Traumatische Erlebnisse können den Blick für die Welt schärfen oder den Geist gänzlich erblinden lassen. Alles hängt davon ab, was man noch zu verlieren hat... "Ein Funke Finsternis" Kapite 3: Erwachen in der Dunkelheit
Einige Stunden nach der zweiten Begegnung mit Detective Sanderson erwachte ich wieder in meinem Krankenbett, während ich von einer, mir unbekannten, Krankenpflegerin gewaschen wurde. Die weichen Fesseln waren offenbar immer noch nicht gelöst worden, was wohl bedeutete, dass man mir und meiner Stimmung nicht über den Weg traute. Immer noch benommen von den Medikamenten, die ich zur Ruhigstellung erhalten hatte, konnte ich die Berührungen der Frau nicht in Einklang mit meiner momentanen Situation bringen, besonders weil sie gerade dabei war meinen Intimbereich zu reinigen. Ganz und gar ungewollte reagierte mein Körper auf die Stimulation durch den Handschuh, was mir die Röte ins Gesicht trieb und die Benommenheit ein wenig vertrieb.
„Lass mich in Ruhe!“ fauchte ich die Pflegerin, bestürzt über meinen verräterischen Körper, aggressiver an, als ich eigentlich wollte und fühlte dabei die ersten schuldbeladenen Gedanken, wie ich nur so reagieren konnte, wo meine Frau getötet und meine Tochter entführt worden war. Mein Körper verkrampfte sich in Folge dieser Gedanken, Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen und Beinen aus und ich begann wie bei einem Schüttelfrost zu zittern.
Ungeachtet meiner Worte oder körperlichen Reaktion auf ihre Handlungen brachte die Krankenpflegerin ihre Aufgabe zu Ende, ohne mir auch nur einen flüchtigen Blick zu schenken, beinahe als wäre ich nicht mehr als ein lebloses Stück Fleisch. Zorn und Scham hielten die Röte in meinem Gesicht aufrecht, als sie mir dann doch noch in die Augen blickte. Ihr Blick war leer und ohne Gefühl, wortlos packte sie ihre Reinigungsutensilien zusammen und verließ dann das Zimmer, nachdem sie meine Blöße wieder bedeckt hatte.
Zum ersten Mal seit Tagen war ich nun bewusst allein, Flüssigkeit begann meine Augen zu füllen, ein Schluchzen drang tief aus meiner Brust herauf und ich begann hemmungslos zu weinen, gefangen von der Frage, wie ich nur alles hatte verlieren können, was meine Leben ausgemacht hatte. Hemmungslos gab ich mich den Gefühlen von Verlust, Trauer und Verzweiflung hin, all der Zorn und all die Wut schienen mich verlassen zu haben, ertrunken zu sein in der Flut der Tränen, die ich erst jetzt weinen konnte. Irgendwann versiegten die Tränen dann und ich gab mich einem unruhigen Schlaf hin, in den Träumen suchten mich die Gesichter von Laura und Jenny heim, von Angst verzerrte Gesichter und Totenfratzen, ohne Augen…
Am nächsten Morgen wiederholten sich die Ereignisse des Vortages beinahe haargenau, einzig die Anwesenheit eines Krankenpfleger anstelle einer weiblichen Pflegekraft trübte das Gefühl eines vollkommen Déjà-vus. Immerhin kam man im Laufe des Tages nach wiederholten, so genannten Untersuchungen zu dem Schluss, dass ich in der Lage war mich so vernünftig zu verhalten, dass ich nicht länger gefesselt werden musste. Wenig überraschend fiel dann auch der Besuch durch Detective Sanderson aus, der mich im Gemeinschaftsraum der Station antraf, natürlich in Begleitung von Pflegepersonal, die „nur für den Fall“ anwesend waren. Das folgende Gespräch fiel für uns beide wenig befriedigend aus, da ich keinerlei sachdienliche Informationen vorweisen konnte, die Sanderson nicht bereits schon besaß und dieser im Gegenzug immer noch keinerlei Spur über den Verbleib meiner Tochter hatte. Ich muss allerdings zugeben, dass meine Aufmerksamkeit nicht die Beste war und ich mich mehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigte, als damit was Sanderson mir zu sagen hatte. Einzig die Information, dass das Mädchen, das ich so selbstlos und dumm gerettet hatte, auf dem Weg der Besserung war und in einigen Tagen das Krankenhaus verlassen konnte. Sein zweifelnder Blick sagte mir, dass er nicht glaubte, mir könne in absehbarer Zeit ein ähnliches Schicksal zu Teil werden.
Doch hier würde ich den Detective eines Besseren belehren, was ich mir in diesem Moment zwar nicht bewusst vornahm, aber doch schon im Unterbewusstsein beschlossen haben musste. Nach einigen oberflächlichen Abschiedsfloskeln verabschiedeten wir uns voneinander und ich wurde wieder in mein Zimmer begleitet, wo ich auf einen weiteren Besuch Dr. Rimbolds wartete.
„Nun, Mr. Thorn. Ich glaube, es wird langsam Zeit, dass wir uns eingehender mit ihren derzeitigen Problemen befassen…“
Seine ersten Worte und ihr Tonfall wurden dann, in ihrer empathielosen Gleichgültigkeit und vorgetäuschten Professionalität, bezeichnend für die weiteren Sitzungen mit Dr. Rimbold, die ich in den nächsten Tagen über mich ergehen lassen musste. Er nannte seine Methode eine „aktive Auseinandersetzung mit traumatischen Begebenheiten“, was nichts anderes meinte, als das der Patient erzählte, während er weise nickend und brummend Notizen zu den Erzählungen machte, ohne sich mit profanden Dingen wie Ratschlägen oder Hilfestellungen abzugeben. Wieder und wieder hörte ich mich selbst die Ereignisse dieses einen verhängnisvollen Abends wiederholen, bis jedes gedankliche Bild auch den letzten Rest von Sinn verloren hatte, wie auch der eigene Name immer mehr an Bedeutung zu verlieren scheint, je öfter man ihn ausspricht. Und während ich mich so vordergründig mehr oder weniger an Dr. Rimbolds Behandlungsmethoden beteiligte, war ich vollkommen mit den Gedanken über den Verbleib meiner Tochter, und was dieser Irre ihr antun mochte, beschäftigt.
Am dritten Tag meiner Trauma-Behandlung in der Willard-Mason-Klinik, als sich immer noch keine Weiterentwicklung in den Gesprächen und der Behandlung durch Dr. Rimbold abzeichnete, riss mir dann der Geduldsfaden und ich verlangte meine schnellstmögliche Entlassung aus der Einrichtung. Vordergründig zweifelte ich natürliche die Effektivität von Dr. Rimbolds Behandlung an, untermalt mit der Sorge, ob meine Krankenversicherung überhaupt einen längeren Aufenthalt in der Klinik bezahlen würde, doch tief im Inneren hatte mich schon dafür entschieden nicht länger der Obrigkeit die Aufgabe zu überlassen nach meiner Tochter zu suchen, immerhin hatte ich die Effektivität und Kompetenz bereits am eigenen Leib zu spüren bekommen, was mir bei jedem Gedanken daran neue Tränen in die Augen treiben wollte, wenn ich an meine Frau und die Qualen meines kleinen Mädchens dachte. Nein, für mich gab es keine andere Möglichkeit, ich musste diese Ort der oberflächlichen Sicherheit verlassen und mich selbst auf die Suche machen, egal was dabei passieren mochte. Bewusst hatte ich mir diese Gedanken nicht gemacht, doch sie war bereits vorhanden und störten die Oberfläche meiner Gedanken wie die Flosse eines Haifischs die ansonsten ruhige See.
Dr. Rimbold reagierte mit verletzter Fassungslosigkeit, als könne er gar nicht verstehen, warum ich nicht länger Wert auf seine so fortschrittliche Behandlung legte und mich lieber von einem, wie er es nannte, „Wald und Wiesen“ Psychiater behandeln lassen wollte. Doch entgegen seiner ersten, entrüsteten Versuche mich zum Bleiben zu bewegen, ließ sein Eifer bereits nach wenigen Sätzen so spürbar nach, dass es mir ein Leichtes war, die entsprechenden Papiere, sowohl die Entlassung als auch die Überweisung an einen anderen Arzt, von Dr. Rimbold zu erhalten. Das einzige Hindernis für meinen sofortigen Auszug aus der Klinik stellte die Organisation des polizeilichen Personenschutzes dar, da man, oder wohl eher Detective Sanderson, sich keine weiteren Fehler in Verbindung mit den „Augensammler“-Morden leisten mochte. Besser spät als nie, war mein erster, bitterer Gedanke als ich davon hörte, dass ich nun für die nächsten Wochen praktisch in Schutzhaft genommen wurde. Wenigstens wurden mir im Verlauf des Abends noch einige Kleidungsstücke, Hygieneartikel, sowie mein Arbeitslaptop und mein Handy von einem Beamten aus meiner Wohnung gebracht, so dass ich wirklich am nächsten Tag die Klinik verlassen konnte. Auf meiner Mailbox fanden sich dann auch einige Beileidsanrufe von Arbeitskollegen, Freunden und Bekannten, die ich einfach löschte, ohne sie mir anzuhören. Ebenso verfuhr ich mit den Textnachrichten, ich konnte mich einfach nicht mit diesem Mitleid auseinandersetzen, dass inzwischen für mich den fauligen Geschmack der Erleichterung, Gott sei Dank hat es mit nicht erwischt, angenommen hatte. Dies mag nun ungerecht erscheinen, aber ein kleines Körnchen Wahrheit findet sich doch darin wieder, wenn man wirklich ehrlich sein will.
Nach einer unruhigen und beinahe schlaflosen Nacht, die mit Hoffnungen, Träumen und der endlosen Wiederholung halbgarer Pläne zur Auffindung meiner Tochter angefüllt war, wurde ich am nächsten Morgen bereits um fünf Uhr durch die Stationspflegerin geweckt, die mich einfach ohne großes Zeremoniell wachrüttelte und mir mit gelangweilter, müder Stimme mitteilte, dass meine Eskorte angekommen sei und mich abholen wolle. Verschlafen und geblendet vom kalten Schein der Neonlampen putze ich mir die Zähne, zog mir die mitgebrachten Sachen aus meinem eigenen Kleiderschrank an und verließ dann das Zimmer, nachdem ich meine kleine Auswahl an Besitztümern in der Sporttasche verstaut hatte, mit der man sie gebracht hatte. Bereits hinter der Tür des Einzelzimmers, dass die letzten Tage mein Zuhause dargestellt hatte, wartete ein breitschultriger, dunkelhäutiger Mann in gewöhnlicher Straßenkleidung, der sich mir als Sergeant Morrison vorstellte und mich mit knappen Worten über den weiteren Ablauf informierte. Wir würden von der Klinik aus direkt in das Grand Palace Hotel fahren, wo für die nächsten Tage die Präsidentensuite für meine Unterbringung bereitgestellt wurde. Dort würde man mit mir dann den weiteren Ablauf mit mir klären, unter anderen auch, wie ich mit einiger Überraschung feststellen musste, meine neue Identität, die ich annehmen sollte, bis dieser Irre gefasst worden war und man ihm den Prozess machen konnte. Mit der neuen Identität hatte ich im Moment keinerlei Probleme, nur der letzte Punkt ließ mich ein wenig sauer aufstoßen, da ich eine gänzlich andere Vorstellung davon hatte, wie man mit dem Mörder meiner Frau und Entführer meiner Tochter umgehen sollte. Diese Gedanken behielt ich allerdings für mich und nahm die Erklärung nur nickend zu Kenntnis, während ich mit, dem seine Erklärungen und Anweisungen wiederholenden, Morrison den Flur der Station entlang ging, vorbei an der geöffneten Tür zum Aufenthaltsraums des Pflegepersonals, wo uns neugierige, übernächtigte Augen musterten und leises Gemurmel unsere Schritte begleitete, die in den leeren mit kaltem Licht erfüllten Fluren wiederhallten. Mit einfachen Gesten lotste mich der Sergeant durch immer gleichaussehende Gänge, bis wir schließlich einen Nebenausgang erreichten. Draußen wartete bereits ein dunkler Van mit getönten Scheiben und laufendem Motor, was mir dann doch noch ein gezwungenes Lächeln entlockte, da die Wahl des Fahrzeuges in meinen Augen doch sehr klischeehaft ausfiel. Morrison bugsierte mich in den hinteren Fahrgastraum des Autos, schloss die Tür und nahm neben mir Platz, bevor wir zum Hotel fuhren, wo ich endlich Ruhe finden sollte…
Mit einem lauten Piepsen meldete sich das Mobiltelefon Gerald Gardeners zu Wort, als die schon lange erwartete Textnachricht gegen fünf Uhr fünfzehn seinen nächtlichen Schlaf unterbrach. Von einem Moment auf den anderen war die schlafende Gestalt hell wach und griff nach dem kleinen elektronischen Gerät, um die eingegangene Nachricht zu lesen. Ein bösartiges Grinsen breitete sich auf den langweiligen Zügen des Mannes aus, während er die Antwort für die Informantin eintippte, dass sie die zweite Hälfte der vereinbarten Summe an diesem Abend erhalten würde. Nun konnte er endlich die nächste Phase für den endgültigen Sturz des Samariters in Angriff nehmen, auch wenn er sich eingestehen musste, dass diese Angelegenheit persönlicher geworden war, als er anfangs beabsichtigt hatte. Dafür war sie auch sehr viel anregender als die üblichen schnellen Jagden, die schnellen unpersönlichen Stiche und Schnitte in den Gassen der Stadt, nun konnte er endlich das Fieber einer Jagd in vollen Zügen auskosten und sich Zeit lassen, bis er endlich zum letzten Streich ausholen würde. Die Gedanken rasten wie zuckende Blitze durch den Geist des Wolfs im Menschenpelz und die Erregung griff auf den Körper des Mannes über, so dass die Hose des Schlafanzuges zu spannen begann, bevor er sie auszog und in passendere Kleidung schlüpfte. Für einen Moment flammte das Verlangen auf in die Keller zu gehen und sich ein wenig Entspannung an seinem Faustpfand zu verschaffen, nur mühsam gelang es ihm dieses Verlangen zu unterdrücken und statt in den Keller in die Garage zu gehen, wo er nach dem Öffnen des Garagentores seinen Kombi startet und hinaus in die Dunkelheit des Wintermorgens fuhr. Während er sein Fahrzeug auf die Straße steuerte, fiel ihm dann doch noch ein, wie er sein Verlangen zumindest für einen Moment befriedigen konnte, ohne seinen Faustpfand zu verlieren, denn da gab es noch eine Person bei der er Schulden zu begleichen hatte. Ein leises, für diese Erscheinung vollkommen untypisches Lachen entrang sich seiner Kehle, während er mit gemäßigtem Tempo aus dem Siedlungsgebiet fuhr, dem Ziel, dass ihm seine Informantin geschrieben hatte, entgegen.
Noch während er auf die Straße in Richtung der Stadt einbog, holte er ein Prepaid-Handy aus dem Handschuhfach, dass er schon vor einigen Tagen dort deponiert hatte, als er die verschiedenen Möglichkeiten für das weitere Vorgehen der Polizei erwogen hatte.
Dabei hatte der Mann, der im Moment den Namen Gerald Gardener trug, schnell erkannt, dass er nicht alle möglichen Schritte der Polizei überwachen konnte, zumindest nicht als einzelne Person und die Möglichkeit sich Unterstützung von weiteren Personen zu verschaffen war, aufgrund seiner zerstörerischen Absichten, nicht möglich. Zumindest hatte er gedacht, dass es nicht möglich sei, bis ihm eine gesellschaftliche Besonderheit eingefallen war, die er nutzen konnte, um eine beinahe lückenlose Überwachung zu erreichen und gleichzeitig die eingesetzten Beamten unter Druck zu setzen. Denn nicht nur er hatte ein Interesse am Schicksal des Samariters, es gab noch andere Personen, die sich nur zu gerne mit dem Schicksal und der tragischen Geschichte dieses Mannes befassen würden, um daraus einen finanziellen Vorteil zu ziehen. Eine kleine Enthüllungsgeschichte in der Tageszeitung hatte ihn darauf gebracht, als er sich nicht zum ersten Mal darüber gewundert hatte, wie gesichtslose Autoren so viel Macht haben konnten, dass Politiker, Wirtschaftsunternehmen und beinahe jede Person des öffentlichen Interesses vor ihnen zittern mussten.
Die Gedanken an die Einflussnahme der Presse auf die Geschehnisse in der Welt, hatten ihn während des gesamten Morgens beschäftigt, anfangs hatte er sich den Grund dafür nicht erklären können, da er keinen Zusammenhang mit seinem derzeitigen Problem erkennen, geschweige denn mit einer Lösung in Verbindung bringen konnte. Doch dann durchzuckte ihn die plötzliche Erkenntnis, dass das Interesse der Regenbogenpresse an seinen Taten, der Schlüssel für seine derzeitige Aufgabe sein konnte, wenn er das Interesse und die unmoralischen Vorgehensweise der Regenbogenpresse auf die Verbindung des Samariters mit den Augensammler-Morden lenkte, die bisher noch nicht Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung gewesen war. Ein lautes Lachen hatte seinen Körper geschüttelt, als ihm klar geworden war, wie er mit einfachen, anonymen Informationen die Schutzmaßnahmen der Polizei schwächen und dabei selbst Informationen über den Samariter sammeln konnte, indem er dem Aufruhr der Presse folgte, der, wie ein Stein in einem stillen Teich, weite Wellen schlagen würde, denen er mit Leichtigkeit folgen konnte.
Sofort hatte er sich daran gemacht, die Kontaktdaten verschiedener, eher zwielichtiger Magazine zu recherchieren und diese in den Speicher des Prepaid-Mobiltelefons zu programmieren, um sofort handeln zu können, sobald sich eine Gelegenheit für dies Umsetzung dieses Plans ergab. Während eines kurzen Stopps am Straßenrand tippte er die Nachricht seiner Informantin in das Textnachrichtenfeld des Handys und sendete sie als Sammelnachricht an alle recherchierten Adressen, bevor er das Gerät aus dem Fenster auf die Fahrbahn warf und weiterfuhr. Schon bald würde sich zeigen, wie gut die Maßnahmen der Polizei zum Schutz von Zeugen wirklich waren und wie wirksam sie noch sein würden, wenn sie ins helle Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit gezerrt wurden.
Die frühmorgendlichen Straßen der Stadt lagen verlassen vor „Gerald“, nur einige wenige Fahrzeuge von Pendlern, die entweder sehr früh mit ihrer Arbeit beginnen mussten oder bereits ihr Tagewerk vollbracht hatten, bevölkerten die menschenleeren Straßen und erzeugten den Eindruck von kleinen, emsigen Leuchtkäfern, die durch die Straßen wuselten, gesteuert von Instinkten und völlig unwissend um den gefährlichen Räuber in ihrer Mitte. Trotz der freien Straßen hielt er sich im üblichen Rahmen an die Höchstgeschwindigkeit, was bedeutete, dass er sie nur minimal überschritt, denn zu unauffälliges Verhalten konnte sich als ebenso schädlich erweisen, wie zu auffälliges Verhalten, wie er vor Jahren zu Beginn seiner Jagden schmerzlich hatte feststellen müssen.
Doch die ruhige Fahrt zum Grand Palace Hotels wurde jäh unterbrochen als zwei Kleinwagen mit halsbrecherischen Tempo an „Geralds“ Fahrzeug vorbeizogen, beide Fahren waren, neben der Steuerung des Fahrzeuges, damit beschäftigt in ihre Mobiltelefone zu sprechen oder Anweisungen entgegenzunehmen, wie das menschlichen Raubtier mit einem feinen Lächeln zur Kenntnis nahm. Offenbar funktionierte seine Idee besser als er gehofft hatte.
Zwei Querstraßen vor dem Hotel stellte er dann sein Fahrzeug ab, um den restlichen Weg zu seinem Ziel mit schnellen und lautlosen Schritten hinter sich zu bringen. Ohne ein Geräusch zu verursachen glitt „Gerald“ wie ein Schatten in eine kleine, unbeleuchtete Gasse, die ihn auf direktem Weg zum Hotel führen sollte, doch am anderen Ende trat ein mittelgroßer, breitschultriger Mann mit einer großen Adlernase und vollkommen haarlosen Schädel aus der Gasse, streifte sich Geralds Jacke von den Schultern, um sie hinter einer Mülltonne zu verstauen, nachdem er eine Geldbörse aus Nylon und einen eingeschweißten Presseausweis entnommen hatte. Klare, strahlend blaue Augen musterten, das Hotel, welches beinahe so aussah als stände es unter Belagerung. Zwei Übertragungswagen der örtlichen Fernsehsender hatten bereits Stellung am Straßenrand bezogen, während die Reporter des Außendienstes ihre inhaltslosen Ansagen in die gähnenden, schwarzen Augen ihrer Fernsehkameras machten. Das helle Aufleuchten von Blitzlichtern freiberuflicher Pressefotographen verstärkte die bedrohliche Atmosphäre noch weiter, was auch den uniformierten Polizeibeamten anzusehen war, die sich alle Mühe gaben die Vertreter des Rechtes auf freie Information und Redefreiheit vom Eingang des Hotels fernzuhalten. Nur mit Mühe konnte Trevor Reingard, wie der Name des Glatzkopfes laut des Ausweises war, ein lautes Lachen unterdrücken, zog einen Notizblock und einen Stift aus der rechten Gesäßtasche, befestigte den Presseausweis an seinem zerknitterten T-Shirt und marschierte geradewegs auf das Getümmel zu. Geschickt und mit großzügigem Einsatz seiner Ellenbogen arbeitete er sich nach vorne durch, bis er einen Blick in die Lobby des Hotels werfen konnte. Leicht verzerrt von den, in die Tür eingelassenen, Glasscheiben konnte Trevor die Gestalt von Detective Sanderson erkennen, der ganz offensichtlich voller Zorn auf eine Frau im Hosenanzug ein brüllte, doch dies war nur von nebensächlichem Interesse für den Jäger, von wesentlich größerer Bedeutung war der Mann auf der Sitzgelegenheit hinter Sanderson, der von zwei fremden Männern bewacht zu werden schien. Trevor hatte den Samariter endlich wiedergefunden und sein Herzschlag beschleunigte sich, während er die Geräusche und Anwesenheit der Umstehenden einfach ausblendete. Für einen Moment schien nur noch Thomas Thorn für ihn zu existieren, der Anblick seiner Beute füllte sein gesamtes Bewusstsein, sein Denken für diesen kurzen flüchtigen Moment aus. Sein Ziel war zum Greifen nahe und doch noch weit entfernt, unwillkürlich bleckte er die Zähne, was dem Polizisten vor ihm einen unwillkürlichen Schauer über den Rücken jagte. Auch seine Hände schlossen sich unwillkürlich und ballten sich zu Fäusten, was dem Notizblock und dem Stift nicht sonderlich gut bekam, der mit einem leisen Knacken einfach zerbrach und seinen farbigen Inhalt wie einen Schwall Blut über die Hand Trevors ergoss.
Das feuchte Gefühl an seiner rechten Hand war es auch, das den Jäger zurück in die Realität holte und ihn davon abhielt einen Fehler zu machen. Langsam trat er, Schritt für Schritt für Schritt, zurück und ließ die nach vorne drängenden Reporter wie eine Woge um sich schwappen, in der er aus wieder verschwinden konnte. Er hatte erfahren, was er wollte, Sanderson war immer noch für Thorn zuständig und war auch in dessen Schutzmaßnahmen involviert. Mehr brauchte er für den Moment nicht zu wissen, alles weiter würde sich ergeben, wenn die Schutzmaßnahmen langsam durch den Zahn der Zeit geschwächt wurden. Oder wenn der Samariter beschloss ein weiteres Mal heldenhaft zu sein…
Im Schutz, der um ihn herum wogenden Masse aus Menschen, gelang es Trevor sich zurückzuziehen, ohne ein weiteres Mal die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wie er es gerade eben beinahe geschafft hätte. Ohne das Gerät wirklich zu benutzen, hob er sein Mobiltelefon ans Ohr und begann offensichtliche Informationen an einen nicht existierenden Gesprächspartner weiterzugeben, ganz als würde er einen Redakteur über die aktuellen Ereignisse informieren. Da die gesamte Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf dem Eingangsbereich des Hotels und den uniformierten Beamten lag, war es ein leichtes für den glatzköpfigen Mann den Schauplatz wieder unbemerkt zu verlassen und nach einem kurzen Abstecher in die Gasse, um die versteckte Kleidung zu holen, zu seinem Fahrzeug zurückzukehren. Bevor er losfuhr, lehnte sich Trevor mit dem Rücken an den Wagen und atmete tief durch, er musste unbedingt wieder einen klaren Kopf bekommen, denn er Tag versprach lang und anstrengend zu werden, Fehler konnte er sich bei seinen weiteren Vorhaben nicht leisten. Denn als nächstes galt es wieder Spuren zu verwischen, bevor aus ihnen einen Schlinge geknüpft werden konnte.
Mit diesem Gedanken und einem Lächeln auf den schmalen Lippen stieg der angebliche Reporter in das Fahrzeug und fuhr zur nächsten Station des heutigen Tages, ein heruntergekommenes Mietshaus in der Nähe des Industriegebietes. Ein kurzer Blick auf die unauffällige Armbanduhr zeigte ihm aber, dass er noch ein wenig Zeit hatte, bevor er zur Tat schreiten konnte. Und so fuhr er als nächstes zu einem Coffee Shop in der Nähe, wo er sich ein einfaches Frühstück mit einigen Tassen Kaffee gönnte, bevor er seinen Weg fortsetze.
Nach einer halben Stunde hatte er sein Ziel erreicht, wie ein alter, fauliger Zahn ragte das Backsteingebäude mit seinen fünf Stockwerken zwischen den anderen Gebäuden in dieser Straße auf, deren baulicher Zustand noch erheblich schlechter war. Nachdem Trevor einen kleinen durchsichtigen Plastikbeutel, gefüllt mit einem weißen Pulver, aus dem Handschuhfach entnommen und ihn in seine Hosentasche gesteckt hatte, verließ er mit langsamen, ruhigen Bewegungen das Auto, dabei ließ er unauffällig seinen Blick über die nähere Umgebung wandern, während er das Fahrzeug verriegelte, doch obwohl sich einige Obdachlose bereits daran machten in Müllcontainern zu wühlen und jemand, den er als Dealer einordnete, bereits im Hauseingang eines verfallenen und verbarkadierten Hauses saß, schien seine Ankunft keinerlei Aufmerksamkeit erregt zu haben. Zielstrebig, ohne sich umzusehen, machte er sich nun auf den Weg zum Apartmentgebäude, wo die defekte Eingangstür keinerlei Hindernis für ihn darstellte, wie er bei einem vorangegangen Besuch bereits in Erfahrung gebracht hatte. Mit langsamen, selbstbewussten Schritten stieg er die Stufen im nach Erbrochenen und Urin stinkenden Treppenhaus nach oben, bis in die vierte Etage, wo er sich direkt zur zweiten Wohnung auf der linken Seite wandte und dabei das Geschrei ein Stockwerk unter ihm ignorierte, wo ein Paar scheinbar den neuen Tag mit einer gewalttätigen Auseinandersetzung beginnen wollte, offenbar ging es dabei um den Verbleib von Drogen. Kopfschüttelnd lehnte sich der Mann, der im Moment den Namen und das Gesicht Trevor Reingards trug, gegen die Tür zur Wohnung von Sandrine Miller, einer allzu geschwätzigen Pflegerin aus der Psychiatrie, und knackte mit geübten Bewegungen das Schloss der Tür. Ohne zu Zögern öffnete er diese und begab sich in die Wohnung, wo er die Tür von innen wieder verriegelte, es gab schließlich keinen Grund seine Beute frühzeitig zu warnen. In Gedanken ging er seinen Plan noch einmal durch, während er sich ein Versteck in der Wohnung suchte. In den angrenzenden Wohnungen flackerten kurz Lichter und der Empfang der Fernseher hatte eine kurze Störung als die Gestalt Trevors vom bleichen Angesicht des Jägers ausgelöscht wurde.
Mit einem müden und doch erleichterten Seufzen stieß Sandrine die Wohnungstür auf, ihr Schlüsselbund hing klappernd aus ihrem Mund, da ihre Arme mit den raschelnden Papiertüten des heutigen Einkaufes bepackt waren. Mit einem Tritt ihres linken Fußes beförderte sie die Tür, nach dem Betreten der Wohnung, wieder ins Schloss und machte sich daran ihre Einkäufe in die Küche zu tragen, bevor sie zurück an die Wohnungstür ging, die Sicherungskette anbrachte und dann die Tür verriegelte. Mit einem erschöpften Lächeln auf den Lippen lehnte sich die rothaarige Pflegerin an die Tür, in Gedanken war sie bereits bei der Verabredung mit dem Reporter, dessen Bezahlung für die kleine Textnachricht von diesem Morgen, ihr, wie sie es selbst gerne nannte, kleines Laster für die nächsten Wochen finanzieren würde.
Eine Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus, als ihre Vorfreude sich nach der langen Nachtschicht langsam die Überhand gewann und ihre Gedanken für einen Moment zu den, für sie, entscheidenden Momenten des Tages zurückkehrten.
Zuerst hatte sie sich schuldig gefühlt, als sie die Nachricht verschickt hatte und damit die Privatsphäre des geplagten Mannes verletzt hatte, der schon so viel hatte erleiden müssen, ein nagendes Gefühl, dass sie nur mit Mühe hatte unterdrücken können. Doch was machte es schon aus, wenn sie die Nachricht abschickte, fragte sie sich dann als das Gefühl übermächtig zu werden drohte, es war ja nicht so, dass sie diesen Thorn verletzte oder ihm anderweitig Schaden zufügte. Sie half doch nur jemanden seine Arbeit zu tun und immerhin hatte die Öffentlichkeit doch ein Recht darauf zu erfahren, was es mit diesen Morden in der Stadt auf sich hatte, keimten dann die nächsten Gedanken in ihrem Inneren auf, während sie schon begann mit vor Adrenalin zitternden Fingern die Worte in ihr Mobiltelephon zu tippen. Sie schadete ja niemandem und wirklich verboten war es auch nicht, es war doch mehr eine Richtlinie solche Informationen nicht weiterzugeben, außerdem gab sie ja gar nichts wichtiges weiter, nur das jemand die Klinik verließ, keine Patientengeheimnisse, wie Diagnosen, Krankheitsbilder oder ähnliche Dinge, spann sie ihre Gedanken weiter und hatte dann mit einer Gänsehaut und einem flauen Gefühl im Magen den Sendeknopf betätigt. Mit klopfendem Herzen hatte sie auf eine Antwort gewartet, voller Hoffnung, dass sie diese noch während ihrer kurzen Pause auf der Toilette erhalten würde. Gerade als sie sich die Hände gewaschen hatte, war dann endlich die Antwort auf ihrem Telefon eingegangen und das Gefühl von Schuld hatte sich in freudige Erwartung verwandelt. Die nächsten Stunden ihres Dienstes waren dann wie im Flug vergangen.
Gedankenverloren rieb sich bei diesen Erinnerungen über ihre Arme, die Anspannung und Aufregung der letzten Stunden begannen von Sandrine abzufallen und doch war diese Entspannung für die Frau noch nicht ausreichend, denn sie spürte bereits wie ihr Körper nach einer weiteren Dosis ihres kleinen Lasters rief. Und warum auch nicht, hatte sie sich nicht eine kleine Belohnung verdient, rechtfertigte sie den Gedanken und das Gefühl vor sich selbst, als sie sich schon von der Tür abstieß, um sich ihre Utensilien zusammen zu suchen. Die Papiertüten mit den Einkäufen waren vergessen, jetzt wollte sich Sandrine etwas Gutes tun.
Wenige Minuten später saß Sandrine in der Mitte ihres Bettes und bereitete die ersehnte Injektion vor, nachdem sie sich ihrer Kleidung entledigt hatte. Ihr Brustwarzen wurden hart als sie die Flüssigkeit in durch die scharfe Kanüle in die Kunststoffspritze zog, freudige Erwartung glomm in ihren Augen als sie das Steigen des Pegels in der Kunststoffhülle beobachtete. Sie hatte noch einige Stunden Zeit bis zu ihrem Treffen mit dem Reporter und so hatte sie sich zusätzlich zu ihrem Drogenbesteck noch den kleinen batteriebetriebenen Freudenspender aus dem Nachttisch geholt, um das Vergnügen ihrer Belohnung in vollen Zügen auskosten zu können. Mit geübten Bewegungen setzte sie sich die Spritze, wobei sie ein leises Zischen zwischen Lippen hervorpresste als die Kanüle durch die Haut in ihren Arm fuhr, welches allerdings schnell von einem seligen Seufzen abgelöst wurde als sie die berauschende Substanz in ihren Blutkreislauf spritzte. Mit einem wohligen Stöhnen und flatternden Augenlidern ließ sie sich nach hinten sinken, als der Rausch ihren Körper in Besitz zu nehmen begann. Blind tastend fand sie nach einigen schweren Atemzügen das Kunststoffspielzeug, welches ihren Körper zusätzlich stimulieren sollte. Ihre Bewegungen waren langsam und träge, steigerten ganz langsam ihre Erregung, um den Höhepunkte solange wie möglich hinauszuzögern und auf einer Welle der Lust im Rausch der Drogen reiten zu können. Vollkommen verloren im Rausch der Empfindungen nahm Sandrine nichts mehr wahr, sie ging voll und ganz in den stimulierenden Reizen ihres vibrierenden Freudenspenders auf und bemerkte so auch nicht wie sich die Tür ihres Wandschrankes langsam und lautlos öffnete…
Ein grausam amüsiertes Lächeln lag auf den schmalen Lippen des weißhäutigen Mannes, in den Augen glühte bereits das düstere Rot, welches sich immer öfter in letzter Zeit bei solchen Gelegenheiten dort zeigte. Dort lag sie direkt vor ihm, nackt und vollkommen auf sich selbst konzentriert, ohne zu bemerken, dass ihre Zeit bereits abgelaufen war. Während Sandrine einem zweiten Höhepunkt entgegentrieb, näherte sich die weiße, rotäugige Gestalt dem Bett, die Schneide der klauenförmig gebogenen Klinge in seiner rechten Hand fing einen durch die halbgeöffnete Jalousie fallenden Lichtstrahl ein und reflektierte das Licht in einem sauberen Bogen über den Körper der sich windenden Frau, die davon nichts bemerkte. Doch der grinsende Mann hatte andere Pläne mit der Frau, die es ihm sogar noch leichter machte mit ihrem Verhalten, als er angenommen hatte, indem sie selbst bereits die Hälfte seiner Arbeit getan hatte, als sie sich ihrer Sucht hingegeben hatte. Sein Blick wanderte über den nackten, schweißbedeckten Leib der Frau, betrachtete wie sich die heftig atmende Brust hob und senkte, wie sie Finger und Spielzeug selbstvergessen benutzte, um zu neuen Höhen der Lust aufzusteigen. Doch was auch immer den Schalter der Lust bei einem gewöhnlichen Mann umlegen mochte, dieser Anblick reichte schon lange nicht mehr aus, um allein die innere Glut des Mannes zu entfachen und seine Wahrnehmung zeigte ihm auch nur die Möglichkeiten, die sich mit diesem wehrlosen Körper boten. Vor seinem geistigen Auge zogen die Möglichkeiten in einer Abfolge schneller Bilder vorbei, wie sich die Haut unter den Schnitten seiner Klinge öffnete, wie das Blut sprudelnd an die Luft kam, wenn er Arterien durchtrennte, wie die Schreie, das Schluchzen und Betteln das Zimmer mit ihrer süßen Musik erfüllten, all dies schoss ihm im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf, während er sich immer noch unbemerkt neben dem Bett in eine hockende Position niederließ, die funkelnde Klinge schon zum letzten Schnitt erhoben.
Doch leider, leider konnte er bei dieser Frau nicht alle seine Gelüste befriedigen, dachte er bei sich und unterließ den tödlichen Schnitt, der so berauschend eine kleine Erlösung gewesen wäre. Stattdessen hob er seine linke Hand, in der sich der kleine Beutel mit weißem Pulver befand, den er sich schon vor Tagen besorgt hatte, um seiner drogensüchtigen Informantin einen würdigen und angemessenen Abgang zu bereiten. Mit einem schnellen Biss öffnete er das Beutelchen, hob den Arm über die nasse, zuckende Scham seines Opfers und begann das Pulver langsam auf das Spielzeug und die rasierte, feuchte Haut rieseln zu lassen. Anfangs schien die Frau davon nichts zu bemerken, unbeirrt fuhr sie mit der Selbststimulation fort, ganz auf sich selbst konzentriert, ritt sie auf den Wogen ihrer Erregung, bis mit einem Mal die Bewegungen heftiger und unregelmäßig wurden, als das Pulver seine betäubende Wirkung zu entfalten begann. Verwirrt öffneten sich die braunen Augen als die Frau spürte, wie sich die Taubheit in ihrem Schoss auszubreiten begann, doch bevor sie reagieren konnte, lag die Klinge des Messer an ihrem Hals, das kalte Metall drückte die gegen die weiche, ungeschützte Haut direkt an ihrer Kehle, so dass sie kaum zu schlucken vermochte.
„Mach weiter. Sonst…“
Das leise, eiskalte Flüstern neben ihrem Kopf lenkte die Aufmerksamkeit nun vollkommen auf die weißhäutige Gestalt neben ihrem Bett, doch mehr als die Augen zu verdrehen wagte Sandrine nicht mit dem Messer an ihrem Hals, kein Laut drang über ihre Lippen, so vollkommen überrumpelt war sie von der Situation und die unausgesprochene Drohung war nur zu real, um es darauf ankommen zu lassen. Mit schreckensweiten Augen begann sie langsam und zögerlich das Spielzeug wieder zu bewegen und so immer mehr des weißen Pulvers mit ihren Schleimhäuten in Berührung zu bringen.
„Schneller, etwas mehr… Begeisterung“ flüsterte der glutäugige Peiniger mit einem spöttischen Unterton und unterstrich seine Worte, indem er den Druck der Messerklinge verstärkte, kurz davor die Haut zu ritzen und so das ersehnte Blut fließen zu lassen. Die lange, schmale Zunge schoss zwischen seinen Lippen hervor und befeuchtete sie, als er sich selbst nur mit Mühe zwingen konnte, seinen Impulsen, seinen Trieben nicht zu folgen. Schweißperlen, geboren aus Anstrengung sich zurückzuhalten und stetig steigender Erregung, traten dabei auf seine Stirn, als diese Situation für das fahle männliche Wesen zu einer Bewährungsprobe der Selbstdisziplin wurde.
Das Rauschen des eigenen Blutes toste wie die Brandung des Meeres in seinen Ohren, sein Blickfeld verengte sich, bis er nur noch wenig mehr als die panischen verzerrten Gesichtszüge seines Opfers vor sich hatte, dessen Bewegungen, von der eigenen Panik getrieben, immer schneller wurden. Warum sollte er sich seine Befriedigung verwehren, fragte er sich, warum sollte er sich selbst verleugnen, es gab doch keinen Grund diese Frau zu schonen, sie selbst hatte doch das Verderben über sich gebracht, ihre eigene Gier hatte sie in seine Arme getrieben, sie würde nur bekommen, was sie verdiente. Wieder sah er die wehrlose Frau in herzschlagschneller Abfolge von Bildern vor sich, wie sich ihre Blut auf das verschmutze Lacken ergoss, wie seine Klinge ihre Augen aus den Höhlen schälte und wie sich ihr Herzblut mit einem letzten Pulsieren auf ihrer bloßen Haut verteilte.
Die Hand des weißhäutigen Jägers begann leicht zu zittern, wie er so gegen seine intimsten Bedürfnisse ankämpfen musste, da er wusste, dass es ein Fehler wäre diesem Tod seine besondere und einzigartige Handschrift zu zeigen. Aber trotz dieses Wissens konnte der rationale Teil seines Denkens den mörderischen Drang seiner animalischen Seite nicht viel länger unterdrücken, immer heftiger wurde das Zittern der Hand, weiß traten die Knöchel unter der Haut hervor, Sehnen und Muskeln am Unterarm schienen bis zum Zerreißen gespannt, als endlich die Wechselwirkung der Drogen im Blutkreislauf der Frau ihren Tribut forderten. Gerade noch rechtzeitig konnte er die Klinge zurückziehen, mehr ein Reflex als bewusste Handlung, als sie sich auf dem Bett in krampfhaften Zuckungen zu winden begann. Keuchend und mit Schaum vor dem Mund bäumte sich die Frau auf dem verschwitzten Laken auf, ihre Augen rollten wild in den Höhlen, während sich ihre Blase leerte. Mit einem erleichterten Grinsen wich der Mann von der Seite des Bettes zurück, beobachtete dabei weiter den Krampfanfall der Frau, der inzwischen in willkürlichen Zuckungen übergegangen war, schaumiges Blut rann ihrem Mundwinkel, da sie sich offenbar durch die Muskelspasmen auf die Zunge gebissen hatte. Erleichtert wischte sich der glutäugige Mann über die Stirn und betrachtete den Schweiß auf seinem Handrücken mit einem Stirnrunzeln, als ihm klar wurde, wie knapp er davor gewesen war, sich selbst zu verraten, in dem er die Frau zu einem Stück seiner Sammlung machte.
Sein Blick ruhte immer noch auf der zuckenden Frau, grunzende Laute die immer leiser wurden drangen über ihre Lippen, doch nun hatte die Situation jeden Reiz für den Mörder verloren, ganz im Gegenteil fühlte er ein beinahe schon vergessenes Gefühl von Angst in sich aufsteigen, als die Erkenntnis in ihm zu reifen begann, dass er sich zu lange für perfekt gehalten hatte. Und diese Selbstüberschätzung hätte die Situation beinahe seinem Einfluss entgleiten lassen, was seinen Bemühungen ein vorzeitiges Ende hätte setzen können. Schnell, fluchtartig verließ er die Wohnung seines Opfers, die Fingerabdrücke kümmerten ihn nicht, da seine Identität als Trevor nie auffällig geworden war und es nun auch in Zukunft nicht mehr werden würde. Erst im Erdgeschoss gelang es dem Augensammler wieder sich zur Ruhe zu bringen, indem er einige tiefe Atemzüge machte, bevor er die Eingangstür öffnete und nach draußen trat. Immer noch musste er sich zwingen langsam zu gehen, aber je weiter er sich von Gebäude entfernte, desto so ruhiger wurde Trevor.
Doch erst als er wieder auf dem Fahrersitz seines Autos Platz genommen hatte und aus der Parklücke fuhr, fiel die Spannung ein wenig von dem haarlosen Mann ab. Doch die keimende Saat des Selbstzweifels war nicht so einfach auszulöschen, immer wieder und wieder spielte er auf der Fahrt die Ereignisse in der Wohnung vor seinem geistigen Auge ab, suchte nach Fehlern, nach Nachlässigkeiten und immer wieder sah er dabei seinen Moment der Schwäche, wie der Trieb beinahe alle Planung zunichte gemacht hatte. Er musste seine Pläne neu überdenken und so lenkte er das Fahrzeug auf einen anderen Weg, hinaus zu einem einsamen Haus im Wald.
Während der Mörder mit seinem eigenen Wesen beschäftigt war, verblieben die funkelnden chirurgischen Instrumente im Keller seines Hauses ohne Aufgabe und das kleine Mädchen in ihrem Gefängnis verschont…