Konkurrenz belebt das Geschäft, das ist Rays Motto. Sein verbrecherischer Geschäftsführer war da wohl anderer Meinung! Also muss Ray nun bei der jungen Frau, die sich selber als Zirkusprinzesssin bezeichnet,zu Kreuze kriechen. Kann er vielleicht auch wieder gut machen, was ihr angetan wurde? Oder hatte sie eigentlich von vornherein nie die Absicht, seßhaft zu werden?!
„Nein nein, keine Sorge“, sagte sie dann, „obwohl ich denke, dass Sie vielleicht sogar fit genug dafür sind.“
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„Danke“, meinte Ray ebenfalls grinsend, „vielleicht komme ich ja doch mal darauf zurück.“
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Plötzlich wurde sie ernst. „Nein, das glaube ich eher nicht. Auch noch so elegante Pferde können nicht fliegen und Leute aus dem New-England-Adel machen keine Kunststücke.“ Auf sein Stirnrunzeln hin fügte sie hinzu: „Ist nicht böse gemeint. Aber ich habe da so meine Erfahrungen.“ Ach so, sie spielte anscheinend auf seine Herkunft an. Aber in die Schublade wollte er sich nicht stecken lassen.
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„Sie scheinen da ganz genaue Meinungen zu haben, Cassie. Aber sind das nicht nur Klischees? Und steht nicht ihre Herkunft eher für Toleranz?“
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„Määäp! Auch ein Klischee! Nein, ich will Ihnen da wirklich nicht zu nahe treten. Doch ich habe schließlich jede Menge Leute aus diesen Kreisen kennen gelernt. Und die konnten es gar nicht verstehen, dass ich mir zu meinem Studium etwas dazu verdienen musste, als Kellnerin. Mehr als einmal habe ich einen meiner Kommilitonen bedienen müssen, was ja an sich nichts Schlimmes ist. Meistens aber konnten die mit der Situation gar nicht umgehen und, schlimmer noch, hinterher sahen sie mich plötzlich mit anderen Augen. Na, zum Glück waren nicht alle so, aber für die Mehrheit war ich nicht tragbar.“
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Betroffen sah Ray sie na. „Das tut mir leid.“
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„Ist schon okay, ich kam damit klar. Und sie waren es ja nicht.“
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Ja, aber musste vor sich selber zugeben, dass er nicht wusste, wie er reagiert hätte. Und es gab genügend Leute in seiner Familie und seinem Bekanntenkreis, die seine Entscheidung, ein Restaurant aufzumachen und sogar größtenteils selber zu leiten nicht gut fanden.
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Sein Anzug war doch leicht nass geworden und er zog die Jacke aus, doch auch das Hemd war feucht. Cassie kam nicht umhin, die sich auf dem Bauch abzeichnenden Muskel zu bemerken. Vielleicht konnte er ja doch einen Kopfstand lernen...
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Mit einem unwilligen Kopfschütten brachte sie sich wieder auf Kurs. „Also brauchen Sie Hilfe im Büro?“, fragte sie lieber, um die Szene zu entzaubern.
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Jetzt musste er Farbe bekennen. „Also, ich gebe zu, ich bin noch nicht so lange in diesem Zweig tätig. Ich wollte mich von meinem Geschäftsführer am Anfang unterstützen lassen und mich langsam rein arbeiten. Jetzt bin ich halt mit einem Knall im kalten Wasser gelandet... Ich meine, ich werde mich schon zurecht finden, aber etwas Hilfe wäre nicht schlecht!“
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Cassie guckte nun verschmitzt. „Und Sie vertrauen mir genug, um mich an Ihre Bücher zu lassen?“
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Entsetzt schaute er sich an. „Cassie! Also wirklich, ja, ich komme auch aus New England, aber-“
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Sie schien erst jetzt zu verstehen. „Oh nein, mit keiner Silbe wollte ich andeuten... Nein, mir ging es darum, dass ich ja eigentlich Ihre Konkurrentin bin. War.“
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„Ah, ja dann. Na ja, Sie haben die Teller heil gelassen, da mache ich mir um das Weitere keine Sorgen.“ Ihr herzliches Lachen tat ihm gut. Sie folgte ihm nun in sein Büro, wo er ihr ganz offen die Posten zeigte, mit denen er noch Probleme hatte.
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Ein bisschen BWL hatte er sich ja schon angeeignet, aber das hier war alles etwas plötzlich gekommen. Ray wollte wissen, ob Crunner noch einen größeren Schaden angerichtet hatte. Die fröhliche Art Cassies schien auf einmal wie weg geblasen und sie beugte sich mit gespannter Miene über die Aufzeichnungen.
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Fehlte eigentlich nur noch, dass sie sich eine Lesebrille aufgesetzt hätte, aber dafür war sie dann wohl doch noch zu jung. Wie alt war sie eigentlich? Ray schätzte sie auf noch unter 30, welche er gerade in diesem Jahr erreicht hatte. Schließlich hob sie den Kopf und sah ihn an.
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So recht wusste sie selber ja nicht, warum sie das für ihn tat. Vielleicht weil ihr eigener Traum in Trümmern lag, der Mann vor ihr aber ungemein sympathisch war und nicht genau so scheitern sollte wie sie selbst. „Sie haben Glück“, bescheinigte sie ihm nun, „Crunner hat die Bücher weitgehend korrekt geführt und die Buchhaltung ist in Ordnung.“
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„Weitgehend?“, nahm er das Stichwort auf, das sie ihm hingeworfen hatte. „Wie darf ich das denn verstehen?“
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„Dass er einfach nicht genug Zeit hatte. Aber ein paar Grundlagen hatte er schon geschaffen“, meinte sie und zeigte ihm die Punkte in der Buchhaltung, an denen er sich die Möglichkeiten für spätere Abzweigungen geschaffen hatte. „Früher oder Später hätte er Sie richtig betrogen! Und das sage ich nicht nur, weil ich eine Rechnung mit ihm offen habe!“
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Ray zog die Unterlagen noch einmal zu sich. Die Posten, um die es ging, schienen für sich genommen harmlos, aber dank Cassies Erläuterung hatte er schnell kapiert, wo der Trick dahinter war. In ein paar Monaten hätte Crunner von ihnen aus Geld abzweigen können und es wäre vorerst mit Sicherheit unbemerkt geblieben.
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„Na ja, wundern tut es mich eher nicht“, murmelte er, „das erklärt wohl auch, warum Crunner so dahinter war, mögliche Konkurrenz durch Sie aus zu schalten. Ich bezweifle auch, dass das sein richtiger Name war.“
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Sie zuckte die Schultern. „Das halte ich durchaus für möglich. Aber es waren wie gesagt nur Planungen, nichts, wofür Sie ihn hopps nehmen lassen könnten.“
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„Oh, er hat aber die Kasse geplündert. Das reicht zumindest für eine Strafanzeige. Und wer weiß, was er ansonsten noch auf dem Kerbholz hat.“
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Inzwischen war es Nachmittag geworden und Cassie reckte sich einmal und streckte sich. Ray genoss diesen Anblick heimlich sehr, laut fragte er, ob sie nicht etwas essen wollten und sie willigte ein. Beide gingen ins Restaurant, das am Nachmittag nicht allzu dicht besetzt war und suchten sich einen Platz auf der Terrasse.
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Die Kellnerin kam und strahlte sie an. Nein, stellte Ray fest, sie strahlte in erste Linie Miss Zanzini an. Die grüßte die ältere Frau auch sehr herzlich, worauf diese sagte: „Oh Miss Zanzini, es tut uns ja allen so leid, dass Sie aufgeben müssen!“
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„Mary, das ist schon in Ordnung, ich habe Pech gehabt. Und Ihr wisst ja auch alle schon, dass euer Boss dafür nicht verantwortlich ist.“
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„Ja, das freut uns ja alle so sehr zu hören, denn ansonsten... Jedenfalls danke, dass Sie sich für meinen Sohn eingesetzt haben.“
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Ray sah sie aufmerksam an. „Dann ist John ihr Sohn? Den habe ich heute Vormittag eingestellt, stimmt.“
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Mary schien sich zu freuen, dass er die richtigen Zusammenhänge fand, aber gleichzeitig wurde ihm mulmig zumute. Lag es an einer übersteigerten Ehrempfindung der Leute hier oder an Cassies Charisma? Jedenfalls war er froh, nicht ihr Feind zu sein, denn dann würde er wahrscheinlich ruckzuck ohne Personal da stehen....
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Die Bestellung war rasch erledigt und Cassie lehnte sich mit einem Aufatmen zurück. „Das ist wirklich ein fantastischer Blick, den Sie hier haben.“ Schon wieder packte ihn das schlechte Gewissen, aber er sagte nichts. Statt dessen entschloss er sich, die Situation, nämlich mit einer sehr hübschen, netten und intelligenten jungen Frau zusammen zu sitzen und zu plaudern. Mit Harvard hatten sie ein ideales Thema gefunden.
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Als der Kaffee kam, lehnte Cassie sich behaglich zurück und schloss die Augen, während die Sonnenstrahlen sie wärmten. Plötzlich stand Mary wieder neben ihnen, sie klang auf einmal sehr nervös.
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Hastig schilderte sie ihr Problem und Cassie, ganz in Gedanken, antwortete ganz automatisch, bis ihr plötzlich siedend heiß einfiel, dass das hier ja gar nicht IHR Restaurant und ihre Leute waren. Erschrocken schnellte sie nach vorne und hielt sich den Mund zu, suchte um Verzeihung heischend den Blick des eigentlichen Besitzers. Der hatte ein amüsiertes Zwinkern in den Augen, als er zu Mary sagte: „Na, da haben Sie ihre Lösung. Bitte machen Sie es so, danke!“
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Nachdem Mary gegangen war, begann Cassie sich hastig zu entschuldigen. „Oh Gott, das ist mir ja total peinlich! Tut mir so leid, ich wollte Sie hier nicht untergraben oder sonst was, ach herrje...“
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Ray winkte ab und meinte: „Keine Panik Cassie, in Wirklichkeit haben Sie mich mal wieder gerettet. Bitte machen Sie sich keine Sorgen!“
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Aber sie sah sich nervös und hektisch um, wirkte wie jemand, der gerade im Zug eingeschlafen war und sich nun orientieren musste, wo er war. „Trotzdem, ich.... Ich muss jetzt gehen. Vielen Dank für das Essen! Guten Abend!“
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„Nein, ich danke Ihnen, Cassie...“
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Schon war sie aufgesprungen und lief gehetzt zu ihrem Wohnwagen. Unterwegs fühlte sie noch immer die Schamesröte in Ihrem Gesicht brennen. Für einen Moment hatte sie vergessen, dass sie ja grandios gescheitert war. Dass es ja nun mal nicht ihr Betrieb war und dass es ihren eigenen nie geben würde.
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Es war zwar nicht das Ende der Welt, aber schon bitter, denn sie hatte sich ein Standbein außerhalb der unsicheren Welt des Zirkus' aufbauen wollen. Und sie wollte einfach nicht den wahren Grund bereuen, warum ihr Crunners Sabotage so das Genick gebrochen hatte...
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Ray sah ihr hilflos nach. So schlimm hatte er das gar nicht empfunden, aber bei ihr hatte es anscheinend etwas ausgelöst, das sie so schnell nach Hause getrieben hatte. Als Mary zum Abräumen kam, schaute sie etwas überrascht und er fühlte sich gemüssigt zu sagen: „Ja, Miss Zanzini hatte anscheinend genug für heute. Wahrscheinlich braucht sie nur ein wenig Ruhe.“
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Mary sah ihn plötzlich durchdringend an. „Miss Zanzini ist ein Engel. Und Mr. Crunner täte gut daran, sich nie wieder hier sehen zu lassen. Wir könnten sonst für nichts garantieren. Und Sie, Mr. Lornton, sollten sich überlegen, ob sie es sich leisten können, eine solche Frau ziehen zu lassen.“
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Verwirrt sah Ray nun seiner Kellnerin nach. Er kam gar nicht auf die Idee, sich über diese kleine Unbotmäßigkeit dem Chef gegenüber zu beschweren. Hier hatte eine ältere, lebenskluge Frau gesprochen. Nur, was genau hatte sie gemeint? Dass er doch noch sehr viel Hilfe bei der Leitung des Restaurants brauchte? Oder vielleicht...
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Seufzend winkte er einem der Kellner, um sich einen Drink zu bestellen. Zu seiner eigenen Ãœberraschung war es ein Aquavit.
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