Neue Folgen, News und weitere Stories auch auf http://s-hilgert.blogspot.com || Seltsame Dinge gehen auf Inistra vor sich: Sämtliche technischen Geräte spielen völlig verrückt. Als dann auch noch Abby anfängt Gespenster zu sehen, stellen die Expeditionsteilnehmer fest, dass sie einen Geist in der Maschinerie haben...
Erst spürte sie nichts. Dunkelheit umschloss sie wie ein Mantel, und ließ keine Bewegung zu. Dafür konnte sie plötzlich wieder anfangen zu sehen. Erst durch ein, dann durch zwei, dann durch viel mehr Augen. Und sie spürte, dass sie keine Gliedmaßen mehr hatte, aber dafür andere Dinge kontrollieren konnte, alles Kraft ihrer Gedanken. Allerdings funktionierte das noch nicht, und würde wohl noch etwas Übung brauchen, bis sie ihre Kräfte vollständig einsetzen konnte.
Heute aber vermochte die luxuriöse Ausstattung der Wohnung Jans Stimmung kaum zu heben. Schnell zog er sich etwas über um Laura Craig zu suchen, die für Reparaturen aller Art zuständig war. Als er seine Wohnung, die in einem Bereich lag, den sie als Regierungsviertel oder Management Complex bezeichneten, war der Ringgang noch Menschenleer. Die Wohnungen im Regierungsviertel lagen zusammen mit den Konferenzräumen, dem ‚Sheriff’s Office‘ von Ray Charleston und der Krankenstation im Norden der ringförmig gebauten Stadt. Hier wohnten ausschließlich die leitenden Teilnehmer der Expedition, mit dem Sinn, dass sie im Notfall schnell erreichbar wären. Die acht Wohnungen und zwei Gästequartiere gingen mit den Fenstern alle zum See hinaus und lagen zwischen der Eingangshalle und der Krankenstation, und waren zudem ein wenig größer und luxuriöser als die meisten der anderen Wohnungen, die in zwei Abschnitte aufgeteilt den größten Teil der Südhälfte der Stadt ausmachten.
Nach ein paar Minuten erreichte Jan Lauras Werkstatt, die östlich der Krankenstation lag. Auf dem Weg dahin hatten immer wieder die Deckenleuchten geflackert, was Jan umso mehr beunruhigte, denn Laura war nicht in ihrer Werkstatt um das Problem zu beheben. Nach etwa einer halben Stunde des Suchens fand er sie schließlich in ihrer Wohnung im Westviertel der Stadt: Mit total wirren Haaren öffnete sie ihm die Tür, und musste zugeben schlicht und ergreifend verschlafen zu haben.
„Mein Wecker hat gar nicht geklingelt…“, entschuldigte sie sich, noch immer leicht schlaftrunken.
Kurze Zeit später standen sie zu zweit in Lauras Werkstatt, und versuchten das Problem ausfindig zu machen.
„Die Steuerung für alle Lichter, für Wasser und was man sonst noch so braucht läuft komplett über das zentrale Energieverteilersystem der Stadt,“ erklärte Laura, „dessen Funktionen laufen alle am Generatorraum zusammen.“
„Der unten im Sublevel?“
Laura nickte.
„Ich fürchte, da wir in der ganzen Stadt verteilt Probleme haben, ist da unten irgendwo ein Fehler.“
Sie deutete auf einen der Schaltpläne die Dr. Lieb in der Datenbank gefunden hatte.
„Hier könnte was sein“
Jan nickte. In dem Moment kam Mary Lu Rosenthal herein.
„Hey,“ rief sie, „habt ihr schon gemerkt, dass über die Lichter flackern?“
Jan und Laura nickten simultan.
„Wissen wir, danke, wir sind gerade auf dem Weg das Problem zu finden“, sagte Laura und hob ihren schweren Werkzeugkasten aus einer Ecke der Werkstatt.
„Willst du mitkommen?“, fragte Jan.
Mary Lu lächelte.
„Eigentlich gerne, aber der Captain möchte mich gerne sehen. Keine Ahnung was er jetzt schon wieder hat, aber es scheint ihm wichtig zu sein.“
Jan lachte. Sie gingen noch gemeinsam bis hinüber zum Konferenzraum, an dessen Spitze das Büro des Captains lag.
„Wollt ihr nicht den Transporter nach unten nehmen?“, fragte Mary Lu, als sich Jan und Laura in Richtung der Eingangshalle machten.
„Bei den Energieschwankungen lieber nicht, wer weiß als was wir da wieder herauskommen“, antwortete Laura.
„Stimmt auch wieder. Na dann bis später“, lächelte Mary Lu und verschwand in den Konferenzraum.
„Hast du gehört, dass er befördert werden soll?“, fragte Laura, als die beiden die Eingangshalle in Richtung der kleinen Bahn durchquerten, die die Ringstadt mit dem Sublevel verband.
„Befördert? Wer?“
„Na der Captain. Er hat für seine Position und Verantwortung einen ziemlich niedrigen Rang, und nach der Invasion hat man wohl angefangen zu prüfen, ob man ihn nicht befördern möchte.“
„Schau an“, kommentierte Jan und stieg in den Zug, der bereitwillig an der kleinen Station stand.
„Freust du dich denn gar nicht für ihn?“, fragte Laura, während sie per Knopfdruck den Zug startete und auf ihr Ziel programmierte.
„Wir… verstehen uns nun mal nicht so prächtig. Ist ne komplizierte Sache…“
Laura wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als der Zug plötzlich stehen blieb.
„Na super,“ kommentierte Jan, „jetzt müssen wir doch noch laufen.“
Laura stand auf und ging zur Tür hinüber.
„Ich werd‘ mal sehen, ob ich das Ding nicht so wieder flott bekomme. Wäre doch gelacht, wenn wir wegen eines Stromausfalls jetzt laufen müssten.“
Wie auf Kommando fiel daraufhin das Licht aus.
„Was sagtest du gerade?“, fragte Jan belustigt.
„Das ich mich von Technik genauso wenig wie von Männern beeindrucken lasse.“
Mit diesen Worten griff sie zu einer riesigen Taschenlampe, drückte sie Jan mit dem Kommentar „Halt mal“ in die Hand und stieg aus. Jan folgte ihr auf dem Fuße und leuchtete, während sie eine große Klappe an der Vorderseite des Zuges öffnete.
„Weißt du,“ kommentierte Jan, während der die Taschenlampe nach ihren Kommandos hin und her bewegte, „mit deiner Haltung würdest du wunderbar nach Aiwa Amzama passen.“
Laura lachte.
„Ich nehm das mal Kompliment. Aber wer würde sich denn um die Technik hier kümmern, wenn ich auf der Amazoneninsel wäre, hm? Du vielleicht? Da bleibe ich lieber hier.“
„Ich würde sagen wir bleiben beide hier, jedenfalls so lange bis du den Zug repariert hast.“
„Sehr komisch. Mit dem Zug ist wie es scheint alles in Ordnung, scheint wohl tatsächlich ein Problem in der zentralen Stromversorgung zu sein.“
In dem Moment gab es einen gewaltigen Lichtbogen, und Laura stolperte zurück. Und mit einem Mal geriet der Zug wieder in Bewegung.
„Pass auf!“, brüllte Jan und schubste Laura mit einem Hechtsprung im letzten Moment von den Gleisen. Im nächsten Moment rauschte der rapide beschleunigenden Zug vorbei.
Laura atmete heftig.
„Ich glaube wir laufen besser“, sagte sie trocken. Jan nickte, noch immer bleich. Vorsichtig stiegen sie über die Schienen und liefen über den breiten Gang, der neben den Schienen her lief. Eine Weile schwiegen beide, dann meinte Laura leise,
„Danke. Du hast mir eben das Leben gerettet…“
Jan wiegelte ab.
„Du hättest dasselbe für mich getan. Hoffe ich jedenfalls.“
Laura nickte.
„Verdammt, hätte das schief gehen können.“
Jan lachte leise.
„Ist es nicht irgendwie immer so? Kommt mir jedenfalls so vor, seit wir dieses Albagan-Projekt angefangen haben…“
Kurze Zeit später erreichten sie den Sublevel, wo der Zug beinahe hämisch auf sie wartete. Zwischendurch war immer mal wieder der Strom ausgefallen, was in dem dunklen Tunnel nicht gerade zu ihrem Wohlbefinden beigetragen hatte.
„So, dann schauen wir doch mal was hier eigentlich los ist…“, murmelte Laura, als sie die Tür zum Generatorraum öffnete. Darin befanden sich, fein säuberlich an den Seitenwänden aufgereiht, Container mit proteinhaltigen Substanzen, dem Brennstoff mit dem der Generator betrieben wurde. Momentan befanden sich darin hauptsächlich die Leichen der gefallenen Fuetron-Krieger, aber man konnte auch alles andere verwenden, das proteinhaltig war, mit dem Ergebnis, dass sie in der Küche einen speziellen Behälter nur für proteinhaltigen Abfall aufgestellt hatten, und dass Laura regelmäßig bei Lukas Rütli, dem Schweizer Koch, vorstellig wurde, damit sie auch genügend Energie hatten. Aber im Moment waren die Proteinvorräte so hoch wie nie zuvor, jedenfalls daran konnten die Stromausfälle also nicht liegen.
An der Stirnseite des Raumes lag der Generator, eine gewaltige, übermannshohe Maschine, die ein Stück aus der Wand vorsprang und dahinter, wie ein Eisberg, noch ein gutes Stück in den Fels hineinreichte.
„Soll ich dir helfen?“, fragte Jan, als Laura sie die große Wartungsluke an der Seite des Generators öffnete.
„Geht schon, Danke“, wiegelte Laura ab während sie ihren blonden Pferdeschwanz unter einer schützenden blauen Wollmütze verschwinden ließ.
„Du könntest aber schon mal an den Computer gehen und in die Log-Dateien schauen, ob da irgendwas steht.“
Sie deutete auf ein Terminal, welches unscheinbar neben der Tür versteckt lag. Jan nickte und ging hinüber, während Laura in die Wartungsluke kroch.
Währenddessen saßen Mary Lu und Captain Hedgefield oben in seinem Büro und sprachen über die Bewohner des Planeten Amzama.
„Wir haben über Nacht eine Nachricht bekommen, dass sie sich dazu entschlossen haben, sich mit uns zu verbünden.“
Mary Lu lächelte freudig.
„Das sind ja großartige Nachrichten!“
„Ja, nicht wahr?“
Rosenthal legte den Kopf schief.
„Sie werden doch nicht etwa ihre Meinung über die… Lebensweise unserer neuen Verbündeten das Verhältnis zwischen unseren Völkern beeinflussen lassen, oder, Captain?“
Der Expeditionsleiter seufzte.
„Natürlich nicht. Aber das heißt ja auch nicht, dass ich sie gleich toll finden muss, oder?“
Mary Lu lächelte.
„Nein, aber denken Sie daran, Captain, wir brauchen sie. Mindestens genauso wie sie uns brauchen.“
„Ich weiß. Deshalb möchte ich, dass Sie die Delegation anführen, die sie zu sich eingeladen haben.“
Mary Lu hob die Augenbrauen.
„Ich? Gerne, aber darf ich fragen, warum gerade ich?“
„Sie haben immerhin den Kontakt hergestellt. Davon abgesehen habe ich keine gesteigerte Lust dazu hinterher genauso zu enden wie Dr. Ferden.“
Mary Lu lachte.
„Das kann ich durchaus verstehen, halte ich aber für äußerst unwahrscheinlich, da wir ja nun in offiziellem Kontakt stehen.“
Der Captain dachte einen Moment nach, dann sagte er,
„Wahrscheinlich haben Sie Recht. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn Sie das Team anführen würden. Nicht, dass das Ganze hinter einen noch schlechteren Start hinlegt, als das so schon der Fall ist…“
Mary Lu wollte gerade etwas erwidern, als der Strom ausfiel.
„Wollten sich nicht Ferden und Craig darum kümmern, dass der Strom wieder funktioniert?“
Mary Lu zuckte mit den Schultern und versuchte mit Jan eine Verbindung über die Neurotransmitter herzustellen.
‚Jan?‘
Es dauerte einen kleinen Moment, bis derselbe antwortete.
‚Mary Lu, ich weiß, der Strom ist schon wieder weg, aber hier unten ist das absolute Chaos ausgebrochen. Sag dem Captain, er soll Dr. Lieb hier herunterschicken. Der Hauptcomputer spinnt völlig.‘
Mary Lu sagte zu sich darum zu kümmern und leitete die Bitte an den Captain weiter. Eine knappe halbe Stunde später standen sie alle um den Computerterminal im Generatorraum versammelt, Laura und Jan, sowie Mary Lu, Dr. Lieb und der Captain.
Auf dem Bildschirm liefen immer wieder sinnlose Zeichenketten ab, mal von rechts nach links, mal von oben nach unten, manchmal tauchten auch bildschirmfüllend einzelne Zeichen oder Symbole auf.
„Und, was sagt der Computerexperte dazu?“, wandte sich Jan an Dr. Lieb, nachdem dieser eine Zeit lang schweigend den Bildschirm angestarrt hatte.
„Nun“, antwortete Lieb langsam, „der Computer spinnt.“
Jan seufzte.
„Das wussten wir schon vorher.“
„Nein, ich meine er ist völlig durcheinander. Die Zeichenketten scheinen völlig willkürlich zusammengesetzt und folgen keiner sichtbaren Ordnung.“
„Das kenne ich,“ schnaubte der Captain, „ungefähr so sah auch der Computer meiner Tochter aus, als sie versucht hat einen Computerfreak zu beeindrucken.“
„Und,“ fragte Lieb etwas spitz, „wie haben Sie das Problem gelöst?“
„Gar nicht. Ich habe den Rechner zum Technischen Support eingeschickt.“
Jan schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.
„Natürlich!“, rief er aus, „das uns das nicht eher eingefallen ist! Wir rufen einfach den Support an! Großartige Idee, Captain. Oh, Moment… Richtig! Der Support für diese Anlage ist ja schon vor ein paar Jahrhunderten eingestellt worden!“
Der Captain wollte gerade zu einer unüberlegten Antwort ausholen, als der Computerexperte unerwartet dazwischen ging.
„Gentlemen, damit ist jetzt niemand geholfen. Und da ich der Tech-Support auf diesem Planeten bin, haben Sie ja den Support angerufen, ich bin da, und jetzt sollten wir unsere Energie lieber darauf verwenden das Problem zu lösen.“
„Meinetwegen,“ grummelte der Captain, „also, was schlagen Sie vor?“
„Ich schlage vor den Computer komplett neu zu starten. Vielleicht beruhigt sich das System dann wieder.“
„Sie wissen aber schon“, meinte Jan skeptisch, „dass das hier nicht Windows ist, oder?“
Lieb hob eine Augenbraue, würdigte Jan aber keines weiteren Kommentares. Mit ein paar geübten Handgriffen fuhr Lieb den Computer herunter. Binnen weniger Minuten schalteten sich sämtliche Systeme ab und es wurde pechschwarz in dem kleinen Raum. Laura holte ihre Taschenlampe wieder heraus, und leuchtete den Bildschirm an.
„Um das System wieder einzuschalten müssen wir in einen der Kontrollräume“, erklärte Lieb, woraufhin Laura wortlos mit der Taschenlampe voranging, hinüber in den wie ein Bunker gesicherten Notfall-Kontrollraum, der sich ebenfalls auf dem Sublevel befand.
Dort hatte man zwar in der Zwischenzeit aufgeräumt, aber Jan erinnerte sich noch nur zu gut an die bangen Stunden, die sie hier während der Belagerung durch die Fuetron durchgestanden hatten. Lieb hatte den Hauptschalter schnell gefunden, und so ging kurze Zeit später das Licht wieder an. Auch die Monitore füllten sich wieder mit den gewohnten Symbolen, Diagnosen und Statusmeldungen.
„Es scheint tatsächlich funktioniert zu haben“, staunte Jan.
„Zweifeln Sie etwa an meinen Fähigkeiten, Dr. Ferden?“, fragte Lieb spitzlippig.
„Drücken wir es so aus: Das hier hätte ich auch gekonnt.“
„Bestimmt, und trotzdem glaube ich, dass es eine gute Idee war die entsprechenden Ressorts zu teilen.“
Mary Lu seufzte lautstark.
„Hört endlich auf zu streiten! Das ist ja grauenvoll.“
Jan war gerade dabei etwas zu erwidern, als plötzlich alle Bildschirme schwarz wurden, und wieder die seltsamen Zeichenketten auftauchten.
„Und ich hatte schon gehofft, ich könnte endlich mein Wochenende genießen“, seufzte Jan.
Lieb bedachte ihn nur mit einem abschätzigen Blick, dann setzte er sich vor einen der Bildschirme. Aus einer Tasche holte er ein kleines Gerät von der Größe zweier nebeneinander gelegter Hände, welches er mit diversen Kabeln an den Computer anschloss.
„Das könnte jetzt ein wenig Dauern“, sagte er.
Zur gleichen Zeit lag Abby auf ihrem Bett und hörte Musik. Nach langem Ringen hatte sie ihren Vater davon überzeugen können eine eigene Wohnung zu bekommen, es standen ja genug davon nach wie vor leer. Die Wohnung war zwar klein, aber sie hatte einen wunderbaren Blick über das Tal südlich der Stadt.
Da Wochenende war, hatte Abby lange geschlafen und lag jetzt mit ihrem iPod im Bett, die Haare wie ein Fächer auf dem Kopfkissen ausgebreitet und döste entspannt vor sich hin. Über die Kopfhörer lief leise U2, bis sie schließlich wieder einschlief.
Vor ihrem geistigen Auge sah sie Zoe Williamson stehen. Sie vermisste die ehemalige zweite Sicherheitschefin, scherzhaft immer wieder als ‚Deputy Sheriff‘ bezeichnet.
„Abby,“ sagte die Latina mit dem schulterlangen schwarzen Haar, „du musst mir helfen.“
Abby die sich plötzlich darüber im klaren wurde, dass sie träumte, fragte,
„So gern ich das würde, aber du bist doch tot!“
Es schmerzte, selbst im Traum, die Worte auszusprechen. Selbstlos hatte sich Sergeant Williamson für sie alle geopfert, indem sie während der Belagerung durch die Fuetron ihre Proteinmasse in Energie umgewandelt hatte.
„Nein, Abby, ich bin nicht tot. Mein Körper ist gestorben, aber ich glaube mein Geist hat überlebt.“
„Aber wie?“
„Abby, das hier ist kein Traum. Ich… ich glaube beim Energietransfer ist mein Geist mit dem Zentralcomputer verschmolzen. Ich kann mich plötzlich durch hunderte Augen sehen, und anstatt meine Hände oder Füße zu bewegen kann ich Dinge steuern. Es ist schwer zu erklären…“
„Und woher soll ich wissen, dass das hier kein Traum ist?“
„Du musst mir helfen. Dr. Ferden und dieser Computertechniker, Lieb, versuchen mich aus dem System zu entfernen.“
„Warum sollten sie das tun?“
„Sie wissen nicht wer ich bin.“
Abby dachte einen Moment nach.
„Kannst du es ihnen nicht sagen, so wie mir?“
„Nein. Dein Gehirn ist sehr entspannt, deshalb konnte ich auf die neuronale Schnittstelle der Fuetron im menschlichen Gehirn zurückgreifen[1]. Und meine Kontrolle über den Computer ist noch nicht so gut, dass ich es ihnen anders begreiflich machen könnte. Du musst in den Kontrollraum im Sublevel gehen und Dr. Ferden und Dr. Rosenthal davon überzeugen den Schutz ihrer Neurotransmitter lange genug abzuschalten, dass ich mit ihnen Kontakt aufnehmen kann.“
„Und wenn ich es nicht schaffe?“, zweifelte Abby.
„Dann werden sie irgendwann Erfolg haben und ich werde noch einmal sterben.“
Damit schreckte Abby aus ihrem Dämmerzustand hoch. Zoe war verschwunden. Abby zog die Kopfhörer aus ihren Ohren. War das alles doch nur ein Traum gewesen? In dem Moment fing das Licht zu flackern. Abby runzelte die Stirn. Irgendwas stimmte daran nicht. Nicht nur, dass das Licht noch nie so lange geflackert hatte, es war ein Muster zu erkennen.
Kurz-kurz-kurz-lang-lang-lang-kurz-kurz-kurz-Pause-kurz-kurz-kurz-lang-lang-lang-kurz-kurz-kurz.
Das war eindeutig ein Morsesignal. SOS. Das war kein Traum gewesen. Abby entschloss sich zu handeln. Schnell zog sie sich etwas an und rauschte aus der Wohnung.
Im Sublevel indes versuchte sich Lieb weiterhin erfolglos an dem Computerterminal irgendwas zu verändern.
„Vielleicht sollte ich es mal versuchen“, meinte Jan herablassend, nachdem Lieb fluchend die Hand auf den Tisch geschlagen hatte.
„Bitte wenn, Sie meinen, Sie könnten das alles besser!“, fauchte Lieb und räumte den Stuhl. Jan setzte sich und starrte einen Moment den Bildschirm an. Er versuchte einige Tastenkombinationen, was Lieb nur ein herablassendes Schnauben entlockte.
Dann wurde plötzlich der Bildschirm schwarz.
„Fein gemacht“, schnöselte Lieb.
Auf einmal erschienen kleine Buchstaben auf dem Bildschirm, und diesmal blieben sie alleine und blieben stehen.
Help me., stand da.
„Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht“, murmelte Jan, nach einem Moment.
„Das hätte ich Ihnen schon vor ein paar Stunden sagen können“, antwortete Lieb.
„Das meine ich nicht. Dieser Computer greift direkt auf das Mainframe zu, ohne jegliche Unterbrechung. Dieser Computer müsste also, wie praktisch alle anderen stadteigenen Computer, seine Informationen auf Chibigo ausgeben. Das da,“ sagte Jan und zeigte auf den Bildschirm, „ ist Englisch.“
Da war auf einmal selbst Lieb still.
„Verdammt noch mal, was ist denn hier los?“, murmelte der Captain. In dem Moment schoss ohne jegliche Vorwarnung seine Tochter um die Ecke.
„Sofort. Aufhören“, keuchte sie, „Zoe… Computer. Nicht abschalten.“
„Bist du den ganzen Weg hierunter gerannt?“ fragte der Captain ungläubig. Abby nickte, während sie versuchte wieder zu Atem zu kommen.
„Also der Reihe nach, was ist passiert?“, fragte Mary Lu.
„Ich war in meiner Wohnung“, erklärte Abby, „und dann ist plötzlich Zoe aufgetaucht, und sie-“
„Zoe? Zoe, wie in Sergeant Zoe Williamson?“, fragte Jan besorgt.
Abby nickte und wollte zu der Erklärung ansetzen, wurde aber wieder von Jan unterbrochen.
„Abby, Zoe ist tot, dass solltest du wissen…“, sagte er bemüht vorsichtig.
Abby seufzte genervt.
„Ich bin nicht verrückt, und jetzt lasst mich bitte endlich ausreden! Zoe hat mir gesagt, dass ihr Geist sich mit dem Computersystem verbunden hat. Sie sagt, dass sie über dieselbe Art und Weise mit mir Kontakt aufgenommen hat, wie die Telenose letztes Jahr.“
Hedgefields Gesicht hatte sich in immer mehr verdunkelt, während Abby gesprochen hatte.
„Abby…“, flüsterte er sorgenvoll, doch Jan unterbrach ihn.
„Wenn das stimmt, müssten Mary Lu und ich in der Lage sein das Signal gesteuert zu empfangen. Die Transmitter blockieren zwar die Telenosewellen, aber möglicherweise können wir darüber trotzdem Kontakt aufnehmen. Davon abgesehen, würde das Ganze eine Menge erklären…“
Der Captain nickte.
„Versuchen Sie’s.“
Jan schloss die Augen und konzentrierte sich nur auf den Neurotransmitter. Er spürte die Anwesenheit von Mary Lus Geist, die den ihren wohl verschlossen hielt, doch als er seine Barrikaden immer weiter abbaute, spürte er, wie sein Hinterkopf plötzlich anfing zu kribbeln. Dann hörte er eine Stimme.
‚Hello, Jan.‘
Jan öffnete die Augen, und auf einmal stand zwischen den Anderen, als sei sie die ganze Zeit da gewesen, Zoe Williamson.
„Hat es geklappt?“, fragte der Captain. Jan nickte langsam.
‚Was geht hier vor?‘, dachte Jan, in der Hoffnung, dass Zoe ihn verstehen konnte.
‚Ich bin Teil des Computersystems geworden. Als ich meinen Körper geopfert habe, muss es durch den vielen Beschuss einen Kurzschluss im System gegeben haben. Dabei wurde mein Geist übertragen.‘
‚Das heißt, du bist für die Stromausfälle und Computerfehler verantwortlich?‘
‚Ja. Ich dringe immer tiefer in das System vor, und heute Nacht ist es mir gelungen vom sekundären in das primäre System zu gelangen. Allerdings muss ich erst lernen mit den Funktionen umzugehen. Es ist sehr schwer zu erklären. Aber möglicherweise ginge es besser, wenn ihr mir helft.‘
‚Was sollen wir tun?‘
‚Moment‘
Jan spürte einen Stich, dann war Zoe verschwunden.
„Sie ist weg“, sagte er langsam.
„Und, was hat sie gesagt?“, fragte der Captain begierig.
„Im Prinzip das, was Abby auch schon gesagt hat. Und, dass sie unsere Hilfe braucht, aber sie hat nicht gesagt wie das funktionieren soll.“
In dem Moment erschien ein weiterer Text auf dem Bildschirm.
„Interessant“, murmelte Lieb.
„Was?
„Das hier sind spezifische Instruktionen, um, wie es scheint eine Art Schnittstelle zu programmieren. Und zu bauen, anscheinend sollen wir unter anderem das Interne Funknetz mit bestimmten Teilen des Hauptcomputers verbinden.“
„Klar,“ nickte Jan, „damit sie mit uns Kontakt aufnehmen kann.
Es dauerte über drei Stunden, bis das Interface endlich fertig war.
„Hört ihr mich?“, erklang es schließlich doch noch aus dem kleinen Lautsprecher in der Wand.
„Wir hören. Und es tut gut Ihre Stimme wieder zu hören, Sergeant“, sprach der Captain in das Mikrofon der Konsole, während sich die Beteiligten freudig auf die Schultern klopften.
„Captain,“ antwortete Zoe, und man hatte das Gefühl sie grinsen zu hören, „auch wenn das für Sie vielleicht schwer zu verstehen ist, aber Sergeant bin ich nicht mehr. Streng genommen bin ich nicht einmal mehr Ihre Untergebene. Ich bin Teil der Stadt geworden, obwohl ich natürlich jetzt wieder bereit bin zu helfen, wo ich kann.“
„Und als was soll ich Sie dann adressieren?“, fragte der Captain skeptisch.
„Zoe reicht völlig aus, Captain. Auch wenn es vielleicht ungewohnt ist.“
„Zoe,“ richtete Jan das Wort an sie, „wie funktioniert das eigentlich jetzt genau? Kannst du uns sehen? Beziehungsweise was kannst du überhaupt tun, welche, sagen wir mal, Funktionen stehen dir offen?“
„Es ist schwer zu erklären. Es ist als ob ich hundert Augen und hundert Arme hätte. Ich kann euch sehen, genauso wie ich den Portalraum im Auge habe oder Dr. Carabezzoni dabei zusehen kann, wie er eine Wunde verbindet – gleichzeitig. Trotzdem bin ich kein Computerprogramm, ich kann mich trotz aller Möglichkeiten nur auf ein oder zwei Sachen wirklich konzentrieren. Erwartet also nicht, dass plötzlich alle Konsolen obsolet werden. Davon abgesehen muss ich auch erst noch lernen mit dem einzelnen Systemen umzugehen.“
„Das heißt, du warst auch für die Stromschwankungen verantwortlich?“
„Ja. Das mit dem Zug tut mir Leid, Mary Lu. Ich hoffe, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Auch das Stromnetz sollte inzwischen wieder ordnungsgemäß funktionieren.“
„Das heißt wie geht es jetzt weiter?“, fragte der Captain.
„Ich habe wahrscheinlich viel verpasst. Manches konnte ich bereits aus den Aktionschroniken des Computersystems rekonstruieren, während ihr das Interface hergestellt habt. Aber es wird wohl besser sein, wenn ich möglichst viel darüber weiß, was seit dem Tod meines Körpers geschehen ist.“
„Gibt es eine Möglichkeit deinen… Geist wieder in einen lebenden Körper zu transferieren?“, fragte Mary Lu vorsichtig.
„Nein. Aber ich würde es auch nicht wollen. Mein Körper ist fort, und ich habe ihn gerne geopfert. Diese Form der Existenz bietet unvergleichbare Möglichkeiten, und ich glaube, dass ich so mehr zu dieser Expedition beitragen kann, als wenn wir jetzt ohne Aussicht auf Erfolg versuchen würden meinen Geist wieder in einen menschlichen Körper zu transferieren. Aber es ist nett, dass du fragst.“
[1] Nachzulesen in Episode 1x09 „Tantrum“
Mary Lu war nervös, als sie in den Portalraum trat. Sie sollte zurück auf den Planeten Amzama, um dort die Verhandlungen über eine Allianz zu Ende zu bringen. Zum ersten Mal würde sie eine eigene diplomatische Mission anführen – ungewohnt.
Im Gegensatz dazu war die Anwesenheit der omnipräsenten Zoe inzwischen für die meisten Bewohner Inistras immer gewohnter geworden. Im Moment trainierte Zoe gerade die Steuerungsoptionen des Albagans, weshalb Mary Lu nicht, wie sonst, in dem kugelförmigen Kontrollraum oberhalb der Portalhalle das Albagan anwählte, sondern sich zu dem kleinen Kommunikationsterminal bewegte, den Code für die Sendefrequenz eingab, den sie Zoe zugewiesen hatten, und sagte,
„Zoe, einmal Aiwa Amzama bitte.“
„Comming right up“, kam es zurück, und Mary Lu hörte, wie die Projektoren anfingen zu sirren. Wenig später stand sie mit der fünfköpfigen Delegation vor der leuchtenden blauen Kugel.
„Gute Reise“, hörte sie Zoe über den Lautsprecher sagen, dann trat sie in die Kugel ein.