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Der nächste Tag war ein Samstag und traditionell der Tag mit den meisten Ausflüglern, dicht gefolgt vom Sonntag. Es gab also viel zu tun und Ray musste feststellen, dass er einfach Vieles nicht wusste, seine Angestellten aber nicht ganz so selbständig arbeiteten, wie er es sich gewünscht hätte. Manches lief noch recht chaotisch ab und er konnte froh sein, dass das Wetter so schön war, dass die Gäste manches verziehen.
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Cassie sah er den ganzen Tag nicht und spürte ein leises Bedauern darüber. Aber letztendlich war sie ein freier Mensch. Und dann gab es bis spät in die Nacht so viel zu tun, dass er gar nicht mehr zum Nachdenken kam. Er überwachte auch noch das Putzen der Küche und er spürte, auch wenn er selber nicht mit anfasste, das Personal goutierte seine Anwesenheit auf jeden Fall.
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Zum Schluss kontrollierte er noch die Vorräte für morgen und hockte sich vor ein Regal, als er plötzlich hörte, was zwei Stimmen in der Nähe sagten: „Na, der Boss scheint ja doch nicht so ein Arsch zu sein, wie wir gedacht haben!“
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„Sht! Wenn er dich hört!“
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„Keine Sorge, hab grade in die Kammer rein geguckt. Außerdem ist es doch ein Lob für ihn! Nachdem er diesen Mistkerl eingestellt hatte...“
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„Gott, sei bloß ruhig! Wie ich den hasse!! Wenn ich nicht auf diesen Job angewiesen wäre... Aber er hat sich ja als ganz ok entpuppt.“
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„Miss Zanzini war sogar gestern hier in seinem Büro.“
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„Ja, hab ich auch gehört.“ Der Mann kicherte kurz. „Ob er ihr einen Kredit gegeben hat, damit sie abhaut? Oder als Entschuldigung? Nötig hätte sie es ja...“
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Er wollte es ja eigentlich nicht, aber wie gefesselt musste er zuhören: „Du meinst, wegen Philipp? Weil sie ihm das Geld für die Operation gegeben hat?“
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„Na klar, was denn sonst? Ohne das hätte sie ja vielleicht sogar länger durch gehalten!“
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„Ist schon schade um so eine tolle Frau. Aber sie kann ja wieder zu ihrer Familie zurück.“
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„Ja, zum Glück! Wir haben schon geplant, alles zusammen zu legen, damit Philipp ihr das Geld eher zurück geben kann. Bist du dabei?“
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„Logo, Mann! Aber es wird wohl trotzdem noch ein wenig dauern...“
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Die beiden Männer zogen jetzt weiter und Ray konnte sich aus seiner unbequemen Haltung aufrichten. Innerlich stöhnte er. DAS also war der Grund, warum Cassie so schnell am Ende gewesen war! Und gleichzeitig etwas, was sie ihm, dem Fremden, gestern Abend nicht hatte anvertrauen wollen... Warum nur nicht? Jeder gab doch normalerweise gerne mit seinen guten Taten an, bei ihm zu Hause war es für einige Verwandte der einzige Lebenszweck. Nachdenklich ging Ray in sein Zimmer.
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Es war aber auch in der Nacht ziemlich warm und vor lauter Grübeln fiel er nur in einen unruhigen Schlaf. Schließlich sprang er wieder aus dem Bett, es dämmerte gerade, und beschloss, eine Runde Schwimmen zu gehen. Wozu hatte er denn sonst das Meer vor der Nase? Rasch zog er seine Badehose an, warf sich ein Handtuch über die Schulter und marschierte zum Strand, der unterhalb seiner Terrasse lag.
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Das war der Unterschied zwischen den beiden Lokalen: Seines lag etwas oberhalb auf einem Felsen mit einem traumhaften Blick auf Strand und Meer sowie die Sonnenuntergänge. Cassies lag fast direkt am Meer, war damit eher für das Tagesgeschäft geeignet und rustikaler angelegt. Bei ihm dagegen sollte zwar nicht gerade die High Society antanzen, aber doch eher Publikum, das den Sand lieber sah als fühlte. Deswegen wäre die Konkurrenz in seinen Augen gar kein Problem gewesen!
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Wieder musste er an das denken, was er in der Nacht erfahren hatte. Gerne würde er ihr anbieten, ihr das Geld zurück zu zahlen, aber er war sich so gut wie sicher, dass sie es nicht nehmen würde. Inzwischen war er am Ufer angekommen, warf sein Handtuch in den Sand und trat in die leise anrauschenden Wellen.
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Das Wasser war so früh am Morgen noch etwas kühl, kühler als Ray erwartet hatte, aber er biss die Zähne zusammen und ging zügig weiter. Nach ein paar Schritten sprang er der Länge nach in die Fluten und kraulte ein Stück, im Nu hatte er sich an die Temperaturen gewöhnt.
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Ein paar Meter weiter betrat Cassie die Plattform ihres Wohnwagens und schritt gähnend die Stufen herab. Zeit für das morgendliche Training, auch wenn oder grade weil sie sich im Moment ein wenig niedergeschlagen fühlte.
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Irritiert schaute sie auf das einsame Handtuch im Sand und runzelte die Stirn. Das war bisher das Schöne hier gewesen, dass sonst niemand so früh am Tag zum Schwimmen her kam und sie ganz allein ihre Runden drehen konnte. Dann sah Cassie in der Ferne eine Bewegung, der unbekannte Schwimmer kam zurück zum Strand.
Mit kraftvollen Stößen katapultierte er sich vorwärts und dann erkannte Cassie plötzlich an seinem blonden Haarschopf, dass es sich um Mr. Lornton handelte, oder Ray, wie sie sich verbesserte. Sie kam nicht umhin, seinen Stil zu bewundern, mehr aber noch seinen muskulösen Körper, als er aus der Brandung stieg und sich das Wasser aus den Augen strich. Die Wassertropfen perlten glitzernd über den ausgeprägten Sixpack an seinem Bauch und liefen runter weiter Richtung Badehose, wo....
„Cassie!“, wurde sie abrupt aus ihren seltsam sündigen Gedanken aufgeschreckt. „Guten Morgen“, fuhr Ray nun fröhlich fort, „oder haben Sie auch nicht schlafen können?“
Sein Blick checkte nun seinerseits ihren Körper ab, nun gut, den hatte er frei! Was er sah, schien auch ihm zu gefallen...
'Ich muss ins Wasser, ins kalte', dachte Cassie und machte sich auf den Weg. Doch der führte erst mal an ihm vorbei.
„Nein, ich bin eigentlich fast jeden Morgen hier“, gab sie mager Auskunft, noch immer leicht verwirrt von den Gefühlen, die sie bei seinem Anblick überfallen hatten. Als sie auf seiner Höhe war, berührte Ray sie am Arm und hielt sie auf.
„Cassie, ich wollte nur fragen, ob alles in Ordnung ist? Oder ob ich irgendwas falsch gemacht habe? Weil ich Sie gestern gar nicht gesehen habe...“ Er hielt inne, wohl selber verwirrt darüber, dass seine Worte nicht wirklich Sinn machten. Schließlich hatten sie keinerlei Vereinbarung getroffen, dass Cassie täglich zu ihm kommen sollte. Hilflos hob er die Schultern und verstummte, merkte dabei gar nicht, dass er sie immer noch sanft festhielt. Ihre Augen blickten ihn ebenfalls verwirrt an, sehr hübsche hellbraune Augen, die in leichtem Kontrast zu ihren blonden Haaren standen...
„Ähem“, machte Cassie nun und wie ertappt ließ er sie los. Doch sie machte keine Anstalten, sich weiter von ihm zu entfernen oder gar zu flüchten. Warum freute ihn das bloß so sehr? „Nun ja, ich nahm an, Sie kommen jetzt mit Ihrem Laden alleine klar. Außerdem wollte ich mich nicht aufdrängen. Und irgendwann in naher Zukunft muss ich ja eh weiter ziehen...“
Nein, schoss es Ray durch den Kopf. Das war zu früh, jetzt, wo er vor sich selber grade anfing zuzugeben, dass er sich für sie interessierte. Wenn es also nur eine Möglichkeit gab, sie hier zu behalten...
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Er blinzelte und schüttelte den Kopf. Ein paar Wassertropfen trafen Cassie dabei im Gesicht und sie wischte sie lachend fort. Erleichtert lachte er zurück, dann sagte er: „Also so ganz komme ich mit dem Ganzen noch nicht klar.“ Das war ja eigentlich nicht einmal gelogen.
„Ich wollte mich nach meiner Rückkehr langsam rein arbeiten.“
„Darf ich etwas fragen?“, kam von ihr und er nickte.
„Warum waren Sie überhaupt weg? Nicht böse sein, aber grade die Anfangszeit ist bei einer Eröffnung sehr wichtig....“ Den leisen, aber sehr freundlich angebrachten Tadel hatte er verdient.
„Glauben Sie mir, das war mir klar! Aber es war eine sehr dringende Familienangelegenheit, die mich fort rief. Am Anfang habe ich mich auch verweigert, aber dann ... ging es halt doch nicht anders. Manchen Verpflichtungen entkommt man eben nicht“, schloss er und sah sie zustimmend nicken.
Was Familie anging, wusste gerade sie sicher Bescheid. „Jedenfalls bin ich jetzt etwas plötzlich in dieser Situation und ich merke, dass mir ein paar Routinen noch fehlen. Da hatte ich gehofft, dass Sie...“
In Ihrem Gesicht sah er plötzlich eine gespannte Erwartung, oder bildete er sich das nur ein? „..also, es wäre toll, wenn Sie mich noch ein wenig unterstützen könnten. Natürlich gegen Bezahlung!“, fügte er noch hastig hinzu.
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Jetzt lachte Cassie schallend und brach damit die seltsame Atmosphäre auf. „Ja, ich denke, ich kann es mir leider nicht leisten, auf Dauer umsonst für Sie zu arbeiten“, feixte sie und er lachte mit. „Aber, Ray, Sie brauchen mich nicht fest anzustellen. Sehen Sie mich als freie Mitarbeiterin, okay?“
Sie machte einen Schritt ins tiefere Wasser, drehte sich dann noch einmal um: „Und so ein pfiffiger junger Mann wie Sie hat das sowieso in Kürze drauf!“ Danach wandte sie sich endgültig dem Wasser zu und
sprang hinein. Ray sah ihr nach und ließ sich dann in den Ufersaum sinken. Irgendwie hatte er eine Abkühlung nötig!
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Noch ein paar Minuten sah er ihr zu, sie war eine ebenso gute Schwimmerin wie er. Doch bevor er sich wie ein Spanner fühlte, räumte er lieber das Feld oder besser den Strand. Auf jeden Fall hatte er gute Laune. Sie würde noch eine Zeit lang hier bleiben! Vielleicht ergab sich ja dann auch eine Gelegenheit, alles wieder gut zu machen....