Knospen an der Trave
Ein Blick mit gerecktem Hals aus meinem Bett durchs Fenster zum Himmel. Alles grau in grau: Ihr Wetterfrösche von wetter.info könnt mich mal … Ihr steht für mich heute Morgen genauso im Zwielicht wie Euer damaliger Chef, wie hieß er noch … Irgendwas mit Fliesen oder so …? Ich drehte mich trotzig noch einmal auf die linke Seite, starrte gegen die ockergelbe Sonnenwand des Schlafzimmers, und plötzlich war es acht Uhr dreißig. Aufstehen. Morgentoilette in Katzenwäsche, dann ab in den Garten. Das Thermometer zeigte vier Grad Plus am 12. März 2012 um neun Uhr. Nun ja, so sagte ich mir jetzt, gut, dass die Wetterfrösche sich geirrt haben, so macht das Wildkrautjäten ohne Schweiß viel Spaß. Der Wind wehte leicht und kühl aus dem Osten. Das Hacken ging mir gut von der Hand. Erste Löwenzahnblätter und andere wilde Gefährten hatten unter meinem Fleiß um ihr Dasein zu Recht zu fürchten … und auch so mancher Regenwurm teilte sich durch mein Zutun. Binnen einer guten Stunde war ich rund ums Haus und mit dieser ersten Frühjahrsaufgabe in diesem Jahr durch. Wie hätte ich erst geschwitzt, hätte die Wetterprognose gestimmt. Die beiden Drosselpärchen, die sich in unserer Efeuhecke am Haus bereits seit einigen Tagen auf die Eier, zwei in jedem Nest, legten, sie dankten mir mit fleißigem Picken in die von mir frisch aufgewühlte Erde.
Was sollte ich meckern? Kaum hatte ich Hacke, Besen und Eimer gereinigt, verflog der Dunst vom Himmel und Klara lachte in ihrem vollen Sonnengelb herab. So, so, so, dachte ich mir, die Wetterfrösche hatten deine Gartenarbeit mit in die Berechnungen aufgenommen. Fein, fein, fein. Ja. Richtig feine Leute sind das. Also, du mein Drahtesel, du kommst heute doch noch aus dem Stall und auf Deine erste Frühlingstour zur Trave. Es sollte ein kurzer Ausflug auf eine der „Alten Salzstraßen“ werden, die von Lübeck aus direkt an der Trave entlang bis nach Lüneburg führt. Immerhin runde 100 Kilometer. Ha, ha, ha. Nein, nicht alles heute. Heute nur so eine bisschen vornean. So bis zur Schleuse Krummesse. Das sind so ungefähr Kilometer … das schreibe ich lieber nicht. So denkt Ihr noch, dass ich nicht einmal zum Fahrradfahren „tauge“. Mein Achtersteven würde, so untrainiert wie er durch die lange Winterpause abgeschlafft war, es mir danken, wenn ich es bei Krummesse beließe. Vorab so viel. Ich beließ es dabei. Jetzt, wo ich hier sitze, so gemütlich auf dem roten Ledersofa, dankt der mit mir fest verbundene hintere Kamerad es mir durch „ein nur leichtes Brennen“.
Nach der Gartenarbeit schnell unter die alles säubernde und erfrischende Dusche. Ja, besser, es werden die Haare trocken gefönt. Ja, so frisch gewaschen, besser noch eine Kappe drauf. Ja, ich bin vorsichtig. Eine Erkältung ist zu keiner Zeit gut zu gebrauchen. Ja. Wenn dann das Fahrrad seinen Heimatstall verlassen hat, dann sind es nur wenige Tretminuten, dann hat es freien Lauf auf dem gut befestigten Sandweg seitlich parallel zur Trave. Hüh! Aber ganz gemächlich, so wie es sich für einen Pensionär geziemt. Hochröte Köpfe von Joggerinnen und Joggern begegneten mir ebenso wie Nordic Walker und richtige, normale Fußgänger. Zu den normalen Fußgängern zähle ich auch die zahlreichen Hundeführer, die hier ihren Lieblingen freien Lauf und freien Schiss gewähren. Die wenigsten haben Plastiktüten dabei, um das Geschäft ihrer fleißigen Vierbeiner in den nächsten Abfalleimer zu entsorgen. Ich habe heute Morgen schon zwei kräftige Entladungen vor unserem Gartentor aufgelesen. Hört, Ihr Hundefreunde, lasst Euch sagen, es geht so einfach mit einem solchen Tütchen. Ich bin ehrlich, es stört mich wirklich, so unter dem Schuh. Wie immer an einem solchen Ich-trete-voll-hinein-Tag, hast du die Schuhe mit dem tiefsten Profil ausgewählt. So wie sich diese stinkende Masse selbstverständlich auch gerne am Reifen des Fahrrades hervorragend eindrückt. Ich will hier aber nur so nebenbei von diesen Hundebesitzernaturen schreiben, denn ich mag Hunde sehr.
Auf dem Fahrrad wehte mir der kühle Ostwind einen klaren Kopf … und ich dachte wie ein Mann an … davon schreibe ich hier nur auf, dass mir bei diesen freien Überlegungen meine Jeans etwas enger wurde. Sitzbänke gibt es hier an der Strecke sehr wenige. Doch heute, am frühen Nachmittag, habe ich Glück. Die von der Krummesser Seniorenspielgemeinde gestiftete Holzbank erreiche ich nach gut einer Stunde radeln und … ja, sie ist noch frei. Sie wurde an einem sehr schönsten Plätze dieser Gegend aufgestellt. Kaum habe ich mich gesetzt, da juckt es mich schon in den Fingern. Papier gezückt und …
Aus vollem Herzen
Hier sitz´ ich an der Trave nun,
die güldne Sonne strahlt mich an,
auf einer Bank, mich auszuruh´n,
und schreibe auf, was ich so kann.
Aus vollem Herzen rülpsen,
auch Winde lass´ ich ziehen,
schaue bei der Arbeit zu,
zähle schwebende Blätter,
höre die Vögel singen
und denke an Mariechens Honigmuskel.
Hier sitz´ ich an der Trave nun,
der Wind bläst kühl aus dem Osten,
auf einer Bank, mich auszuruh´n,
und lasse die Knochen rosten.
Das Wasser fließt so fleißig,
die Enten quaken leise,
Schafe blöken zu mir hin,
Hähne krähen ihr Revier,
Hunde wedeln mit dem Schwanz,
HerrchenFrauchen kennen sich.
Hier sitz´ ich an der Trave nun,
weit und breit umfängt mich Natur,
auf einer Bank, mich auszuruh´n,
von schweren Gedanken keine Spur.
Ich bin doch wirklich froh, dass ich meine dicke Weste angezogen habe. Sie hat mich schon auf so manchem Segeltörn an den Armen frei- und am Körper warmgehalten. Wow. Wow. Wow. Warmgehalten. Da fliegt mir doch, schon wieder heftig juckend, ein zweites Gedicht in die Feder.
Sonnenschein
Erst kam die Lisa, dann die Marie,
dann die Martha, voller Poesie,
dann Frederike, dann Isabell,
dann die Jana, sie war Kaltmamsell.
Eleonore war sehr sportlich,
ich sah es lieber, dass sie fortlief,
sehr zärtlich war Bianka zu mir,
und Elsa trank zu viel Holsten Bier.
Mit Kerstin war sehr gutes Versteh´n,
ich zählte nach, sie war Nummer zehn,
und von den Nummern, von den vielen,
wollte ich manche noch erzielen.
Gerade, wo ich mir erzähle,
hoffend, dass Amor mich verfehle,
da trat vor mich, in mein Leben ein,
RenateErikas Sonnenschein.
Ja, es stimmt insoweit. RenateErika trat mich aus dem Junggesellendasein in die Vernunft und in die Karriere. Das soll aber vielleicht eines Tages eine andere Geschichte zum Berichten werden. Zurück zu heute und zur Seniorensitzbank. Zwei etwas ältere Damen, so Arm in Arm, ja, und tatsächlich noch ohne Rollator, nähern sich und schauen etwas unsicher auf mich. Ja, ich werde die Spender achten. Das ist doch keine Frage. „Setzen Sie sich doch gerne zu mir!“, fordere ich die beiden Seniorinnen zum Platznehmen auf, die nun ihr schönstes Lächeln zeigen und sich mit leichten Altersgeräuschen neben mich setzen. Diese im fortgeschrittenen Alter an der Hintertür nicht mehr aufhaltbaren Windgeräusche werden sich beim Aufstehen in meist lauteren Tönen knarzend wiederholen. Es gehört nun zum Leben dazu. Auch stört die Warze an der Nase nicht mehr so sehr, und schon gar nicht das Zischen durch die künstlichen Zähne. Nun ja, so lange werde ich nicht mehr bleiben. Nicht wegen der Winde, die den beiden entfleuchen werden. Nein. Die beiden haben sich so viel zu erzählen. Und dieses halte ich fest für diese Erzählung: Natürlich sind sie beide Witwen. Natürlich haben sie beide Kinder … drei und drei. Natürlich haben sie auch schon Enkelkinder: vier und vier. Natürlich haben beide eine Tochter … einen Sohn … tscha, tscha, tscha, da will das mit dem ehelichen Binden so recht nicht klappen. Ja, ja, ja. Die heutige Zeit. Zu viel Auswahl, zu viel Auswahl, zu viel Freiheit. Bei mir gab es auch andere als den Wilhelm … aber er war gut zu mir … der Wilhelm … Ja, bei mir auch mein Fritz, ja, mein Fritz, der Fritz, der Arme, er musste so früh gehen …
Mit sich´rem Schuss
Und langsam zieht hier Schatten herauf,
die Wipfel fangen die Strahlen schon,
ich gebe dem Fahrrad freien Lauf,
es schnurrt seinen Weg mit zartem Ton.
Zwei Gedichte schrieb ich an dem Fluss,
sie kamen zu mir „out the blue“,
strebten zur Feder mit sich´rem Schuss,
wie Old Shatterhand zum Winnetou.
So wie das Blut die Freundschaft siegelt,
so zeigten sie Euch meine Natur,
sie haben sich aus mir gespiegelt,
sie wurden als Paar ein Teil der Spur.
Hugh, ich habe geschrieben …
Die Neugierde der beiden Seniorinnen zu meiner Schreiberei hielt sich in Grenzen. Zu spannend waren die Geschichten, die sie sich im Laufe der letzten fünf Jahre Seniorenheim wohl schon zum hundertsten Male erzählt hatten. Mit großer Sicherheit, so wie wir es von unseren Lebensspendern erfahren: wortwörtlich identisch, absolut wortwörtlich identisch in der Wiederholung. Jedes Wort, jedes Atemholen, jede Spannungspause … fest eingemeißelt in die Gehirnwindungen zum Erzählen. Beide Damen waren sich allerdings unsicher, ob sie am heutigen Dienstag die traditionellen Rouladen oder abweichend davon, ein zartes Putensteak mit Erbsen und Wurzeln verzehrt hatten.
Nach einem herzlichen „Guten Tag und Guten Weg“ brachte mich mein Drahtesel dorthin, wo er zu Hause sein wollte. Er fand seinen Stall. Ich fand mein Notebook am gewohnten Platz neben der Anrichte und hoffentlich, Ihr lieben Leserinnen und Leser, die Worte, die Euch ein wenig Schmunzeln und Kurzweil beschert haben.
Hugh, ich habe erzählt …
Copyright by Karl-Heinz Franzen für Rattenfänger
12. März 2012; in enger Anlehnung an einen Fahrradausflug
für das Buch Machofantasien