Cassie schwamm los und versuchte, sich nur auf ihren Körper und die regelmäßige Atmung zu konzentrieren. Nachdem sie fürs Erste ausreichend gepowert hatte, ließ sie sich auf dem Rücken treiben und dachte nach. Was hatte sie denn jetzt bloß angestellt? Statt hier so schnell wie möglich fort zu kommen, hatte sie sich jetzt für unbestimmte Zeit an Ray Lornton gebunden. Gut, ohne festen Vertrag würde sie schnell gehen können, wenn sie wollte – oder musste. Aber warum freute sie sich so auf die Zusammenarbeit? Die Antwort lag nahe: Weil er ein ungemein sympathischer Mann war, dazu noch sehr gut aussehend...
Erschrocken begann sie Wasser zu treten. Oh nein, sie war im Begriff, sich in diesen Mann zu verlieben! Genervt tauchte Cassie einmal komplett unter. Er war sicher nicht das Richtige für sie, dafür war ihre Herkunft zu verschieden. Und außerdem wusste sie ja nicht, wie er zu ihr stand. Vielleicht trieb ihn ja auch nur ein übertriebener Gerechtigkeitssinn dazu, ihr dieses Angebot zu machen. Vielleicht aber hatten seine Blicke auch noch etwas anderes zu bedeuten...
Sie kraulte nun wieder Richtung Strand. Jetzt war es eh zu spät, sie stand ihm im Wort. Zwei Stunden später machte Cassie sich dann auf den Weg ins ‚Sunset’, diesmal im leichten Businessoutfit, einer dünnen schwarzen Hose und einer dazu passenden weißen Bluse; mehr konnte man bei diesen Temperaturen fast nicht tragen.
Aus seinem Büro über der Terrasse sah Ray sie über die Senke kommen und wunderte sich, dass sein Herz bei ihrem Anblick einen kleinen Hüpfer machte. Wie am Morgen bereits Cassie traf ihn die Erkenntnis wie einen Schlag, dass er auf dem besten Weg war, sich in sie zu verlieben. Oder war es sogar schon zu spät?
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Unwillig schüttelte er diesen Gedankengang ab. Cassie war eine tolle Frau, aber sicher nicht geneigt, sich mit einem Mann wie ihm einzulassen, wenn sie so schlechte Erfahrungen in Boston gemacht hatte. Und gar nicht aus zu malen, was sein Familie sagen würde – auch wenn er es inzwischen gewohnt war, sich über deren Meinung hinweg zu setzen. Aber zuerst mal war das Geschäftliche angesagt, alles weitere musste warten, bis er in Ruhe darüber nachdenken konnte.
Cassie grüßte einige der Leute, die sie kannte und kam dann in Rays Büro. Sie hatte beschlossen, jegliche romantische Anwandlung zu unterdrücken. Das war einfach nicht der richtige Mann und nicht der richtige Zeitpunkt, um eine Liebelei zu beginnen!
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So begann diese Zusammenarbeit heute höchst professionell, da beide sich Mühe gaben, alles ganz neutral zu handhaben. Mit der Zeit aber setzte sich zumindest die Sympathie durch, die beide füreinander empfanden und der eine oder andere Scherz kam über ihre Lippen.
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Ray staunte über die Fallstricke, über die Cassie ihn vorsichtshalber aufklärte und sie freute sich im Gegenzug über seine rasche Auffassungsgabe. Gegen Mittag war Ray in der Theorie schon wieder um ein paar hundert Dollar reicher, denn Cassie hatte ein effektiveres Lagerhaltungssystem vorgeschlagen.
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Gemeinsam gingen sie in die Küche und Ray trommelte seine Leute zusammen. Denen erklärte er in kurzen Worten, dass Miss Zanzini für die nächste Zeit sozusagen seine Assistentin sein würde, weil sie sich dankenswerter Weise dazu bereit erklärt hatte, ihm zu helfen. Das wurde allgemein sehr positiv aufgenommen.
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Cassie ihrerseits bedankte sich für die Einführung und sagte dann: „Ich möchte vor allem auch offiziell klarstellen, dass Mr. Lornton in keiner Weise für mein Scheitern drüben verantwortlich ist. Das war ganz allein Mr. Crunner.“
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Einige zornige Ausdrücke fielen, doch sie bewegte beschwichtigend die Hände. „Wir können es nicht ändern, der ist weg. Aber ich finde, dass das 'Sunset' hier ein toller Laden ist, mit tollen Mitarbeitern und einem tollen Chef, und das es auf jeden Fall verdient hat, ein Erfolg zu werden. Deswegen geben ich Mr. Lornton gerne etwas von meiner Erfahrung ab, bis es Zeit für mich ist, weiter zu ziehen.“
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Diese Worte freuten Ray und hinterließen gleichzeitig ein seltsames Gefühl. Aber so war es wohl, sie war vielleicht gar nicht dazu geschaffen, lange sesshaft zu werden. Wer weiß, ob sie ihrem 'Sandcastle' überhaupt lange treu geblieben wäre? Leider hatte sie keine Gelegenheit, wie es schien, das auszutesten.
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Einer der Köche meldete sich zu Wort und bat um Hilfe. Seiner Meinung nach gab es Probleme mit dem Service, der wiederum genau gegenteiliger Meinung war. Ray und Cassie sahen sich an, doch Cassie sagte nichts. Darauf hin sagte Ray: „Meiner Meinung nach gibt sich hier auf jeden Fall jeder Mühe. Das Problem wird irgendwo in der Mitte liegen. Es wäre mir nur wichtig, wenn Sie darüber nicht in Streit geraten! Ich denke, da wir im Moment zu zweit sind, werden wir es so machen: Miss Zanzini wird die Küche im Auge behalten und ich den Service, dann tauschen wir und bereden es dann. Okay?!“
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Alle nickten, auch Cassie mit einem regelrecht stolzen Strahlen im Gesicht. Als Beide zur Seite traten, legte sie die Hand auf seinen Arm. „Toll, ich hätte auch keine bessere Idee gehabt!“ Das Lob freute ihn, doch er sah, dass sie noch etwas auf dem Herzen hatte.
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„Danke, sehr nett. Uuund..?“
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„Was und?“
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„Sie wollen doch noch etwas sagen. Raus damit!“
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„Na gut. Die Idee ist prima. Aber wissen Sie auch, worauf Sie genau zu achten haben?“
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Ray musste lachen. „Gut, dass Sie fragen. Ich habe zwar so meine Ideen, aber ob die stimmen...“
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„Erzählen Sie doch mal!“
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Sie verständigten sich in Kürze, worauf sie schauen wollten, dann trennten sie sich. Ray blieb in der Küche und Cassie beobachtete die Servicekräfte, nach einer Stunde wechselten sie sich ab. Cassie bat um einen Teller Suppe, den sie halb im Stehen aß, ganz in Gedanken. Hier gab es tatsächlich noch einiges an Schulungsbedarf, die Serviceleute firmierten unter 'grob, aber herzlich', in der Küche wurde noch viel improvisiert oder so gekocht wie zuhause. Sie war gespannt, ob Ray ähnliches auffiel wie ihr.
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Am Nachmittag trafen sie sich wieder im Büro und übten Manöverkritik. Ray hatte erstaunlich gut mitbekommen, wo die Probleme lagen. Wie hatte er bloß jemanden wie Crunner einstellen können, wo er doch wirklich so eine gute Menschenkenntnis hatte? Irgendwann sagte sie das sogar zu ihm und er zuckte die Achseln.
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„Ja, ich kann es auch noch immer nicht fassen. Das Schlimmste dabei ist, dass ich ihn sogar auf Empfehlung eingestellt habe. Die kam von einen alten Schulfreund meines Vaters. Ich weiß gar nicht, was ich dem sagen soll...“
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Sie zuckte die Achseln. „Solange er nicht fragt... Sie müssen mit ihren Entscheidungen leben, was die Familie dazu sagt, ist, wie soll ich sagen, wichtig, aber nicht immer ausschlaggebend.“
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Jetzt war er überrascht. „Das sagen Sie, die aus der Tradition einer Zirkusfamilie kommt? Ich dachte, da ist der Zusammenhalt noch viel enger?!“
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„Erdrückend, um genau zu sein! Alle erwarten, dass man bedingungslos mitmacht. Aber das ist nicht für jeden was. Ich wäre beinahe daran kaputt gegangen! Ich habe es nicht geschafft, mich den Forderungen meiner Familie sklavisch unter zu ordnen...“
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„Dann haben wir schon wieder etwas gemeinsam! Mein Restaurant hier stößt zuhause auch nicht gerade auf Begeisterung.“
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„Ja, die Familie... Es geht nicht mit und nicht ohne, was? Ich meine, wenn Not am Mann ist, dann sind wir ja doch wieder da, oder?“ Ray nickte, genau so war es ihm ja erst vor kurzem gegangen. Obwohl sich der Notfall im Nachhinein als nicht so gravierend heraus stellte.
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Cassie hielt es für besser, für heute Schluss zu machen. „Wenn das alles für heute ist, würde ich gerne gehen.“
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Ray wirkte enttäuscht. „Aber was machen wir mit unserem Küchen-/Service-Problem?“, hakte er nach, doch sie winkte ab.
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„Das kriegen Sie heute Abend eh nicht ausgemerzt. Da müssen wir morgen ran, wenn nicht so viel Betrieb ist.“ Sie hatte wir gesagt, das reichte ihm.
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„Gut, darauf freue ich mich schon. Und vielen Dank!“, sagte er, doch sie winkte ab.
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„Nich dafür! Bis Morgen!“