten sich grausame Szenen ab, wie sie sie folterten und missbrauchten bis sie nur noch ein wertloses Stück Fleisch war, das verbrannt werden sollte. „Dich werden sie auch holen. Du hast mir Unterschlupf gewährt.“ Aus dem Lachen wurde ein Weinen.Dann hörte man Pferdegetrampel, und allen dreien stockte der Atem. Ein leises und dumpfes Geräusch. Dann wurde es zunehmend lauter. Ieuan hörte das
Klappern des Geschirrs und wie die Pferde auf ihrem Zaumzeug herumkauten. Ein Reiter sprang vom Sattel und kam mit schweren Schritten näher. Ein zweiter folgte ihm. Ieuan sprang auf und griff die Hand seiner Mutter. Doch es war bereits zu spät. Zwei Männer in dunklen Umhängen betraten grinsend das Ó Briain-Haus. Sie hatten den Schein der untergehenden Sonne im Rücken, und der Staub, den sie aufwirbelten, erstickten die letzten Worte, die Caoimhe zu sprechen fähig war. Ui Murchadhadh, ein kleiner aber kräftiger Mann mit winzigen Augen und
lächerlich gepflegtem Bart, schlug Caoimhe heftig ins Gesicht und schrie sie an, da sie augenblicklich das Bewusstsein verlor. Er trat und schüttelte ihren geschundenen Körper. Sie sollte jeden Schmerz spüren, den man ihr von nun an bis zu ihrem baldigen Tode zufügen würde. „Steh auf, du Mistweib!“ Máire versuchte, ihn abzuhalten. In ihrer Verzweiflung befahl sie den beiden ungebetenen Gästen, ihr Haus zu verlassen. Ieuan wusste, dass alles, was sie von nun an taten, vergebens war. Seine Haut brannte in seiner Wut. Er atmete kurz. Seine Augen funkelten wie die eines
Wolfes, bevor er sich entscheidet, die Beute zu packen oder zu flüchten. „Ihr könnt sie nicht mitnehmen. Sie hat nichts getan.“ Máire spürte die Verzweiflung in sich, und dennoch war es zorniger Stolz, mit dem ihre Augen denen von McCorley begegneten. Ieuan kannte ihn. Er war ein Freund seines Vaters. Sie gingen oft zusammen auf die Jagd. Und jetzt verriet sein Blick seine Unsicherheit. „Sie ist eine Hexe!“, schnaubte er. Wieder trat er Caoimhe in den Unterleib. Seine Stiefel waren aus festem Leder. Das ungeborene Leben in ihrem Bauch hatte keine Chance. Er zog sie so heftig an ihren Haaren, dass er ganze Büschel
ausriss. Über dem linken Auge klaffte eine tiefe Wunde, aus der das Blut über ihr schmerzverzerrtes Gesicht lief. „Sie ist keine Hexe. Und das wisst ihr.“ Ieuan war bekannt, wie das läuft. Er wusste, wie sie einem die Worte in den Mund legten, um jeden zu kriegen, den sie wollten. Er wusste, wie furchtbar die Foltermethoden von Ui Murchadhadh waren. Die Frau, die sie erst vorigen Monat auf dem Scheiterhaufen verbrannten, war an den Beinen übersät mit blauen Flecken. Man hatte ihr die Ohrläppchen abgeschnitten und den Kopf geschoren. Ihre auf den Rücken gefesselten Hände hielt sie vor Schmerz verkrampft. Ihre
Daumen wurden gequetscht und die Mittelfinger gebrochen. Ihre Augen flehten, ihren Körper zu erlösen. Ui Murchadhadhs Lippen öffneten sich für ein widerliches: „So glaubt ihr nicht an Hexerei?“ McCorley, riesenhaft neben seinem Begleiter strich eine seiner roten Strähnen aus seinem Gesicht und räusperte sich. Dann sagte er mit gleichgültigem Ton: „ Wir nehmen beide mit!“ „Nein!“ Ieuan versuchte beide wegzustoßen. Màire hielt seine Hand fest, um ihn zurück zu halten. Zwei weitere, kräftig gebaute Männer
traten ein. Ieuan kannte sie beide. Den einen nannten sie hinter seinem Rücken Hühnchen, da er wie eines gackerte, wenn er lachte. Der andere hieß Mad. Er schlug immer schon gerne zu. Und kämpfen konnte er. Nur war er nicht mehr als ein Hund seines Herren. Ieuan hatte keine Chance. Sie trafen ihn hart. Mad schlug mit seiner eisernen Faust unermüdlich in seinen Magen, dann auf die Nase. Ein Knacken erreichte seine Ohren. Es brannte wie Feuer. Drei weitere Schläge vom Hühnchen ließen ihn zu Boden gehen. Die Rippen schmerzten höllisch. Wie Messerklingen
schnitten die Knochen in sein Fleisch. Auf dem Boden liegend rang er nach Luft. Wut lag in seinem Blick. „Lasst meine Mutter in Ruhe!“ Amüsiert über Ieuans Worte hielt Mad seinen Kopf hoch und schlug ihn mit dem Stiefel gegen die Stirn. Ieuan stöhnte vor Schmerz. Ein Dröhnen durchfuhr seinen Kopf. Sein Speichel vermischte sich mit Blut und dem Staub auf dem Boden. Leise röchelte er: „Das könnt ihr nicht tun!“ Sie schenkten ihm nicht einmal mehr einen einzigen Blick. Er war keine Bedrohung mehr. Den Frauen fesselte man die Hände auf den Rücken und nahm sie mit.
Máires letzte Worte an ihren Sohn waren: „Versprich mir, dass ihr nicht zusehen werdet, versprich mir, dass Aidan nicht zusieht, versprich es mir!“ Ieuan hatte das Gefühl, er würde schreien, aber es kam kein Ton aus seinem Hals. Es schien ihm, als wäre er hier und dennoch nicht hier. Ihre Worte klangen wie in einem Traum. Dann wurde es schwarz vor seinen Augen. Schwarz und düster war auch der Tag, an dem die Rauchschwaden über Clar Cloinne Mhuiris in den Himmel stiegen, und mit ihnen Máire Bean Ò Briain.
Kapitel 6 Der zweite Fall Immerzu dachte er an seine Mutter, an seinen Vater, seinen Bruder und an das Mädchen im Wald. Die Kate und alles, was darum war, verrottete. Die Felder blieben in diesem Jahr unbestellt. Der Blumengarten rechts vor der Hütte war von Unkraut überwuchert, der Gemüsegarten links gab ganze zwei Kohlköpfe her. Das Holz hinter der Hütte war für diesen Winter noch nicht aufgestockt. Ieuan grübelte, während er dem einzigen nachging, das ihm diesen Winter Geld bringen konnte und damit etwas zu
essen. Er verstand sich in der Herstellung von Bögen. Das hatte er von seinem Vater gelernt. Jeden Winter gingen sie zusammen in die Wälder, suchten sich die passenden Eiben und dann saßen sie Abend für Abend, während Máire am Feuer die Suppe kochte, im hinteren Teil des Hauses und fertigten ihre begehrten Bögen. Ieuan erlernte vor einigen Jahren auch das Pfeilschnitzen. Seine Arbeiten waren sehr gefragt, er brachte es fertig, seine eigenen Pfeile über 200 Meter zu schießen. Einmal waren es 235 Meter. Und so fand er einen guten Absatz. Seit Stunden hockte er nun in der Ecke seiner Kate und arbeitete an den Bögen.
Das Grau in seinen Augen war klar wie ein Bachlauf im Frühling. Etwas Trauriges war in seinem Blick. Und die vielen kleinen Fältchen erinnerten an die Lebensringe eines Baumes. Auf der linken Wange zeichnete sich eine tiefe Narbe ab. Sie war nicht die einzige, doch sichtbare Wunde, die seinen Körper zeichnete. Viele Jahre kämpfte er um sein Land. Bei unzähligen Aufständen hielt er tapfer sein Schwert gegen die englischen Truppen. Die Ungerechtigkeit, die herrschte, war unerträglich und machte ihn innerlich völlig leer. Trotz der Narben war er schön und klug wie seine Mutter und stark und mutig
wie sein Vater. Der viele Regen hatte im Haus seine Spuren hinterlassen. An der Stelle, an der das Dach ein Loch hatte, regnete es unaufhörlich durch. Die Schale, die das Wasser am Boden auffangen sollte, war seit Tagen nicht ausgeschüttet, so lief es unaufhaltsam über den Rand in Richtung Kochecke. Während Ieuan mit aller Kraft die Sehne über den Bogen aus Eibenholz spannte, beobachtete er den Fluss des Regenwassers. Er hatte keine Ahnung, dass es eigentlich die Tränen der schönen Fremden waren, die er in jener Nacht fand. In den Hallen von Kivale: „Bist du dir ganz sicher?“, Ruaidhri
stand hinter seiner Tochter und seine Worte waren voller Entschlossenheit. „Was, Vater?“ „Ich möchte dich nicht verlieren. Wenn ich dir einen Körper gebe und dich auf die Erde lasse, habe ich ab dem ersten Sonnenstrahl keine Macht mehr, dich zu beschützen. Du bist dann auf dich allein gestellt.“ „Das ist mir egal, Vater. Ich möchte ein Erdenkind sein. Nur so kann ich ihn wiederfinden. Ich konnte in seinen Augen das gleiche sehen, das ich in meinem Herzen fühlte. Ich will dieses Gefühl wieder haben.“ Siobhan umhüllte ein Glanz der Freude. Dennoch wusste sie, der Abschied von
ihrer Familie würde ein schwerer sein. Die Nacht legte sich übers Land, und alle im Reich versammelten sich in den westlichen Hallen Kivales über den Wäldern von Clar Cloinne Mhuiris. Pearl und Alannah trösteten sich gegenseitig. Ihr Vater war heute Nacht nicht nur ein Vater, sondern vor allem König. Ein König mit der Macht, seiner Tochter ein neues Leben zu schenken. „So soll es sein!“, sprach er kurz und leise. Die nördlichen Winde, sie waren die stärksten, nahmen Siobhan in ihre Mitte und trugen sie aus den schützenden Wolken. Je näher sie der Erde kamen, desto wilder wehten sie. Die Windhosen
schlossen sie ein, ließen sie fallen und fingen sie wieder auf. Siobhan verlor die Kontrolle und bald das Bewusstsein.
Kapitel 7 Sile und Angus In den Ebenen von Maurice/November 1783 Der Boden unter ihrem nackten Körper war weich und warm. Die Morgensonne konzentrierte ihre gesamte Lichtfülle auf das Himmelswesen und bedeckte dessen Leib mit all ihrer lebensspendenden Energie. Siobhan war vollkommen und rein. Ihr goldbraunes Haar schützte sie vor den neugierigen Blicken der Waldbewohner. Ihre Haut war weiß und ebenmäßig wie das reinste Porzellan. Sie war so verletzlich und zart wie Eisblumen an
einem Fenster. Ihre Lippen schienen schmal und zartrosa. Ihr Körper war zierlich wie der eines Kindes. Allerdings war er nicht der eines Kindes, was sich an entscheidenden Körperstellen deutlich hervorhob. Ihre wohl gerundeten Hüften und ihre langen, schlanken Beine luden zu sündhaften Gedanken ein. Die weichen Wölbungen ihrer Weiblichkeit ließen jeden Mann schwach werden. Sie war jung im Himmelreich wie auch auf Erden. Sie war eine junge, schöne Frau, die schnell lernen musste, nicht aufzufallen. Sie kannte die Menschen, oft hatte sie sie in ihren Träumen besucht. Sie waren
ihr vertraut. Sie kannte ihre Gedanken, ihre Wünsche, ihre Gebete. Was ihr fremd war, war die Art zu gehen, zu reden, sich wie ein Mensch zu bewegen ohne es lächerlich wirken zu lassen. Wie auch schon das erste mal, hatte sie Mühe, ihren 48 Kilo schweren Körper hoch zu hieven. Es war eine unerträgliche Last. Ihre Beine wollten tanzen. Doch alles, was sie taten, ähnelte mehr einem Stolpern, ja Watscheln. In den Bäumen zwitscherten die Vögel ihre Lieder, den Morgen begrüßend. Ein Eichelhäher saß nicht weit von ihr und starrte sie an.
„Hallo, Vogel“, wollte sie ihm sanft zu hauchen. Und schon beim ha waren alle mucksmäuschenstill und verschwunden. Etwas verärgert über sich selbst lief sie los, ihren geheimnisvollen Schönen zu finden. Der Tag verstrich. Die Nacht brach herein. Siobhan machte halt an einem kleinen Bach, wusch sich das Gesicht und trank einen Schluck Wasser. Es war süß und kalt. Das gefiel ihr. Und mit den letzten Sonnenstrahlen verschwand auch die Wärme auf ihrer Haut. Sie fröstelte und suchte instinktiv nach Schutz. Hinter einem Birkenwäldchen erblickte
sie ein Gehöft. Das Haus wirkte ärmlich und doch einladend. Aus den Fenstern schien ein warmes Licht. Siobhan verlangte es nach Geborgenheit. Sie vermisste die Ihrigen, jetzt schon. Das Gras unter ihren Füßen war kalt und nass und fremd. Das eben noch so wundervolle und spannende, neues zu entdecken, überrannte sie nun wie ein eisiger Schauer. Ihr Körper war müde und forderte eine Pause. Verzweiflung kam auf. Unter ihr raschelte es plötzlich, irgendetwas berührte ihre nackten Füße, und ohne klaren Gedanken rannte sie in Richtung Haus. Im Schutz eines Haselnussstrauches
verweilte sie und beobachtete das Hofgeschehen. Angus und Sile Ò Ceallaigh, ein älteres Ehepaar, das vor zwanzig Jahren vom südlichen County hierherzog, als Angus Vater starb, versorgten ihr Vieh und verschwanden dann im warmen Licht des Hauses. Sie waren beide unscheinbare Gestalten. Sie trug ein Rapsgelbes Tuch auf dem Kopf, was nicht zu ihrer sonstigen Kleidung passte, doch es harmonierte mit ihrem Gesicht. Siobhans erster Gedanke war 'Sonnenblumen', eine solche hatte sie schon einmal in einem Traum gesehen. Angus strahlte pure Herzlichkeit aus.
Seine Statur war eher schmächtig, dadurch wirkte er schwach und angreifbar. Interessant waren seine Augenbrauen. Sie waren buschig und dunkel. Sein Haar hingegen war licht und silbern. Es war sehr kühl geworden. Siobhan brauchte unbedingt Schutz. Sie bewegte sich wie ein scheues Reh, unbemerkt und flink kletterte sie über den kleinen, kaputten Zaun, hinter dem ein Haufen Stroh lag. Es war stockfinster. Neben ihr ertönte ein aufgeschrecktes Wiehern. Hinter ihr raschelte es, ein Kater mit leuchtenden Augen machte es sich im Stroh bequem. Siobhan blickte den Gaul fragend an und nahm sich die
Decke, die über dem Zaun hing und wohl seine war. Beim ersten Hahnenschrei öffnete Angus ein kleines Türchen . Seine Schritte waren stolpernd und kurz. Er begrüßte sein Viehzeug: „Guten Morgen. Na, dann wollen wir mal...“ Siobhan schlief tief und fest. Sogar das Zusammenschlagen der Blechkannen, als Angus Wasser holen wollte, hörte sie nicht. Die Tiere waren schnell versorgt. „Ach, Katerchen, dich hab ich ja bald vergessen.“ Unter seinem Tuch, das er um die Hüften gebunden hatte, holte er ein kleines Stück Pökelfleisch hervor und
warf es dem Vierbeiner zu. „So was gibt's nicht jeden Tag. Also friss ja alles auf.“ Der Kater bedankte sich schnurrend und schlängelte sich um die Beine seines Herren, als der sich gerade bücken wollte, ihn zu streicheln und das schlafende Mädchen erblickte. „Was haben wir denn hier?“ Unentschlossen sie zu wecken oder nicht, spielte er aufgeregt mit seinen Fingern an seinem Kinn. Dann drehte er sich und lief mit schnellen Schritten zu seinem Weib. Sile versuchte gerade das Feuer neu zu entfachen. Sie wollte Tee kochen. Die Jahreszeit war nass und kalt. Hier unten
im Tal war es ja immer nass und kalt. Wenn sie in den Frühlingsmonaten im Morgengrauen auf die Anhöhen ging, war der Nebel so dicht, man konnte die Hand vor den Augen nicht sehen, was gut war. McCorley schickte oft seine Leute aus, zu spionieren. Allein die Minze und der Salbei für den kranken Merte hätten sie vermutlich auf den Scheiterhaufen gebracht. „Du musst schnell kommen, Weib!“ Er ließ keine Widerrede zu und schnappte sich Siles Hand. Seit zehn Jahren war er nicht mehr so schnell gelaufen, sein Atmen war unregelmäßig. Als Sile das Mädchen erblickte, schlug sie die Hände vor das Gesicht. Sie war
entzückt . So etwas schönes hatte sie noch nicht gesehen. „Sie ist so...“ In dem Moment öffnete Siobhan ihre Augen und war sogleich erschrocken. „Hab' keine Angst! Wir tun dir nichts“, Angus konnte seine Freude kaum noch im Zaum halten. „Du bist hungrig?“ Erst überlegte sie, dann nickte sie vorsichtig. Und auf der Stelle nahm das Weib sie bei der Hand und führte sie ins Haus. Hier war es warm und behaglich. Es war dunkel. Die Fenster waren verdeckt. Nur das Feuer unter dem Topf mit Wasser brachte ein sanftes Licht in
den Raum. Das Haus war nicht sehr hoch gebaut. Obwohl Siobhans Körper keine 1,55 m maß, war sie zu groß und zog daher den Kopf ein. Es gab keine Stühle, Betten oder Schränke. Sie schliefen auf gebundenem Stroh, lediglich eine Wolldecke schützte sie vor den Pieksern der Halme. Neben dem Feuer waren unzählige kleine Nischen im Gemäuer, in denen allerhand aufbewahrt wurde, zumeist Vorräte von Kräutern, ein Laib Brot und ein kleines Stück Pökelfleisch. Auf dem Tisch, dem einzigen Möbelstück hier, befand sich eine Schale mit vier Hühnereiern und daneben lag ein Streifen Speck. „Setze dich!“, Angus zeigte auf den
zurecht gehauenen Kieferstamm, der hinterm Tisch lag. Bei allem, was die beiden Alten taten, sie ließen das Mädchen nicht aus den Augen. Ihre Faszination konnten sie nicht verbergen. Sile hatte die Fünfzig lange schon überschritten, Angus war weit über sechzig Jahre alt. Immer hatten sie sich Kinder gewünscht. Es sollte ein unerfüllter Traum bleiben, bis heute. Die Tage wurden kürzer. Es war Ende November. Das Wasser in den Pfützen fror und die sonst so matschigen Wege waren nun hart wie Stein. Das meiste Laub hatte der Wind von den Bäumen und Sträuchern geweht und gleichmäßig
übers Land verteilt. Wenn man in diesen Tagen durch die Wälder ging und an einem sonnigen Tag nach oben in die Baumkronen schaute, bot sich einem ein Anblick, der märchenhaft war. Die Sonnenstrahlen erreichten nun mühelos den Waldboden. Und der herbstliche Nebel, der zur frühen Mittagsstunde gut acht Meter über einem stand, vermittelte einem das Gefühl, sich in einem Traum zu befinden. Wie ein Teppich aus feinster Seide stand er in den Baumkronen. „Die Magie Irlands“, sagte Angus, als er mit Siobhan an solch einem Tag Brennholz aus dem Wald holte. Sie konnte es kaum glauben. Es gab hier
so viel Schönes und Faszinierendes zu sehen. So hatte sie das früher nie wahrgenommen. Sie fühlte jetzt als Mensch, und das intensiver, als sie es je für möglich gehalten hätte. Sie war glücklich, zwei wundervolle Menschen wie Sile und Angus gefunden zuhaben. Doch die Traurigkeit in ihren Augen blieb Sile nicht verborgen. „Ich bin so froh, seit du bei uns bist...etwas bedrückt dich, Kind. Sag' was es ist!“ Nach langem Zögern brach es aus ihr heraus: „Ich kann nicht hier bleiben.“ In den Augen der Alten stand nur eine Frage: Wieso? „Ich bin auf der Suche nach jemanden.“
Die Zeit der Hexenverbrennung war grausam und beinah am Ende. Aber grausam war auch das, was folgte. Das Land war zersplittert. Die Engländer, die sich hier wie Ungeziefer breitmachten, nahmen den irischen Katholiken das Land weg. Eigentum in den Händen der Iren gab es praktisch nicht. Wenn sie Land wollten, mussten sie es pachten. Armut, Hunger und Krankheit waren die Folge. Das Volk versuchte sich zu wehren. Aufstände, bei denen am Ende das Blut von tausenden Männern und auch Frauen und Kindern über die grünen Ebenen von Irland floss, waren an der Tagesordnung. Vergewaltigung
und Mord war immer gegenwärtig. „Der Winter hat Einzug genommen. Wo willst du denn hin?“ "Du wirst erfrieren, sie werden dich vergewaltigen und dann in den Fluss werfen oder noch schlimmeres.“ Siobhan wusste das und blieb bis zum Frühjahr.
Kapitel 8 Auf dem Markt Clar Cloinne Mhuiris/1784 Die Zeit der Schneeglöckchen war bereits vorbei. Der grüne Teppich der Auen bot volles Leben. Ein frischer Duft aus Salbei, Kamille und Jasmin versüßte die kühle Frühlingsluft. Es war diesig am Morgen des ersten Maitages. Der Himmel war grau. Sonnenstrahlen hatten es heute schwer durchzudringen zu den Kiefern, Eiben, Birken und Eichen, die ihre Kronen sehnsüchtig in die Höhe streckten. Ein dumpfes Geräusch unterbrach die
idyllische Ruhe. Im Wald hackte jemand Holz. Es war Ieuan. Früher machte es ihm Spaß mit Vater in den Wald zu gehen. Jetzt diente seine Arbeit nur noch dem Notwendigem. Wie eine Marionette seiner selbst stand er da mit der Axt in der Hand. Der Schweiß auf seiner Stirn perlte von ihm ab und brannte in seinen Augen. Die nassen Haare klebten an seiner von Schweiß getränkten Haut seines Halses. Seine in Schweiß gebadete Brust wirkte stählern unter dem halboffenem Hemd. Doch die Kraft hatte ihn schon lange verlassen. „Wozu das alles?“, dachte er jeden Tag. Der einzige, der ihn hin und wieder besuchte, war Lennon Mac Suibhne, der
Freund seines Vaters und nun sein Freund. „Das Leben ist nicht vorbei, Junge. Ich weiß, es ist nicht leicht in diesen Tagen.“ Lennon war ein großer Mann. Er überragte Ieuan um einiges. Seine Brust und sein Hals waren die eines Stieres und sein Gesicht war voller Narben. Die Auffälligste zog sich quer vom linken Auge über die Nase zum rechten Ohr. Sein Kilt band er immer auf der rechten Schulter zusammen, da er Linkshänder war. „Du musst dir ein Weib nehmen, eine Familie gründen.“ Ieuan nahm seine Worte nicht wirklich
wahr. Er schaute an ihm vorbei: „ ...du hättest sie sehen sollen...“ „Vergiss sie! Sie war wahrscheinlich noch nicht mal echt. Der Blitz hat dich getroffen, und dein Gehirn hat dir einen Streich gespielt.“ „Sie war echt...“ Ieuan packte die gefertigten Pfeile und Bögen zusammen, die Lennon für ihn verkaufte. „...und ich werde sie finden!“ „Komm morgen mit auf den Markt. Vielleicht siehst du sie dort.“ Ieuan nickte, seine Laune konnte es allerdings nicht bessern. Für Anfang Mai war es kalt. Der Himmel über den Ebenen war grau und
trostlos. Ganz Kivale schien um seine Prinzessin zu weinen. Ruaidhris Trauer hatte ganze Wolkenbrüche zur Folge. Seine Tränen überfluteten die Bäche. Sie wurden zu reißenden Strömen. Und die Wiesen ertranken in seinem Gram. Er konnte ihr nicht helfen. So ging es nicht weiter. Ihre Schwestern versuchten sie in ihren Träumen zu erreichen: „Komm zurück!“ „Nein, ich kann ihn nicht vergessen.“ Siobhan irrte durch ihre Alpträume, in denen immer öfter ein Gesicht auftauchte. Sie kannte seinen finsteren Blick, seine finsteren Gedanken, seine ganze finstere Gestalt. Nach so vielen Jahren des Friedens schlich er in ihre
Gedanken, ihre Träume und rief ihren Namen. Schweißgebadet schreckte sie auf und und rang nach Atem. Klopfen. „Siobhan, bist du wach? Angus fährt zum Markt. Du kannst ihn begleiten.“ „Ja“, gab sie kurz zur Antwort, noch irritiert von dem Gesicht aus ihrem Traum. Angus spannte den Gaul vor den Wagen. Sile stellte die Tauschwaren hinter den Sitz: Eier, Äpfel, Speck. Sie brauchte dringend Mehl und Milch. „Kommt nicht zu spät nach Hause!“ Drei Stunden dauerte die Fahrt. Schon von weitem betäubte das
Marktgeschehen Siobhans Ohren. So viele Menschen, Tiere und Geschrei. Es war laut und überfüllt. Die Leute drängten sich aneinander vorbei. Ein älterer Mann zog vergeblich an einer Leine. Am anderen Ende grunzte ein widerspenstiges Ferkel, sein armes Schicksal erahnend. Eine dicke Frau prahlte mit ihren rotbäckigen Äpfeln. Und ein weiterer Herr bot seine feinen Stoffe zum Verkauf. Es roch überall nach Speck und anderem Geräucherten. Die Aromen der feinsten Gewürze krabbelten in Siobhans Nase. Es war ein Überfluss von allem. Ein aufgeregtes Wiehern ließ die
Menschenmenge auseinanderbrechen. Ein junger Mann, fast noch ein Kind hatte Mühe, das Pferd zu halten. „Einer von den Wilden“, bestaunte Angus den schwarzen Hengst. In den Augen des Pferdes war Angst, und sein kraftloser Körper startete einen letzten Versuch des Entkommens indem es sich hoch aufstellte. Einige Leute sprangen erschrocken zurück und lachten dann. Siobhan war gebannt. Noch nie hatte sie auf Erden so etwas reines gesehen. Es war so lebendig und echt. Sie musste es berühren. Einmal die Kraft seines Herzens spüren, wie es klopft unter seiner Brust. Der Hengst schnaubte und ging einen Schritt
rückwärts. „Tschtsch, hab keine Angst.“ Siobhan hielt ganz sacht ihre Hand vor die Nüstern des Pferdes. Und es erwiderte mit einem vertrauten Heben des Kopfes. Es war still geworden auf dem Markt. Alle starrten auf das Mädchen, das es mit Zauberhand geschafft hatte, den Gaul zu bändigen. „Lass uns gehen, Mädchen. Wir müssen noch unsere Sachen loswerden.“ Angus sah nicht gern, welche Aufmerksamkeit Siobhan auf sich zog. Am anderen Ende des Marktes gab es Mehl zum Tausch. Angus drängelte sich mit Siobhan an der Hand durch die
Menge. Dann kamen einige Reiter durch das Tor und galoppierten durch die Menge. Siobhan verlor seine Hand und fiel zu Boden. Eine andere Hand bot ihr Hilfe. Und als Siobhan sie nahm und den Arm entlang schaute, hinauf zur Schulter, zu den Haaren, zu dessen Kinn, verschlug es ihr für Sekunden die Sprache. Es war sein göttliches Kinn, sein göttlicher Mund, seine göttlichen Augen. Auch er bemerkte erst jetzt, wessen Hand er in diesem Augenblick hielt. Ein unkontrolliertes breites Grinsen war die Folge. Als Siobhan auf sein Lèine -Tuch starrte und sich an jenem Tag erinnerte,
an ihre nicht vorhandene Kleidung, schoss Schamröte in ihr Gesicht. Er wusste, woran sie dachte, und woran er seit jenem Tag jeden Tag dachte und tat ihr diesmal gleich. Mit hochrotem Kopf standen sie nun da. Wortlos erforschten sie ihrer beiden Augen. Seine waren klar und mit durchdringendem Blick. Und Siobhan fragte sich kurz, ob er durch ihre Kleidung hindurchsehen könne. Ihre Augen hingegen waren das reinste Leuchten. Auch wenn kein Sonnenstrahl die Wolkendecke durchbrach, hatte sie ein Funkeln in den Augen, wie es nur Engel haben können, dachte Ieuan. „Ich lass dich nicht mehr gehen!“,
schoss es aus ihm heraus. „Wie bitte?“ Angus rief nach ihr. „Ich muss gehen...ich bin mit ihm hier.“ Siobhan zeigte auf Angus, drehte sich dann um, mit der Absicht, ihren Worten nachzukommen. „Wie ist dein Name?“, platzte es aus ihm heraus. „Siobhan.“ „Siobhan?“ „Ja, Siobhan“, lächelte sie ihn an und wendete sich mit einem gekonnten Hüftschwung von ihm ab. Sie ließ ihn einfach stehen. Er konnte es nicht glauben. Nach einer gefühlten Stunde packte ihn
eine Hand an der Schulter. Es war Lennon. Er hatte all seine Bögen verkauft. Lediglich zehn Pfeile waren über. Ein guter Tag und Grund genug, einen Schluck Met zutrinken. „Was für ein Tag.“ Ieuans Augen blickten merkwürdig drein, so als hätten sie einen Geist gesehen. „Siehst du die Frau dort, das Mädchen? Das ist sie.“ „Wer? Die dort?“ „Ja. Kennst du sie?“ „Ja. Kennst du sie nicht?“, kaute Lennon auf seinem Stück Apfel, das er von der dicken Frau gekauft hatte. „Du kennst sie und hast es mir nicht
gesagt?“ „Was sollte ich dir sagen?“ „Das du sie kennst. Das ist sie.“ „Sie ist ganz hübsch, aber...Das ist sie?“ „Ich darf sie nicht wieder verlieren. Wo lebt sie?“ „Sie wohnt seit einer Weile bei den Ò Ceallaighs. Ich dachte, sie wäre 'ne Nichte oder so.“ Lennon fing aus vollem Herzen an zu lachen: „Ich kann es nicht glauben - das Leben hat dich wieder. Du glühst ja förmlich. Sie wird dir den Verstand rauben.“
Kapitel 9 Eine Nachricht Die Heimfahrt war getrübt. Angus hatte nur halb soviel Mehl für seine Äpfel und Eier bekommen, wie er erhofft hatte. Auch sonst liefen die Geschäfte heute schlecht. Schweigend hielt er die Zügel in seinen Händen. Siobhan konnte sehen, wie er grübelte. Er merkte nicht, dass sie ebenso in Gedanken war. Sie bereute, Ieuan stehen gelassen zu haben. Sein Blick war von hundertprozentiger Treffsicherheit und hatte sich geradewegs wie einer seiner Pfeile in ihr Herz gebohrt. Sein Lächeln nahm sie
in seinen Besitz. Klare und rationale Gedanken gab es nicht, wenn seine Stimme in ihre Ohren drang. Sie wusste, dass sie einander gehörten. Wenn sich zwei aus ihrem Volk verliebten, so geschah dies immer im Geiste, ihre Gedanken vereinten sich, niemals aber ihre Körper. Eigene Nachkommen gab es nicht. Wesen ihresgleichen wurden aus den Gedanken der Menschen geboren. Durch ihre Kraft nahmen sie Gestalt an. Bei Ruaidhri war es anders. Er hatte die Gabe, sich in den Träumen der Menschen mit ihnen zu vereinen. So verliebte er sich in das Mädchen Anne, und es geschah, dass ihre Gedanken dreimal miteinander
verschmolzen. Drei neue Gedanken entsprangen und wurden zu seinen Nachkommen. Am Abend saß Siobhan draußen vor dem Haus. Es war kalt und windig. Ein feines Nieseln befeuchtete ihr Gesicht. Ihre Lippen zitterten. Sie schaute zum Himmel, und ihre Gedanken riefen ihren Vater:„Kannst du mich hören? Ich habe ihn endlich gefunden.“ Stille. Die graue Wolkendecke brach an einer Stelle und ein Lichtschein traf auf ihr blasses Gesicht und berührte sie wie ein Streicheln. Ruaidhri hatte sie gehört und antwortete nun auf seine Art. Der Regen, der die Haut auf ihrem
Gesicht mit nassen Küssen bedeckte, wandelte sich nun in leuchtende, winzige Goldtröpfchen. Sie sammelten sich in ihrem Schoß und verschmolzen miteinander. Ein Ring, den Vater ihr geschickt hatte. Er schien aus purem Gold, und ein tiefblauer Edelstein gab ihm ein einzigartiges Strahlen. „Kind, der Stein soll dir zeigen, wenn wir an dich denken.“ Sie hielt ihn fest in ihrer Hand. Das Glück schenkte ihren Augen einen wunderbaren Glanz. Und die Zufriedenheit in ihren Gedanken umhüllte sie wie ein warmer Umhang. Sile schaute durchs Fenster und rief: „Willst du nicht ins Haus kommen? Es ist
spät.“ Das Feuer unter dem Kessel war beinah aus. Angus legte drei Scheite Buchenholz nach. Sile betrachtete Siobhans Gesicht die ganze Zeit während sie aßen. „Du wirkst verändert, so glücklich. Was ist heute auf dem Markt geschehen?“ Angus zuckte mit den Schultern. Er hatte keine Ahnung. Doch als er Siobhan länger ansah, bemerkte auch er die Veränderung. Das Mädchen schwieg. Nachdem sie ihr Stück Brot herunter gekaut hatte, sprach sie um so schneller: „Ich habe ihn heute gesehen.“ „Wen hast du gesehen?“
„Na ihn“ , und sie stopfte sich ein weiteres Stück Brot in Mund. „Wo?“ „Auf dem Markt. Du musst ihn gesehen haben, Angus. Ich sprach mit ihm.“ „Du meinst Lennon?“ „Lennon - das ist sein Name?“ Neugierig wollte sie nun mehr wissen. „Ja, er lebt im westlichen County. Der jüngere Mann neben ihm ist der Sohn der Ò Briains. So weit ich weiß, der letzte seiner Familie.“ „Der Jüngere? Den meine ich.“ „Ich weiß nicht viel über ihn“, Angus dachte nach. Sile unterbrach das Schweigen: „Hat sein Vater dir nicht vor zwei Wintern
die Bögen verkauft, und der junge Ò Briain die Pfeile?“ „Ò Briain - genau. Das Haus muss weiter unten im Tal sein.“ In der Nacht träumte Siobhan von der Begegnung auf dem Marktplatz. Wie er sie anblickte und ihre Hand hielt und sie nach ihrem Namen fragte. Dann kam ein Reiter, stark und mächtig und finster. Sein Gesicht blieb in der Dunkelheit verborgen. Sein eiserner Griff umschloss die Zügel, die seinen Hengst hielten. Die Augen konnte sie nicht sehen, aber sie fühlte die Blicke. Sie waren auf sie gerichtet, nur auf sie. Und mit tiefer Stimme sprach er ihren Namen: "Siobhan!“
Schweißgebadet wachte sie auf. Vor Angst gebannt hielt sie den Ring ihres Vaters in ihrer Hand. Wieder sah sie sein Gesicht. Was hatte das zu bedeuten?
Kapitel 10 Der erste Kuss Zwei Wochen vergingen. Im Dorf nördlich der Moore sollte es ein Fest geben. Der älteste Sohn der Ceallachàn hatte um die Hand der Tochter der Mac Suibhnes angehalten. Heute sollte Hochzeit sein. Da sie zu Lennons Familie gehörte, würde er sicher und so auch der junge Ò Briain dort sein. Angus sattelte den alten 'Ciaràn'. Er sollte Siobhan sicher ins Dorf bringen. „Mach dir keine Sorgen. Er kennt den Weg.“ Zögernd bestieg Siobhan das Pferd,
dessen Rücken kein Sattel trug. Lediglich eine alte Decke sollte ihr Halt geben. Das Pferd schien ihr viel zu groß. Angus half ihr, indem er ihren Fuß stützte. Dann gab er dem Gaul noch einen Klaps und mit flottem Schritt lief er los. Sie trug ein Kleid aus grauem Leinen, darüber einen grünen Schürzenumhang. Die Schuhe, die Sile ihr gefertigt hatte, waren aus braunem Rinderleber und bis zu den Knien geschnürt. Ihre dunklen goldschimmernden Haare hatte sie mit einem Band zusammengebunden. Sie roch nach Jasmin, auch das hatte sie von Sile. Sie fühlte sich gut. Bei jedem Schritt spürte sie die Kraft des Pferdes.
Sie war fasziniert von der graziösen Haltung des Tieres, wie sich bei jedem Schritt die Muskeln unter dem seidigen schwarzen Fell bewegten. Sie genoss die von Kräuterdüften durchzogene Frühlingsluft. Sie wippte auf dem Rücken des Pferdes hin und her und summte leise vor sich hin. Ein Lächeln überzog ihr Gesicht, als sie an seine Augen dachte. Wie ein Blitz schlug ein Bild in ihre Gedanken und brannte sich ein. Siobhan erschrak und wäre beinah vom Pferd gefallen. Es war sein Bild. Alles, was ihn umgab, war finster wie sein Blick. Voller Bosheit hypnotisierten seine gelb schimmernden Augen ihren Geist. Sein
blutroter Mund schien etwas zu flüstern. Sie konnte es nicht verstehen, nur fühlen. Er rief nach ihr. Trotan rief ihren Namen. Siobhan kniff die Augen zu und fuchtelte mit den Armen: „Lass mich in Ruhe!“ Der Spuk war so plötzlich vorbei wie er gekommen war. Sie versuchte ruhig zu atmen.Und mit jedem Schritt, dem sie dem Dorf näher kam, schlug ihr Puls wieder flacher. Der erste, der ihr entgegen kam, war Lennon. Ein junger Bursche drängelte sich vor ihn, um Siobhan vom Pferd zu helfen , welches er dann an den Zügeln nahm, um es zu den anderen zu führen.
Siobhan war noch etwas wackelig auf den Beinen. Ihre Oberschenkel waren jeglicher Kraft beraubt. Und für einen Moment sackte ihr der Boden unter den Füßen weg. Lennon hielt sie mit den Worten : „Du brauchst erst mal einen Schluck Met.“ „Ich trinke nur Wasser.“ „Met ist Wasser, gutes Wasser.“ Misstrauisch folgte sie ihm. Vor dem Haus der Mac Suibhnes war das Fest im vollen Gange. Die Leute lachten, tanzten, tranken und aßen. Drei Männer, alle mit rotem Bart, spielten Musik. Die beiden kleineren fiedelten im schnellen Takt, der dritte erfreute mit seinem Flötenklängen.
Neben dem Haus stand eine große Kastanie und daneben stand ein Mann, der unermüdlich das große Schwein auf dem Spieß drehte. Davor waren Tische aufgebaut, auf denen so viel zu essen stand, dass heute niemand zu hungern brauchte. Eine ganze Schar Kinder kam angerannt und nahm sich Äpfel aus einer großen Holzschale. Der Tisch war voll Obst, Brot und Schinken. Lennon führte Siobhan zu der jungen Braut und ließ sie mit ihr allein. Die Braut schloss sie mit einem 'Willkommen' in ihre Arme. Siobhan wollte sich erst zurückziehen, doch dann genoss sie die Herzlichkeit. „Lennon erzählte mir, du lebst bei den Ò
Ceallaighs.“ „Ja, das ist richtig. Ich lebe bei ihnen“, Siobhan hoffte , sie würde aufhören mit den Fragen. Immerzu waren ihre Augen auf der Suche. Er musste doch hier sein. Sie stellte sich auf Zehenspitzen und reckte ihren Kopf in die Höhe. Als sie dann immer noch nichts sah, hüpfte sie zweimal ohne es zu merken. „Suchst du nach jemanden?“ Siobhan drehte sich zu dem Fragenden, und ihr Herz schien augenblicklich auszusetzen. „Nein. Nein, wieso?“ „Ich habe gehofft, dich hier zu finden“, flüsterte er mit honigsüßer Stimme.
Zum zweiten mal heute wurden ihre Oberschenkel ihrer Kraft beraubt. Ieuan legte seinen Kopf an ihren und sein warmer Atem ließ ein Kribbeln durch ihren Körper strömen. Mit rauem Klang sprach er: „Mein Herz gehört dir.“ Ihr Herz hüpfte in der Brust, so stark, dass sie Angst hatte, man könne es sehen. Er bemerkte ihre Verlegenheit. Mit einem Lächeln nahm er sie bei der Hand und zog sie hinter sich her: „Tanzen wir!“ 'Oh nein', dachte sie, tanzen konnte sie nicht, nicht mit einem Körper. Der Stein an ihrem Ring leuchtete auf, und sie wusste, dass sie nicht allein war.
Der Himmel schaute auf sie. Und so tanzte sie mit dem Mann, den sie über alles liebte, bis sie beide außer Atem waren. Ihr Band hatte sich gelöst und fiel von ihrem Haar. Ieuan fing es auf und inhalierte den zarten Duft. „Jasmin.“ Er streifte seine Hände über ihr Haar, ließ jede Strähne durch seine Finger gleiten und steckte das Band unter sein Hemd: „So gefällt mir dein Haar besser.“ Seine Blicke drangen in sie hinein und suchten, das Geheimnis zu lüften, das sie umgab. „Ich weiß deinen Namen nicht“, konnte
sie noch sagen, bevor seine Augen sie zu verschlingen versuchten. Dass er daran nicht gedacht hatte, war beinah unverzeihlich. „Ieuan. Entschuldige bitte meine Manieren!“ 'Ieuan' ,dachte sie und schloss den Namen in ihr Herz. Er nahm ihre Hand und zog sie langsam näher zu sich heran: „Und ich muss mich nochmal entschuldigen.“ Bevor sie fragen konnte, wofür, küsste er sie zärtlich auf den Mund. Benommenheit überkam sie. Seine Lippen waren warm und feucht und schmeckten nach Honig. Sie spürte seine Zunge, wie sie versuchte, in sie
einzudringen. Unsicher nahm sie ihren Kopf zurück. Doch Ieuan folgte ihm, bis es kein Zurück mehr gab. Die große Kastanie versperrte die Flucht. Und er nahm sie in Besitz, küsste sie voller Leidenschaft. Seine Brust drückte so sehr an ihre, dass es ihr beinah den Atem nahm. Kurz bevor sie den Verstand zu verlieren schien, hörte er mit einem zufriedenem Lächeln auf. „Ich werde dich nach Hause bringen.“ Langsam ritten sie durch die Dunkelheit. Es war kalt geworden und Siobhan überkam ein Frösteln. Ihre Finger waren gerötet und zitterten. Mit schwachem Griff hielt sie Ciaràns Zügel. Ihr Körper ritt neben ihn, doch ihr Geist war
noch unter der Kastanie. Als sie am Ò Ceallaigh - Haus angekommen waren, sprang er von seinem Pferd und half ihr von ihrem. Sile öffnete die Tür und konnte ihre Freude nicht verbergen. Sie war so froh, dass Siobhan wieder daheim war. Ieuan nickte freundlich zur Begrüßung und sprach dann: „Sehen wir uns morgen? Ich hole dich ab.“ Siobhan bekam kein Wort über die Lippen. Noch immer schmeckte sie seinen Kuss. Ihre Augen funkelten selbst in der Dunkelheit und ihr Lächeln gab die Antwort. „Also dann bis morgen.“ Er ritt los und verschwand hinter den
Bäumen.
Kapitel 11 Trotan Es war der nächste Morgen. Siobhan erwachte genüsslich aus ihren süßen Träumen. Noch immer konnte sie Ieuans Lippen spüren, wie sie sich fordernd auf ihre pressten. Wie konnte eine körperliche Berührung nur solch einen Gefühlsausbruch verursachen? Siobhan schaute sich um. Es war niemand im Haus. Angus und Sile versorgten sicher bereits das Vieh. Nach einem ausgiebigen Recken und Strecken entschloss sie sich, aufzustehen, um im Fluss, der sich gleich hinter dem Birkenwäldchen
befand, zu baden. Der Tag war wunderbar. Die Sonne schien. Der Himmel war blau. Wo sie hinsah, gab es Dinge zu entdecken. Doch am wundervollsten waren die Aromen des Waldes, die in ihre Nase strömten. Am Fluss angekommen, überlegte sie, ob sie ihr spontanes Vorhaben in die Tat umsetzen sollte, denn das Wasser war eiskalt. Doch die vergnügten Fische am Grund luden sie ein, hineinzuspringen. Siobhan legte rasch ihre Kleider ab und setzte den linken Fuß ins Wasser, der sogleich von hundert Nadeln gestochen wurde. Zögerlich setzte sie den rechten Fuß
nach. Da stand sie nun, tief Luft holend. Ein plötzliches Rascheln und Knacken hinter ihr in den Büschen ließ sie sogleich ins tiefe Kalt eintauchen. Die Lippen bibbernd aus dem Wasser ragend, fragte sie: „Wer ist da?“ Lediglich der Wind antwortete ihr mit einem Tanz durch die frischen Blätter der Birken. Ein Ast brach einige Meter von ihr entfernt. Und noch einige Meter weiter hinter dem Haselnussstrauch konnte sie ein Stöhnen vernehmen. Erneut fragte sie: „Wer ist da?“ „Siobhan!“, hauchte eine raue Stimme hinter den Bäumen.
Das konnte nicht sein: „Woher kennst du meinen Namen? Wer bist du? Zeig dich!“ Die Morgensonne versteckte sich hinter den Bäumen. Düstere Wolken zogen auf. Siobhan sprang erschrocken aus dem Wasser, auf dem sich sogleich eine Eisdecke bildete. Dann trat er hervor. Seine Blicke legten sich widerlich auf den Körper, den sie nicht zu bedecken vermochte. Sie war erstarrt vor Angst. Sie kannte sein Gesicht nur zu gut. Sein Körper wirkte unnatürlich muskulös. Sein Haar war schwarz wie die Nacht, sein Blick war der einer Schlange. Statt Nägel zierten seine
Finger Krallen wie die einer Katze, und seine Zähne waren spitz und scharf wie die eines Wolfes. Er war ein Monster. Und sein Name war Trotan. Das Herz unter ihrer Brust bebte. Ihr Atem war kurz und hastig, als er näher trat: „Du bist so schön.“ „Was willst du?“ „Was ich will?“, grinste er widerlich, während ihm der Speichel aus den Mundwinkeln lief. Sabbernd flüsterte er: „Ich werde Euch weh tun, euch allen.“ „Ich fürchte mich nicht.“ „Warte es ab.“ Sein stinkender Atem vernebelte ihre Sinne. Jede seiner Berührungen brannte wie Feuer auf ihrer weichen Haut. So
sacht wie es ihm möglich war legte er seinen Kopf an den ihren und flüsterte fast lautlos: „Wenn sein Herz dir gehört, werde ich es ihm raus reißen. Du gehörst mir!“ Siobhans Augen füllten sich mit Tränen voller Hass. Der Stein an ihrem Ring begann zu leuchten, heller als die Strahlen der Sonne nahm er Trotan für einen Augenblick die Sicht. Siobhan erkannte ihre Chance zur Flucht. Sie schnappte ihr Kleid und rannte in den Wald. Ein Unwetter zog auf. Erbsengroße Tropfen prasselten auf die Erde. Ruaidhri warf Blitze auf Trotans Haupt. Wütend schlug der um sich und
verfluchte seinen König. „Ich bin seit langem nicht mehr dein König.“ Trotans Augen glühten. Er schnaubte wie ein Stier: „Du hast mich verflucht.“ „Du selbst trägst die Verantwortung. Du hast Menschen getötet.“ „Sieh mich an, ich bin ein Monster“, schrie Trotan in die Leere über sich. „Das warst du von je her. Ich machte es nur sichtbar.“ Ein Donnergrollen ging durch die dichten Wolken. Ruaidhri war wütend. Er hatte einen großen Fehler gemacht. Vor zweiundzwanzig Jahren verbannte er ihn in die Untiefen des Westens, in die Lavaschluchten des Atlantiks, tief
genug, dass eine Flucht unmöglich schien. Trotan ballte seine Fäuste, bis seine Krallen tief in seine Haut drangen. Doch in seiner Wut empfand er keinerlei Schmerz. „Meine Zeit kommt“, knurrte er und verschwand im Moor. Siobhan hatte ihr Kleid übergeworfen und irrte in der Nähe des Hauses umher, unschlüssig, ob sie dahin zurückkehren konnte oder nicht. Sie atmete schwer. Zitternd hob und senkte sich ihr Brustkorb. Sie war nass bis auf die Haut. Jeder ihrer Muskeln verkrampfte sich. Wut, ein Gefühl das ihr bisher fremd war, kam in ihr auf.
Tränen der Hilflosigkeit versalzten die Haut ihrer Wangen. Die Worte Trotans waren wie Stiche in ihr Herz. Eine Hand packte sie an der Schulter.Erschrocken drehte sie sich um und erfasste seinen Blick. Es war Ieuan. Sie wollte ihn umarmen und küssen. Doch dann erinnerte sie sich an die Worte, die Trotan sprach: Wenn sein Herz dir gehört, werde ich es ihm raus reißen! Verängstigt trat sie einen Schritt zurück und fing an zu weinen. „Du musst gehen, bitte!“, war alles, was sie herausbrachte. Ieuan verstand nicht das Leid, das er vor sich sah. Sanft nahm er sie bei der
Hand und führte sie ins Haus. Sile kam ihr entgegen: „Was für ein Unwetter. Du bist ganz nass,mein Kind.“ Sie legte ihr eine trockene Decke um und gab ihr heißen Tee zu trinken. In Siobhans Augen war vollkommene Leere. Ihre Gedanken kreisten wirr im Kopf herum. Ein pochender Schmerz quälte ihre Schläfen mit tausend Trommelschlägen. Ieuan sah ihre Verzweiflung , und Wut machte sich in seinem Herzen breit, Wut gegen den, der ihr das angetan hatte. Siobhan schlug ihre Hände vors Gesicht und rieb sich die roten Augen, als eine unsichtbare Hand den Becher vom Tisch
stieß. Sie hatten es alle gesehen und schauten mit gebanntem Blick auf den ausgelaufenen Tee. Dann verschloss sich die Tür wie von selbst und das erloschene Feuer unter dem Kessel entflammte von Neuem. Der Rauch des Feuers wurde zu einem Schatten. Und aus dem Schatten wuchs eine Gestalt. Erst nur ein Hauch, dann Pergament und dann Fleisch und Blut. Es war Ruaidhri.
Kapitel 12 Erscheinung In Kivale war er mächtig und von großer Statur. Auf Erden war seine Macht gebannt. Doch sein zu Fleisch gewordener Körper überragte selbst hier den hünenhaften Ieuan um zwei Kopflängen. In gebückter Haltung stampfte er zur Tür und dann hinaus. „Ich sollte nicht so viel Met trinken“, Angus schaute in seinen Becher und dann der nackten Gestalt hinterher, die gerade sein Haus verließ. „Das ist mein Vater“, rief Siobhan, sprang auf und rannte ebenfalls hinaus. „Ich glaube nicht, was ich da eben
gesehen habe“, grübelte Ieuan und folgte seiner Angebeteten. Sile war weniger erstaunt über das Erscheinen von Ruaidhri. Vielmehr machte es ihr Sorgen, dass Siobhan einen Vater hatte. Würde sie sie nun verlassen? „Oh, Vater!“, erst jetzt merkte sie, wie sehr sie ihn vermisst hatte. „Ich kann nicht lange bleiben. Zu schnell schwindet meine Kraft“, mit seltsamen Blick streichelte er seiner Tochter übers Haar. „Er ist wieder da.“ Ieuan sah die Tränen in Siobhans Augen, aber er verstand gar nichts. Vor allem verstand er nicht, wieso ein
nackter, riesiger, alter Mann vor ihm stand, der aus dem Nichts gekommen war. Ruaidhris silbergrauer Bart versteckte einen Großteil seiner Angst um seine Tochter. In seinen Augen jedoch erkannte selbst Ieuan die Verzweiflung. „Ieuan, du musst sie hier wegschaffen. Heute noch!“ „Ich nehme sie mit zu mir“, nickte er und verlangte dennoch Aufklärung: „Ich würde gern wissen, wer wieder da ist. Und wer oder was seid ihr?“ „Siobhan wird dir alles sagen, wenn die Zeit dafür heran ist. Doch jetzt müsst ihr gehen!“ Sile und Angus wussten, dass ihr Teil
der Geschichte hier vorüber war. Schweigend nahmen sie den Abschied hin und drückten Siobhan ein letztes Mal. „Bist du in Gefahr?“, Ieuan wendete seinen Blick von Siobhan zu Sile: „War McCorley hier?“ „Ich fürchte, es ist viel schlimmer. Wer auch immer McCorley ist, er wäre euch sicher ein willkommener Gast im Vergleich zu dem, was euch bevorsteht, wenn ihr nicht augenblicklich hier verschwindet.“ Ruaidhri Besorgnis legte sich wie glühendes Eisen auf seine Zunge. Siobhan umarmte ihren Vater mit einer Intensität, als wüsste sie, dass es das
letzte Mal sein würde, da sie ihren Vater begegnete. Sie spürte seine Wärme, spürte, wie seine Hände ihr Haar berührten. Ruaidhri flüsterte in der alten Sprache. Ihr Ohr vernahm die Worte, verstand sie aber nicht. Doch im Tiefsten ihres Herzens wusste sie die Bedeutung. Ein kivalisches Gebet, mehr ein Zauber, der etwas tauschte oder übergab. Ihr Vater hatte sie in den königlichen Rang gehoben. Von nun an genoss sie, wenn gleich sie sich dessen nicht bewusst war, alle Vorzüge und Fähigkeiten eines Königsgeschlechts, eines kivalischen Königsgeschlechts. Ein Ziehen durchfuhr ihren Körper. Für
eine Sekunde konnte man meinen, Siobhans Haut belegte ein goldener Schimmer, der dann in ihr verschwand. „Deine Familie wird uns retten!“, sprach ihr Vater mit zitternder Stimme. „Was?“ In seinen Augen konnte sie die Antwort lesen. Sie wollte es nicht wahrhaben. Das konnte nicht sein Ernst sein. Er hatte vor, sie zu verlassen. Für immer! Siobhan fasste ein letztes Mal seine Hand.Dann verschwand er, wie er gekommen war. Ein Hauch voller Gedanken, getragen von den westlichen Winden hoch in die Hallen von Kivale. Eilig und schweigend nahm Ieuan Siobhan an der Taille und hob sie auf
sein Pferd. Dann setzte er sich auf. „Wartet noch!“, Sile verpackte schnell die wenigen Dinge, die Siobhan gehörten und übergab sie ihr mit tränenden Augen. Stumme Blicke, dankbare Blicke. „Es wird Zeit.“ Mit einem Zügelschlag ritten sie los. Die Mittagssonne stand über ihnen. Der Himmel war klar und blau. Die Luft roch nach Frühling. Für einen Moment umhüllte die Natur sie mit all ihrer Ruhe und Sorglosigkeit. Selbst das Pferd unter ihnen schien sich im Zauber der Stille zu verlieren. „Ist es weit?“ „Über die Wiesen, dann am Wald vorbei. Wenn du die große Eiche siehst, sind wir
beinah dort.“ Siobhan konnte spüren, wie sein fester Körper sich an ihren Rücken presste. Sein Atem zog warm an ihrem rechten Ohr vorbei. Jedes mal durchzog sie ein heißer Schauer. Und mit jedem Mal rückte das Bild von Trotan ein Stück mehr in die Dunkelheit, raus aus ihren Gedanken. Sie zuckte und ruckelte, versuchte ihre Nervosität damit zu überdecken. Ihre einladenden Hüften betteten sich, ihrerseits unbemerkt, immer mehr in Ieuans Schoß. „Ich fände es besser, wenn du still sitzt.“ „Ich sitze doch still.“ „Nein, tust du nicht.“
Den Seufzer, den er gerne von sich gegeben hätte, übernahm das Pferd, da es von nun an Bergauf ging.
Kapitel 13 Erste Leidenschaft Unaufgefordert lief das Pferd nun schneller, da es den Heimweg kannte und das Zuhause schon witterte. Die Sonne stand am westlichen Himmel. Ihr Licht versteckte sich hinter Bäumen und Sträuchern, und es bildeten sich wundervolle Schatten, die sich schützend übers Land legten. Als sie an eine Weggabelung gelangten, brachte Ieuan das Pferd zum Stehen. Er überlegte kurz und lenkte den Gaul nach links. „Ist das die Eiche, von der du gesprochen hast? Die ist wirklich
riesig.“ „Warte ab!“ Ieuan half Siobhan vom Pferd. Nur zögernd ließen seine Hände von ihr ab. Zu verführerisch war ihre Erscheinung. Mit einen Lächeln des Bedauerns legte er sich unter den Baum. Auffordernd klopfte er mit der flachen Hand auf den Boden neben sich. Siobhan zögerte nicht lang und schmiegte sich an die mit Moos bewachsenen Wurzeln. „Hierher nahm mich meine Mutter immer mit, wenn McCorley und Ui Murchadhadh wieder ein neues Opfer gefunden hatten.“ „Du meinst die Verbrennungen? Ich habe
davon gehört. Wer ist zu so was nur fähig?“ Ruaidhri versuchte immer, seine Töchter vor derartigen Erfahrungen zu schützen. Sie waren alle drei noch jung und sollten diese grausame Seite der Menschen nicht kennenlernen. Ieuan schwieg eine Weile. Seufzend wendete er sich von ihr ab und fing dann an zu erzählen: „Über ein Jahr ist es schon her. Mir kommt es vor, als wäre es gestern gewesen...“ Siobhan legte sich auf die Seite und betrachtete seinen Hinterkopf, seinen Nacken, seine starken Schultern. Wie gern hätte sie sich in diesen Augenblick an ihn geschmiegt, an ihm gerochen...ihn
geküsst. „...McCorley und dieser fette Ui Murchadhadh kamen in unser Haus. Sie suchten Caoimhe, die Cousine meiner Mutter...“ Siobhan fühlte die Traurigkeit, die aus seiner Stimme kam und die Wut, die sich wie Gift in sein Herz drängte. „...Ein Wort nahm das andere. Es ging alles so schnell. Ich konnte nichts tun...“ Er biss sich auf die Unterlippe. Siobhan konnte die Anspannung seiner Kieferknochen unter der Haut sehen, wie sie gegeneinander rieben und gegen den Schmerz ankämpften. Ihr Blick verschwamm, eine Träne kullerte über
ihre rosigen Wangen. „...Sie nahmen sie einfach mit...ich konnte nichts tun... Es war der 04. März 1783. Sie haben sie beide verbrannt, einfach verbrannt.“ Siobhan legte ihren Arm um ihn. Wortlos spendete sie ihm Trost und Wärme. Ieuan wendete sich ihr zu und versuchte die Verzweiflung mit einem heftigen Ausatmen von sich zu stoßen. Er nahm ihre Hand und legte sie auf seine Brust. Sie sollte sein Herz fühlen, wie es schlägt. „Ich schwöre dir, so etwas lasse ich nicht noch einmal zu. Wer immer hinter dir her ist, muss erst an mir vorbei.“
Siobhan wusste, Ieuan konnte gegen Trotan nichts ausrichten. Sie konnte nur hoffen, dass er sie hier nicht findet. Und sie wusste, das würde er früher oder später. Die Sonne verabschiedete sich allmählich mit einem Kitzeln in den Augen der beiden Liebenden und verschwand immer mehr hinter dem Wald. „Wir müssen weiter!“ Ieuan setze Siobhan aufs Pferd und führte dieses dann am Zügel nach Hause. Als sie ankamen, war es bereits früher Abend. Dicke Wolken verdeckten nun auch den letzten Rest der untergehenden Sonne, und kühle Luft machte sich breit.
Ieuan holte Holz für das Feuer und zeigte Siobhan, wo sie schlafen konnte. „Ich mag es.“ „Setz dich, da!“ Das Haus war ähnlich wie das von Angus und Sile. Dunkel und dennoch gemütlich. Alles, was sich in diesem Haus befand, trug seinen Namen. Es war sein betörender Geruch, der im Raum lag und den sie wie eine flüchtige Erinnerung in sich aufsog. Neben dem Bett lag eines seiner Hemden. Es war zerrissen und voller Blut. Siobhan wollte es gerade aufnehmen, da kam ihr Ieuan zuvor und legte es beiseite.
„Wir haben schlimme Zeiten. Frag nicht!“ Während er Feuer machte, ging Siobhan zu einem der Fenster und schaute raus, hinauf zum Himmel. „Ich hoffe, es geht ihnen gut. Ich habe so ein unwohles Gefühl.“ „Sile und Angus? Oder dein Volk?“ „Ich denke gerade mehr an meine Familie.“ „Familie. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, mir zu erzählen, wer deine Familie ist, und wer oder was ihr seit. Menschlich seit ihr jedenfalls nicht.“ Siobhan fürchtete seine Reaktion, wenn er erfahren würde, dass sie nur ein Gedanke ist, ein Bild in seinen Träumen,
ein Hauch ohne jegliche Konsistenz. Wie würde er sie ansehen, wenn er wüsste, dass ihr Körper nur das Ergebnis eines Zaubers ist. Könnte er sie dann noch so leidenschaftlich lieben, wie ihr Herz es sich wünschte, verlangte? „Unser Reich liegt weit oben. Es heißt Rivale. Mein Vater ist der König.“ Siobhan schaute tief in seine Augen. Keine Verwunderung. Er hörte einfach nur zu, ohne Fragen zu stellen. „Ich habe noch zwei Schwestern, Alannah und Pearl. Ich bin die Älteste. Unser Reich zieht sich in alle Himmelsrichtungen. Wie eine Haut über den Wolken umschließt es die Erde. Ich bin nicht wie du...“
„Das wusste ich von Anfang an. Du bist einfach zu schön.“ Siobhan schoss das Blut in den Kopf. Ein Lächeln legte sich auf ihren zarten Mund. „Versprich mir nur eines. Verschwinde nicht wie dein Vater und löse dich nicht einfach in Luft auf! Verlass mich niemals!“ Erleichtert über seine Gelassenheit schüttelte sie ihren Kopf und wiederholte leise: „Niemals!“ „Niemals!“, Ieuan trat ein Stück näher an sie heran. „Niemals!“, flüsterte sie mit fast geschlossenen Lippen. „Niemals!“, hauchte er in ihr Ohr, wobei
sein Atem sich warm auf ihre Haut legte. „Nie...“ Dann verschlang er den Rest des Wortes mit einem fordernden Kuss. Seine Lippen pressten sich auf ihre. Seine starken Hände packten besitzergreifend ihre Hüften und zogen sie näher an sich heran, noch näher an seine Männlichkeit, die das Blut in ihren Schenkeln wie flüssiges Feuer dahinschmelzen ließ. Jede Zelle in ihrem Körper erwiderte den Kuss. Es kam ihr plötzlich vor, als hätte sie nie etwas anderes gemacht, als wäre es ihre Bestimmung, in seinen Armen zu liegen und seine Wünsche zu
erfüllen. Etwas Dringendes war in seinem Kuss. So als hätte er Angst, sie zu verlieren. Ihre Oberschenkel begannen zu zittern, und brennender Stich quälte ihren Unterleib, als er sich noch mehr an sie drückte. Sie konnte IHN spüren.Und wie sie ihn spüren konnte. Unter ihrer Haut zog ein Sturm auf, unaufhaltsam. Er hatte sie in seiner Hand. Alle trüben Gedanken waren fern. Sie wollte ihn. Was immer das auch bedeutete, sie würde jetzt alles tun, was er wolle. Ein tiefer Seufzer des Bedauerns beendete das Pulsieren in seinem Unterleib.
„Ich will, dass es perfekt wird.“ Dann ging Ieuan zum Feuer und legte Holz nach, so als wäre nichts gewesen. Siobhan überkam ein winziger Hauch von Ärger, bevor sie sich fasste.
Kapitel 14 Louis Zimmer „Erzähl mir mehr von dir.“ Das Knistern der Flammen löste seine Worte ab und klang einen Moment wie fernes Grollen. Wieder waren ihre Gedanken bei ihrem Volk, und wieder war ihr unwohl. Irgend etwas stimmte nicht. Es fühlte sich so leer an. „Also,...“, zögerte sie. „...was du hier siehst, ist nicht... echt.“ Und sie schaute an sich herunter, als wolle sie sich dafür entschuldigen. „Eben fühlte es sich echt an“, grinste Ieuan.
Und wieder hatte er sie erwischt. Erneut errötete sie. Wieso war seine Berührung nur so aufregend? „Wir haben keine Körper wie ihr, ihr Menschen. Wir ernähren uns von eurem Geist, euren Gedanken. Durch ihn wachsen wir und entstehen neu. Wenn ihr nicht mehr fähig seit, an das Gute zu glauben, wird es uns nicht mehr geben. Eure Zeiten sind schrecklich, und unser Volk schwach.“ „Dann bist du ein Engel?“ Siobhan kannte diesen Ausdruck. „Nein, kein Engel. Nur ein Produkt eures Glaubens.“ Ieuan legte ein Stück Brot auf den Tisch,
dazu Speck und einen Krug Met. „Eine Zeit lang verwehrte ich mich dagegen. Doch mit dem heutigen Tag glaube ich mehr als je zuvor.“ In der Nacht konnte Siobhan kein Auge zu bekommen. Immerzu dachte sie an ihre Familie, und an Sile und Angus. Immer wieder spielte sich vor ihrem geistigen Auge Grauenhaftes ab. Sie sah, wie Trotan sich an das Bett von Sile und Angus anschlich und sie mit zwei Schwerthieben tötete. Sie sah, wie Trotan durch ihr Reich fegte wie ein Höllenfeuer und alles Leben auslöschte. Wie ein Dämon der vergessenen Sagen wütete er in den Hallen und zog alle seines Volkes in
seinen feurigen Schlund. Ein Sturm aus Asche durchkämmte ihr Reich und nahm alles mit sich, was sich ihm in den Weg stellte. Beunruhigt schlich Siobhan mit nacktem Fuß über dem knarrenden Holzfußboden und sah aus dem Fenster. Es war stockdunkel. Ein kühler Wind zog auf. Dann packte sie eine Hand an der Schulter. „Was grämt dich?“ „Ach, nichts.“ Unmöglich konnte sie wiedergeben, was ihr Herz so quälte, was sie am meisten fürchtete, was so bedrohlich nah war, dass sie dessen Kälte bereits spüren
konnte. Eine Weile standen sie noch da und beobachteten gemeinsam den Himmel. Die nächsten Tage waren ruhig. Lennon kam sie ein paar Mal besuchen. Sie erzählten ihm alles und überlegten dann gemeinsam, wie sie gegen Trotan vorgehen konnten. „Ich denke, ihr müsst hier weg. Nicht nur wegen dieses Trotans, sondern auch wegen McCorley und seines fetten Freundes.“ Ieuan stimmte ihm zu. Siobhan wollte dem auch zustimmen, nur wohin sollten sie gehen? „Reitet nach Süden, nach Galway. Westlich der Fischerhäuser führt ein
Weg an den Buchenwäldern vorbei. Folgt ihm eine Meile etwa. Dann gelangt ihr zum Haus meines Bruders. Er ist ein bisschen verrückt. Aber er wird euch ohne Fragen Unterschlupf gewähren. Ich muss hier noch ein paar Dinge erledigen und komme in zwei Tagen nach.“ „Nein. Wirf du ein Auge auf Sile und Angus. Sie sind schutzlos, wenn dieser Kerl wieder auftaucht.“ „Du hast Recht. Ich werde jeden Tag nach ihnen schauen.“ In der folgenden Nacht, im Schutz der Dunkelheit ritten Siobhan und Ieuan los. Nach zwei Tagen überquerten sie die Grenze zu Galway. Der salzige Geruch
des Atlantiks kroch in ihre Nasen. Die irische See war nicht weit. Am späten Abend erreichten sie das Haus von Lennons Bruder. Nur war es kein Haus, sondern ein riesiges Gehöft. Das hatten sie nicht erwartet. Ein Torbogen, umfasst von einer drei Meter hohen Steinmauer führte ins innere. Die Bauart erinnerte ein wenig an den viktorianischen Stil, den es allerdings zu dieser Zeit noch nicht gab. Es war unglaublich. Alles war so friedlich und idyllisch. Den Innenhof schmückte ein kleiner Garten mit den merkwürdigsten Gewächsen, Blumen, Sträucher und Bäumchen, die Ieuan noch nie zu vor gesehen hatte. Siobhan war entzückt.
Solche Farbenpracht kannte sie bisher nur aus den Träumen der Kinder, die sie nächtens besuchte. Ieuan nahm die Zügel des Pferdes und legte sie um einen Haken, der in der Mauer steckte. Dann suchten sie den Hausherren. Niemand schien auf dem Hof zu sein. „Ist jemand hier?“ rief Ieuan ungeniert. „Pst.“ Beide drehten sich um und erblickten eine ältere Version von Lennon. „Kommt nur, wer ihr auch seit. In diesen Tagen muss man vorsichtig sein. Doch ihr scheint mir reines Herzens.“ „Lennon schickt uns. Er meinte, wir wären hier willkommen.“
„Lennon? Ja, hab' ihn lange nicht mehr gesehen. Wie geht es ihm?“ „In diesen Tagen gut. Er schickt einen Gruß.“ „Ja, ja. Nun kommt rein! Will mal sehen, wo ihr schlafen könnt.“ Loui Mac Suibhne war nicht ganz so groß wie sein Bruder, aber eben so kräftig gebaut. Sein Kilt war perfekt gebunden. Und seine Haare legten sich wie ein Pelz auf seine Schultern. Die Räume waren hoch gebaut. Selbst Ruaidhri hätte hier mühelos aufrecht stehen können, ohne sich die Spinnenweben, die den silbernen Kronleuchter zierten, aus dem Gesicht streichen zu müssen. Die Mauern waren
sauber verputzt. Überall hingen Porträts von jungen, hübschen Frauen. Die Fackeln in ihren Halterungen verstrahlten ein warmes Licht. Fremd schien die Form der Möbel. Ein großer, dunkler Tisch zierte die Mitte des Raumes. Ieuan betrachtete ihn, konnte aber nicht die Holzart bestimmen. Auch die vierzehn Stühle, die drum herum standen, waren so präzise gearbeitet, wie er es zu vor noch nie gesehen hatte. Auf jeder Lehne war ein anderes Bildnis geschnitzt, meist Jagdszenen. Siobhan und Ieuan versuchten im Vorbeigehen einige zu betrachten, was auf Grund von Louis Tempo unmöglich war.
Loui ging nun noch schneller. „Ihr könnt in das Zimmer unten, neben der Küche. Da ist es schön warm. Wenn ihr etwas braucht, ruft einfach. Ich hör's schon.“ Dann verschwand er eilig, so als hätte er noch etwas sehr wichtiges zu tun. Ieuan und Siobhan öffneten langsam die Tür des besagten Zimmers. Der Raum war hell. Vier Fackeln zauberten ein wohliges Ambiente, so als hätte man sie erwartet. Ein riesiges Bett schmückte den Großteil des halbrunden Raumes. Auf dem Tisch neben dem Fenster stand ein Krug Met und zwei Becher. Jemand
klopfte an der Tür. Als Ieuan sie öffnete, war da niemand mehr, nur ein Teller mit Brot, Fleisch und Obst auf dem Boden. Verwundert und dankbar nahm er den Teller und schloss die Tür. Siobhans Augen strahlten. „Etwas zu essen.“ Ohne sich weitere Gedanken zu machen, setzten sie sich auf das weiche Bett und bedienten sich an den Köstlichkeiten. Nachdem sie sich gesättigt und zwei Becher Met getrunken hatten, stellte Ieuan den Teller beiseite und machte es sich auf der Decke bequem. Siobhan betrachtete unauffällig seine
Statur. Erst sein kantiges Gesicht und die vom Hemd verdeckte Brust, die Leisten und die Oberschenkel, die der Kilt verdeckte. Sie fragte sich, ob er wohl etwas darunter tragen würde. Als er bemerkte, dass sie ihren Blick nicht mehr von der Wölbung unter seinem Kilt lösen konnte, überkam ihn ein Grinsen, dass Siobhan auf der Stelle erröten ließ. Sofort wendete sie den Blick ab und sprang hoch, um sich frisch zu machen. Neben der Tür befand sich ein Schränkchen, darauf eine Schale mit Wasser, und anliegend zwei kleine Handtücher. Siobhan betrachtete ihr Gesicht im Spiegel an der Wand. Sie nahm beide
Hände und tauchte sie ins Wasser, bedeckte ihr Gesicht mit dem kühlen Nass. Ieuan beobachtete sie mit neugierigem Blick. Langsam setzte er sich und zog sein Hemd über den Kopf. Dann stand er auf und ging zu ihr rüber. Sanft umfasste er ihre Taille und flüsterte: „Perfekt.“ Seine kräftigen Hände spielten mit ihrem goldschimmernden Haar. Zärtlich küsste er ihren Nacken, öffnete ihr Kleid und ließ es langsam an ihrem Körper herunter gleiten. Seine Zungenspitze tastete sich von ihrem Nacken zur Schulter, wieder hoch an ihrem Hals entlang, über ihre Wangen
bis hin zu ihrem Mund und wieder zu den Schultern über die zarten Erhebungen ihrer Weiblichkeit. Sein Blick war wild und ungezähmt. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Das Feuer seiner Küsse entfachte einen regelrechten Flächenbrand auf ihrer Haut. Ein leises Stöhnen fuhr ihr über die liebeshungrigen Lippen, die er sogleich mit seinen bedeckte. Fordernd drückte er sie an sich und ließ sie seine Männlichkeit spüren. Beinah besinnungslos versuchte sie, ein weiteres Stöhnen zu unterdrücken. Er sollte sie erobern, und sie wollte ihn erobern. Siobhan legte ihre Hände auf seine
muskulöse Brust und stieß ihn leicht von sich. So geschickt ihre zitternden Hände es zuließen, befreite sie seinen Körper vom Kilt und betrachtete ihn ausgiebig. „Du hast viele Narben“, ein Bedauern lag in ihrer Stimme. Er nahm ihre Hand und legte sie auf die Verletzung, die sie so in Augenschein nahm, eine tiefe Schnittwunde unter der linken Brust. Siobhan wollte ihre Hand zurück ziehen, doch Ieuan hielt sie fest. „Es ist verheilt. Du kannst sie ruhig berühren.“ Behutsam kam sie näher und streichelte seine Brust und dann seinen Bauch. Neugierig schaute er in ihre Augen. Und
sie fixierte seinen Blick, um seine Reaktion zu sehen, wenn ihre Hand IHN berührte, ihn weiter erregte. Fest umschloss sie seine Härte und bedeckte seine Brust mit hingebungsvollen Küssen. Ein raues Stöhnen flüchtete aus seinem Hals. Sein Unterleib zuckte unweigerlich. Er ergriff ihre Hand und legte sie auf ihren Rücken. Leise, aber klar sprach er: „Es wird dir beim ersten Mal weh tun.“ „Ich will es.“ Etwas Animalisches war in seinem Blick. Mit leichtem Schwung nahm er Siobhan hoch und trug sie zum Bett. Langsam und behutsam legte er sie auf
die Decke und betrachtete sie nochmals, bevor er sich zu ihr legte und ihr einen heißen Kuss aufdrückte. Je tiefer sich seine Zunge in ihren Mund bohrte, je tiefer glitt seine rechte Hand zwischen ihre warmen Schenkel, bis sie das Zentrum der weiblichen Lust erreichte und sie verführte. Siobhan hatte das Gefühl, das Bett unter ihr würde sich drehen. „Ich will es“, bettelte sie ihn an. Alle Behutsamkeit, alle Vorsicht, alle Ehrfurcht vor ihrer Jungfräulichkeit war vergessen. Entschlossen kniete er sich zwischen ihre einladenden Beine und zog sie auf seinen Schoss. Dann beugte er sich
herunter und forderte erneut ihre Zunge zu einem Duell heraus. Ihre Fingernägel bohrten sich in die Haut seines Rückens. Sie fühlte die Härte zwischen ihren Schenkeln. Ein Brennen breitete sich in ihren Unterleib aus, als er ihre Unberührtheit durchbrach und sie nahm. Seine Härte erfüllte sie durch und durch, und aus dem Brennen wurde ein Feuer der Lust. Fernab dieser Welt, fernab aller klarer Gedanken empfing sie ihn und ließ sich von seiner Männlichkeit erfüllen... Arm in Arm schliefen sie in tiefer Nacht ein und erwarteten mit neuer Kraft den Morgen.
Kapitel 15 Feuer in Kivale Ein Vogelschrei, doch nicht der eines Hahnes. Siobhan öffnete ihre Augen und lauschte dem Unbekannten. „Ein Truthahn, wenn ich mich nicht täusche.“ Ieuan küsste zärtlich ihre Wange und griff nach seinem Kilt, um sich zu bedecken. Nachdem er sich gewaschen hatte, verließ er mit einem Augenzwinkern das Zimmer. Siobhan wickelte sich in die sandfarbene Decke und tappelte zum Fenster. Es war ein herrlicher Ausblick auf den Garten. Blumen in allen Farben:
weiß, rot, orange, lila und gelb. Die Sträucher trugen rosa Blüten, und ihr Duft war so stark, dass er bis in Siobhans Nase gelangte. Schnell wusch sie sich und ging hinaus. „Ranunkel“, sprach Loui, der plötzlich neben ihr stand. „Wie bitte?“ „Ranunkel - die Blumen heißen so. Kein schöner Name, aber dafür ist ihr Blüte umso schöner.“ „Das ist wahr.“ Siobhan wendete ihren Blick fragend auf die Sträucher. Loui antwortete voller Begeisterung für ihr Interesse. „Azaleen und Rhododendron, man nennt ihn auch Rosenbaum. Wunderschön,
nicht wahr?“ „Oh, ja!“ „Und da! Hast du die Fasane schon gesehen?“ Loui war voller Euphorie. Das ganze Gegenteil von Lennon. Siobhan betrachtete fasziniert die Vögel, die ungestört und unbeeindruckt nach Futter pickten.Ihr Federkleid war in bräunlichen Tönen gesprenkelt. Ihr kleiner Kopf wirkte wie aufgesetzt. Er war blau, die Augen rot umrandet. „Ieuan sagte, er hätte ein ..., ein Tru...hahn.“ „Ja, einen Truthahn. Ich habe zwei, Goggle und Gibble. Da vorn sind sie. Siehst du sie?“
Siobhans Augen waren vom Sonnenlicht geblendet. Aber dann hörte sie es wieder: gobble gobble. Einer kam hinter den Büschen vor. Er war größer als die Fasane, viel größer. Sein Federkleid teilte sich in weiß und schwarz. Der Anblick seines Kopfes war sicher nicht einer seiner Vorzüge, wenn er auf Brautschau war, rot und schrumpelig, und zu viele Hautlappen hingen an ihm runter. „Hast du Ieuan gesehen?“ „Ich glaube, er sagte was von Schwimmen.“ „Wo?“ „Wenn du aus dem Hof kommst, geh' nach rechts. Dann kommst du bald an
einen See.“ Loui sprach mit merkwürdigem Ton. Er stockte nach jedem Wort und sprach dann die Silben so schnell, dass er sie beinah verschluckte. Siobhan bedankte sich für das Gespräch und machte sich unverzüglich auf den Weg. Nicht nur heute weht der Wind stark, dachte sie. Die wenigen Sträucher am Wegesrand, meist weißblühende Rhododendren, wuchsen schief. Wo Siobhan hinschaute, erblickte sie Wiesen und Felder. Bäume gab es kaum. Sie fragte sich, wo hier ein See sein sollte. Die Sonne im Gesicht und den Wind im Rücken, lief sie unbeirrt weiter
über einen kleinen Hügel. Der Anblick, der sie nun erwartete, ließ sich nicht in Worte fassen. Wie ein silberner Spiegel breitete sich der See über die Ebene aus. Die Vegetation prahlte mit ihrer Üppigkeit. In den zwei Tagen, da sie her ritten, hatte sie solche Farbenvielfalt nicht erblicken können. War sie wach? Hatte der Liebeszauber der letzten Nacht sie noch in seinen Fängen? Ieuan kam aus dem Wasser, setzte sich ungeniert ans Ufer, wartend auf seine süße Siobhan. Als sie am See ankam, setzte sie sich neben ihn. Er nahm seinen Kilt, sein Hemd und zog sich an.
„Die letzte Nacht bedeutet mir sehr viel.“ Siobhan nickte leicht geniert. Doch diesmal galt das Rosa auf ihren Wangen nicht der Scharm, sondern vielmehr der Leidenschaft. Beide beobachteten den Himmel, der sich bedrohlich schnell verdunkelte. „Ich denke, wir sollten zurück gehen, bevor uns das Unwetter erreicht.“ „Ja.“ Siobhans Blick haftete am Firmament. Sie spürte die Aufruhr. Sie hörte die Schreie, die der Wind mit sich zog. Millionen Gedanken flüchteten durch ihren Kopf und fanden keinen Halt. „Komm schon!“ Doch sie stand da und rang nach Luft.
„Was hast du?“ Siobhan verdrehte die Augen und sackte zu Boden. Ieuan kniete sich zu ihr und streifte nervös die Haare aus ihrem Gesicht. „Was ist los? Siobhan!“ Das Gewitter kam näher und zog mit all seiner zerstörerischen Kraft über die Ebenen. Ieuan hatte Mühe, sich zu halten. Einzelne Sträucher wurden vom Wind einfach aus dem Boden gerissen und hunderte Meter weit getragen. Die Blitze verfehlten ihre Ziele nicht und zerstörten unzählige Häuser des naheliegenden Fischerdorfes. Ieuan lauschte dem Donner und Grollen. Doch Siobhan hörte darin die Schreie
ihres Vaters und ihrer Schwestern. Ein Krieg tobte über den Wolken. Es war ein ungleicher Kampf. Trotan zerstörte das prachtvolle Kivale in rasender Wut. Wie ein schwarzer Schatten zog er durch das Reich, verschlang alle Seelen, die ihn kreuzten und bahnte sich seinen Weg in die Hallen aus Glas bis hin zu Ruaidhri. Sein Feuer, aus Hass geschürt, verbrannte die Gedanken in Sekunden und schickte ihre rauchigen Überbleibsel ins ewige Eis. Gefangen in finsterster, bösester Fantasie sollten sie von nun bis ans Ende aller Tage in Vergessenheit weilen. Vergessen von Mensch, Tier und Natur.
Aus Siobhans Augen flossen die Tränen und hinterließen einen salzigen Pfad auf ihren nun blassen Wangen. „Ich fühle sie nicht mehr.“ Ieuan verstand und trocknete ihre Tränen mit seinen Händen. Er hielt sie im Arm und schwor bei seinem Leben, sie zu beschützen.
Kapitel 16
Aufbruch Es war Abend. Der Himmel ertrank in Violett und Rot. Die Wolken wälzten sich in Gold. Loui saß auf einer Bank in seinem Garten und lauschte der Stille, die sich wie ein warmer Atemzug über den Hof legte, bis sie von Pferdegetrampel unterbrochen wurde. Das Pferd galoppierte ungebremst durch den Torbogen und kam erst wenige Meter vor Louis Füßen zum Stehen. „Wo sind sie?“, sprach Lennon. „Guten Abend, Bruder“, gab er blicklos zurück.
„Ich bringe schlechte Kunde. Also wo sind sie?“ „Lennon!“, rief Ieuan aus dem Fenster. Lennon ging zum Haus und öffnete die Tür. Ieuan war bereits unten und begrüßte ihn erneut. „Wo ist Siobhan?“ „Sie schläft.“ „Das ist gut. Dann kann ich es erst dir sagen.“ „Was sagen?“ „Sile und Angus...“, Lennon schaute betroffen nach unten. Ieuan verstand. Doch Siobhan konnte er es nicht sagen, nicht heute. „Trotan?“, fragte er im flüsternden Ton. „Ich denke ja. Die Leute beschrieben ein
Monster mit schwarzem Umhang und den Augen einer Schlange. Ohne Vorsicht, ohne Scheu, ohne ein Gewissen ritt er durchs Dorf und brannte alles nieder. Ein einziger Mann mit einer einzigen Fackel. So viel Leid.“ „Er ist kein Mann, kein Mensch.“ „Von Sile und Angus fand man nur die Körper, keine Köpfe.“ „Gibt es hier Waffen? Wir müssen vorbereitet sein.“ Loui betrat wie zufällig das Haus: „Das ist ein Ort des Friedens.“ „Keine Waffen?“ „Vielleicht hab ich noch einige unten.“ „Unten?“ „Ja, im Kellergewölbe.“
Lennon staunte: „Wieso weiß ich davon nichts?“ Loui antwortete mit einem Grinsen und forderte die Beiden auf, ihn zu begleiten. Jeder nahm sich eine Fackel, und Loui führte sie in die Küche. Nacheinander gingen sie die schmale, steinige Treppe hinunter, die sie in einen kleinen Raum führte. Die Decke war nicht hoch. Alle drei mussten den Kopf einziehen. Loui öffnete eine Tür, hinter der nichts weiter war außer eine weitere Mauer. Am Boden lag ein Bündel aus Leinen. Loui nahm es auf und packte es auf den Tisch, der neben der Tür stand. „Helft mir mal!“
Ieuan griff das oberste Schwert und schwang es hin und her. „Woher hast du das?“ „Sei vorsichtig! Es schneidet Fleisch wie Papier.“ „Ich nehme es.“ Lennon nahm sich ein kleineres Schwert und eine Streitaxt. Loui begnügte sich mit einem Dolch und legte den Rest wieder zurück. Wieder in der Küche angekommen, berieten sie sich über ihr weiteres Vorgehen. „Ich bin zwei Tage unterwegs gewesen. Wo hast du deinen Met versteckt, Bruder?“ Ohne zu zögern, aber doch ungern holte
Loui den Krug aus der Kammer und schenkte allen dreien ein. Trotan hatte sich in sein Versteck zurück gezogen. Es war finster, kalt und feucht in den Mooren. Der Nebel stand so dicht, dass man die Hand vor Augen nicht sah. Es schien hier immer dunkel und stank nach Vermodertem. Kein Tier wagte sich hier her, und kein Mensch fand den Weg in die Tiefen der Sümpfe, aus denen nächtens die Lieder der Toten klangen, die ihren Weg hierher fanden und nicht mehr heraus. Es war ein jämmerlicher Ort, ein Ort der Verdammten und Ausgestoßenen. Und das war er. Hatte sich selbst ausgestoßen. Hatte gemordet.
Gier und Eifersucht verseuchten den Platz, wo einst sein Herz war. Wut war sein Begleiter und Selbstmitleid sein Bett. Sein Blick, fixiert auf die Köpfe von Sile und Angus, verriet grausame Vorhaben. In seinen Augen funkelte der letzte verzweifelte Gedanke Ruaidhris. Es war ein Name, ein Ort, Galway. Er war entschlossen, Kivale für alle Zeit auszulöschen. Doch sein Werk war noch nicht vollbracht. Ein letztes Wesen, ein königliches, hieß es zu vernichten. Siobhan sollte ihm gehören. Doch der ungeborene Thronfolger sollte in den Feuern der Vergessenen brennen.
Dann endlich wäre er der Herrscher aller Träume und Gedanken. Ein Grinsen trieb den Nebel in die Flucht. Trotan war im Aufbruch, auf dem Weg nach Galway.
Kapitel 17 Heiße Gier Siobhan öffnete ihre müden Augen. Die Tränen hatten sandige Spuren hinterlassen. Ihr Mund war trocken und ihr Gedanken suchten nach Leben, nach einem winzigen Zeichen der Ihren, nach einem Hauch von Kivale. Doch so dunkel wie der Raum, in dem sie lag, waren auch ihre Gedanken. Dann ein Lichtschein. Ieuan betrat leise das Zimmer und legte sich still zu ihr. „Bist du wach?“, flüsterte er kaum hörbar. „Ja.“ Vorsichtig schloss er sie in seine Arme
und küsste sie sanft auf die Stirn. „Er wird dich nicht bekommen, das schwöre ich. Da muss er erst an mir vorbei.“ Noch immer erschöpft legte sie ihren Kopf an seine Schulter. Ihr Körper war warm wie seiner, und es fühlte sich gut an, neben ihm zu liegen. Dennoch machte die Leere, die sie mehr und mehr einnahm, es ihr kaum noch möglich zu atmen. Ieuan spürte ihr Zittern, die Trauer, die Verzweiflung. In diesem Augenblick war es ihm unmöglich, Siobhan zu erzählen, dass Trotan Sile und Angus getötet hat. Er küsste ihren Mund, erst zart, dann
leidenschaftlich. Siobhan fand Trost in seinem Kuss und gab sich ihm hin. Wachsam auf jede ihrer Reaktionen küsste er ihren Hals, ihre Brüste, ihren Bauch, umfasste ihr Becken, ihre Schenkel. Sein warmer Atem legte sich wie ein Flammenmeer auf den winzigen Hügel unterhalb ihres Nabels. Ein Zucken durchfuhr sie. Seine Küsse wanderten tiefer und wieder hoch. Seine Hände streichelten jede Rundung ihres Körpers. Sie wanderten von den Brüsten über den Bauch, weiter nach unten, öffneten gierig die Schenkel und streichelten deren Innenseiten, bis Siobhan nicht mehr inne halten konnte.
Nach mehr verlangend biss sie ihm erst in die Schulter, dann ins linke Ohrläppchen. Ihre Fingernägel gruben sich in seinen Rücken. Seine Küsse wanderten wieder zu ihrem Mund, und seine Zunge bohrte sich um so tiefer in ihren Hals, umso mehr sie ihre Hände von seinem Rücken abwärts bewegte, seine Pobacken packte und ihre Fingernägel sich erneut in seinem Fleisch vergruben. Einladend bewegte sie ihre Hüften hin und her. Er folgte ihrem Rhythmus und schob ihre Schenkel etwas unsanft auseinander, um seinen Leib dazwischen zu platzieren. Mit feurigem Blick schaute
er in ihre Augen. All ihr Schmerz wandelte sich in pure Hingabe. Es gab nur noch diesen Augenblick, diesen Ort und diesen Mann. Seine starken Hände packten sie bei den Hüften. Sein Kuss war so fordernd, dass ihr fast der Atem stockte. Unerwartet ließ er einen Augenblick von ihr ab und betrachtete sie. „Du bist so unglaublich schön.“ Gerade wollte sie sich zu ihm aufrichten, um seine Brust mit dankenden Küssen zu bedecken, als er sie härter an den Hüften packte und sie geschickt drehte, so dass sie nun auf dem Bauch lag. Er legte ihre Arme vorsichtig über ihren Kopf und flüsterte:
„Nicht bewegen!“ Siobhan gehorchte, obgleich sie fast zu explodieren drohte. Jede seiner Berührungen lösten ein weiteres Feuer in ihrem Körper aus. Seine Zunge wanderte von ihrem Nacken entlang der Wirbel runter bis zu ihren wohlig gerundeten Po. Ein süßer Schmerz ließ sie kurz aufschreien, als er sie sanft ins Fleisch biss. Er war ein Krieger, ein Erstürmer, der sie forderte mit all ihren Sinnen. Sie sollte ihn sehen, riechen, schmecken, hören und fühlen, dass sie ihn nie mehr vergaß. Jeder Zentimeter ihrer weichen Haut sollte sich an seine Berührung erinnern.
Bestimmend zog er ihr rechtes Bein nach oben und begann sie an Stellen zu streicheln, an die sie vorher noch nicht einmal gedacht hätte. Unaufhaltsam rekelte sie sich ihm entgegen und bettelte nach Erlösung. Ieuan lächelte und biss sie erneut in den Po. Dann zog er diesen zu sich hoch, so dass sie auf allen Vieren stand wie eine schnurrende Katze. Mit wildem Blick positionierte er sein Becken zwischen ihren Beinen, um dann mit einem schnellen Stoß in sie einzudringen. Vor ihren Augen schien ein Sternenregen nieder zu prasseln. Vereint wogen sich ihre Körper im Takt
der Hemmungslosigkeit und Hingabe. Ihre erhitzten Körper schmiegten sich aneinander und verschmolzen zu einer Einheit. Trotan kochte vor Wut. Ungeduldig malte er sich aus, wie er Ieuan zerfleischen und seinen Kopf von seinem Leib reißen würde und ihn in den Mooren vergammeln ließ. Es war seine Art der Befriedigung, solange Siobhan sich ihm noch versagte. Aber bald würde es anders sein, da war er sich sicher.
Kapitel 18 Tage, wie dieser Es war Ende Juni. Der Sommer zeigte sich von seiner schönsten Seite. Auf den Wiesen erwachte das satteste Grün und und lud Hummeln, Bienen und weitere Insekten ein, sich in seinem Honig schweren Aromen zu baden. Lennon war vor Tagen abgereist, um nach seiner Familie zu schauen. McCorley und Ui Murchadhadh waren allgegenwärtig. Unermüdlich fanden sie immer wieder neue Opfer für ihre Folterungen. Skrupellos und ohne Gewissen nahmen sie Männern ihre Frauen und Kinder, vergewaltigten und
quälten sie zu Tode. Nicht selten gab es Untersuchungen bezüglich ihrer Machthabe. Doch niemand wagte es gegen sie auszusagen, vor Angst, die Sache nur noch schlimmer zu machen. So konnten sie ungehindert ihre Gräueltaten fortsetzen. Es war ein Tag wie jeder andere, an dem sie durchs Dorf ritten und vernehmen ließen, eine hohe Belohnung stände dem zu, der ihnen verriet, wo sich Ieuan Ò Briain und eine gewisse Siobhan aufhielten. Es dauerte keine drei Tage, bis die Botschaft Galway erreichte. Loui wurde schnell bewusst, dass das junge Paar hier nicht mehr lange sicher war. Aber
wenn nicht hier, wo sonst? Der Wind über dem See wehte ein kühle Brise zu den beiden im Gras Liegenden. Verliebt küsste sie ihn und legte sich mit einem Seufzer in seinen Arm. „Könnte es nur immer so sein.“ „Jeden Tag mit dir wünsche ich, dass er nie vorüber geht.“ „Ich muss oft an mein Volk denken, an meinen Vater und meine Schwestern. Und auch an Sile und Angus. Ich kann nicht begreifen, wieso er das getan hat.“ „Dich wird er nicht bekommen.“ Siobhan richtete sich auf und betrachtete die seichte Oberfläche des Sees. „Ich glaube nicht, dass er mir etwas
antun wird. In den Kivalischen Schriften steht geschrieben, dass, wenn uns ein Unheil trifft, werden wir als Einzelner zu Grunde gehen. Kein einziger Gedanke hätte die Macht und die Kraft, längere Zeit fortzubestehen. Wenn Trotan mich tötet, ist er der Letzte.“ „Das wäre sein Untergang.“ „Ja.“ Fragend verzog Ieuan die Augenbrauen. „Was will er denn?“ Siobhan zögerte, zu bitter war das, was ihr Herz bewohnte. „Am Tag, als mein Vater erschien, begegnete ich auch Trotan.“ Siobhans Zunge war wie gelähmt von
den Worten, die sie nun aussprechen sollte. „Er sagte 'Wenn dein Herz ihm gehört, werde ich es ihm heraus reißen'." Ieuan überlegte kurz: „Und, gehört es mir?“ „Vielleicht sollten wir uns trennen. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit.“ „Oh nein. Alles, aber nur nicht das. Soll er kommen! Ich habe in vielen Schlachten gekämpft. Ich werde auch in dieser kämpfen.“ Es war tiefste Nacht im County Mayo. Das laute Schnarchen des Hausherren McCorley war in allen Fluren zu hören. Ihres Schlafes beraubt nahm die junge
Kate den Arm ihres Herren von ihrer Brust und schlich aus dem Gemach ihres Peinigers. McCorley suchte schlaftrunken den weichen Körper der Dreizehnjährigen unter seiner Bettdecke. Er griff nach etwas Hartem und Großem. In steifer Lust presste es sich zwischen seine Pobacken. Erschrocken sprang er aus dem Bett und griff nach seinem Schwert. „Was geht hier vor?“, fragte er mit trockener Kehle. „Das sollte nur ein Vorgeschmack sein auf das, was dir und deinem Freund widerfährt, wenn ihr Siobhan auch nur ein Haar krümmt. Sie gehört mir. Und auch diesen Ò Briain lasst ihr in Ruhe.
Der ist meine Sorge.“ „Wer seit ihr?“ „Das spielt keine Rolle. Denkt nur an die Pein und den Schmerz, wenn ich euch mit meinem Pflock so tief nehme, dass ich euch die Gedärme zerreiße. Wie wäre das?“ Ein widerliches Lachen ertönte von allen Seiten des Raumes. McCorley schlug um sich und schrie in Panik: „Wehe, wenn du mich anrührst! Ich schneide dich in Stücke.“ Doch sein Besucher war längst verschwunden, zurück nach Galway, zurück zu seiner Geliebten.
Kapitel 19 Der Vorschlag Es war warm. In den Nestern der Natur wuchs und gedeihte es. Die Wiesen waren so grün und von Kräutern bewohnt, dass man ihre Pracht förmlich mit dem Herzen schmecken konnte. Hier und da zwitscherten die Vögel und erzählten von guten Tagen. Es war ein Ort der Stille und des Friedens, unten am See. Ieuan und Siobhan genossen die Ruhe. Arm in Arm liegend schauten sie in den Himmel und lauschten den Vogelgesängen. „Ich kann nicht verstehen, wie ein Mann,
Ding, was auch immer, dein gesamtes Reich vernichten konnte. Woher hat er so viel Macht?“ „Es gibt viel Leid, Schmerz und Hass und Wut. Er nährt sich davon und wächst mit jedem Leid der Menschen mehr.“ „Dann müssen wir ihn mit unserer Liebe umhauen“, grinste Ieuan, obwohl er wusste, dass es nicht zum Lachen war. „Lass uns schwimmen.“ Ieuan setzte einen feuchten Kuss auf Siobhans Lippen. Dann zog er sein Hemd über den Kopf, legte rasch seinen Kilt ab und sprang ins kühle Nass. Siobhan hingegen ging die Sache langsamer an. Behutsam öffnete sie ihr
Kleid und ließ es zu ihren Füßen fallen. Ihr Unterstöffchen behielt sie an, für den Fall, dass sich doch jemand hierher verirrte. Vorsichtig prüfte sie die Wassertemperatur mit ihrer Zehenspitze. Ieuan dauerte dies zu lange, und so zog er sie Kopfüber ins berauschende Bad. Siobhan japste nach Luft und rieb sich das Wasser von den Augen. Ieuan lachte, und gleichzeitig bewunderte er die Vollkommenheit ihres Körpers. Er konnte seine Blicke nicht von ihrem Leibchen lassen, wie die Nässe die Rundungen und Wölbungen und die makellos reine Haut sichtbar machten. Das Wasser ließ viele Blicke zu, und dennoch blieb sie bedeckt. Das
reizte ihn sehr. Den Verstand aussetzend, nur noch den Trieben folgend hätte er sie auf der Stelle nehmen wollen. Selbst im kalten Wasser bewegte sie sich voller Anmut. Ehrfürchtig betrachtete er ihre Art zu gehen, zu schwimmen, sich zu bewegen. Wie eine Rosenknospe im Sturm wollte er sie beschützen. Mit einem Zug schwamm er zu ihr hinüber und nahm sie in seine starken Arme, um sie liebevoll zu küssen. „Wenn du eine Blume wärst, würde ich dich sogleich pflücken.“ „Und hätte ich Dornen?“ „So würde ich es trotzdem tun und den
Schmerz ertragen.“ Siobhan schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, welches ihn einlud, ihre honigsüßen Lippen abermals mit den seinen zu bedecken und sie mit jeder seiner Poren zu schmecken. Ihr Geruch floss wie ein lauer Strom aus Lava durch seine Adern, nur wartend auf ein Zeichen, dass es zu brennen beginnen durfte. Der Drang nach Abkühlung ließ Ieuan ins tiefe Wasser abtauchen. Siobhan drehte sich und erwartete sein plötzliches Erscheinen, wahrscheinlich unmittelbar vor ihr. Doch tat sich nichts. Die Oberfläche des Sees war glatt und still. Zu still.
Siobhan ging langsam einige Schritte rückwärts und suchte das Wasser nach Ihrem Liebsten ab. Unruhe machte sich in ihr breit. „Ieuan?“ Der Himmel zog sich zu. Dunkle Wolken verschlangen die Sonne und ließen den Tag zur Nacht werden. Der Wind wurde kühler und stärker. Siobhan fühlte die Bedrohung. „Ieuan? Bitte, das ist nicht komisch.“ Fast hatte sie das Ufer erreicht, als etwas blitzartig aus dem Wasser gen Himmel schoss. Es war zu schnell, als dass man es hätte erkennen können. Erst dachte sie an einen Vogel, der einen Fisch fing. Aber
der Gedanke war zu abwegig. Und genauso schnell wie dieses Etwas gen Himmel schoss, fiel es nun wieder herunter, direkt vor ihre nackten Füße. Voller Angst und dennoch neugierig starrte sie auf das Ding, das leblos zu sein schien. Langsam beugte sie sich hinab, um es genauer zu betrachten. Da fing das Ding an zu zucken und zu flattern wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln. Doch war es kein Vogel. Eine Gestalt wuchs aus dem Federn und nahm schon bald sichtbare Formen an. Finster war sein Blick und Böses lauerte hinter seinen Augäpfeln. Ein breites Grinsen überzog das vernarbtes Gesicht. Er hatte sich verändert, hatte die
tierischen Züge abgeworfen. Doch noch immer war es das Grauen und der tiefe Hass, welche aus ihm sprachen. „Meine liebe Siobhan!“ Jetzt, da sein Mund sich öffnete, sah man, dass nicht alle tierischen Male abgeworfen waren. Noch immer hatte er die Zähne eines Wolfes. „So viel Reinheit...“ Seine widerlichen Hände versuchten, Siobhans Wange zu streicheln, doch sie zog entsetzt zurück. „Wo ist Ieuan?“ „Ach, vergiss ihn!“ „Wenn du ihm etwas angetan hast...!“ „Ich sagte, vergiss ihn!“, entfuhren ihm zornig die Worte.
Langsam schlich er um das Mädchen herum und spielte mit ihren dunklen Haaren, die ihr Leuchten in diesem Licht gar verloren zu haben schienen. „Ich könnte dir so viel geben“, schmachtete er dahin. Sie trug ja nichts als ihr nasses Leibchen und versuchte mit ihren zarten Armen und Händen die stinkenden Pranken ihres Widersachers, die ständig versuchten, sie zu berühren, abzuwehren. „Und ich könnte dir nichts geben!“ „Wenn du mich nur verstehen könntest, so fühlen wie ich, nur einmal mir gleich tun.“ In Siobhan stieg Übelkeit auf. Die Angst,
Ieuan müsse irgendwo in der Gefangenschaft dieses Fleischbrockens leiden, machte sie beinah wahnsinnig. Tapfer versuchte sie sich gegen Trotan zu stellen. Doch innerlich war sie nur ein Blume ohne Dornen, schutzlos dem Sturm ausgeliefert, der sie heimgesucht hatte. In ihren blauen Augen konnte Trotan ihre Verzweiflung sehen. Und das gefiel ihm ungemein. Gnadenlos setzte er sein grausames Spiel fort. „Wenn du deinen ...“, blinde Eifersucht überkam ihm bei dem Namen desjenigen, der das Herz seine Geliebten für sich beanspruchte: „... wiedersehen willst, so musst du nur eines tun.“
„Was?“, platzte es aus ihr heraus. Trotan schüttelte die Vorfreude dessen, was ihm bevor zu stehen schien. Er konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Und der Sabber der Begierde tropfte von seinen Mundwinkeln. „Nur eine Untat, und er gehört dir.“ „Nie könnte ich jemanden etwas Böses tun. Und das weißt du.“ Er grübelte eine Weile, seine Augen fingen an zu glühen: „Wenn jemand deine Hilfe benötigt, schau nicht hin!“, giftete er sie an, um sie anschließend unerwartet zu küssen. Siobhan überkam Ekel. Gedankenlos holte sie aus und ohrfeigte ihr Gegenüber mit der Hand, an der sie den
Ring ihres Vaters trug. Der Diamant hinterließ eine tiefe Wunde, gleich einem Krater auf seiner Wange, und er schrie sie so zornig an, dass die Oberfläche des Sees zu kochen begann. „Wie kannst du mich schlagen, Weib? Ich würde dir alles geben. Und ich verlange so wenig.“ Darauf verschwand er so plötzlich wie er gekommen war.
Kapitel 20 Der Wolf
Siobhans Körper zitterte. Angst und Kälte kontrollierten ihre wankenden Beine. Mit tränennassen Augen suchte sie den Himmel nach einem Licht ab. Doch fand sie nur Finsternis und Grauen. Die Leere in ihrem Herzen war unerträglich. Ein Blick um sie herum verriet ihr, dass die Welt sich langsam veränderte. Nicht nur die Menschen verloren ohne die tröstenden Gedanken der Nacht ihre Herzlichkeit und Hoffnung, sondern auch die Natur verlor an Farbe. Das Grün der Wiesen schien grau und ohne Leben. Die Blätter
der Bäume fielen herab. Die Winde wehten gnadenlos übers Land. Alles war in seiner Macht. War es Tag oder Nacht? Siobhan hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren. Die Sonne war nicht zu sehen, und auch nicht der Mond, auch sonst kein Stern, der ihr hätte einen Weg weisen können. „Ach, was soll ich tun? Ieuan, wo bist du?“ Entschlossen, ihn zu finden, holte sie tief Luft und machte sich auf den Weg zurück zu Louis Haus. Nur wenige Meter vor dem Haus brach sie zusammen und ihr ermatteter Körper fiel zu Boden.
Der Abend grüßte den Tag zum Abschied, als Loui sie fand. Besorgt trug er sie ins Haus und legte sie ins Bett. Erst am folgenden Morgen erwachte sie aus ihrem schützenden Schlaf. „Ieuan?“ Alles fiel ihr wieder ein. Es war kein Traum. Dieses Monster hatte Ieuan in seiner Gewalt. Klopfen. Loui öffnete vorsichtig die Tür und betrat das Zimmer. „Ich konnte dich nicht wach bekommen letzte Nacht. Wo ist Ieuan?“ „Er hat ihn“, flüsterte sie mit zitterndem Kinn.
„Dieser Tro...?“ „Ja.“ „Und wo?“ „Das weiß ich nicht“, gab sie verzweifelt zurück. „Das müssen wir herausfinden.“ Siobhan nickte. „Wir werden ihn wieder finden, hörst du? Und zusammen machen wir dann diesen Mistkerl fertig.“ Siobhan nickte abermals. Loui streichelte behutsam über ihre Stirn und ging dann zur Tür. „Ach, eines noch. Du warst gestern patschnass. Ich sah es als meine Pflicht...ich wollte nur...helfen.“ Dann schloss er die Tür hinter sich.
Siobhan brauchte einen Moment, zu verstehen. Doch ein Blick unter die Decke bestätigte ihre Befürchtung. Sie war splitterfasernackt. „Oh!“, entfuhr es ihr. Mehr Worte sollten ihre Scham nicht bedecken. Wichtigeres gab es nun. Von der Nacht gestärkt, stand sie auf, zog sich das getrocknete Leibchen an und begegnete den Tag mit neuer Hoffnung. Unten stand Loui in der Küche und bot Siobhan sogleich einen Tee, als sie den Raum betrat. „Du denkst jetzt sicher, ich wäre verrückt, aber mir ist da so eine Idee gekommen, wie wir das Versteck von diesem Trotan finden können. Und haben
muss er eines.“ Gespannt schlürfte sie ihren Tee, und ihr Blick forderte ihn auf, mehr zu erzählen. „Also gut...“, stotterte er fast: „...es gibt da einen Wolf in den westlichen Wäldern. Die Fischer sagen, er ist wissend vieler Geheimnisse.“ „Aber wie soll uns das weiter helfen? Ein Wolf kann nicht sprechen.“ „Sie sagen, er spricht mit den Augen.“ Jetzt erst merkte Loui, wie töricht seine Idee war. „Mit den Augen? Früher war es mir ein Leichtes, in die Gedanken von Mensch und Tier einzudringen. Doch jetzt vermag ich dieses nicht mehr.“
Sie überlegte kurz. Dann sprang sie auf und stellte sich auffordernd an die Tür. „Wo ist dieser Wald?“ Loui war erstaunt über ihre Aufgeschlossenheit. Eilig verließen sie den Hof und wanderten in Richtung Westen. Der Wald war einen halben Tagesmarsch entfernt. Der Regen hatte die Wege ausgespült und machte sie rutschig. „Wir hätten das Pferd mitnehmen sollen.“ „Ein Pferd, um einen Wolf zu suchen?“ Es vergingen einige Stunden. Und dann lag er vor ihnen, groß und dunkel. Kein Mensch ging freiwillig in diesen Wald. „Es gibt nicht viele solcher Wälder in
dieser Gegend. Die Engländer wollen unser Land schön übersichtlich und lassen alles abroden.“ „Was sind das für Bäume?“ "Die meisten sind Roteichen und Eiben, einige Eschen und auch Weißdorn findest du hier.“ „Er wirkt majestätisch“, Siobhan blickte ehrfürchtig zu den Kronen der Baumkönige. „Gehen wir schnell hinein, bevor es noch dunkler wird. Tag und Nacht scheinen ineinander zu fließen. Selbst die Vögel sind irritiert.“ Nur einige Schritte weiter sah man hinter sich nicht mehr das geringste Tageslicht. Es war düster und
beängstigend. Die Bäume flüsterten mit dem Wind und ihre Äste bewegten sich gespenstisch hin und her. Siobhan lief es schauerlich den Rücken herunter. Beide blieben stehen und lauschten. Nichts, nur der Wind, wie er durch das Laub bläst. Plötzlich ein Rascheln, links. Allein wäre Loui jetzt umgedreht und zielsicher Richtung Waldausgang marschiert. Aber er war nicht allein. Und zu dringend war ihr Ersuchen. „Was wollt ihr?“, erklang eine raue,aber sanfte Stimme in Siobhans Kopf. „Hast du das gehört?“ „Was hab ich gehört?“, Loui verstand nicht.
„Er kann mich nicht hören, nur du.“ Siobhan drehte sich im Kreis. Niemand war zu sehen. „Wieso höre ich dich?“ „Mit wem sprichst du?“ Farroi war es Leid, unnötige Worte zu sprechen und trat aus dem Dunkeln ins Licht. „Alles in O o o Ordnung“, bemerkte Loui und trat langsam zurück. „Nur die, die eine Frage haben, können die Antwort hören.“ Farroi schlich um Siobhan und knurrte Loui grimmig an. Sein Fell war stumpf und ungepflegt. Sein Kopf hing schwer. Jeder Schritt schmerze ihn in den Knochen.Er war alt und müde.
„Ich suche...“ „...Ieuan. Trotan hält ihn in seiner Burg gefangen.“ „Woher weißt du... ?“ „War das nicht die Antwort, die du hören wolltest?“ „Doch. Oder nein. Wo finde ich diese Burg?“ „Sie liegt auf einer Insel nicht weit vom See.“ „Du meinst im See. Aber da gibt es keine Insel.“ „Traust du meinen Worten nicht?“ Erschöpft legte sich der Wolf unter einen Baum und leckte seine Pfote. Siobhan hockte sich zu ihm herunter und rang sich ein Lächeln ab.
„Kannst du mir auch sagen, wie man Trotan besiegen kann?“ „Das kann niemand, niemand menschliches.“ Plötzlich fing Farroi neugierig an, Siobhan zu beschnüffeln. „Ein Königskind, doch nicht von hier.“ „Ich...ich...“ „Ich meine nicht dich. Du trägst einen Gedanken in dir, ein kivalisches Königskind mächtiger Natur.“ Siobhan verschlug es dem Atem. „Ein Kind in mir?“ „Du wirst gebären?“, platzte es aus Loui.
Kapitel 21 Besuch „Mächtiger als alles was war, doch gefangen in dir.“ Siobhan fasste ihren Bauch, und ihr Blick richtete sich fragend auf den Wolf. „Nur die Stärke und der Glaube zweier Liebender vermag ihn zu befreien.“ Horchend und doch gelangweilt tuend kratzte Farroi sich hinterm linken Ohr. „Dann gibt es noch Hoffnung.“ „Ja, die gibt es. Es gibt immer Hoffnung.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der Wolf und verschwand in der Dunkelheit.
„Was hat er gesagt?“, wollte Loui wissen. „Komm! Wir müssen Ieuan finden.“ „Und was hat er nun gesagt?“ Siobhan antwortete nicht. All ihre Gedanken richteten sich auf Trotan und seine Burg. Wo war sie? 'Sie liegt auf einer Insel nicht weit vom See' ergibt doch keinen Sinn. „Wir haben noch einen weiten Weg. Lass uns heimwärts gehen.“ Loui streichelte Siobhan über den Kopf, wollte trösten, doch sie wehrte ab. „Wir müssen Ieuan finden!“ „Du trägst ein Kind in dir. Du brauchst erst mal Ruhe.“
„Es ist kein Kind menschlicher Natur. Es entstand meiner Natur. Glaube mir, ich muss mich nicht schonen.“ Loui tat, als wüsste er, was sie meinte und nickte. Schweigend setzten sie ihre Wanderung fort, bis sie am späten Nachmittag den Hof erreichten. Mit lautem Gegockel wurden sie von den Fasanen und Truthähnen empfangen. Siobhan war müde und ging auf ihr Zimmer.'Nur kurz', dachte sie. Dann wollte sie zum See. Derweilen sie sich ausruhte, kochte Loui eine Suppe. Nun war auch die Dunkelheit wieder da, wo sie hingehörte. Der Tag hatte sich
mit all seinem Grau verabschiedet und der Nacht den Platz gewiesen. Im Haus herrschte eine beunruhigende Stille. Siobhan öffnete ihre Augen und schaute sich um. Finsternis, absolute Dunkelheit. Nicht einmal die großen Holzfenster ließen einen Lichtschein ins Zimmer. Es war schwarz, reinstes, leeres, erdrückendes Schwarz. Siobhan stand langsam auf und tastete sich zur Tür. Sie spürte seine Gegenwart, seinen Atem. Er war da. „Zeig dich!“ Stille. Der Wind heulte durch die geschlossenen Fenster und suchte sich seinen Weg durchs Haus. Als er ihren Nacken streifte, drehte sie sich
erschrocken nach allen Seiten. „Ich weiß, dass du hier bist.“ Ein leises, dumpfes Lachen ertönte vom Flur. Sogleich öffnete sie die Tür und eilte blind zur Treppe. „Loui?“ Immer noch Stille. Siobhan hörte, wie ihr Herz unruhig in ihrer Brust klopfte. Das Rauschen in ihren Ohren verursachte ein starkes Schwindelgefühl. Benommen, wie in einem Traum, stieg sie die Stufen hinab, um erneut nach Loui zu rufen, der sie erneut nicht erhörte. „Siobhan!“ Etwas berührte ihre nackten Arme. Und wieder:
„Siobhan!“ „Zeig dich!“ „Du riechst gut, mmh.“ „Du dagegen nicht.“ Das Rauschen aus den Ohren verschwand. Der Blick wurde klarer, und Trotan trat vor. „Ich habe dir einen Handel vorzuschlagen.“ Seine prankenähnlichen Hände berührten ihre samtige Haut, und ein lustvolles Stöhnen entrann seinem sabbernden Maul. Er verzehrte sich nach ihr. Sein Blick schien voller Leid. Doch Siobhan sah ihn nicht, diesen Blick. Sie fühlte nur das Böse, das diesen Raum erfüllte.
„Du trägst etwas in dir. Gib es mir! Und Ieuan soll dein sein.“ „Nicht in tausend Jahren“, fauchte sie ihn an. Wut überzog sein faulendes Gesicht. „Gib es mir!“, sprach er nun mit deutlicher Stimme. „Niemals.“ Er schnaubte und brüllte, stampfte mit dem Füßen wie ein bockiges Kind. Doch es nützte ihm nichts. „Ich bekomme, was ich will. Wir sehen uns!“ Als er verschwand, kehrte die Nacht zurück, und mit ihr das Licht des Mondes. Siobhan sammelte ihre Gedanken und rief abermals nach Loui,
der gleich aus seinem Zimmer kam und sich verträumt die Augen rieb. „Ich muss wohl eingeschlafen sein.“ „Er war hier.“ „Was, hier im Haus?“ „Ich muss ihm folgen. Ich muss zum See.“ „Dann werde ich dich begleiten.“ „Nein, ich gehe allein“, sagte sie entschlossen. Loui schwieg kurz und gab dann zurück: „Gut. Aber erst wirst du dich stärken.“ Ohne Widerrede nahm er ihre Hand, zog sie in die Küche und setzte sie an den Tisch. Gespannt auf ihre Reaktion stellte er ihr einen Teller heißer Suppe hin. Der köstlich riechend, aufsteigende
Dampf erinnerte sie sofort daran, wie hungrig sie war. Das war Überredung genug, einen Moment zu verweilen und zu speisen. Es war weit nach Mitternacht, als sie sich gestärkt aufmachte, die Festung Trotans zu finden. Nur wenige Sterne leuchteten ihr den Weg. Allein der Mond kämpfte sich durch die Wolkenschichten, und voller Hoffnung glänzte sein Spiegelbild auf der Oberfläche des Sees. Siobhan setzte sich ans Ufer und schaute sich um. Da war keine Festung, nicht einmal eine Hütte, nichts. 'Was hatte Farroi gemeint?' Sie legte sich hin und starrte in den
Himmel über ihr. Sie merkte nicht, dass ihre Augenlider schwer wurden und sie Minuten später einschlief...
Kapitel 22 Treffen am See ...sie schaute neben sich in die Augen Ieuans. Er blickte sie an, ohne ein Wort zu sagen. Dann sprach er, ohne seinen Mund zu bewegen, mit der Stimme ihres Vaters: „Trotan muss den Ring berühren. Es wird ihn schwächen.“ Siobhan hörte ihm zu, doch viel lieber hätte sie ihn spüren wollen, nur einen Moment seine Haut an ihrer. Es war nicht möglich. Gelähmt schaute sie ihn an, ihre Arme und Beine gehorchten ihr nicht. Selbst der Hauch einer Bewegung schien ihr nicht zu gelingen. Eine Träne kullerte über Ieuans Wange
und fiel in merkwürdig langsamen Tempo auf den Rasen unter ihm. Eine Träne für Siobhan und tausend unsichtbare Tränen, in denen sein Herz ertrank. Sie hatte das Gefühl zu ersticken. Die schmerzliche Erkenntnis, dass es nur ein Traum war, riss sie aus dem Schlaf. Die Sonne streichelte tröstend ihr Gesicht. Die Vögel, die sich in den Büschen, nicht weit vom Ufer des Sees, versteckten, sangen im Durcheinander und schafften es dennoch, dass nichts schöner klingen konnte als ihr Getriller. Siobhans Blick legte sich wie gebannt auf eine schwarze Wolke über dem See. „Das ist es. Das ist sie.“
Nun hellwach sprang sie auf und setzte ihre rechte Hand an die Stirn, um gegen das Sonnenlicht anzukämpfen. Die Wolke schien schwer und düster. Das sie hier nicht hergehörte, konnte selbst ein Huhn erkennen. Ein leises 'Hallo!' verließ ihren Hals. Zu mehr hatte sie nicht den Mut. Ärger machte sich breit. Sie war unentschlossen. Wie sollte sie jetzt weiter machen? Sollte sie ihn herausfordern? Wie? Sie erinnerte sich, wie Ieuan im See verschwand . Also legte sie all ihre Kleider ab und schritt zuversichtlich, dass Trotan ihr nicht widerstehen konnte, ans Ufer. Langsam führte sie den rechten Fuß ins kalte Nass, den
Linken hinterher. Einige Augenblicke später war sie bis zur Hüfte bedeckt. Die Wasseroberfläche war spiegelglatt, nicht ein Wellchen. Voller Angst und doch voller Hoffnung drehte sie sich im Kreis, stetig gefasst auf seine Fratze. „Hallo, Siobhan!“ Er hatte nicht lange auf sich warten lassen. Übergroß stand er am Ufer und glotzte auf ihre weiblichen Rundungen, verfolgte jede ihrer anmutigen Bewegungen. Fasziniert starrte er auf den Nabel, dessen Sichtbarkeit das Wasser nur Sekundenweise freigab. Erregt leckte er sich das Maul. Das Verlangen nach ihrem Körper nahm ihn
die Kontrolle. Nur seine Boshaftigkeit überragte noch seine Gier, sonst wäre er augenblicklich über sie hergefallen, um sie zu nehmen. „Hast du es dir anders überlegt? Gibst du mir das Kind?“ „Nein, aber ich habe dir einen anderen Handel vorzuschlagen.“ Gespannt folgte er ihren Worten, die wie zuckersüßer Nektar aus ihrem Mund flossen. „Gib Ieuan frei! Wenn das Kind geboren ist, und beide wohlauf sind, werde ich mit dir gehen, wie du es ersehnst.“ In Trotans liebeshungrigem Hirn wurde jedes ihre Worte gelöscht, bis auf '... werde ich mit dir gehen...'.
Die Sabber, die seit Beginn ihres Anblicks aus seinem Maul triefte, ertränkte den Seufzer, der nun aus seinem tiefsten Inneren kroch. Wie eine Kröte lag ihr sein Herz nun zu Füßen. Um ihr Angebot glaubhafter wirken zu lassen, trat sie Stück für Stück in seine Richtung. Seine Gedanken waren schmutzig und unehrenhaft, als ihr Körper sich ihm näherte. Die makellos geformten Hüften zogen leichte Wellen hinter sich her, als sie das Wasser verließen. Kein Höschen bedeckte ihre Scham. Das machte ihn wild, und er brüllte wie ein Löwe. Siobhan hatte Mühe, nicht vor Angst zu zittern oder gar völlig zu erstarren. Ein
Lächeln, ein falsches, schenkte sie ihm und begann zu tanzen. Nackt und grazil, mit viel versprechender Mimik blinzelte sie ihn an. Doch die panische Angst, dass er die Beherrschung verlieren könnte und mit seinem riesigen Phallus über sie herfallen würde, ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. Nur der Gedanke an Ieuan und dem Baby gab ihr Kraft, ihr Ziel tapfer weiter zu verfolgen. Langsam schlich sie um ihn herum. Den Ring an ihrem Finger bereit für seine Berührung. Sein Kopf schwang wie ein Magnet hin und her, ihren Bewegungen folgend. Seine feuchte, dicke Zunge aus seinem Maul hängend, wünschte er sie
abzulecken, wie ein Hund es tun würde. Seine Augenlider wurden schwer, immer mehr geriet er in einen Trance ähnlichen Zustand. Siobhan streifte seine Wange mit der Hand, an der sich der Ring befand. Und endlich, er folgte ihr und griff nach ihrem Arm, um sie zu küssen. Er wollte sie zu sich heranziehen, sie schmecken mit allen Sinnen. Erschrocken hielt sie den Ring vor seinen Mund, und er küsste ihn. Wie vom Blitz getroffen, schlug es ihn drei Meter zurück. Ein Heulen begleitete das Zusammenkrümmen seines von Schmerz durchzogenen Körpers. Wütend sammelte er sich sogleich und fauchte in die Richtung seiner Angebeteten: „Wie
kannst du es wagen?“ Als er ihre erschrockenen Augen sah, fing er plötzlich an zu lachen: „Hast du geglaubt, der Ring könnte mir ernsthaft schaden?“ Unweigerlich nickte sie ihm zu. Sein Lachen schallte durch das gesamte County. Selbst die Fischer auf See vernahmen den seltsamen Klang seiner Stimme. Rasend schnell bewegte er sich zu ihr und sprach mit drohendem Ton: „Ich bekomme euch beide, das Baby und dich. Du wirst sehen.“ Dann verschwand er, wie er es immer tat.
Kapitel 23 Falsches Spiel Siobhan war einen Moment von der Stille gebannt, die das erste Mal hier auf Erden wie ein stummer Schrei auf sie wirkte. Mit zitternder Hand nahm sie ihr Kleid und ihre Schuhe, um schnell diesen verhexten Ort zu verlassen. Nur eine Sekunde länger, dachte sie, und sie wäre für immer hier gefangen. Loui stand vor dem Haus, als sie ankam, und empfing sie erwartungsvoll. „Und?“ Erschöpft und gedankenlos ging sie ins Haus und setzte sich an den Tisch in der Küche.
Loui folgte ihr mit flinkem Schritt und fragte abermals: „Und?“ Als er in ihre Augen sah, erschrak er, denn noch nie hatte er Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit so sehr gespürt wie in diesen Moment. „Vielleicht gibt es nur einen Weg“, dachte sie laut. Loui konnte nicht anders, als sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Er war groß und kräftig. Doch war er nicht die Art von Mann, die Frauen sich wünschen. Sein Bruder hingegen hatte diese Qualitäten. In den Ebenen von Maurice wehte ein lauer Wind. Er ließ das dichte, satte Gras
wie Wellen erscheinen, wenn er sie durchkämmte. Der Duft der unzähligen Kräuter lag so schwer in der Luft, dass man ihn fast sehen konnte. Lennon küsste seine Essylt am Hals und wanderte dann weiter rauf zu ihrem kirschroten Mund. Sie war eine süße Ablenkung in diesen Zeiten. Und er bedankte sich bei ihr mit vielen Zärtlichkeiten. „Hier! Möchtest du noch einen Schluck Met?“, fragte sie mit verschmitztem Lächeln. „Es ist erst Mittag“, gab er mit gespielter Empörung zurück. Lennon griff den Krug und nahm einen großen Schluck. Essylt lachte herzlich.
Er liebte ihr Lächeln, ihre Zähne, ihre Grübchen, einfach alles. Mit Schwung stellte er den Krug neben sich und fiel über seine Braut her. Ungebremst stürzte er sich auf sie und schaute sie intensiv prüfend an. Seinen Blick auf ihren gerichtet, wanderte seine Hand unter ihren Rock. Sie lächelte, gespannt auf das, was noch folgte. Sanft streichelte er ihre Schenkel, genoss die Wärme ihrer weichen Haut, bis sie sich leicht unter ihm bewegte, was auch ihn veranlasste, seine Position zu ändern. Seine Hand wanderte nun höher und streichelte ihre Scham. „Du trägst kein Höschen“, stellte er voller Freuden fest.
Entspannt schloss sie ihre Augen, versank in seinem Geruch, der jede Vernunft in ihrem Kopf ausschaltete. Ihre Lippen verzehrten sich nach seinen. „Gott, wie wunderbar.“ Es dauerte nur Sekunden, bis sie ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle hatte, und in ihrem Unterleib ein Feuer zu brennen begann, dass nur er löschen konnte. Ungeniert öffnete sie ihre Schenkel und zog Lennons prächtigen Körper auf ihren. Geschickt schob sie den Kilt zur Seite und umfasste seinen Schaft. Dann riss sie mit der anderen Hand seinen Kopf zu sich und küsste ihn voller
Leidenschaft. Noch nie war er im Genuss solcher Hingabe. Seine Lenden bebten und rieben sich an ihren zarten Hüften. Immer wieder musste er seine Gedanken sammeln, um sich nicht sofort zu verlieren. Als er in sie glitt, verlor er fast den Verstand. Einige Mädchen im Dorf nannten ihn einen Stier. Und Essylt erlebte ihn nun. „Du weißt wirklich, was ein Mann in solchen Tagen braucht“, japste er und legte sich erschöpft neben sie. Essylt wollte sich gerade mit einem Lächeln bedanken, doch erstarrte es in dem Augenblick, da Lennon sich neben sie legte und damit den Blick auf
McCorley und Ui Murchadhadh freigab. „Na, wen haben wir denn hier?“, grinste Ui Murchadhadh. „Beide mitnehmen!“, gab McCorley in seinem immer gleich bleibenden Ton zu Befehl. Vier weitere Männer bedeckten die nackten Leiber der Liebenden mit ihren unwillkommenen Schatten. Forsch packte einer der Vier Essylt am Arm und zog sie hoch. Die anderen Drei sorgten dafür, dass Lennon kampfunfähig war. Nach ein paar heftigen Schlägen in die Magengegend und ein paar Tritten gegen den Schädel war er nicht mehr in der Lage, selbst aufzustehen. Grob fesselte man beiden die Hände mit einem Seil.
McCorley und seine Männer setzen sich auf ihre Pferde und ritten los, die Seile der Fesseln fest in den Händen der hinteren zwei Reiter. Lennon und Essylt hatten Mühe, Schritt zu halten. Am frühen Abend erreichten sie das Gehöft von McCorley. Lennon schaute misstrauisch. „Was habt ihr vor?“, fragte er. Ohne zu antworten schnappte McCorley sich die beiden Seile und führte Essylt und Lennon in den Keller, dessen Eingang sich vor dem Haus befand. Es war dunkel, und Modergeruch machte sich breit. McCorley schien unruhig. Langsam gingen sie die viel zu schmalen Stufen hinunter in die Kammern, die das
Letzte sein sollten, was Essylt und Lennon zu sehen bekamen. „Oh, wie ich dir danke, McCorley“, ertönte eine tiefe Stimme aus der hinteren Kammer. Ui Murchadhadh wagte es nicht nach unten zu gehen und kauerte oben neben der Treppe. Lennon versuchte irgendwas zu erkennen. Es war stockfinster. Essylt zitterte und jammerte, flehte in die Dunkelheit, sie gehen zu lassen. Ein Lachen antwortete ihr spöttisch. Sie fiel auf die Knie und fing nun erbärmlich an zu heulen. Rotz und Tränen benässten ihr angstverzerrtes Gesicht.
„Bitte lasst mich gehen!“ Lennon wollte sie beruhigen, doch McCorley ermahnte ihn sogleich mit einen Schlag ins Gesicht, der kraftvoll genug war, dass Lennon zwei seiner Zähne aus spuckte. Die dunkle Gestalt lachte nun lauter: „Stopp jetzt!“ Das Lachen verstummte, und Trotan trat hervor. Gelangweilt zündete er eine Fackel an. Leise und jedes Wort einzeln hauchend ergänzte er: „Der Rest ist für mich.“
Kapitel 24 Böse Tat, gute Tat Es war eiskalt in diesen Gemäuern. Essylt hatte Mühe, nicht mit den Zähnen zu klappern. Trotans Blick richtete sich auf ihren Leib, der nur noch teilweise mit dem zerrissenen Kleid bedeckt war. Er leckte sich mit der Zunge über die Unterlippe und legte dabei seinen Umhang ab. Dann ging er mit großen Schritten auf das Mädchen zu, welches, zusammen gekauert in der Ecke sitzend, nur noch versuchte, ihn abzuwehren. „Lass sie gehen! Ich bitte dich!“, war Lennons letzter Versuch, den McCorley
auf der Stelle mit einem spitzen Tritt gegen seine rechte Schläfe erstickte. Trotan kicherte, amüsierte sich über Essylts Winselei. Sein Körper war abnorm, tierisch und abscheulich anzusehen. Seine Genitalien waren widernatürlich groß, sein Phallus war überdimensional und missförmig. Als Essylt erahnte, was ihr bevor stand, übergab sie sich. Trotan nahm sie bei den Haaren und schleppte sie in die hintere Kammer. Lennon versuchte, aufzustehen, wollte hinterher. Er hatte keine Chance. McCorley schlug ihn so hart, dass er erneut zu Boden ging und nur noch die Schatten von Essylt und Trotan erkennen
konnte. Essylt winselte, bettelte, schrie plötzlich auf, schrie und schrie vor Schmerz. Dann hörte Lennon nur noch ein leises, leeres Weinen. Essylts Körper war nur noch Asche. Sie fühlte nichts mehr, außer einen tief brennenden Schmerz. Trotan nahm sie endlos, bis ihr Körper und ihre Seele völlig zerrissen waren, und Essylts Herz schließlich aufgab. „So, nun zu dir, Mac Suibhne!“, schniefte Trotan. McCorley packte Lennon an der Schulter und bugsierte ihn auf den Tisch, der sich in mitten des Raumes
befand. Lennon wusste, dass dies seine letzten Atemzüge hier auf Erden sein sollten. Er betete zu seinen Ahnen, ihn Kraft zu geben, tapfer zu sein, wenn er nun dem Tod begegnen würde. Trotan erfreute sich der Angst seines Opfers. Er sog ihren unverwechselbaren Geruch durch seine Nase und füllte seine Lungen mit dem Saft der Hilflosigkeit, die vor ihm lag. „Du stirbst nicht für mich, sondern für Siobhan. Sie muss lernen, zu wem sie gehört. Vielleicht ist dir das ein Trost.“ McCorley hielt Lennons Kopf und erwartete gespannt dessen Ende. Trotan holte zum Schlag aus. Hoch erhob sich
sein Arm. In seinen Augen erkannte man die Ekstase, in der er sich bereits befand, wohl wissend der Auswirkung seines gleich folgenden Schlages. Lennon war sofort tot, als die Faust in sein Gesicht tauchte. „Was hast du, Siobhan?“ Erschrocken fasste sie sich ins Gesicht und wusste instinktiv, dass etwas Furchtbares passiert war. „Es ist Lennon. Er hat Lennon.“ „Meinen Bruder?“ „Ich fürchte, ja.“ Loui packte die Wut. „Wir werden einige Männer aus dem Dorf um Hilfe bitten. Und dann machen wir diesen Typ fertig, ein für alle Mal.“
„Ich verstehe deine Wut. Doch hat er in kürzester Zeit ein ganzes Königreich ausgelöscht. Mit Schwertern und Äxten können wir nichts gegen ihn ausrichten.“ Loui wusste das und atmete resigniert aus. Am Küchentisch sitzend, schliefen beide schließlich ein. Als die Nacht Einzug genommen hatte, erwachte Siobhan aus einem ihrer unruhigen Träume. Aus dem Keller kam ein Geräusch. Ganz sicher war jemand oder etwas dort unten. „Loui?“, flüsterte sie. Doch er schlief wie immer tief und fest. Wie hypnotisiert stand sie auf und ging zu der alten Tür, die bereits einen Spalt offen stand. Unbeeindruckt von der
Dunkelheit, die herrschte, lief sie die Treppe hinunter und tastete sich bis zu der nächsten Tür vor, hinter der die Waffen lagen, und hinter der auch das Geräusch zu vernehmen war. Es hörte sich an wie ein Kratzen oder Schaben. Siobhan ertastete den Riegel und schob ihn beiseite. Die Tür sprang auf. Da war nichts. Nur Dunkelheit. Doch dann wurde es hell. Loui stand mit einer Fackel hinter ihr. „Was ist los? Hast du irgendwas gehört?“ „Leuchte mal hier runter!“ Beide erschraken beim Anblick dessen, was sie nicht erwarteten. Eine tote Katze lag auf den Schwertern. Ein Dolch
steckte in ihrem Leib. „Oh, mein Georg. Wer tut so etwas?“ „Das war Trotan. Ich bin mir ganz sicher.“ Noch ehe sie seinen Namen aussprach, stand er auch schon hinter ihnen. Seinen Gestank vernehmend, drehten sie sich zu ihm um und schauten auf seinen unbedeckten Körper. Loui überkam ein Gefühl des Ekels. Siobhan sah nur das Böse in seinen Augen, spürte seine Macht, die ihr fast den Atem nahm. „Schließe die Tür!“, bat er höflich. Siobhan zögerte. Fragend schaute sie in die finsteren Augen ihres Gegenübers. „Nun schließ schon die verdammte Tür!“ Nun erschrocken gehorchte sie, wenn
auch widerwillig. „Und nun öffne sie wieder!“ Misstrauisch folgte sie seiner Aufforderung. Ein Miauen ertönte aus dem Wandschrank, und sofort suchte der kleine Kater Georg das Weite. „Siehst du, Siobhan, wozu ich fähig bin? Komm mit mir! Und ich zeige dir, wie es geht.“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Du könntest so viel Gutes tun. Überlege gut!“ „Dein Spiel ist so falsch“, fauchte sie ihn an. „Wieso nur bist du so störrisch?“ „Du besitzt so viel Macht. Doch vor mir
fürchtest du dich. Hab ich Recht?“ Trotan schnaubte. Seine Nasenflügel bebten. Als Siobhan einen Schritt auf ihn zu ging, wich er zurück und verschwand in der Dunkelheit. „Er fürchtet sich. Ich kann es nicht glauben“, stellte Loui erfreut und verblüfft fest. „Ja, aber nicht vor mir. Es ist das Kind. Es wird stärker.“
Kapitel 25 Dezembernacht Siobhan fühlte die Macht in sich, wie das junge Leben sich in seiner Gefangenschaft windete, wenn auch wohl behütet. Sie wusste, dass in einer Welt ohne Ieuan ihr das Herz brechen würde. Sie würde sterben, und damit auch das Leben hinter ihrem Herzen. Alle Hoffnung auf ein neues Kivale wäre dahin. Jeden Tag ging sie zum See und beobachtete die schwarze Wolke am Himmel. Sie sah weder Trotan noch Ieuan. Doch fühlte sie ihre Gegenwart.
In den Mittagsstunden, wenn die Sonne am höchsten stand, und man wenigstens einen Hauch von Licht und Wärme spüren konnte, flüsterte sie kivalische Hoffnungsverse, die ihr ihr Vater beibrachte. Und von jener Sekunde an, da sie die erste Silbe sprach, wurde es still am See. Verzaubert von den Melodien, die jedes einzelne Wort in sich trug, lauschten die Tiere um sie herum, ebenso wie jeder Strauch und jeder Baum. Auch das Wasser und der Wind hielten inne, nur um sie zu hören. Loui erstarrte jedes mal, wenn die Melodien seine Ohren erreichten. Sogar
Farroi schlich sich immer öfter an und labte sich an den himmlischen Gesängen. Er wusste, dass er hier noch eine Aufgabe hatte. Doch die Zeit war noch nicht reif. So vergingen die Tage und Nächte Stund um Stund. Der Herbst zog aufs Land, gefolgt von einem erbarmungslosen Winter. Es war die zweite Nacht im Dezember. Loui stapfte durch den hohen Schnee. Er trug einige Scheite Holz für die Nacht ins Haus. In solchen Tagen durfte das Feuer nicht ausgehen, sofort würde es unerträglich kalt. Abend für Abend saßen sie in der Küche
und schwiegen sich an. Siobhan schaute aus dem Fenster und bestaunte die weiße Pracht. Das Mondlicht zauberte ein wundervolles Glitzertuch über die Felder. Es war eine ganz neue Welt. Schnee hatte sie auch früher schon gesehen, aber noch niemals diesen Frieden, der nun auf ihm lag. Doch dieses Bild war nur Trug. Das Weiß wirkte rein, doch in Wahrheit bedeckte es nur das viele Blut der Unschuldigen, die Trotan auf dem Gewissen hatte. „Wieso nur können wir jede Nacht den Mond sehen, und am Tage doch niemals die Sonne?“, warf Loui seine Frage in
den Raum, nicht davon ausgehend, dass Siobhan eine Antwort darauf hätte. „Trotans vernichtende Umarmung ist wie eine Mauer aus Nichts. Ihr Gürtel liegt weit über den Wolken. Doch reicht er nicht unendlich. Er kann uns das Sonnenlicht nehmen, aber nicht dem Mond. Soweit reicht seine Macht nicht. Und so spiegelt sich die Sonne im Mond und schenkt uns ihr lebenswichtiges Licht in den Nächten.“ „Woher weißt du so etwas?“, staunte Loui, obwohl er eigentlich nicht wirklich verstand, was das bedeutete. „Ich werde zu Bett gehen“, gähnte Siobhan mit einem Lächeln. „Gut, dann sehen wir uns morgen.“
Siobhan ging auf ihr Zimmer und nahm Ieuans Hemd, das auf dem Boden lag, um seinen Duft einzuatmen. Doch jene Luft, die sie einsog, war schwer von Sehnsucht und Trauer. Sie schluchzte in den Stoff und wünschte sich einen Augenblick nur, daran zu ersticken. Dann wäre dieser Schmerz endlich vorbei. Erschöpft ließ sie sich ins Bett fallen und vergrub ihr Weinen im Kissen. Loui saß noch eine Weile in der Küche und trank einen Becher Met. Nachdenklich schaute er aus dem Fenster und entdeckte tiefe Spuren im Schnee, die nicht seine waren. Mit einem unguten Gefühl trat er vor die
Tür und schaute sich um. Absolute Stille. Der Mond stand direkt über ihn und tauchte den Garten in ein Meer aus Silber. Unzählige Eiszapfen zierten den Rand des Daches. Eine Eule unter dem Turmdach, sie wohnte dort schon viele Winter, warnte mit einem 'Uuuh' vor der Gefahr. Als Loui zu ihr aufsah, erstarrte sein Blick. „Es wird Zeit, meinst du nicht?“ Leere füllte Trotans Augen. Keine Regung in seinem Gesicht, nur ein fast ungesehenes Zucken in den Mundwinkeln, als er zum Schlag ausholte. Louis Körper wankte noch einen Augenblick, dann ging er zu Boden. Den
Kopf hielt Trotan wie eine Trophäe in der linken Hand. Kurz ergötzte er sich noch an dem Bild des Toten, dann ging er ins Haus. Eine Spur von rotem Schnee legte sich von Louis Körper bis an die Treppe, hoch zu Siobhans Tür. Trotan öffnete sie langsam und trat an das Bett der scheinbar Schlafenden. Siobhan hatte ihn und das, was er in der Hand hielt, längst bemerkt. „Willst du mich jetzt töten?“ „Ich habe dir einen letzten Handel vorzuschlagen.“ „Ein Handel? Dein Herz ist voller Bosheit. Falschheit liegt in deinen Augen. Deine Zunge kennt nur Lügen.
Was soll das für ein Handel sein?“ Sein Umhang wirkte wie ein Schatten in der Dunkelheit. Seine bloße Erscheinung erstickte jeden klaren Gedanken in diesem Raum. „Du willst doch ein Mensch sein, ein Mensch aus Fleisch und Blut mit einer festen Seele, nicht nur die Hülle eines Schutzzaubers. Dann musst du deine himmlische Unschuld ablegen.“ Die Luft im Raum verlor an Leben. Siobhans Kehle schnürte sich zu und quälte sie mit bitterer Trockenheit. Sie beobachtete jeden seiner Schritte. „Wenn du gewinnst, werde ich für immer verschwinden. Verlierst du, gehörst du mir. Ieuan und
das Baby sind in jedem Fall frei.“ Sie erkannte sofort die List. Doch gab es eine andere Möglichkeit, als sich auf sein Spiel einzulassen? Nein. „Wie verliere ich meine Unschuld?“ „Wenn der erste Sonnenstrahl den achten Tag ankündigt, dann gehörst du mir...“ Wohlgenuss legte sich auf seine Zunge, schmeckend den Duft ihrer Angst. „...es sei denn, du verweigerst dem deine Hilfe, der sie unmissverständlich von dir benötigt.“ „Dein Wort ist nichts wert. Wie kann ich dir trauen? Wie kann ich wissen, dass du Ieuan frei gibst und dann verschwindest?“
„Ich kann auf nichts schwören, nur auf mein Herz, dass dir gehört, Siobhan.“ Versunken in Gier und düsterer Leidenschaft nahm er ihre Hand und drückte sie auf seine haarige, eisige Brust. Sein Blick war nun intensiv und erwartungsvoll. „Und sollte ich verlieren und dir gehören, so wirst du mich trotzdem nie besitzen. Du kannst mich in Ketten legen, mich peinigen. aber ich werde nie vergessen, was du getan hast. Du bist nur eine Bestie auf Beutezug.“ „Eine Bestie? Dann bändige mich!“ Er klang beinah verzweifelt, weil er wusste, dass seine Liebe niemals
erwidert werden würde. „Warten wir auf den achten Tag!“ „So soll es sein.“ Ein Lächeln legte sich auf seine grausige Fratze, bevor sich sein Körper in Luft auflöste.
Kapitel 26 Ein Geschenk Der kälteste Winter seit je her hatte ganz Irland mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. Das wenige Vieh, welches nicht verhungerte oder verdurstete, erfror in den eisigen Stunden der endlosen Nächte. Und so war er unaufhaltsam, der schleichende Tod, der durchs Land zog und Tausende mit sich nahm. Trotans Macht wuchs mit jeder sterbenden Seele, die er in den Mooren fest hielt. Louis Haupt schmückte einen der vorderen Pfähle, so dass Trotan, wenn er sein kümmerliches Reich betrat,
sogleich an die Einsamkeit und damit verbundene Verzweiflung seiner geliebten Siobhan freudig erinnert wurde. Ieuan war der einzige Gefangene in seiner Burg über dem See. Für ihn hatte er sich ganz besondere Qualen ausgedacht. Er sollte leiden, der, der seiner Siobhan die Unschuld nahm. Er würde ihn kastrieren, ihn ausweiden, bevor er ihm das noch schlagende Herz aus der Brust schneide würde. Doch der Handel mit Siobhan war wichtiger, und dafür würde Ieuan noch gebraucht. Vorerst. Wie von Sinnen wandelte Trotan durch das Moor und betrank sich mit Whiskey.
Er betäubte seinen Rachen damit und hoffte, das Gebräu wurde einen Weg zu seinem Herzen finden und ihm den Schmerz nehmen, den Siobhan ihm zugefügt hatte. Einzig allein das Wissen, ihr genauso wehgetan zu haben, tröstete ihn. So aalte Trotan sich in den Seelenschreien seiner Opfer und begnügte sich mit der süßen Vorstellung, dass Siobhan ihm schon in wenigen Stunden gehören würde. Farroi stand am Waldesrand und blickte nach Süden. Er wusste, dass er noch eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Siobhan und das Kind waren die letzte Hoffnung für Kivale. Der Wolf war sich
dessen bitter bewusst. Und so legte er alle Scheu ab und wagte sich ins freie Land. Wie ein Schatten flog er über die Ebenen nahe des Lough Corrib, weiter dem Flussufer entlang bis zum MacSuibhne Haus. Ungesehen schlich er ums Gehöft und markierte mit seinem Atem jeden Stein und jeden Strauch, der das Mädchen von ihrem Peiniger trennen sollte. „Ich spüre dich, Farroi. Bist du da?“, fragte Siobhan. „Niemand würde mich wahrnehmen, außer ich ließe es zu. Nur ein Wesen, wie du eines bist, dem kann ich mich nicht verbergen.“ „Ich nehme dich schon einige Zeit wahr.
Was tust du hier?“ „Ich erfülle nur, was meine Aufgabe ist. Ich sorge dafür, dass das Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Doch ich bin geschwächt. Das Sonnenlicht fehlt mir“, hauchte der Wolf. Siobhan hatte Mühe, seine Worte zu vernehmen. Zu leise waren sie. „Wo bist du?“ Einen kurzen Moment herrschte Schweigen. Dann wurde Farrois Gestalt für einen winzigen Augenblick sichtbar. „Ich bin müde, muss mich ausruhen.“ Siobhan stand auf und ging zum Fenster. Ihr Blick wanderte über den weißen Teppich aus Schnee.
„Er ist da draußen irgendwo. Trotan.“ „Die Prüfung wird hart sein. Aber du stehst ihm nicht alleine gegenüber. Denk immer daran. Und wenn es so weit ist, dann erinnere dich!“, bat der Wolf und verschwand dann aus ihrem Kopf. Siobhan zog sich Louis Mantel über und ging nach draußen, um Holz zu holen. Sie baute einen großen Stapel vor dem Kamin auf. Das sollte für die nächsten Stunden reichen. Unermüdlich brannte das Feuer und spendete seine lebensnotwendige Wärme. Siobhan saß davor und hielt ihre Hände so dicht, wie die Hitze es zuließ. Es war der siebente Tag im Dezember. Sich immer zu umschauend holte sie sich
Met aus dem Keller und goss sich einen Becher voll ein. Fast andächtig nahm sie einen Schluck und beruhigte damit ihr klopfendes Herz. Das Warten auf das Ungewisse, die Zeit, die still zu stehen schien, machte sie halb wahnsinnig. Heute sollte es so weit sein. Heute sollte sich alles entscheiden. Während im Süden der Sturm ruhte, braute sich im Westen etwas zusammen. Trotan genoss es, durch die Lande zu ziehen und Unheil zu verbreiten. McCorley und Ui Murchadhadh waren sein Spielzeug. Was immer er ihnen auftrug, sie taten es. In eisiger Kälte wagte niemand, sein Haus zu verlassen. Nur Ui Murchadhadh
war auf dem Weg zu McCorley. „Ist das verdammt kalt. Ich muss verrückt sein, bei diesem Wetter vor die Tür zu gehen.“ Als der Dicke den Hof betrat, sah er, wie McCorley etwas in den Keller zog. „Was ist in dem Sack?“, fragte Ui Murchadhadh und lief eilig zur Treppe. Ein muffiger, süßlich-ekelhafter Geruch stieg ihm in die Nase. Es war dunkel wie immer. Wenn ER dort unten war, wagte er keinen Schritt auf die Stufen. „Hilf mir mal! Ich hab' was zum spielen“, grunzte McCorley. „Verdammt! Du weißt, dass ich hier nicht runter gehe“, jammerte der Dicke. „Was soll das? Beweg deinen Arsch hier
runter! Sofort!“ Vor sich hin fluchend stolperte Ui Murchadhadh die Stufen hinunter. „Ist er hier?“ „Nein. Aber er wird nicht lange auf sich warten lassen, wenn er mitbekommt, was ich feines für ihn habe.“ Neugierig schaute der Dicke in den Sack und traute seinen Augen nicht. „Ist das...? Gott, sie ist so schön wie ein Diamant!“ „Ja, Das ist sie.“ „Wo hast du sie gefunden?“ „Unten im Tal. Halb erfroren war sie. Kann froh sein, dass ich sie mitgenommen habe“, grinste McCorley dreckig.
Der Dicke rieb sich die Hände. „Wird ihr schon ordentlich heiß werden, wenn wir mit ihr fertig sind.“ „Nein, wir fassen sie nicht an. Trotan würde uns vierteilen.“ Ehrfürchtig nickte Ui Murchadhadh und ließ die Hände vom Sack. „Wir binden sie dort drüben an. Du machst sie sauber!“ Das Mädchen war bewusstlos. McCorley zog ihr das Kleid aus und trug sie dann in den hinteren Raum. Noch nie hatte er etwas so Zartes in seinen Händen. Vorsichtig legte er sie auf den Boden und streichelte ihr über die Brust. „Es ist jammerschade! Aber ich fürchte,
von dir wird bald nicht mehr viel übrig sein“, bedauerte er fast, doch seine Boshaftigkeit gab nur ein schmutziges Lachen frei. Der Dicke kam mit einem Lappen in die Kammer und fing an, das Mädchen zu waschen. Erst das Gesicht, dann den Bauch, zwischen den Beinen und letztlich die Füße. Langsam kam das Mädchen zu sich. „Machen wir sie lieber schnell fest, bevor sie noch Ärger macht!“ Ehe das Mädchen ihre Augen ganz öffnete, hatten sie die beiden Männer auf einen Tisch gelegt und ihre Hände gefesselt. „Was haben wir denn da!“
Erschrocken drehten sich die Männer um und blickten in das Gesicht Trotans. „Woher wusstet ihr ...?“, stotterte Ui Murchadhadh. „Ich bin immer und überall“, antwortete Trotan mit bedrohlicher Stimme. „Ich hab sie im Tal gefunden. Für Euch!“, flüsterte McCorley und zeigte auf die Beute. Prüfend umkreiste Trotan das Geschenk und fauchte dann die Männer an: „Verschwindet!“ Kriecherisch verließen diese den Keller und schlossen die Tür. „So nun zu dir!“ In seinem Blick war nur Tod zu erkennen. Das Mädchen war starr vor
Angst. „Bitte nicht? S'il vous plaît laissez - moi aller, Monsieur!“, winselte das Mädchen. „Oh, eine kleine Französin. Ma chérie, je vais coucher avec vous.“ Der Tyrann beugte sich über sie und fing an, sie abzulecken. Seine Finger glitten über ihren Bauch, hinab zwischen ihre Beine. Angewidert schloss das Mädchen die Augen und betete still zu Gott. Sie flehte, sie gehen zu lassen, wollte niemandem etwas verraten. Doch ihr Schänder erfreute sich nur ihrer Angst und setzte sein grausiges Tun fort. Seine monströsen Hände untersuchten ihren gesamten Körper. Dann richtete er
sich auf und legte seinen Umhang ab. Für einen Moment stand er nur da und genoss den Augenblick, in dem sie ihre Augen öffnete und seine entblößte Männlichkeit wahrnahm. Panisch versuchte sie, ihre Hände aus den Schlingen zu ziehen. Vergeblich strampelte sie mit ihren Beinen. Sie schrie und schimpfte, verfluchte ihren Entehrer. Doch am Ende nahm er sie, wie all die anderen vor ihr. Als er bemerkte, dass sie sich seinen Peinigungen nicht mehr widersetzte, brach er gelangweilt das Spiel ab und warf ihren Körper in die Ecke zu den anderen. Dann legte er sich seinen Umhang um
und ging Richtung Treppe. Der Augenblick, nach Galway zu ziehen, war gekommen.
Kapitel 27 Der achte Tag Wie in Trance wippte Siobhan auf ihrem Hocker hin und her. Das Knarren der Holzbalken unter ihr wirkte wie das Ticken einer Uhr, und die schleppende Zeit war so allgegenwärtig, dass es so schien, als würde man sie greifen können. Sie war wach und aufmerksam, hörte jedes Staubkorn fallen, jede noch so winzige Veränderung im Raum glaubte sie wahrzunehmen. Ihr Blick fiel auf den Schneehügel draußen vor dem Fenster. Der gefrorene Boden machte es ihr unmöglich, Loui ein
Grab zu schaufeln. So bedeckte sie ihn in ihrer Verzweiflung mit Schnee und betete, dass er seine letzte Ruhe finden möge. Der Tag war grau und wurde noch grauer, als er sich langsam dem Ende neigte. „Nicht die Augen schließen, wach bleiben!“ Sie hatte in der letzten Woche nur wenige Stunden geschlafen. Selbst das Adrenalin, das wie ein wütender Fluss durch ihren Körper schoss, konnte sie nicht daran hindern, für einen kurzen Augenblick weg zunicken. Ein Klopfen. Siobhan riss ihre Augen auf und schaute
zur Tür. Erneutes Klopfen. Es kam nicht von der Eingangshalle. Neugierig schaute sie in jede Ecke. War es nur ein Traum? Auf der Fensterbank saß eine weiße Taube, halberfroren pickte sie mit ihrem Schnabel an das Glas. „Eine Taube? Das ist es?“ Siobhan wusste, dass der Handel nun begonnen hatte. Nur eine Taube, dachte sie. Klar hörte sie die Worte in ihrem Kopf, die Trotan sprach:'...es sei denn, du verweigerst dem deine Hilfe, der sie unmissverständlich von dir fordert'. „Kleine Taube, flieg zum Turm. Dort findest du Schutz. Hier bist du
verloren“, sprach sie. Der Vogel würde sowieso weg fliegen, so bald sie das Fenster öffnete. Leise vor sich hin summend zählte sie die Sekunden in ihrem Kopf und versuchte, das arme, frierende Geschöpf zu ignorieren. Ihre Gedanken wanderten zu Ieuan und dem Kind, welches sich in ihr regte. Nur wenn sie zusammen daran glaubten, hätte dies Leben eine Chance. Es war nur ein Federvieh, unbedeutend, belog sich das Mädchen selbst. Die Taube pickte immerzu ans Glas. Siobhan bemerkte den ungewöhnlichen Blick des Vogels. Verzweifelt hielt sie sich beide Hände
vor die Augen und summte weiter ihr Lied. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich in den Tiefen ihrer Erinnerung. „Er spielt ein falsches Spiel! Sieh genau hin!“ Siobhan kannte die Stimme in ihrem Kopf. Es war Farroi, der abermals zu ihr sprach. „Bist du wieder hier? Ich kann dich nicht sehen.“ „Mein Körper ist schwach. Doch du hörst mich. Das ist gut.“ Ein Unwetter zog auf. Schneewehen legten sich vor den Eingang des Hauses und versperrten somit den Weg nach draußen.
Die Taube hatte Mühe, sich auf der Fensterbank zu halten. Siobhan glaubte, eine Träne gesehen zu haben. Können Tauben weinen? Gerade wollte sie aufstehen und das Fenster öffnen. Doch dann hätte sie verloren, würde für immer Trotan gehören. Kivale gäbe es nicht mehr. Das durfte sie nicht zulassen. Was sollte sie tun? „Sieh genau hin!“ „Farroi?“ Siobhan schaute zum Vogel und versuchte, Farrois Worte zu verstehen. „Ich schau ja genau hin.“ „Du siehst nicht mit deinem Herzen. Schließe deine Augen!“
Verzweifelt ließ sie sich auf ihren Stuhl zurückfallen und schloss die Augen. Wie in einem Traum sah sie Bilder in ihrem Kopf, Bilder vom Tag, als Ieuan verschwand. Sie erinnerte sich an den Tag am See. Ieuan ging ins Wasser, badete, tauchte unter. Etwas schoss zum Himmel und fiel wieder herab. Nein! Etwas stieg gen Himmel. Es war ein Vogel, eine weiße Taube. Und etwas anderes, jemand anderes fiel herab. Trotan. „Es ist Ieuan! Die Taube ist Ieuan!“ „Ja, Trotan ließ ihn heute frei.“
Siobhan sprang hoch und riss das Fenster auf. Sie nahm den halberfrorenen Vogel in die eine Hand und versuchte mit der anderen, das Fenster zu schließen. Doch der Wind war zu stark. Siobhan wurde zurückgeworfen und fiel neben den Kamin, dessen Feuer nun unter einem Schneehaufen begraben wurde. Der Vogel regte sich kaum mehr. Sie nahm ihn vorsichtig in beide Hände und wärmte seinen Körper mit ihrem Atem. Überall im Haus hörte man die Türen und Fenster auf und zu knallen. Der Wind pfiff durch die Räume und ließ nichts unbeschadet. Alle Möbel, Teppiche, selbst Bilder an der Wand und
Leuchten an den Decken hatte er mit einer Schneeschicht bedeckt. „Dann hat Trotan gewonnen. Wenn ich Ieuan rette, gehöre ich ihm.“ „Er spielt falsch. Du trägst eine große Macht in dir. Rette Ieuan! Nur so kannst du auch euer Kind retten und damit die Hoffnung auf ein neues Kivale.“ Siobhans Hände zitterten. Die eisige Kälte, die durch das Fenster kam, zeigte kein Erbarmen. Das Feuer im Kamin versuchte noch ein letztes Mal zu glimmen, doch der Schnee erstickte es gnadenlos. Sie spürte ihre Füße nicht mehr, die nackt im Schnee steckten. An ihrem
Goldbraunem Haar klebten kleine Eisperlen, und ihre Wangen, die eben noch voller Leben leuchteten, verblassten zusehends. Ihr Atem wurde schwer. Das Herz unter ihrer Brust schlug mit aller Kraft. Doch die eisige Kälte wandelte ihr Blut in rote Kristalle. Tränen wie Rubine schimmernd fielen von ihr auf den leblos scheinenden Vogel. „Was passiert mit mir?“, hauchte sie ins Nichts. „Deine Hülle ist menschlich. Doch bist du immer noch Kivalischen Blutes. Fürchte dich nicht!“ Die zarten Finger, die behutsam den Vogel hielten, erstarrten und verloren
jegliches Gefühl. Siobhan hatte keine Kraft mehr. Die Taube fiel auf ihren Schoss und lag regungslos da. War er tot? War sie noch am Leben? „Ich fühle nichts mehr!“, flüsterte Siobhan mit schwindender Kraft. „Vertraue auf dein Herz, auf das, was du bist. Du trägst bereits das Zepter deines Vaters. Fühlst du es nicht?“ War Farroi auch nicht zu sehen, so stand er doch direkt neben dem Mädchen. Behutsam hauchte er einen Teil seiner Wärme zu ihr. Eigentlich mischte er sich niemals in die Geschehnisse anderer ein. Doch dies
Ereignis war nicht länger nur eine Sache, die Siobhan und Ieuan betraf. Sie betraf alle und jeden. Auch den Wolf. „Du wirst leben, Ieuan! Hörst du? Du wirst leben!“ Siobhans letzte Wärme und ihr letzter Gedanke verließen ihren Körper in Form einer Träne. Schwer und heiß rollte sie über ihre Wange hinunterfallend auf Ieuan. In dem Moment, da sich Siobhans Augen schlossen, öffneten sich die seinen. Das Herz in seiner Brust begann wieder zu schlagen. Und der Zauber verflog mit einer weißen Feder, die der eisige Wind
zum Fenster heraus trug. Erschöpft hockte Ieuan angelehnt am Schoss seiner Geliebten. Der Sturm ließ nach und der Himmel brach auf, um die ersehnten Sonnenstrahlen auf die erfrorene Erde zu lassen, die somit den achten Tag ankündigten. Trotan hatte vorerst gewonnen. Doch Siobhans Körper besaß kein menschliches Leben mehr. Das Wesen aus Kivale war nun gefangen wie in einem Kokon. Farrois Schutz würde nicht lang halten, doch genug, um Trotan vorerst daran zu hindern, sein Weib mit sich zunehmen. Wütend richtete sich sein Blick auf
Ieuan. Seine Augen glühten, er schnaubte und atmete heftig. Langsam hob Ieuan den Kopf und schaute auf das leblose Gesicht Siobhans. Er konnte sich an nichts mehr erinnern und begriff die Situation nicht, in der sie sich befanden. „Siobhan!“ Doch sie rührte sich nicht. „Du musst dich beeilen!“, hallte die Stimme des Wolfes. Erschrocken blickte Ieuan um sich. „Wer ist da?“ Farrois Stimme war undeutlich, doch seine Worte in Ieuans Kopf um so deutlicher. „Sie trägt ein Kind unter ihrem Herzen.
Ein Kivale. Ein König.“ Ieuan hielt sich die Hände an die schmerzenden Schläfen. Er verstand nicht. Der kalte Atem, der aus seinem Mund kam, hauchte in die Nacht: „Ein Kind...unser Kind? Wer spricht dort?“ Ungeduldig knurrte Farroi und drängelte: „Lege deine Hand auf ihren Bauch und glaube! Glaube an Siobhan und das Kind!“ Zögernd folgte er den Worten in seinem Kopf und kniete sich vor Siobhan. Behutsam legte er seine rechte Hand auf ihren Bauch und wartete auf eine Reaktion. Mit der anderen Hand streichelte er ihr Haar. Er wollte nicht begreifen, dass sie tot ist. Das konnte
doch auch nicht sein. Was war hier überhaupt passiert? „Du musst frei sein für diesen Gedanken. Konzentriere dich!“ Plötzlich spürte er Siobhans Hand, wie sie sich auf seine legte. Doch sie war tot. Ihre Stimme war in seinem Kopf. Oder waren es nur Erinnerungen? „...wir sind ein Produkt eures Glaubens...wenn ihr nicht mehr glaubt, dann...stirbt Kivale.“ Und es wurde still in seinem Kopf und auch im Raum und auf dem Hof. Ieuan legte seinen Kopf auf ihren Bauch und horchte. Er atmete tief aus und schloss seine Augen.
Die ersten Sonnenstrahlen des Tages fanden ihren Weg durchs offene Fenster und legten sich schützend auf die junge Familie. Alle Hoffnung lag nun in dem Glauben eines Mannes.
Kapitel 28 Nach Inchagoill Das Licht der Sonne, welches nun auch Trotan erreichte, trieb ihn augenblicklich in die Flucht. Er tobte und fluchte, was ihm letztlich nichts nützte. Und Farroi selbst war es, der ihn zurück ins Moor schickte. Ieuan umfasste die Hand seiner Siobhan und flehte sie an, ihre Augen zu öffnen. „Bitte! Ich weiß nicht, was hier passiert ist. Aber so kann es nicht enden.“ Der Wolf erschien in voller Statur. Ein Winseln verließ seinen Rachen, dann kam er auf die junge Familie zu. „Lange kann ich den Schutz nicht halten.
Ihr müsst hier weg.“ Ieuan hörte gar nicht zu. Er weinte und streichelte unermüdlich über Siobhans Haar. „Sie will nicht atmen.“ Der Wolf kam näher, schaute auf das Mädchen. Seine Ohren zuckten, als er etwas zu vernehmen schien. Er schaute nun intensiver, horchte und hechelte vor Erleichterung, als Siobhan tief einatmete. Ieuan verstand nicht, was passierte, wollte es auch nicht wissen. Nur eines war ihm wichtig, seine Familie zu beschützen. Langsam kam Siobhan zu sich, öffnete ihre Augen und lächelte.
„Ieuan?“ „Ja.“ „Wir haben es geschafft.“ Ieuan schaute zu Farroi, wollte ihn fragen, was seine Rolle hier sei. Doch eigentlich war es nicht wichtig. Und so schwieg er mit dankbarem Blick. Der Wolf legte sich vor den Kamin. Wie durch Zauberhand entzündete sich darin ein Feuer und entließ eine wohlige Wärme in den Raum. „Ihr müsst nach Norden. Im Lough Corrib gibt es eine Insel. Dort befindet sich eine Kirche. Ihr könnt sie nicht verfehlen. Nehmt den westlichen Weg, dann trefft ihr auf einen Bootsmann, der euch rüber bringt. Macht schnell!“
„Eine Kirche?“ „Inchagoill.“ „Ich habe davon gehört“, sagte Ieuan. „Dann weißt du von den Roten Wäldern?“ „Rote Wälder?“, Siobhan wollte mehr wissen. „Es ist ein toter Wald. Meist findet ihr dort Eiben. Sie sind viele hundert Jahre alt. Eine seltsame Krankheit hat sie befallen und lässt sie bluten.“ „Bluten?“, hinterfragte Ieuan. Der Wolf schüttelte ungeduldig den Kopf. „Ihr müsst in diese Wälder. Dort ist das Tor zu Kivale. Nun geht! Auch ich werde diesen Ort jetzt verlassen. Hier ist
es nicht mehr sicher.“ Der Wolf stand auf und verließ den Raum, das Haus und den Hof. Im schnellen Schritt rannte er zurück in seinen Wald. Ab jetzt waren sie wieder auf sich gestellt. Siobhan versuchte aufzustehen, konnte sich aber nur wackelig auf den Beinen halten. Ieuan durchwühlte derweilen eine Truhe, die in Louis Schlafgemach stand, nach warmen Sachen. Es dauerte nicht lange, bis er zurückkam mit zwei Umhängen. Einer grau, mit einem weißen Pelzkragen, der andere in grün-braun gehalten. „Ich hoffe, er hat nichts dagegen. Wo ist er überhaupt?“
Siobhan forderte Ieuan mit ihren Augen auf, ihrem Blick zu folgen. Sie zeigte auf den Schneehügel vor dem Haus. „Seinen Kopf hat er mitgenommen“, sprach sie leise vor sich her. Dann trat sie einen Schritt auf ihn zu und flüsterte kaum hörbar: „Und ich fürchte, auch Lennon hat er sich geholt.“ Eine Weile stand Ieuan nur da schaute auf den Boden. Dann ohne ein weiteres Wort steckte er einen Laib Brot in sein Lèine und ging in die Eingangshalle. Der Versuch, nach draußen zu gelangen, scheiterte in dem Augenblick, da er versuchte, die Tür zu öffnen.
Schneemassen versperrten den Weg. „Ich schätze, wir müssen durchs Fenster klettern.“ Siobhan tat, was er sagte und stieg als Erste hindurch. Im Stall hatte der eisige Winter wie durch ein Wunder Erbarmen gezeigt. Drei Pferde standen dort, das von Ieuan und zwei Kaltblüter, eines grau, das andere schwarz. „Wir nehmen alle drei mit.“ Eilig bepackte Ieuan den grauen Gaul mit einem Bund Heu und einen Sack Hafer. Siobhan tippelte derweilen hin und her, bis Ieuan ihre nackten Füße bemerkte. „Warte!“, bat er sie und suchte im Haus
nach Schuhe. Es dauerte nicht lange, kam er mit Zweien zurück: „Hier! Probiere die an!“ Dann sattelte er die Pferde und half Siobhan auf Seines zu steigen. „Ist besser, wenn du auf ihm reitest. Die anderen würden dich sicher abwerfen.“ Und so machten sie sich auf den Weg zum Lough Corrib. „Wenn wir uns nordwestlich des Corribs entlang schleichen, bleiben wir vielleicht unentdeckt. Die Vegetation ist dort üppig.“ Die Sonne war von nun an ihr treuer Begleiter und taute das Land zusehends auf. Die Schneedecke, die sich erbittert
gegen die Wärme wehrte, wich schließlich einem grünen Teppich aus frischem Gras. Es war mild geworden. Siobhan fühlte das Leben um sich herum. Die Erde reckte und streckte sich. Altes Leben fand seinen Weg. Warmer, milder Westwind blies sacht übers Land und befreite die Bäume und Sträucher vom eisigen Winterkleid. Und auch der Fluss Corrib erwachte in seinem Bett und spülte alles Unreine fort. „Das Wetter spielt ein Spiel. Gestern waren wir noch schwimmen. Dann dies eisige Kälte heute morgen. Und jetzt ist es frühlingshaft warm. Was ist das für
ein seltsamer Sommer“, stellte Ieuan fest. Siobhan schüttelte leicht den Kopf. „Nicht Sommer. Es ist Anfang Dezember. Viele Monde vergingen, seit er dich gefangen hielt.“ Ieuan war überrascht. Ihm schien es wie ein Tag und weniger. So lange war Siobhan auf sich gestellt? „Ich war so lange weg?“, stellte er besorgt fest. Gedanken kreisten unaufhörlich in seinem Kopf. Was war nur alles seit jenem Tag passiert? Wie tapfer musste Siobhan gewesen sein, all die Zeit. Wo hatte sie nur all die Hoffnung und Kraft
hergenommen? Siobhan bemerkte Ieuans verzweifelten Versuch, seine Gedanken zu ordnen. Ein kleiner Flirt nach so langer Zeit sollte ihn doch ablenken. „Ich habe jeden Tag und jede Nacht an dich gedacht.“ Ein Lächeln löste die Verbissenheit in seinem Gesicht ab. Wie sehr hatte er sie vermisst, noch dazu, wo er nun wusste, sie Wochen, Monate nicht gesehen zu haben. „Wie hast du es so lange ohne mich ausgehalten?“, grinste er schelmisch. „In meinen Gedanken warst du jede Nacht bei mir.“ „Und was taten wir in deinen
Gedanken?“, fragte er weiter. „Wir...“ „Wir...was?“ „Wir lagen Arm in Arm am See und ...“ „Weiter!“ „...küssten uns.“ Siobhan fühlte sich wie ein kleines Mädchen. Sie war schüchtern wie am Tag, als er ihr das erste Mal im Wald begegnete. Die Sonne schien heute nicht müde zu werden. Doch wenn Ieuans Gefühl ihn nicht täuschte, war es bereits Abend. „Lass uns hier rasten! Es müsste längst dunkel sein. Die Pferde brauchen eine Pause. Und ihr auch.“ Dabei schaute er auf ihren Bauch und
dann süß lächelnd in ihre Augen. „Also das Kind braucht sicher keine Pause. Doch ich fürchte, du musst mir helfen, abzusteigen. Ich spüre meine Beine nicht mehr.“ Noch bevor sie den Satz zu Ende sprach, umklammerte Ieuan sie liebevoll und zog sie vom Pferd. Der Himmel tauchte in ein violettes Licht und deckte sich mit kleinen, weißen Wolkendecken zu. Ieuan hatte ein kleines Feuer gemacht. Beide saßen nun aneinander gekuschelt davor und blickten über den See. Der Horizont hielt noch immer die Sonne über dem Lough Corrib. Die Wellen erzählten in silbernen
Schriften von den Ereignissen des Tages. Ein glitzernder Schleier, der Hand in Hand mit dem Sonnenlicht verschwand, sang von guter Nacht. Und so schliefen die beiden Liebenden unter dem Himmel eines wieder erwachenden Irlands ein.
Kapitel 29 Im Haus des Inquisitors Nebelschwaden, vereint zu einem dichten Wolkenmeer, breiteten sich in den Mooren aus, um die Schreie der Verlorenen aufzunehmen und wegzutragen. Der Morgen kämpfte mit seinen goldenen Schwertern gegen die Fäulnis, die Trotan verbreitet hatte. Alles Eis und jede Kälte hatten sich in der Nacht hierher verkrochen. Im gesamten County konnte man die Schreie hören, die Klagerufe seiner Niederlage. Trotan schlug die halbe Nacht um sich,
wütend, nichts unternehmen zu können. Farroi hatte ihn mit einem Sternenzauber belegt. Bis zum Morgen konnte er die Moore nicht verlassen. In den frühen Stunden des neuen Tages erahnte er seine baldige Freilassung und nutzte die verbleibende Zeit damit, neue Pläne zu schmieden. Mit einem schmierigen Grinsen entließ er sich schließlich selbst in der fünften Stunde. Im Haus McCorley war es noch ruhig, abgesehen vom Schnarchen des Hausherren, welches durch alle Räume tönte. Seine widerspenstige Gespielin Kate hatte er am Abend zuvor ans Bett gefesselt, da sie sich ihm verweigerte.
Nackt und frierend lag sie da und verfluchte den Tag, an dem ihr Vater sie hier herbrachte. Damals war sie gerade neun Jahre alt. Es brauchte keine Woche, bis McCorley das erste Mal über sie herfiel. Leise weinte sie vor sich hin, dieses Leben nicht ertragend, doch wissend, dass ein durch ihre Hand herbeigeführtes Ende sie in die Hölle bringen würde. Ihr Herr drehte sich im Bett und legte seine rechte Hand auf ihren kleinen Busen. Sie hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Noch einen einzigen Moment länger und sie würde an der Last seiner Widerwärtigkeit ersticken.
„Bitte, bitte, lieber Gott...“, flüsterte sie beinah lautlos. „Heute ist dein Glückstag“, erklang eine Stimme aus der Fensterecke. Kate erstarrte, als sie die Fratze dessen erblickte, der nun näher an sie herantrat. „Heute ist ehrlich dein Glückstag“, wiederholte er nun mit einem fast glaubhaftem Lachen. Er band das Mädchen los und gab ihr mit einer Gestik des Erschreckens zu verstehen, schnell das Gemach des Herren zu verlassen, was sie sogleich auch tat. Trotan trat nun auf die andere Seite des Bettes und pikste mit seinem Schwert in
die Seite McCorleys, der ruckartig im Bett saß. „Mein Herr! Was wollt ihr?“ Mit langsamen Schritten ging Trotan zum Fenster und sah nach draußen. Selbst an einem dreckigen Ort wie diesem konnte man seinen Blick dem Frühling nicht entziehen. „Meine Macht schwindet. Siobhan ist fort. Dieser Ieuan ist mit ihr...“ „Wir schicken Leute ins Land. Gebt mir drei Tage, mein Herr!“ „Ich habe keine Zeit mehr. Das Kind wird bald geboren. Sobald sie Kivale betreten, wird es zu spät sein.“ Kleine Schweißtropfen perlten an McCorleys Wangen herunter.
„Was ist mit dir? Es scheint mir, du seist krank.“ „Ihr habt recht. Es geht mir nicht gut“, hustete McCorley. „Hast du Beschwerden in der Brust, so kann ich dir helfen“, lächelte Trotan. „Es geht schon.“ „Es tut mir leid, aber ich benötige einen kleinen Anreiz, um meine Kräfte wieder in Gang zu bekommen“, entschuldigte er sich, bevor seine Fratze sich in die von einer Bestie verwandelte. Sein ohnehin schon missförmiges Maul verschob sich weiter nach vorn und seine Wangenknochen schienen zu brechen, um sich dann neu zu formen. Der Umriss seiner Nase wurde zunehmend
grotesker. Seine Augen, die sonst so leblos daher blickten, glühten nun in feurigem Rot. Und über seine Haut zog sich ein borstiges Fell, wie das eines räudigen Hundes. McCorley versuchte vergeblich, Schutz unter seiner Decke zu finden. Doch Trotan riss sie zusammen mit einem Stück Haut seiner Schulter weg und starrte blutrünstig auf den Verletzten. Nachdem er ihm das Herz heraus riss und daraus trank wie aus einem Horn, stillte er seinen Durst ebenso mit dem Blut von Ui Murchadhadh und dessen Frau. In seinem Blutrausch machte er sich nun auf den Weg, Siobhan zu finden.
Kapitel 30 An den Ufern von Corrib Der Boden am Ufer des Lough Corrib war steinig, das Wasser eiskalt und klar. Nicht eine Welle durchzog das Spiegelbild des Himmels auf der Wasseroberfläche. Der Tag ließ sich nicht lange bitten und zeigte schon früh sein Sonnenkleid am Horizont. „Wie ungewöhnlich für Dezember“, wunderte sich Ieuan. Noch überraschter war er, als er die roten Knospen an den Sträuchern entdeckte, die, so schwor er, gestern noch nicht da waren. Etwas schwerfällig erhob er sich und
erkundete nun kurz die Gegend. Sein Körper beschwerte sich noch einige Zeit wegen des steinigen Bodens und der Kälte der letzten Nacht. Die Pferde waren wohl auf und hatten bereits alles Grüne in ihrer unmittelbar liegenden Umgebung abgegrast. Ieuan machte sich frisch und führte dann die Pferde ans Wasser zum Trinken. Der Gedanke, dass in Siobhan ein Kind heranwächst, schien ihm wie ein Traum. Es war unwirklich und dennoch das schönste Gefühl überhaupt. „Guten Morgen!“, gähnte das Mädchen und sprang auf, um Ieuan stürmisch mit einem Kuss zu begrüßen.
Dem konnte er natürlich nicht widerstehen. Er riss Siobhan an sich und wärmte sie mit seinem Blick, seinen Berührungen und Worten. Gemeinsam tauchten sie in eine Welt ohne Zeit, ohne Schmerz und Elend, ohne Trotan. Dieser folgte ihrem Geruch wie ein Hund seiner Beute. Er versuchte in Siobhans Gedanken zu dringen, um sie aufzuspüren. Doch Farroi hatte die gesamte Strecke am Corrib entlang mit einem Sternenzauber belegt. So war es Trotan nicht möglich, Siobhan einzuholen. Er schnaubte durch die Wälder kreuz und quer. Riss alles um, was ihm im Weg war. Wo er ging, herrschte
Totenstille. Die Tiere versteckten sich im Unterholz oder auf den Bäumen, selbst die Blüten, die der Dezemberfrühling so ungeduldig austrieb, verschlossen ihre bunte Pracht. Es wurde stumm auf dem Pfad, den er beschritt. Dies machte ihn wütend. Er schimpfte, dass alle Welt zu feige wäre, es mit ihm aufzunehmen. Wie im Wahn folgte er seiner Liebe, das einzige Gefühl, das er je hatte und das ihn schmerzte bis in jeden einzelnen Knochen. „Wir müssen los!“, bedauerte Ieuan, als er sich nur schwer von Siobhans süßem Mund löste. „Wie weit müssen wir noch gehen?“
„Ich denke, wir sind bald dort. Die Pferde werden wir laufen lassen. Wir können sie eh nicht mit nehmen, wenn wir auf ein Boot wollen. Sie finden sicher einen neuen Herren.“ Ieuan nahm das Bündel mit dem Brot und eine Trinkflasche, die er zuvor mit frischem Wasser befüllte, band beides an sein Lèine und warf Siobhan dann einen auffordernden Blick zum Gehen zu. „Wie lange wird Trotan brauchen, bis er uns findet?“ „Ich habe keine Ahnung“, gab Ieuan zurück. Der Weg war steinig. Seit Tagen hatte Siobhan fast nichts gegessen. Nun forderte ihr Körper Tribut. Beinah
ohnmächtig fiel sie zu Boden und japste nach Luft. Jetzt, da Ieuan ihr aufhalf, bemerkte er, wie sehr die letzten Wochen an ihrem Körper gezehrt hatten. „Du musst etwas essen!“, klang er besorgt. „Nein! Erst müssen wir auf diese Insel!“, flüsterte Siobhan mit schwindender Kraft. Ieuan schüttelte den Kopf. Allein konnte er nichts gegen Trotan ausrichten. Siobhan und das Kind, sie allein hatten die Macht, Trotan das Handwerk zu legen. „Du wirst etwas essen! Sonst gehe ich keinen Schritt weiter“, ordnete Ieuan mit strengem Ton an.
So hatte er noch nie mit ihr gesprochen. Beinah erschrocken setzte sie sich auf und nahm das Stück Brot, welches er ihr reichte. Der erste Bissen schmeckte ungewohnt, süß und gut. Hastig brach sie ein weiteres Stück vom Brot ab und stopfte es in ihren Mund. Sie kaute und schluckte voller Wohlgenuss. Ieuan sah sich derweilen um. Nicht weit entfernt konnte man ein paar Häuser erkennen. Es waren ärmliche Hütten, ärmlicher noch als die von Ieuan. „Dort drüben können wir jemanden fragen, wie man nach Inchagoill gelangt.“
Siobhan richtete sich auf und schaute in die angedeutete Richtung. „Ich werde den Bootsmann erkennen“, sprach sie in einem Ton, als würde sie ihre eigenen Worte nicht verstehen. „Wie meinst du das?“ „Ich hab keine Ahnung. aber ich bin mir sicher, ihn zu erkennen, wenn er vor mir steht.“ „Gut, wenn du meinst. Dann lass uns losgehen!“ Die Sonne bedeckte jeden Baum, jeden Strauch und alles, was zu wachsen fähig war, mit ihrer nährenden Wärme. Die Früchte der Bäume waren so reif wie sonst im August. An den Sträuchern hingen die süßesten Beeren, und auf den
Wiesen wuchsen die herrlichsten Kräuter. „Es kommt mir immer noch vor wie ein Traum. Sieh dir das an! Wir haben Dezember und alles blüht und gedeiht.“ Am liebsten hätte er sich ins satte Grün fallen lassen. Doch die Zeit drängte. Nicht lange würde es dauern, bis ER sie eingeholt hat. In den Mittagsstunden war es unerträglich heiß geworden. Siobhan hatte bereits Schuhe und Umhang abgelegt. Der steinige Boden wurde nun von Matsch und Dreck abgelöst. In der Nähe der Hütten roch es unangenehm nach Fisch. Als die Beiden die Grenze des
Dorfes passierten, wurde es still im Ort. Angst lag in der Luft. Die Menschen hier besaßen nicht viel. Ihre Kinder waren krank und litten Hungersnot. Gleich am ersten Haus saß eine Frau am Boden , die gerade ihr Baby stillte. Sie schaute in Siobhans Augen und begann zu lächeln. Und auch am zweiten Haus, wo ein alter Mann gerade versuchte, eine kaputte Tür zu reparieren, wurde sie mit einem Lächeln beschenkt. So ging das den ganzen Weg. Die Menschen sahen sie und lächelten sie an. Ieuan wunderte sich, hinterfragte aber nichts. Er genoss einfach die
Herzlichkeit dieses Ortes. Plötzlich kam ein Mann aus dem nichts und packte Siobhan am Arm. „Ich habe gewartet.“ Vergeblich versuchte sie sich loszureißen. Doch Achaius hielt sie fest mit seinen schwarzen Händen. „Das Boot liegt dort drüben. Wir müssen uns beeilen!“ Den Schreck verdaut, schaute sie nun zu Ieuan. „Siehst du! Ich sagte doch, ich erkenne ihn.“ „Es scheint mir aber eher umgekehrt“, widersprach er ihr. Der Mann mit der dunklen Haut drängte die Beiden und lief mit eiligem Schritt
voraus. „Eure Pferde haben wir bereits versorgt. Da drüben, seht ihr?“ Achaius zeigte auf eine Wiese gleich hinter dem Dorf. Als sie am Boot ankamen, bezweifelte Ieuan, dass dieser Bretterhaufen sie auch nur drei Meter übers Wasser bringen würde. Es war alt und morsch, schien, als hätte es Jahre hier am Ufer gelegen. „Keine Angst. Ich fahre jeden Tag diese Strecke. Das Boot hat mich noch nie im Stich gelassen.“ „Jeden Tag?“, fragte Siobhan. „Jeden Tag. Wir hatten hier den härtesten Winter seit Jahren. Die Ufer
des Sees waren zugefroren. Ebenso wie der Fluss. Aber mein Boot fuhr trotzdem über den See, ob ihr es glaubt oder nicht. Während hier alles nach und nach erfror und zugrunde ging, herrschte auf Inchagoill immer noch Frühling. Jeden Tag nahm ich mein Boot und fuhr hinüber, um Früchte zu sammeln für meine Familie und auch für die Menschen in diesem Dorf.“ Ieuan fand die Geschichte sehr merkwürdig. „Wieso seid ihr nicht drüben geblieben?“ „Das Boot fuhr nur mich allein und das auch nur einmal am Tag. Ich hätte nie meine Familie im Stich
gelassen.“ „Aber wenn es nur Euch gewährt, den See zu überqueren, wie wollt ihr Siobhan und mich dann hinüberbringen?“ „Das werde ich nicht. Ihr werdet allein in das Boot steigen.“ Siobhan und Ieuan blickten ungläubig auf das Boot. Die Blicke deutend, unterbrach der Schwarze die Stille. „Ich sehe euch jede Nacht in meinen Träumen. Ich warte schon lange auf diesen Tag. Alle im Dorf kennen euer Gesicht, Siobhan, weil ich es ihnen jeden Morgen beschreibe.“ Wie konnte er ihren Namen wissen, wunderten sich beide. Wie konnte dies
überhaupt alles möglich sein? Dieser Ort barg viele Geheimnisse. Und manchmal sollte man die Dinge einfach nehmen, wie sie sind. So setzten sich die beiden ins Boot und erwarteten die Geschehnisse, die Inchagoill für sie bereit hielt. „Nur eines noch. Wie finden wir diese Insel?“, fragte Ieuan. Achaius begann zu lachen, laut zu lachen. „Nicht ihr findet diese Insel. Sie findet Euch.“
Kapitel 31 Das Tor nach Kivale Siobhan setzte sich in den hinteren Teil des Bootes. Ieuan nahm das Ruder und paddelte los, erst zögernd, dann mit Kraft. Die Oberfläche des Sees war ruhig. Keine Welle. Das Boot glitt durchs Wasser, als würde es schweben. Nach kurzer Zeit begann es, sich seinen eigenen Weg zu bahnen und das Ruder bewegte sich wie von Geisterhand. Das Ufer entfernte sich mehr und mehr, wie auch Achaius und alles um ihn herum. Er lächelte merkwürdig und vertraut.
Es wirkte beruhigend auf Siobhan, so als kenne sie ihn schon lange Zeit. Ihr Blick versank schon bald im Nichts des Sees und verlor sich in einem Bett aus dichtem, weißem Nebel. „Wie unwirklich“, flüsterte Ieuan und war gleichzeitig fasziniert. „Kivale! Mein Vater schuf dieses Tor. Ich kann es fühlen“, lächelte Siobhan erleichtert. Das Boot hielt mit einem Ruck und füllte sich langsam mit Wasser. „Ich schätze, das heißt, wir sollen aussteigen“, schlussfolgerte Ieuan und sprang hoch. „Ich kann überhaupt nichts erkennen. Siehst du etwas?“
Ieuan setzte vorsichtig einen Fuß ins Wasser und berührte sogleich den steinigen und glitschigen Boden. „Es ist nicht tief, nur kalt. Komm, ich hilf dir!“ Ieuan nahm die Hand seiner Braut und führte sie bis ans Ufer, welches nur einige Meter entfernt vor ihnen lag. Der Nebel gab allmählich die Sicht frei und erlaubte den Beiden etwas zu sehen, was außer Achaius bis zu diesem Tage noch niemand zu Gesicht bekam. Es war die Welt zwischen den Welten. Wie in einem Traum lag eine Landschaft vor ihnen, die so bunt und üppig war, wie sie sie noch nie gesehen hatten. Blumen, Sträucher und Kräuter, bei
deren Anblick selbst Loui sprachlos gewesen wäre, boten eine Farbenvielfalt, welche selbst in den buntesten Träumen der Kinder nicht zu finden war, dachte Siobhan. Sie standen mitten auf einer riesigen Wiese. Der See war verschwunden, und auch das Boot. Ein Blütenmeer aus Lilien, Märzenbecher, Lerchensporn und Blausternchen bildete einen weichen Teppich unter ihren erschöpften Füßen. Benommen von den unzähligen Düften des Frühlings liefen sie Richtung Osten. Die Sonne brannte so stark, dass beiden der Schweiß von der Stirn lief. In der
Ferne glaubte Ieuan etwas zu erkennen. Eine Burg oder ein Kloster. Der Bau war riesig, schien aber unbewohnt. Steinmauern versperrten den Weg. Und selbst die Torbögen, von denen es mehrere gab, boten keinen Durchgang. Irgendetwas hielt sie auf dem Pfad gen Osten. „Ich fühle mich so merkwürdig.“ „Das ist der Schutzzauber meines Vaters. Er beschwert deinen Geist. Morgen wirst du dich fühlen wie nach drei Krügen Met“, lachte Siobhan. „Was ist das da vorn?“,kroch es aus Ieuans rauer Kehle. Vor ihnen lagen die roten Wälder. Der Nebel zog in die Baumkronen der
majestätischen Eiben, die sicher an die dreihundert Jahre alt sein mussten. Die meisten der Baumriesen waren tot, wie Farroi es beschrieben hatte. Doch nicht alle. Einige schienen stark genug, der geheimnisvollen Krankheit zu trotzen. Es war atemberaubend. Jeder dieser Bäume hatte sich seinen Platz in diesem Wald erkämpft und das Stück Boden, aus dem er wuchs, zu seinen Thron gemacht. Und all die kleinen Gewächse am Boden verbeugten sich mit Ehrfurcht. „Die Hüter“, flüsterte Siobhan und erkannte den Weg, den ihr der Wald nun zeigte. „Die Hüter? Von was?“, folgte ihr Ieuan.
„Die Hüter des Tores“, gab sie wie selbstverständlich wieder. Der Wald schien endlos. Unermüdlich folgten sie den Pfaden der Bäume. Ieuan hatte jegliche Orientierung verloren. Sie liefen, bis die Nacht hereinbrach. An einem Moosbett angelangt, ließen sie sich erschöpft zu Boden fallen und schlossen für einen Moment die Augen. Nach nur wenigen Augenblicken setzte sich Siobhan auf und bemerkte: „Mein Vater hat dieses Tor hier geschaffen. Es ist magisch. Wieso lassen uns die Hüter nicht eintreten?“ Noch an den Ufern des Lough Corrib lauerte Trotan, wissend nun, wo seine Geliebte sich befand.
Farroi hatte einen Sternenzauber gestreut, doch nicht in Inchagoill. So musste er nur warten, bis Siobhan schläft und sie dann in ihren Träumen besuchen. Es war ein leichtes Spiel, sie ausfindig zumachen, da sie sich in sicherer Umgebung glaubte. „Wie töricht und naiv du bist, meine Siobhan“, leckte sich Trotan über den Mund. Hundert Mal war er schon in diesem Wald gewesen. Das Tor war beinah zerstört. Nur noch wenige Hüter bewachten es. Und diesmal würde er es vollständig zerstören. Es kostete ihn einiges an Kraft, doch er löste sich aus den unsichtbaren Fesseln
Farrois, die ihn an den Ufern hielten und durchbrach den Zauber. In Windeseile zog er über den See bis hin nach Inchagoill. Als er seinen Fuß auf das grüne Land setzte, entrann ihm ein gequältes Lachen. Der Eintritt in die Torwelt schwächte ihn merklich, doch konnte es ihn niemals aufhalten. Der Geruch Kivales lag in der Luft. Der Gedanke an Siobhan wirkte wie ein Aphrodisiakum. Taumelnd folgte er seiner Angebeteten. Siobhan bemerkte schon sehr bald seine Anwesenheit und wurde schneller. Sie ließ sich von ihren Füssen über das Blütenmeer tragen. Es schien ihr, als
würde sie sich mit jedem Schritt verändern. Die Luft war wie ein Jungbrunnen. Auch Ieuan konnte das spüren. Erst fühlte es sich wunderbar an, doch schon nach einigen Metern wurde die Leichtigkeit, mit der er sich bewegte, von einer erdrückenden Schwere in seiner Brust abgelöst. Ieuan stoppte, hielt Siobhan am Arm und drehte sie zu sich herum. „Was passiert hier? Wenn wir das Tor finden, was geschieht dann?“ Die Erkenntnis, die ihm plötzlich kam, durchfuhr ihn wie die Klinge eines Schwertes und ertränkte seine Augen im Schmerz, denn er wusste nun, dass er ihren Spuren nicht länger folgen konnte.
Von nun an waren sie und das Kind auf sich allein gestellt. Schutzlos mussten sie übergehen in das Reich Kivale. Ieuan ließ ihren Arm los und betrachtete ein scheinbar letztes Mal das so makellos schöne Gesicht seiner Braut. Mit seinen Augen malte er ihre Konturen in sein Gedächtnis und schwor sich, sie niemals zu vergessen. Er wollte etwas sagen, doch fehlten ihm die Worte, das auszudrücken, was ihm gerade klar wurde. Es fühlte sich an, als läge ein riesiger Feldstein unter seiner Brust. Die Luft atmete sich schwer. Er konnte sie doch jetzt nicht einfach so im Stich lassen. Siobhan erstarrte, als sie die Mauer
fühlte, die sich zwischen sie stellte. Auch sie erkannte das Unumgängliche. Es gab kein Zurück mehr. Zu wichtig war, was sie tat. Das Kind und sie mussten nach Kivale, bevor Trotan sie abermals in seine Hände bekam. Sie konnten beide den Schmerz des anderen fühlen. Tränen liefen über ihre Wangen. Für einen Augenblick verloren sie sich in der Zeit und erinnerten sich an die nächtlichen Stunden, in denen sie Arm in Arm sich schworen, niemals den anderen zu verlassen. „Du solltest nun weiter gehen! Ich bin mir sicher, du kannst es schaffen“,
sprach Ieuan ihr Mut zu und küsste sie zum Abschied. Ein zaghaftes Nicken war das Einzige, das sie fertig brachte, als sie in seine Augen schaute. Mit ihren elfenhaften Fingern wischte sie ihm eine Träne vom Gesicht und lächelte so wie in jener Nacht, als sie sich das erste Mal begegneten. Dann drehte sie sich um und lief auf dem Pfad, den die Eiben ihr freigaben.
Kapitel 32 Abschied Kalter Wind suchte seinen Weg durch die Wälder. Trotans eisiger Atem lag ihm voraus. Seinen Geist in den finsteren Abgründen der schieren Eifersucht verlierend stampfte er durch das Dickicht des Waldes, den er beinah vernichtet hatte. Jeder Schritt, den er tat, hinterließ Spuren des Verderbens. Das Holz der Bäume wurde auf der Stelle morsch, Blätter fielen welk auf die Erde nieder. Ein rebellierendes Knarren fuhr durch das Geäst der Waldriesen. Doch es nützte nichts. Alles um ihn herum starb
in dem Moment, da er es berührte. Die letzten starken Eiben stellten sich ihm in den Weg, doch er fand sein Ziel, erblickte schließlich die Gestalt seines Rivalen. Sofort erzürnte er und konnte nur schwer ein wütendes Brüllen unterdrücken. Keine fünfzig Meter lagen zwischen Ieuan und dem Bogen, dessen Pfeil straff gezogen auf seine Brust zielte. Die Zeit drängte. Und das verärgerte Trotan. Wie gern hätte er diesen Menschen leiden sehen. „Du bist kein Gegner für mich, nur eine weitere Beute“, röchelte er und spannte den Bogen weiter.
In den Baumkronen legte sich ein weicher Teppich aus Nebel, wiegte sich sanft in den Blättern und umarmte dankbar die Äste der Hüter. Siobhan fühlte die Leichtigkeit ihres wahren Seins und die Leichtigkeit, als sie etwas zu verlieren schien. Ein süßer Schmerz durchfuhr sie. Das Kribbeln in ihrem Bauch, welches immer stärker wurde, nahm ihr jeden klaren Gedanken. Sie fing an zu lachen und wollte schreien. Doch sie musste still sein. Trotan würde sie sonst entdecken. Ihre Finger krallten sich in den Stoff ihres Umhangs, rissen ihn herunter. Aus dem Lachen wurde ein Weinen. Der Schmerz war unerträglich. Stöhnend rang sie nach
Luft. Ieuan konnte ihr nicht helfen. Irgendetwas hielt ihn an der Stelle, wo er sich befand, fest. Die Torwelt ließ ihn zunehmend schwächer werden. Die Bilder vor seinen Augen verschwammen. Alles drehte sich um ihn herum. Er hörte Siobhans Wehgeschrei. Weit entfernt seiner Erinnerungen lag er nun am Boden und sah, wie Siobhan ihn anlächelte. „Es passiert.“ Der Gedanke zweier wahrhaft Liebender entrann ihrem Körper und der irdischen Welt und erweckte Kivale zu neuem Leben. Ein junger König von unschätzbarer
Macht, Güte und Loyalität ging nun durch die Hallen aus Glas und beobachtete wachsam das Geschehen auf Erden. Sein Geist füllte sich mit dem Wissen Kivales. Es dauerte nur Sekunden, da ihm bewusst wurde, was zu tun war. Siobhan war schwach. Ruaidhris Kraft ging in das Kind über, als es geboren wurde. Ihr Geist wandelte zwischen den Welten. Wie ein Hauch verließ sie ihren Körper und vereinte sich mit dem Nebel. Mit einem letzten Lächeln, das man nur noch fühlen, nicht sehen konnte, gab sie Ieuan zu verstehen, was gerade geschehen war.
Kivale hatte seinen neuen König. Mit verschlafenem Blick wendete sie sich ab und fiel dann zu Boden. Ieuan nahm all seine Kraft zusammen, zog sich an einem Baum nach oben und rannte sofort zu ihr. Nur knapp entkam er so dem Pfeil, der in gleicher Sekunde auf ihn gerichtet seinen todbringenden Weg suchte. Trotan spuckte vor Wut und spannte sogleich einen zweiten Pfeil. Niemand würde sich ihm und seiner Siobhan je wieder in den Weg stellen. „Für dich gibt es nur den Tod, Ieuan!“, fauchte er. Ein Grinsen meißelte sich in sein Gesicht. Diesmal konnte er nur treffen,
denn Ieuan rührte sich kein bisschen, hielt die Hülle seiner Geliebten im Arm. Ruhig lag der Pfeil in Hand des Feindes. Zögernd richtete er die Spitze auf Ieuans Brust. Dann wanderte sein Blick auf sein Haupt und er stellte sich vor, wie das Metall seinen Schädel durchbohrte. Ein wohliges Raunen entrann seiner Kehle. Das Kichern, welches er nicht verhindern konnte, gelang in die Bäume und wurde sogleich zu Ieuans Gehör getragen. Erschrocken suchte er nach deren Herkunft. Sofort war ihm klar, wer es auf ihn abgesehen hatte. Vorsichtig legte er den Körper seiner Braut ins Moos und schaute suchend um sich.
Trotan witterte seine Chance. Er spannte den Bogen und feuerte ab. Die Spitze traf genau ins Herz. Die Wucht schmetterte Ieuan zu Boden, so dass er direkt neben seiner Siobhan lag, als das Leben seinen Körper verließ. Der Moment, da er noch atmete, dauerte nur einen letzten Herzschlag. Mit leerem Blick starrte er in Trotans Fratze, die ihn bitter böse angrinste. Trotan tanzte, als sein Werk vollbracht war. Doch zugleich trampelte er erzürnt auf dem Boden, wissend, dass Siobhan und das Kind unerreichbar waren für ihn. Er rannte durch den Wald und verbrannte alles Grüne, jeden Halm, jedes Leben mit seinem
Höllenfeuer.
Inchagoill war dem Erdboden gleich. Es gab nur noch Trotan und drei letzte Eiben. Sie hielten den Nebel in ihren Kronen, das Bett der Seelen, wie Ruaidhri immer sagte. Siobhan weinte bittere Tränen. Getrennt von Ieuan zu sein, brach ihr bereits das Herz. Doch zu wissen, dass ihr Geliebter sterben musste, konnte sie nicht ertragen. Verzweifelte richtete ihr Blick sich auf Ihren Sohn. „So kann es nicht enden!“ „Du musst meinen Namen in die Wolken vor dem Thron schreiben! Erst dann habe ich königliche Macht und kann helfen.“
Sein Blick fiel auf das Malerazepter, welches Siobhan auf der Stelle ergriff und damit die Kivalischen Buchstaben für N, E, I und L schrieb. „Dein Name ist Neil“, erklang ihre immer noch mutlose Stimme in den leeren Hallen des jungen Reiches. „Ich danke dir, Mutter. Und nun warte ab!“, lächelte ihr Sohn und setzte sich auf seinen Thron. In dem Moment, da er das Zepter in die Hand nahm, strömten hunderte Gedanken nach Kivale. Sie begrüßten die Königsfamilie und verwandelten den Himmel über Irland in ein Meer lachender Seelen. „Wo kommen die alle her?“
Unruhig schlich sie umher. Ieuan konnte nicht dabei sein. Er war tot. Wer hätte seinen letzten Gedanken tragen sollen? Neils Lippen verzogen sich zu einem verschmitztem Lächeln. Er sprang auf und ging zum Tor. „Sieh nur hin, Mutter!“ Seine Hand begann in der Luft zu kreisen. Der entstandene Wirbel sog den Nebel über Inchagoill in die Wolken und legte ihn in die Halle, in der sie sich befanden. Siobhan wollte glauben, was sie erahnte. Doch im Nebel war nichts. Keine Gestalt löste sich aus dem weißen Teppich. „Du musst schon glauben!“, bat Neil
liebevoll. „Ich glaube doch, ich glaube!“ weinte sie in das feuchte Nebellaken. Und ohne, dass sie es merkte, fiel ihre erste Träne auf den Jüngling vor ihren Füßen. Eine farblose Gestalt, bleich mit einer Haut wie aus Pergament. „Wo bin ich?“, hauchte die Gestalt. „Ieuan?“, dankbar schloss sie ihn in ihre Arme und drückte ihn an sich. Neil nickte zufrieden und begrüßte weiter die Gedanken, die durch das Tor kamen. Die Gestalt löste sich aus Siobhans Umarmung und fragte verwundert: „Ieuan? Wer ist das?“ „Du bist Ieuan. Gleich wirst du dich
erinnern“, flüsterte sie und streichelte ihn sanft. „Es fühlt sich merkwürdig an“, stieß er sie von sich und sprang auf. Er lief durch die Halle und irrte durch das Reich, hilflos wie eine Feder im Wind. Siobhan folgte ihm, doch er wies sie ständig ab. Bis zum Morgen wandelte er durch Kivale, dann fiel er erschöpft zu Boden und schlief. „Sohn, hilf uns. Seine Seele findet keine Ruhe. Es muss doch etwas geben“ ,bat sie ihren König. Der schaute ratlos von seinem Thron. All seine Macht reichte nicht, Ieuan zu retten.
„Ihr habt nur seinen Lebenskeim. Doch sein Wille, seine Liebe und seine Stärke sind noch immer in den Baumkronen. Er war noch nicht bereit zu gehen. Schick ihn zurück! Ich kann helfen.“ Siobhan kannte die Stimme in ihrem Kopf. „Farroi!“ „Schnell, bevor die Sonne den höchsten Punkt erreicht!“ Neil vernahm ebenfalls die Worte und blickte nach Inchagoill. Der Wolf stand unter der hinteren Eibe und schaute in die Wolken. „Schnell! Der Sternenzauber wird Trotan nicht lange aufhalten. In der Nähe der Torhüter ist auch meine Macht
begrenzt.“ Siobhan rannte zum Thron und kniete sich vor ihren Sohn. „Kannst du tun, was Farroi erbittet?“ „Ich denke, schon“ ,überlegte Neil kurz. „Ich will mit ihm gehen“, schluckte Siobhan. Schweigend, doch verstehend nahm er ihre Hand und küsste die glatte Haut seiner Mutter zum Abschied. „Ich werde mein Bestes tun.“ „Jede Nacht werde ich von dir träumen, hörst du!“ „Und ich werde dich jede Nacht besuchen, Mutter.“ Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Siobhan das Bewusstsein verlor und in
den Nebel fiel, der sich in der gläsernen Halle bis zum Thron hingezogen hatte. Neil nickte zu sich selbst, denn er wusste, das Richtige getan zu haben. Und alle in Kivale lächelten ehrfürchtig ihrem König zu und verbeugten sich. Seinen ersten Tag als König hätte er nicht ehrenhafter bestehen können. Langsam und schwer öffneten sich ihre blauen Augen. Ihr Körper war kraftlos wie an jenem Tag in den Ebenen von Maurice, als sie Ieuan das erste Mal begegnete. Doch diesmal stand er nicht vor ihr, sondern lag leblos am Boden. „Komm, Mädchen!“, sprach der Wolf. Fragend schaute sie zu Farroi. Der kroch vorsichtig bis an Ieuans Kopf und
flüsterte etwas in sein Ohr, das Siobhan nicht verstand. Es war seine Sprache, die Sprache der Wölfe. Behutsam legte sie den Kopf ihres Bräutigams auf ihren Schoß und streichelte über seine raue Wange. Ungeduldig sah sie den Wolf an. „Er wird dich nun hören. Sein Herz kann nur durch deine Stimme heilen. Doch nicht die Stimme aus deiner Kehle, sondern die aus deinem Herzen.“ Ieuan rührte sich nicht. Der Gedanke, ihre Liebe könnte nicht ausreichend sein, drückte sich auf ihre Brust. Gerade wollte sie sich zu ihm hinunterbeugen, um ihn zu küssen, da bemerkte sie eine Träne, die aus seinem
Auge floss und sich in die kleinen Fältchen ihrer Handfläche seinen Weg suchte. Ein Husten folgte und dann ein leises: „Siobhan!“ Seine Augen öffneten sich und versanken im Anblick der Neugeborenen. „Ich hatte einen merkwürdigen Traum.“ „Ich weiß“, heulte sie vor Freude.
Kapitel 33 Lennons Pfeil Der Nebel verzog sich und die Baumkronen breiteten ihre Pracht gen Himmel aus. Das Tor schloss sich. Die Sonne stand weit oben. Ungeduld machte sich breit. Das Rascheln der letzten Baumriesen war deutlich. Ieuan und Siobhan mussten schnell die Insel verlassen. Trotan würde sich nicht lange zurückhalten lassen. Der Wolf schüttelte sich. Er sprach einen Zauber und kam auf das junge Paar zu. Nur einen Augenblick dauerte es, dann hatte er die Gestalt eines Pferdes angenommen.
„Springt auf!“ Die beiden lachten erstaunt und stiegen auf. Wie der Wind ritt Farroi über das brache Land, welches Trotan hinterlassen hatte. Der See lag vor ihnen. Noch bevor das Pferd seinen ersten Huf ins Wasser tat, verwandelte es sich in ein riesiges fischähnliches Wesen. Auf seinem Rücken hatte es viele Höcker, an denen sich die Beiden festhalten konnten. Nass vom spritzenden Wasser gelangten sie ans sichere Ufer und gingen von da an eigenen Fußes zurück in Ieuans Heimatort. In den Ebenen blieb er stehen und atmete
die vertraute Luft. Der Wolf jaulte kurz. „Es wird Zeit für mich. Von hier an seid ihr auf euch gestellt“, bellte er und lief dann Richtung Westen zurück in seinen Wald. Nach wenigen Metern stoppte er und drehte sich ein letztes Mal um. „Neil wird nicht zulassen, dass Trotan gewinnt. Im richtigen Augenblick wird er ihn zurück in die Lavaschluchten schicken.“ Siobhan nickte, schaute dem Wolf hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann setzte sie sich unter die alte Eiche zu Ieuan und schaute in den Sonnenuntergang.
Als sie fast eingeschlafen war, sprang Ieuan plötzlich auf. Er träumte von seinem Bruder und wie sie seinen ersten Pfeil und Bogen in den Haselnusssträuchern hinter den Birken versteckten, damit Vater sie nicht findet. Er sagte immer, dass es zu gefährlich sei und verbot ihnen, damit zu spielen. Siobhan erschrak, als Ieuan damit vor ihren Augen herumfuchtelte. „Ist das zu glauben? Nach so vielen Jahren und sie sehen aus wie am Tag, als wir sie versteckten.“ „Ich verstehe nicht“, gähnte Siobhan. „Mein Bruder Lennon und ich taten sie hier hin. Er meinte, eines Tages würde
dieser Pfeil und dieser Bogen mein Leben retten.“ Neugierig betrachtete Siobhan das Stück Holz des Pfeils. Die Spitze war ungewöhnlich. „Was ist das für ein Material? Ich kenne es, aber das kann nicht sein“, wunderte sich Siobhan. „Wir fanden sie im Wald, nicht weit von den Mooren.“ „Nie wurden Waffen in Kivale gefertigt. Doch diese Spitze ist aus Malera. Kein Mensch könnte das formen“, beängstigt war ihr Blick. „Kein Mensch. Aber Trotan!“ „Bevor mein Vater ihn verbannte, trieb er hier schon sein Unwesen“, erkannte
sie.
„Was bedeutet das?“ „Wie weit ist es zu den Mooren?“ „Nicht weit. Da drüben, siehst du? Hinter dem Waldstück liegen sie.“ „Das ist sein Gebiet. Von Anfang an. Wir sollten nicht länger hier verweilen.“ Siobhan sprang auf und forderte mit drängendem Blick Ieuan auf, gleiches zu tun. „Dann lass uns zum Haus gehen“, entschied Ieuan. In den Sträuchern raschelte es, dann wurde es totenstill. Ieuan hielt Pfeil und Bogen fest in der Hand. Sein Atem war ruhig und langsam. Siobhan dagegen erstarrte, als sie in Trotans Gesicht
blickte. „Wen haben wir denn hier?“, grunzte die finstere Gestalt. „Kein Leben mehr wirst du nehmen! Mein Sohn wird dich lehren. Er wird dich zurück verbannen. Diesmal für immer“, behauptete Siobhan kühn. „Dein Sohn wird schon bald nur noch Erinnerung sein, so wie dein Vater“, spuckte Trotan. In seiner Rage bemerkte er nicht, wie Ieuan den Pfeil an den Bogen legte und ihn zum Schuss bereit hielt. Ein Bruchteil nur eines Augenblicks, da Ieuan Pfeil und Bogen empor hob und zielte. Erst kicherte Trotan, erhaben darüber,
was ihm so ein Pfeil schon anhaben könnte. Doch als die tödliche Spitze ihn traf, war er erst verblüfft und sackte dann in sich zusammen. Mit letzter Kraft streckte er seinen Arm nach Siobhan aus und verfiel dann zu Staub. Ein Meer tanzender Gedanken schwebte nun über den Köpfen der Menschen in ganz Clar Cloinne Mhuiris und in den Ebenen. Reinigend fegten sie über die Wiesen und zerstreuten die Asche in alle vier Himmelsrichtungen. „Manchmal gibt es nur einen Weg, scheint er auch grausam“, ertönte die Stimme des Königs. Entspannt lehnte er sich in seinen Thron
und schickte seine schönsten Gedanken aus, Siobhan und Ieuan alles vergessen zu lassen. Unbekümmert sollte ihr Leben von nun an sein. Zu Hause angekommen, überkam die beiden eine starke Müdigkeit, die sie beinah zwang, sich sogleich ins Bett zu legen. Arm in Arm lagen sie da und schliefen sich ins Reich der Träume. Zufrieden schlummerten sie unter dem Himmelreich Kivale. „Du wirst dich an mich erinnern, an mich als deinen Sohn. Mehr nicht.“
shirley Oh, ich bin schon so lang nicht mehr aktiv hier. Durchlebe gerade eine schwere Zeit. Umso mehr danke ich dir für die Zeit. Mein PC spinnt auch gerade. so macht das Arbeiten daran keinen Spaß. Ich muss erst was neues haben. Bin noch unsicher, ob es ein neuer PC oder ein Laptop wird. LG Shirley |
shirley Danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Und mal 'reinlesen' reicht mir ja schon. Die meisten sind von den vielen Seiten abgeschreckt. Totaler Quatsch....im Vergleich zu üblicher Romanlänge ist meines noch zart dünn. Und man kann ja einfach nur mal rumblättern. Das mach ich auch so, hier und auch wenn ich im Buchladen stöbere. Danke nochmal.... Shirley |