Einleitung
Konkurrenz belebt das Geschäft, das ist Rays Motto. Sein verbrecherischer Geschäftsführer war da wohl anderer Meinung! Also muss Ray nun bei der jungen Frau, die sich selber als Zirkusprinzesssin bezeichnet,zu Kreuze kriechen. Kann er vielleicht auch wieder gut machen, was ihr angetan wurde? Oder hatte sie eigentlich von vornherein nie die Absicht, seßhaft zu werden?!
Wem kann man noch trauen?
Rayleigh Lornton, genannt Ray, saß fassungslos an seinem Schreibtisch. Er konnte einfach nicht glauben, was Gabriel Crunner, der Mann, den er als Geschäftsführer eingestellt hatte, in seinem Namen angestellt hatte. Natürlich war der Zeitpunkt seiner Abwesenheit, mitten im Aufbau und der Eröffnung eines neuen Restaurants, äußerst ungünstig gewesen.
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Leider hatte er trotzdem zu seiner Familie gemusst, da war ihm keine Wahl geblieben. Crunner, den er kurz vorher eingestellt hatte, war ihm wie ein verlässlicher Mann vorgekommen. Ein wenig zu abgebrüht vielleicht, aber gerade das, so dachte er, könnte ja im Überlebenskampf einer Neueröffnung nicht so verkehrt sein. Außerdem drängte die Zeit und es gab keine Alternativen, so hatte er ihn trotz eines leichten Bauchwehs dabei schließlich eingestellt.
Jetzt war Ray wieder zurück und musste entsetzt feststellen, wie falsch er mit dieser Entscheidung gelegen hatte, wie richtig sein Gefühl in Wirklichkeit gewesen war... Sein Laden lief zwar prima, aber um welchen Preis! Grimmig betrachtete Ray die Unterlagen und überdachte den Bericht, den er gerade eben von einem erbosten Mitarbeiter zu hören bekommen hatte. Crunner selbst konnte er nicht mehr fragen, der war verschwunden, allerdings nicht, ohne kräftig in die Tageskasse gegriffen zu haben!
Vorher hatte er noch ganze Arbeit geleistet. Wütend dachte Ray, dass die vielleicht manchem Anderen ganz gut gefallen hätte, der an seiner, Rays, Stelle gewesen wäre, denn das Restaurant hatte er gut nach vorne gebracht. Aber um welchen Preis!, wiederholte er in Gedanken.
Noch kurz vor seiner Abreise hatte Ray mitbekommen, dass das kleine Strandrestaurant ganz in der Nähe ebenfalls wieder bewirtschaftet werden sollte. Seit einigen Tagen hatte ein bunter Trailer dort in der Nähe gestanden; die neue Besitzerin sollte sogar aus dem Zirkus kommen, was allgemein für Interesse sorgte.
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Auch er hatte noch mit Crunner darüber gescherzt und lachend gemeint, dass es ein bisschen blöd sei, dass der Zirkus ausgerechnet jetzt in die Stadt kam. Im Grunde aber hatte er vor der Konkurrenz keine Angst gehabt, im Gegenteil, aus seiner Erfahrung wusste er, dass zwei im Charakter unterschiedliche Läden in der Nähe einen eher positiven Effekt hatten.
Crunner schien aber gänzlich anderer Meinung zu sein. Statt der normalen Entwicklung Raum zu geben, sorgte er systematisch dafür, dass die Konkurrenz gar nicht erst zum Zug kam, und das mit äußerst unfairen Mitteln – und noch dazu offiziell in seinem, Lorntons Namen! So hatte er Zulieferer bestochen, damit sie nicht lieferten, hatte durch Beziehungen die Kreditwürdigkeit der jungen Frau herabstufen lassen, sogar den Zufahrtsweg hatte er einmal blockieren lassen!
Aber damit nicht genug, Crunner hatte auch gezielt Gerüchte gestreut, deren Inhalt sich Ray gar nicht weiter widmen wollte, so eklig und abscheulich waren sie. Nur durch Zufall hatte er noch bei seiner Familie erfahren, was alles ausdrücklich in seinem Namen dort vorging und war sofort wutentbrannt ans Telefon geeilt.
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Solche Machenschaften waren einfach nicht sein Stil. Und es war auf keinen Fall für ihn akzeptabel, einen Konkurrenten mit derart unlauteren Mitteln zu ruinieren! Das hatte er auch gar nicht nötig. Dies hatte Lornton Crunner auch sehr eindringlich in einem aufgebrachten Telefonat klar gemacht, kurz bevor er nach Hause aufgebrochen war.
Als Ergebnis hockte er nun hier ohne seinen Geschäftsführer, der sich feige aus dem Staub gemacht hatte, wobei er sich vorher noch einmal rasch auf eigene Faust entlohnt hatte. Das Geld und Crunners Flucht an sich konnte Ray verschmerzen, die Führung konnte er auch selber übernehmen.
Aber sein Ruf lag in Trümmern. Soviel war ihm in der kurzen Zeit nach seiner Rückkehr schon klar geworden. Nicht nur, dass Crunner abgehauen war, auch einige seiner Angestellten hatten aus Protest gekündigt. Auch der Mann, der gerade eben noch bei ihm gewesen war, hatte sich empört von ihm verabschieden wollen.
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Offenbar hatte seine Konkurrentin ein gewisses Charisma, weswegen die Leute doppelt scharf reagierten. Ray hatte ihn zumindest noch so lange aufhalten können, bis er ihm mehr Details über Crunners Aktivitäten entlockt hatte. Er versuchte auch, ihm klar zu machen, dass all dies nicht auf seinem Mist gewachsen war und dass er sich sehr davon distanzierte.
Obwohl der Mitarbeiter sich sogar überzeugen ließ, konnte er eine endgültige Rücknahme der Kündigung nicht erwirken. Daran hinderte den Mann ein großer LKW, der gerade vom Gelände des anderen Lokals rumpelte, auf der Ladefläche allerlei Einrichtungsgegenstände, von denen sich Miss Zanzini, so hieß die junge Frau, anscheinend trennen musste. Kopfschüttelnd hatte Cristobal daraufhin gemeint, er würde sich das Ganze noch mal durch den Kopf gehen lassen.
Jetzt war es schon dunkel geworden und Ray hatte bis jetzt über den Unterlagen gebrütet. Anscheinend war seine Konkurrentin wirklich gründlich ruiniert. Ein wenig kritisch dachte er nach einer flüchtigen Ãœberschlagung schon, dass Cassiopeia Zanzini – was für ein Name, wahrlich des Zirkus’ würdig! – da auch vielleicht ein wenig knapp kalkuliert hatte. Als Fakt blieb aber die Tatsache, dass sie keinerlei faire Chance gehabt hatte, es aus eigener Kraft zu schaffen. Und er, Ray Lornton, stand als Bösewicht da.
Mit einem tiefen Seufzer klappte er die Bücher zu und sah aus dem Fenster, vor dem es inzwischen schon fast Nacht war. Beim Trailer drüben brannte trüb eine kleine Laterne. Miss Zanzini war also offenbar noch im Ort und heute Abend da, aber er hatte keine Ahnung, wie lange sie überhaupt noch hier bleiben würde. Da konnte er sich auch gleich in die Höhle des Löwen wagen.
Ray fuhr sich durch die blonden Strubbelhaare, die aber doch meistens so lagen, wie sie wollten, schlüpfte in sein Jackett und machte sich auf den Weg über die leichte Senke rüber zu dem anderen Restaurant. Die Dunkelheit war jetzt vollkommen und mangels Beleuchtung musste er gut darauf achten, wohin er trat. Die kleine Lampe vor ihm kam ihm dabei vor wie ein kleiner Leuchtturm, auf den er durch schweren Seegang zu steuerte. Sehr schwerer Seegang.
Plötzlich fröstelte er, obwohl es nicht kalt war. Aber der Gedanke daran, was er gleich tun musste, ließ ihn erschauern. Er wollte um Entschuldigung bitten, trotz dem, dass er es nicht selber verbrochen hatte. Aber es war in seinem Namen geschehen und er erwartete, nicht gerade mit Wohlwollen aufgenommen zu werden... Aber da musste er jetzt durch!
Entschlossen straffte er sich und trat auf die unterste Stufe des Wohnwagens. Aus der Nähe konnte man sehen, dass es wirklich kein gewöhnlicher Silverstream-Trailer war, sondern ein echter Zirkuswagen aus Holz, mit einer richtigen Holztreppe an der Frontseite. Ray, der aus einer alteingesessenen Familie von der Ostküste kam, musste ein wenig schmunzeln. Das war eine Welt, die ihm total fremd war.
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Langsam stieg er die Stufen hinauf, die von der kleinen Lampe spärlich beleuchtet wurden, und klopfte an. Als er keine Reaktion erhielt, klopfte er noch einmal und rief halblaut: „Miss Zanzini?“ Die Antwort kam von einem Platz neben dem Wagen, wo er überrascht im trüben Licht eine kleine Sitzgruppe ausmachte.
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„Wer sind Sie? Was wollen Sie?“ Die Stimme klang etwas rau, eigentlich sehr angenehm, jedoch durchsetzt von einem resignierten Unterton. Ray blinzelte. Jetzt konnte an dem kleinen Tisch eine dunkle Gestalt ausmachen.
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Rasch stieg Ray die Stufen herab und kam näher, dabei räusperte er sich und sagte dann: „Guten Abend, Miss Zanzini. Wir kennen uns noch nicht, aber ich bin Ray Lornton.“
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Die Reaktion war ein abruptes „Ah!“, dann sagte sie: „Sie haben wirklich Mut, sich hier blicken zu lassen!“