Bemerkt
Auf dem Weg zur Arbeit geht ein Mann täglich an einer Gaststätte vorbei, deren wuselnde Kellnerinnen die Außentische mit Aschenbechern und allem anderen versehen. Er ist zwar trotz Stütze noch unsicher auf den Füßen, aber heilfroh darüber, nach einer Operation schon wieder so weit zu sein. Ganz allmählich gelingen ihm auch Wegstücke mit "ausgekuppelter", also angehobener Stütze.
Eines Morgens nach einem Vierteljahr ruft ihm plötzlich eine der Kellnerinnen zu: "Das ist ja schön, daß Sie die Krücke jetzt spazierentragen! Das ist ja schon viel besser!"
Sie kennen sich ganz und gar nicht, aber sie baut ihn für diesen Tag auf.
Verjagt
Das Türschild "Ladies only" versteht nur, wer weiß, das kleine Café ist Anlaufpunkt für Frauen in Lebenskrisen. Aber auch vergnügte Frauenpaare kehren hier ein. Mögen sie alle drinnen ihre Ruhe haben.
An einem milden Sommerabend schlendert ein kleiner runder Mann mit langem weißem Bart vorbei, auf dem Weg zu friedvollem Feierabend. Entdeckt an einem der Tische vor dem Café eine alte Freundin. Hallo! Setz Dich. Wie gehts? Alarmiert durcheilen drei Kellnerinnen den öffentlichen Raum: Stehnse auf! Sie könn hier nich bleim! Gehnse weg!
Unser Mann kann keiner Fliege was und sieht hilflos diese Aufregung. Sein Bauch ist doch echt, kein Dynamit, keine Virenschleuder. Nicht einmal das Wort "Apartheid" fällt ihm jetzt ein.
Der Cateringservice dieses Cafés ist übrigens zu empfehlen, zumal am Büffet des Kunden dann auch Männer zugelassen sind.
Abgestuft
Als die Frau hinterm Tresen einer Bäckereikette mehrmals die verlangten Brot- und Kuchensorten nicht kennt, stellt der Kunde emotionslos fest: "Sie haben keine Ahnung."
Sie, ebenso sachlich: "Nee, ich bin Chemikerin."
Erwischt
Er kommt vom Anwalt und erwischt gerade so die nächste Bahn. "Die Fahrausweise bitte!" Wegen des Papierkrams ist er heute mit anderer Tasche unterwegs; jetzt weiß er plötzlich, was er gestern nicht umgepackt hat. Ergeben reicht er dem jungen Mann seinen Personalausweis. Der Kontrolleur, beschriftet mit dem Logo einer Sicherheitsfirma, piekst fleißig mit einem Stift auf den winzigen Bildschirm ein. Er tippt entschieden mehr, als auf dem kleinen Plastekärtchen steht. Der Frost klirrt. Es dauert. Vielleicht wird's eine Gedichtinterpretation.
Das Ergebnis ist eine Rechnung, die 40 Euro verlangt. Für zwei Stationen Straßenbahn. Eine Bemerkung kann sich unser Schwarzfahrer dann nicht verkneifen: "Ich habe gerade mit dem Anwalt einen Scheidungsantrag aufgesetzt. Das hat etwa genau so lange gedauert."
Begrüßt
Sommer an einem Berliner Badesee, an einem inoffiziellen FKK-Strand. Lange her, daß es hier Stellen für Menschen und Stellen für Hunde gab. Und Berliner sind angeblich allesamt sehr hundefreundlich.
Als er aus dem Wasser ins Knöcheltiefe kommt, springt ihm ein fremder Hund entgegen. Der Mann ist nicht gerade ein Zwerg; der Hund allerdings auch nicht. Der begrüßt ihn nun auf Hundeart, aber nicht wedelnd -- darauf könnte er noch irgendwie adäquat antworten --, nein, schnuppernd. Klar, wo. Hundes Frauchen besieht sich die Szene von weitem, doch das hilft dem erstarrten Mann jetzt nichts. Eine falsche Bewegung, und er bringt etwas weniger auf die Waage. Mit nur einem Bissen zum Idealgewicht, so könnte er durch die Talkshows des Landes ziehen.
Ergeben wartet er die Begutachtung ab und kann erst etwas später wieder lachen.
© 2012 Brubeckfan
Titelbild:
© lynx, "Subway", http://piqs.de/fotos/129687.html