Aquavit ist auch ein schöner Name!
Â
Unsicher blieb Ray in der Nähe der Sitzgruppe stehen. In der Dunkelheit hörte er das Klirren von Eiswürfeln.
Â
„Ich“, setzte er erneut an, wobei er sich äußerst unwohl in seiner Haut fühlte, „bin gekommen, um mich für all das, was mein Geschäftsführer Ihnen angetan hat, zu entschuldigen.“
Â
Diesmal war die Antwort ein heftiges Schnauben, gefolgt von einem: „So? Na gut, okay, setzten Sie sich. Wenn Sie wollen.“
Â
Nach einer wirklichen Einladung klang das zwar nicht, aber er hatte ja gewusst, dass es nicht einfach sein würde. So wählte er einen Platz, der einen Stuhl Sicherheitsabstand zu der Gestalt im Dunkeln bot und ließ sich mit einem Seufzer darauf sinken.
Â
Nachdem er Platz genommen hatte, wusste er zunächst nicht so recht, was er sagen sollte. Miss Zanzini sagte nichts, hatte wohl auch keine Veranlassung, ihm in irgendeiner Art und Weise behilflich zu sein. Das Licht der Lampe reichte kaum bis zum Tisch und da sie außerdem noch eine Baseballkappe trug, konnte er ihr Gesicht nicht sehen.
Â
Das Schweigen zog sich hin und wurde langsam ungemütlich. Ray holte tief Luft und beschloss, ehrlich zu sein. „Also, ich gebe zu, ich weiß nicht so recht, wie ich anfangen soll. Ich fühle mich etwas ...  hilflos...“
Â
Ihre Stimme klang schneidend, als sie antwortete: „Mein Mitleid hält sich in Grenzen, Mr. Lornton, das werden Sie sicher verstehen.“
Â
Er nickte. „Ja, ich verstehe, wenn Sie sauer auf mich sind.“
Â
Diesmal war die Reaktion nur ein leises Schnauben. Nun ja, er hatte ja gewusst, dass es nicht einfach sein würde.
Â
„Aber Sie müssen mir glauben, dass ich von all dem keine Ahnung hatte, auch wenn es in meinem Namen passiert ist.“
Er lehnte sich zurück und holte aus: „Ich habe Herrn Crunner in der festen Meinung eingestellt, es handle sich bei ihm um einen tüchtigen Geschäftsmann-“, wieder ein verächtliches Prusten, „und um einen ehrenhaften Menschen. Ich bin entsetzt darüber, hier bei meiner Rückkehr feststellen zu müssen, dass und wie sehr mich meine Menschenkenntnis diesmal im Stich gelassen hat!“
„Sie würden also sagen, dass die im Allgemeinen eine bessere ist?“
Â
Endlich mal ein Satz, mit dem er etwas anfangen konnte. „Nun ja, bisher habe ich so gut wie immer richtig gelegen.“
Â
Gut, vielleicht lag das auch daran, dass er sonst meistens mit dem immer gleichen Typ Mensch aus der erlauchten Gesellschaft, aus der seine Familie stammte, zu tun hatte. Die waren leicht einzuschätzen, aber das musste er der jungen Frau ja nicht unbedingt auf die Nase binden.
Â
„Wie auch immer, hier habe ich komplett falsch gelegen. Bitte, Sie müssen mir glauben: Nichts von dem, was er Ihnen angetan hat, war irgendwie von mir beabsichtigt oder auch nur autorisiert!“
„Hmhm“, machte sie, anscheinend immer noch sehr schweigsam. Doch dann sprach sie zu seiner Ãœberraschung weiter. „Es war also nicht IHRE Absicht, mich gar nicht erst Fuß fassen zu lassen? Mich und meinen Ruf von Grund auf zu ruinieren?“
Â
Ray ruckte nach vorne. „NEIN!! Um Gottes Willen, nichts liegt mir ferner! Ich habe keine Angst vor Konkurrenz. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, dass sich zwei im Charakter wahrscheinlich etwas unterschiedliche Lokale eher gut ergänzt hätten...“
Â
„Tja, das werden wir jetzt wohl nicht mehr feststellen können...“
Â
Miss Zanzini war wohl nicht leicht zu knacken. Allerdings benahm sie sich etwas anders, als er erwartet bzw. befürchtet hatte, sie tobte nicht rum, beschimpfte ihn nicht.... Aber mit dieser stillen Resignation war ebenfalls schwer fertig zu werden.
Â
Ein warme Brise kam vom Strand herüber und trug den salzigen Geruch des Meeres mit sich. Die Atmosphäre in dieser lauen Sommernacht hätte eigentlich schöner nicht sein können und es war schade, dass hier so viel – zwar durchaus berechtigter – Sarkasmus in der Luft lag.
Leise sagte Ray: „Sie können sich wahrscheinlich nicht vorstellen, wie leid mir das tut. Und wie sehr es mich bedrückt. Auch wenn ich es weiß Gott nicht angeordnet habe, geschah es doch in meinem Namen. Ich trage die Verantwortung.“
„Und das belastet Ihr Gewissen.“ Das hatte nicht einmal zynisch geklungen, eher wie eine reine Feststellung. „Es war bestimmt nicht einfach für Sie, Mr. Lornton, hier rüber zu kommen. Hut ab.“
„Miss Zanzini, ich kann Ihnen versichern-“
„Oh bitte, so nennt mich nur mein Steuerberater.“ Plötzlich musste sie kichern, was ihn zunächst wunderte, doch dann begriff er den Zusammenhang mit ihrer derzeitigen finanziellen Lage. „Okay, mein Vorname ist leider ähnlich schlimm. Cassiopeia. Sagen Sie einfach Cassie zu mir.“
„Ray. Ja, es gibt Einfacheres. Trotzdem musste ich kommen. Damit Sie einfach wissen, dass das nicht von mir ausging.“
„Ich soll Ihnen also jetzt sozusagen die Absolution erteilen? Damit Ihr Gewissen wieder rein ist?!“
Â
Ray schwieg. Hatte sie nicht irgendwo Recht? Nachdenklich antwortete er: „Mag sein, dass da was dran ist. Ich mag es eben nicht, wenn man mich falsch einschätzt.“
Â
Eine plötzliche Bewegung an seiner Seite ließ ihn zusammenzucken. Miss Zanzini bzw. Cassie zog sich mit einem Ruck die Kappe vom Kopf und schüttelte ihr langes Haar nach hinten. Mehr von ihrem Gesicht konnte er aber trotzdem nicht sehen.
Â
„Wissen Sie was, Ray? Ich kann Sie verstehen. Ich glaube Ihnen! Da Sie damit aber gar nicht der eigentliche Verursacher sind, gibt es rein semantisch aber auch eigentlich nichts, was ich Ihnen verzeihen müsste.“
Â
Das überraschte ihn dann doch, dass sie zu einer solchen Bemerkung fähig war. So murmelte er nur ein leises „Danke“ in die Nacht hinein.
Â
Wieder hörte er die Eiswürfel klirren und unvermittelt fragte sie: „Ist schon in Ordnung. Möchten Sie auch etwas trinken?“ Er bejahte und er hörte mehr als er sah, dass sie nun ein weiteres Glas einschenkte und es ihm zu schob. „Prost!“
Â
„Prost!“, antwortete er und trank einen Schluck. Ein scharfer Geschmack verteilte sich überraschend auf seiner Zunge und er konnte gerade eben ein Husten unterdrücken. Dann entfuhr es ihm: „Aquavit?!“
Â
Cassie lachte jetzt ein kehliges Lachen, doch ihre Stimme klang immer noch belegt. „Er ist einen weiten Weg gereist. Es gibt nichts besseres, um ein Ende zu besiegeln und Mut für einen neuen Aufbruch zu gewinnen.“
Â