Kurzgeschichte
Öfters mal was Neues

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"Öfters mal was Neues"
Veröffentlicht am 03. März 2012, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Menschen tun Dinge an Orten aus Gründen.
Öfters mal was Neues

Öfters mal was Neues

Beschreibung

Eine etwas ältere Kurzgeschichte von mir.

Öfters mal was Neues

Das erste, was ich tat, war, den Blick auf die Uhr zu vermeiden. Wie jeden Morgen nach einer durchsoffenen Nacht. Grummelig drehte ich mich auf die andere Seite und ließ den Arm aus dem Bett hängen. Das half aber irgendwie nichts. Mir kam wieder Jonnies Bemerkung in den Sinn, dass es sich nicht gut macht, Wodka mit Bayleys zu mischen. Das half aber auch nichts. Ich hob den Kopf und blinzelte die Kurt Cobain-Fahne an, die über meinem Schreibtisch hing. Nach fünf langen Sekunden beschied ich, dass das ebenfalls nichts half, und sah auf die Uhr. Halb drei. Stöhnend wälzte ich mich zum Rand meines Bettes und stand auf. Es klappte besser, als ich gedacht hätte. Die ersten Erinnerungen an gestern klopften der Förmlichkeit halber mal sporadisch an meinem Hinterkopf an. Ich ignorierte sie, so gut ich dazu in der Lage war, und stolperte über ein paar dreckige Jeans in die Küche.
  Jonnie stand da, in einem lila gestreiften Morgenmantel, mit einem Wikkingerhelm auf dem Kopf, und rührte Teig. Ich sah mich nicht dazu im Stande, etwas zu sagen, also setzte ich mich einfach hin. Er drehte sich um und sah mich an. Kein Wort, kein Lächeln, keine Regung. Er stellte mir eine Kaffeetasse hin und füllte sie zu gleichen Teilen mit Kölsch und Red Bull. Es ist widerwärtig, keine Frage. Aber das beste Antikatermittel, das er in all den Jahren entwickeln konnte. Und es half. Ich trank die Brühe in einem Zug und schob eine Scheibe trockenen Toast hinterher. Jonnie nickte wohlwollend. Schön zu sehen, wenn der Sohn wenigstens das Saufen vom Vater anständig beigebracht bekommt.
  "Jonnie?" Sprechen klappte besser, als ich dachte.
  "Hm?" Er hatte sich wieder seinem Teig zugewandt und schlug ein Ei rein.
  "Warum trägst du dieses Ding auf dem Kopf?"
  "Es schien mir eine gute Idee, ihn anzuziehen, als er mir eben beim Öffnen meines Kleiderschranks auf den Fuß gefallen ist." Er lachte. Es klang gekünstelt. Genau wie gestern Nacht. Ich habe ihn noch nie vorher auf diese Weise lachen gehört. Mir schossen Bilder durch den Kopf.

Ein grinsender Mitfünfziger mit einem Schnauzbart, der ihn aussehen ließ wie Ned Flanders, und mir zwischen zwei Schlucken seines alkoholfreien Biers wohlwollend auf die Schulter klopfte.

Ich erschauderte. Jonnie holte eine Pfanne aus dem Schrank, stellte sie auf den Herd und fettete sie ein.

Die hübsche Bedienung aus dem Pub, die mir mit einem Lächeln mein drittes Guinness hinstellte. Jonnie, dem das breite Grinsen wie eine tote Spinne aus dem Gesicht gefallen war, als Ned Flanders sich zu uns gesetzt hatte. Er hatte sich mir als alter Freund meines Vaters vorgestellt. Wie ihm die Gesichtszüge erstarrt waren, als ich ihm meinen Namen nannte. Der einzige Satz, der mir noch wirklich klar im Gedächtnis klebte. "Meinen richtigen Namen mag ich nicht. Ich heiß Robertus, aber die meisten nennen mich Rööp."

Jonnie goss Teig in die Pfanne. "Wie geht’s deinem Kopf?"
  "Besser, als zu erwarten wäre."
  Er vermied es, mich anzusehen. Ich konnte gut verstehen, warum.

Mein Pint, das ich spontan geext hatte, um die Nachricht zu verdauen. Der Wodka, den ich hinterhergekippt hatte.

Kein Wunder, dass mein Kopf sich anfühlte, als sei ein Kleinlaster drin geparkt worden. Jetzt, wo die Erinnerung wieder da war, konnte ich mir nicht erklären, wieso sie so lange gebraucht hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich einfach auch noch nicht so richtig von der letzten Nacht erholt. Ich blickte eine Weile auf Jonnies Rücken. Seit ich denken konnte, trug er diesen Bademantel, wenn er nicht gezwungen war, das Haus zu verlassen. So sah das Ding auch aus. Abgewetzt, mit Zigarettenbrandlöchern an allen möglichen und unmöglichen Stellen, die Farben schon ziemlich verblasst. Größtenteils ließ sich das Lila kaum noch vom Rosa unterscheiden. Jonnie sagte immer, dieser Bademantel hätte mehr Charakter als Jimi Hendrix, David Bowie und Joe Strummer zusammen und dass er sich deshalb ein bisschen wie ein alter, vergessener, verfallender Rockstar fühlte, wenn er ihn trug. Meiner Meinung nach wirkte er in diesem Ding einfach nur wie der Bär im großen blauen Haus. Aber ich war zu gnädig, um diese eine egoaufbauende Illusion meines Vaters zu zerstören, also hielt ich die Klappe und lud so wenig Freunde wie möglich ein, wenn Jonnie einen freien Tag hatte. Das klappte auch ganz gut.

Die hübsche Bedienung hatte mir irgendwann nahegelegt, auf Cola umzusteigen. Ich kam mir unglaublich blöde vor, jetzt, wo mir bewusst wurde, dass ich mir die Chance bei ihr mit dem ausladenden "leck mich am Arsch, Puppe" wohl endgültig versiebt hatte.
  Flanders, der mich den Rest des Abends nur noch mit Fragen löcherte. Er kam mir so... synthetisch vor. Wie das Lächeln eines Kassierers bei Mc`Donalds. Und der Bart war ein echter Blickfang.

Wieder lief mir ein Schauer über den Rücken. Jonnie warf Schinken und Käse zum Teig in die Pfanne und wendete den Pfannkuchen mit einem gekonnten Handgriff. Seine postalkoholische Feinmotorik war echt zu beneiden.
  "Vergiss die Tomaten  nicht ", sagte ich tonlos und starrte in die Überreste meiner Kaffeetasse.
  "Das sind Antikaterpfannkuchen, Rööp!", belehrte mich Jonnie und ließ Mozarellaflocken in die Pfanne fallen. "Da kannst du nichts gesundes reintun!"
  "Das sagst du."
  "Das sage ich." Jonnie warf mir einen kurzen Blick über die Schulter zu. "Und wer von uns hat die größere Sauferfahrung?"
  "Touché."

"Seit wann wohnst du schon bei Johannes?", hatte Flanders mich gefragt. Ich hatte die Frage nicht verstanden. "Schon immer ", hatte ich geantwortet. "Schließlich ist er mein Vater."
  Flanders hatte sich verwirrt nach Jonnie umgesehen. Der hatte nur den Kopf geschüttelt, bevor er einen weiteren Schluck aus seinem Pint genommen hatte, und ich durfte dem komischen Kerl lang und breit erklären, warum ich meinen Vater beim Vornamen nannte. Als ob ihn das was angegangen wäre.
  Dann wurde alles wieder blasser. Irgendwann hatte Jonnie es geschafft, Ned Flanders zu einem Kurzen zu überreden, das wusste ich noch. Und dann irgendwie zu noch zu einer Menge anderer unterschiedlicher Getränke.

Ich stand langsam auf, ging zum Kühlschrank und starrte hinein. Tiefkühlpizza, Joghurt, ein paar Filmdosen und acht Reissdorf Kölsch. Ich griff nach der letzten Dose mit Eiskaffee, die noch da war, und angelte zwei Bierflaschen hinterher. Jonnie war inzwischen dabei, den vierten Pfannkuchen zu wenden. Ich stellte das Bier auf den Tisch und trank den Kaffee leer.

Irgendwann hatte Flanders begonnen zu lallen. Nach seinem dritten Pint Guinness hatte er sich mit leicht debilem Grinsen zu mir rübergebeugt und mich vollgelabert. Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken daran loszuwerden. Jonnie stellte einen übergroßen Pizzateller mit den Pfannkuchen in die Mitte des Tisches und legte mir eine Gabel hin. Routiniert öffnete ich die Bierflaschen mit meinen Backenzähnen, dann begann ich wortlos zu essen.

Irgendwann hatte Jonnie Ned Flanders entgültig abgefüllt. Aber das hatte eigentlich genau das Gegenteil von dem bewirkt, was er beabsichtigt hatte. Er wurde nur noch gesprächiger.

Ich spürte Jonnies Blick beim Essen. Hastig nahm ich einen Schluck Bier, aber irgendwie half das nichts. Ich seufzte schwer und sah ihn lange an. Er wich mir aus. Es half alles nichts. "Der Typ gestern...", brachte ich hervor.
  "Franziskus." Jonnie sah mich kurz an.
  Ich nickte. " Woher kennst du ihn?"
  "Von der Uni. Er war eine Zeit lang mit einer Freundin von mir zusammen. Irgendwann wurde sie schwanger. Er hat Schiss bekommen, und eines Tages war er weg."
  "Und was ist dann passiert?" Ich trank einen Schluck Bier.
  "Sie hats nicht gepackt. Kam nicht mehr zur Uni, hat oft getrunken, ein bisschen zu oft für meinen Geschmack. Sie hat den Jungen vernachlässigt. Und eines Tages stand das Jugendamt vor der Tür."
  Ich nickte. "Verständlich." Das fettige Essen tat echt gut. Das musste man Jonnie lassen. Vom Trinken hatte er Ahnung.
  "Du solltest ins Heim kommen." Jonnie sah mich lange an. "Also habe ich mit Maries Zusage die Vaterschaft anerkannt." Er rückte seinen Wikkingerhelm zurecht. Ich sah ihn schweigend an. Diesmal hielt er meinem Blick stand. "Ich kann ihn nicht ausstehen ", sagte ich nach einer Weile.
  Jonnie war immer noch ein wenig verunsichert. "Willst du dich mal mit ihm treffen?"
  "Bist du wahnsinnig?" Ich leerte mein Kölsch. "Der Kerl trinkt alkoholfreies Pils und nennt dich Johannes!"
  Jonnie zog verwundert die linke Augenbraue hoch. Ich musste grinsen. "So hast du dir das mit dem Vatertag nicht vorgestellt, oder?"
  Er lachte und schob sich noch ein Stück Antikaterpfannkuchen in den Mund. "Garantiert nicht ", nuschelte er durch ein Stück halb zerkauten Schinken hindurch.
  So hatte ich mir das mit dem Vatertag allerdings auch nicht vorgestellt.


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jimihurricane Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 03.03.2012 - 23:00 Uhr) Fängt mal lustig an. Hab echt ein paar mal gelacht. Wirklich unterhaltsam geschrieben und ich bin gespannt wies weitergeht. Genau das Richtige für Samstagnachmittag ähm... Abend.

Danke Danke^^
Ich weiss allerdings noch nicht, ob ichs überhaupt noch weiterschreibe, wie gesagt der Text ist schon etwas älter... Aber schön, wenns gefällt.

Sry für die späte Antwort, hatte eine Weile meine LogIn-Daten verschludert.
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EagleWriter Fängt mal lustig an. Hab echt ein paar mal gelacht. Wirklich unterhaltsam geschrieben und ich bin gespannt wies weitergeht. Genau das Richtige für Samstagnachmittag ähm... Abend.
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