Journalismus & Glosse
Kleinigkeiten aus der Großstadt

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"Kleinigkeiten aus der Großstadt"
Veröffentlicht am 10. März 2012, 6 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
© Umschlag Bildmaterial: lynx, "Subway", http://piqs.de/fotos/129687.html
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und ...
Kleinigkeiten aus der Großstadt

Kleinigkeiten aus der Großstadt

Bemerkt

Auf dem Weg zur Arbeit geht ein Mann täglich an einer Gaststätte vorbei, deren wuselnde Kellnerinnen die Außentische mit Aschenbechern und allem anderen versehen. Er ist zwar trotz Stütze noch unsicher auf den Füßen, aber heilfroh darüber, nach einer Operation schon wieder so weit zu sein. Ganz allmählich gelingen ihm auch Wegstücke mit "ausgekuppelter", also angehobener Stütze.
Eines Morgens nach einem Vierteljahr ruft ihm plötzlich eine der Kellnerinnen zu: "Das ist ja schön, daß Sie die Krücke jetzt spazierentragen! Das ist ja schon viel besser!"
Sie kennen sich ganz und gar nicht, aber sie baut ihn für diesen Tag auf.

Verjagt

Das Türschild "Ladies only" versteht nur, wer weiß, das kleine Café ist Anlaufpunkt für Frauen in Lebenskrisen. Aber auch vergnügte Frauenpaare kehren hier ein. Mögen sie alle drinnen ihre Ruhe haben.
An einem milden Sommerabend schlendert ein kleiner runder Mann mit langem weißem Bart vorbei, auf dem Weg zu friedvollem Feierabend. Entdeckt an einem der Tische vor dem Café eine alte Freundin. Hallo! Setz Dich. Wie gehts? Alarmiert durcheilen drei Kellnerinnen den öffentlichen Raum: Stehnse auf! Sie könn hier nich bleim! Gehnse weg!
 Unser Mann kann keiner Fliege was und sieht hilflos diese Aufregung. Sein Bauch ist doch echt, kein Dynamit, keine Virenschleuder. Nicht einmal das Wort "Apartheid" fällt ihm jetzt ein.
 Der Cateringservice dieses Cafés ist übrigens zu empfehlen, zumal am Büffet des Kunden dann auch Männer zugelassen sind.

Abgestuft

Als die Frau hinterm Tresen einer Bäckereikette mehrmals die verlangten Brot- und Kuchensorten nicht kennt, stellt der Kunde emotionslos fest: "Sie haben keine Ahnung."
Sie, ebenso sachlich: "Nee, ich bin Chemikerin."

Erwischt

Er kommt vom Anwalt und erwischt gerade so die nächste Bahn. "Die Fahrausweise bitte!" Wegen des Papierkrams ist er heute mit anderer Tasche unterwegs; jetzt weiß er plötzlich, was er gestern nicht umgepackt hat. Ergeben reicht er dem jungen Mann seinen Personalausweis. Der Kontrolleur, beschriftet mit dem Logo einer Sicherheitsfirma, piekst fleißig mit einem Stift auf den winzigen Bildschirm ein. Er tippt entschieden mehr, als auf dem kleinen Plastekärtchen steht. Der Frost klirrt. Es dauert. Vielleicht wird's eine Gedichtinterpretation.
Das Ergebnis ist eine Rechnung, die 40 Euro verlangt. Für zwei Stationen Straßenbahn. Eine Bemerkung kann sich unser Schwarzfahrer dann nicht verkneifen: "Ich habe gerade mit dem Anwalt einen Scheidungsantrag aufgesetzt. Das hat etwa genau so lange gedauert."

Begrüßt

Sommer an einem Berliner Badesee, an einem inoffiziellen FKK-Strand. Lange her, daß es hier Stellen für Menschen und Stellen für Hunde gab. Und Berliner sind angeblich allesamt sehr hundefreundlich.
Als er aus dem Wasser ins Knöcheltiefe kommt, springt ihm ein fremder Hund entgegen. Der Mann ist nicht gerade ein Zwerg; der Hund allerdings auch nicht. Der begrüßt ihn nun auf Hundeart, aber nicht wedelnd -- darauf könnte er noch irgendwie adäquat antworten --, nein, schnuppernd. Klar, wo. Hundes Frauchen besieht sich die Szene von weitem, doch das hilft dem erstarrten Mann jetzt nichts. Eine falsche Bewegung, und er bringt etwas weniger auf die Waage. Mit nur einem Bissen zum Idealgewicht, so könnte er durch die Talkshows des Landes ziehen.
Ergeben wartet er die Begutachtung ab und kann erst etwas später wieder lachen.





© 2012 Brubeckfan


Titelbild:
© lynx, "Subway", http://piqs.de/fotos/129687.html

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Brubeckfan
Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und das ist allermeistens.

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KaraList ... und noch ein Leser ... und ich hab´s nicht bereut ... :-)
Momenteindrücke eingefangen und in kleine Geschichten gepackt.
Gefällt mir sehr, lieber Gerd!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Ich freue mich, liebe Kara.
Damals hatte ich so eine Phase, wo ich scheinbar nur noch Sachen erlebte, die zum Aufschreiben geeignet waren; das gibt sich dann wieder.
Danke, auch fürs Klimpern!
Viele Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Feine kleine Kleinigkeiten aussem Leben.
lg .. harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan ... huch, ein Leser ...
;-) nee, Danke Dir Harry.
Viele Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Ohne all die Kommentare gelesen zu haben, und ich hoffe stark, jemand hat die Frage schon gestellt: Wie hast du denn die Anekdote aus dem »Ladies only«-Laden aufgeschnappt, falls du nicht mit wallender Mähne und Kreidestimme getarnt ins Café spaziert bist? ;-)
Ich mag so kleine Geschichten, auch die hier, die ich ehrlicherweise nur gelesen habe, damit ich mich jetzt an Teil 2 machen kann. Warum krieg ich nie so was mit? Vielleicht sollte ich unterwegs weniger oft aufs Smartphone starren, dem Fluch unserer Gesellschaft.

Viele Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Hihi, Kreidestimme -- und glattrasiert... das wäre doch zuviel des Aufwands. Jetzt hab ich nochmal nachgesehen: "vor dem Café", ist doch alles richtig. Der Scherz wars aber wert.
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Ach verdammt. Siehste, das kommt davon, wenn man gegen Mitternacht noch Bildschirmtexte liest. Aber schade eigentlich, die Vorstellung hatte mir sehr gefallen.
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Re: -
Zitat: (Original von Sandelholz am 23.03.2012 - 18:53 Uhr) Danke.

Viele Grüsse,
San.

Oh bitte -- Danke DIR!

Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Sandelholz Danke.


Viele Grüsse,
San.
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Diese Mini-Kurzgeschichten mag ich sehr! - Sehr gut beobachtet und grandios beschrieben.
Meine Favoriten sind 1 und 5.

Schönen Sonntagabend noch!
LG fleur
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