Kapitel 2 - Schatten der Arroganz
Narydiana wurde von den Priestern flankiert und zu einem kleinen Pavillon geleitet, der aus dünnen Wassertrieben einer Haselnuss gewachsen war.
Sie wurde auf einen Stuhl befohlen und von ihren Begleitern allein gelassen.
Für einen Moment war sie überfordert, als sie einen dicken Seidenteppich bemerkte, der in der Hälfte des kleinen Raumes hing.
Säuselnd bewegte er sich.
Eine runzlige, ausgebleichte Hand schob sich dahinter hervor und schob den Vorhang zur Seite. Sieben altersschwache Elfenmänner traten dahinter hervor.
Narydiana schluckte.
Sie waren Alle blind und tiefe Narben zogen sich über ihre kahlen Köpfe. Der Größte trat vor, seine glanzlosen Augen starrten in einem milchigen weiß an dem Gesicht der jungen Elfe vorbei.
„Du…“, hauchte er und beugte sich langsam vor um mit ihr auf einer Höhe zu sein, „Du bist das neue Aldyn?“
Allgemeines Gemurmel tat sich auf.
„Du bist keins der Kinder, dass uns Gestern vorgestellt wurde. Sag mir deinen Namen, Rotflamme!“ keuchte ein besonders alter Elf im hinteren Teil des Zimmers.
„Ich bin Narydiana. Narydiana Niemandstochter.“ sagte sie zitternd.
Einige der Blinden begannen zischend die Luft einzusaugen und schnell auf der klingen Sprache der Elfen zu sprechen.
Dann wandte sich der kleinste und molligste der Alten zu ihr. Trotz seiner verhältnismäßigen Breite, war er kaum dicker als Narydiana. Mit einer hastigen Stimme begann er zu sprechen.
„Niemandstochter sagst du? Das… das ist ein böser Name. Sag, es kann nicht sein, dass du am letzten Tag des Jahres geboren wurdest?“
Die junge Elfe spürte, wie sich ihre Eingeweide verkrampften.
Sieh hätte es wissen müssen. Das Alles wäre zu schön gewesen um wahr zu sein. Niemals hätte sie als Vorneujahrnacht Geborene das rechtmäßige Aldyn werden können. Prophezeiung hin, oder her.
„Doch“, sagte sie zitternd, „Ich bin am letzten Tag des roten Jahres geboren worden.“
„Dann… so etwas wird in keiner Schrift erwähnt. Keine Verstoßene hatte je eine rote Aura. Das kam noch nie vor!“ krakelte ein Elf, dessen auseinander stehende Augen in jeweils in die die beiden Ecken des kleinen Pavillons sahen.
„Das Volk wird das nicht gutheißen!“ schnaubte einer der Männer.
„Das Volk, hat sich der Entscheidung der Ältesten zu beugen…“, sagte der scheinbar älteste von ihnen, „Wir sind der blinde Rat. Unsere Entscheidungen sind göttlich!“
„Prophezeiungen stehen über Traditionen!“, polterte ein stämmig gebauter Elf zustimmend, „Wir haben nicht das Recht, daran etwas in Frage zu stellen! Das Mädchen kommt nach Rosenheim, wie wir es vor Jahrhunderten schon festgelegt haben!“
Bei dem Wort „Rosenheim“ zuckte Narydiana unwillkürlich zusammen.
Ich soll zu den Elben!, schoss es ihr durch den Kopf.
Plötzlich wandte sich der größte Elf wieder zu ihr um.
„Pack deine Sachen. Es geht los, sobald du fertig bist.“
„Ich… Ich habe keine Sachen. Als Verstoßene darf ich kein Eigentum haben.“
Die Männer blickten sich an, zumindest schien es für die junge Elfe so.
„Wir sind ein grausames Volk, mein Kind. Aber unsere Traditionen halten uns geeint. Aber du bist keine Verstoßene mehr. Jetzt bist du das Aldyn.“
Langsam verbeugten sich die Alten vor ihr. Trotz ihrer Blindheit stießen sie weder gegeneinander, noch beugten sie sich in die falsche Richtung.
„Naio wygo-pa nabe Aldyn!“
Ein eiskalter Schauer lief Narydiana den Rücken hinab.
Die Kutsche ruckelte und warf Narydiana hart gegen die Tür, sodass diese laut knarrte. Fluchend rappelte sie sich wieder auf und legte sich auf das weiche Polster, dass auf die Sitzbank gespannt war.
Murrend drehte sie sich etwas herum und lies sich nach und nach von dem monotonen Schaukeln in den Schlaf wiegen. Ein Traum begann sie mit seinen dünnen Fingern einzuspinnen.
Eine weinende Gestalt auf dem Boden.
Sie ist komplett bandagiert, nur Strähnen des blonden Haares quellen aus den Lücken ihrer Verbände am Kopf und im Genick hervor.
Schluchzend liegt sie da. Narydiana wird ganz schlecht, als sie bemerkt, dass sich das Mädchen scheinbar an ihre Beine klammert. Beine, an denen Alles unter dem Knie fehlt.
Mit einem lauten Kreischen wirft das blonde Mädchen vor Narydiana ihren Kopf in den Nacken. Sie starrt sie einige Momente lang an, bis sie brüllt;
„Verschwinde!“
Narydiana schreckte mit einem Schrei aus dem Schlaf.
Vor Panik benommen, wirbelte sie herum und versuchte aufzustehen und knallte mit dem Kopf gegen den niederen Baldachin des Sitzraumes.
Vom grellen Schmerz geblendet fuhr sie herum, strauchelte und rammte wieder die Tür, wodurch diese allerdings aufsprang und die junge Elfe aus der Kutsche schleuderte.
Narydiana knallte hart auf den staubigen Boden der Straße, die von der heißen Sommersonne völlig ausgetrocknet war, Dreck und Sand flogen in ihre Augen und scharfe Kiesel bohrten sich in ihre Haut.
Sie kreischte Laut auf und wurde durch den Schwung herumgerollt, neben ihr wieherte plötzlich ein Pferd laut auf und Speichel spritzte ihr ins Gesicht. Sie unterdrückte einen Schrei aus Ekel um nichts in den Mund zu bekommen, und riss stattdessen die Augen aus Reflex weit auf. In diesem Moment bohrte sich ein scharfer Huf direkt vor ihr in den Straßendreck. Sie kreischte erneut auf und warf sich rücklings nach hinten, wo sie mit dem Rücken hart gegen etwas traf und hart zu Boden knallte. Durch den Schlag auf den Rücken bekam sie kaum noch Luft und lag stöhnend und Keuchend auf dem Boden.
Irgendwo im Hintergrund hörte sie wieder lautes Wiehern und ein Krachen von berstendem Holz, dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Kurz darauf, so schien es ihr, schlug sie zitternd die Augen auf.
Langsam stemmte sie die schmerzenden Arme auf den Boden und drückte sich hoch. Ein furchtbarer Anblick bot sich ihr; Zersplittertes Holz bedeckte den Boden, die umgestürzte Kutsche lag schräg, das letzte, verbliebene Rad drehte sich nutzlos in der Luft und eine Spur von Pferdehufen führte in den Wald.
Narydianas Kopf brummte. Langsam wankte sie um die Kutsche herum. Sie sah zum Kutschbock, wo sie den Elf vermutete, der sie gefahren hatte, doch als sie um die Seite der Kutsche herumtrat, blieb sie stockend stehen.
Würgereiz kroch in hoch. Vorsichtig stützt sie sich an die Achse der Kutsche und versuchte den sauren Geschmack zu ignorieren, der sich in ihrem Mund, beim Anblick einer großen Blutlache, gebildet hatte, die um den vorderen Rand der Kutsche herum floss. Ein Ekel erregender Duft schoss ihr in die Nase, nach Kupfer und bitteren Trauben.
Bedächtig schob sie sich Stück für Stück vor, um die Rückseite der Kutsche zu sehen.
Kreischend setzte sie zurück, strauchelte und landete in dem Teppich aus Blut. Mit einem gurgelnden Geräusch erbrach sie sich, kippte vornüber und landete mit dem Kopf, neben den zerquetschten Überresten des Kutschers.
„Ich muss nur in die Elbenstadt…“, murmelte Narydiana langsam vor sich hin, „Nur nach Rosenheim…“
Nachdem sie wieder aufgewacht war, hatte sie sich ohne irgendwas in Richtung der Stadt aufgemacht.
Langsam tropften noch Blut und Speicheltropfen von ihren Kleidern. Sie musste ein furchtbares Bild bieten. Wie ein zerlumpter Mörder lief sie herum.
Von Ae´dalia nach Rosenheim waren es zwei oder drei Wegstunden mit der Kutsche. Sie mussten schon relativ weit gekommen sein, aber sie war sich nicht sicher, wie weit, vielleicht fehlte noch eine Wegstunde, vielleicht zwei. Sie hatte ihr Zeitgefühl während ihres Schläfchens völlig verloren, aber sie wanderte schon mindestens einen halben Tag umher, da gerade die Sonne damit begann sich schlafen zu legen.
Plötzlich ertönte neben der jungen Elfe ein heiseres Knurren. Träge wandte sie den Kopf. Dort, im vertrockneten Unterholz, saß ein ausgehungerter Wolf. Ein magerer Schatten, der großen, kräftigen Wölfe, die sie kannte, die mit langen Fängen und glänzendem Fell aufwarteten.
Er ist ein Ausgestoßener wie ich, schoss es ihr träge durch den Kopf.
Knurrend legte der Kolos aus struppigem Fell und Knochen eine hagere Pfote vor die Andere. Sein Atem ging hechelnd.
Die junge Elfe fürchtete ihn nicht.
Kaum.
Aber so gut wie nicht.
Sie hatte mit ihrem Leben abgeschlossen, als sie den zersplitterten Kopf des Kutschers gesehen hatte. Ihr eigener Atem ging langsamer. Ruhiger. Aber auch auf eine ganz eigene Art hektischer.
Sie schloss die Augen, spürte die Wärme des Atems auf ihrem Gesicht; Der Wolf stand vor ihr.
Plötzlich hörte sie ein gequältes Wimmern, dann ein Brechen von Knochen und eine matschige Flüssigkeit spritze in ihr Gesicht.
Sie wollte sich erst gar nicht ausmalen, was das sein könnte.
Immer noch etwas benommen blickte sie auf. Der Anblick der sich bot war berauschend.
Hohe, graue Mauern aus gewaltigen Steinblöcken zogen sich einfach mitten im Wald in den Himmel und Versperrten die Sicht auf das, was wohl hinter ihnen liegen mochte.
Oben auf einem Turm erkannte sie einen Bogenschützen. Er hatte ihr wohl mit einem gezielten Treffer das Leben gerettet. Er gab geübte Handzeichen weiter und Rufe erschallten.
Knarrend öffneten sich die Smaragdgrünen Tore und ließen einen Wasserfall aus grünem Licht über den Wald schwemmen, wie eine Fontäne aus grünen Lichtsplittern die sich ihren Weg aus der Stadt in die Welt bahnten.
Narydiana blinzelte doch als sie die Augen wieder öffnete glaubte sie zu doch noch träumen. Vor ihr lag eine Stadt aus massivem, weißem Marmor, deren Gebäude anscheinend wie die Stadt aus einem einzigen Stein herausgeschlagen war. Die Dächer prangten in demselben grünen Material wie die Tür von oben herab und ihre Spiegelungen ließen es so scheinen, als würden tausende von kleinen, grasgrünen Feen durch die Luft fliegen.
Geblendet von der Schönheit der glatten Mauern in die uralte Reliefen eingemeißelt waren taumelte sie auf das Tor zu.
Als sie an den großen Flügeltüren vorbei trat, schimmerte um sie herum plötzlich Alles bräunlich auf, dann entbrannte ihre Aura.
Schreiend brach sie zusammen, ihre Aura begann auf ihrer bloßen Haut zu brennen wie echtes Feuer.
Ihr linker Arm schien zu explodieren. Mit einem unkontrollierten Kreischen kippte sie vorn über und rollte sich auf dem Boden zusammen, immer noch stöhnend und schreien.
Sie bemerkte, dass Leute um sie herum getreten waren, doch sie sah es nicht mit ihren Augen, sondern spürte die Aura der Anderen, als sie in Ihre traten.
Ein plötzliches Gefühl, wie ein glühendes Schwert, dass man ihr in den linken Arm gebohrt hatte erzwang ihrer Kehle ein neuerliches Kreischen.
Dann war Alles vorbei und die roten Flammen um sie herum fielen in sich zusammen, wie ein Waldbrand dem die Bäume ausgingen.
Verschwitzt ergriff sie einen Arm, der ihr angeboten wurde.
Zitternd sah sie auf ihre linke Seite.
Von ihrer linken Hand an zog sich eine glänzende Brandnarbe bis zu ihrer Schulter. Entsetzt keuchte sie auf, als sie erkannte, dass es sich nicht um ein willkürliches Muster handelte sondern einen der langen Drachen darstellte, wie sie in den Legenden der Elfen oft vorkamen.
„Du bist wahrlich das Aldyn.“ murmelte einer der Männer, den Narydiana nun als Elben erkannte.
Narydiana bemerkte plötzlich, dass ihre zerrissene und verschwitze Kleidung einen guten Einblick bieten musste und verschränkte schnell die Arme vor der Brust.
Einige der Männer lachten.
„Kein Sorge. Wir sind nicht wie die Elfen. Aber jetzt komm erst einmal, mein Kind. Der Stein wartet seit Jahrhunderten auf dich. Und er ist auf dem Weg hierher.“
„Der Kutscher“, stammelte sie noch, „Wir hatten einen Unfall.“
Dann brach sie zusammen.