Fantasy & Horror
Guardians of Fortezza 2 (Kapitel11)

Kapitel 11

Nymphadora

„Claude, bist du da?“ Ich klopfte aufgeregt gegen seine Tür und wartete auf eine Antwort. Es war zwar mitten in der Nacht, doch ich hatte das erste Mal seit über einer Woche eine Nachricht von Castiel erhalten.

„Was ist denn los?“ Er öffnete langsam die Tür und starrte mich mit seinem niedlichen, verschlafenen Blick an.

Ich verkniff mir ein Lachen und rannte einfach in sein Zimmer. „Castiel hat mir geschrieben!“ Ich sah noch einmal auf den Zettel, auf dem seine Nachricht stand. Zwar hatte er mir nur eine Landkarte von Venedig mit einem eingezeichneten Weg und einem Termin hinterlassen, doch es war besser als nichts. Zuerst musste ich jedoch Claude fragen, ob er mich begleiten würde, da ich die Schule nur noch ungern alleine verließ.

„Oh man. Nymphadora, es ist gerade mal zwei Uhr.“ Er rieb sich die Augen und ging gähnend zum Bett.

„Tut mir Leid…“ Ich folgte ihm und nahm neben ihm Platz.

„Und, was schreibt er? Scheint ja wichtig zu sein, wenn du mich deswegen sogar aus dem Bett holst.“

„Hier, guck dir das an.“ Ich reichte ihm die Karte und wartete auf seine Meinung.

Er überflog kurz die Karte und die Nachricht darauf. „Sag mir nicht, dass du da wirklich hin willst.“

„Doch, aber… ich hab gehofft, du kommst mit“, sagte ich lächelnd.

„Nymphadora, das ist nicht dein Ernst.“ Er legte die Hände aufs Gesicht und ließ sich nach hinten auf die Matratze fallen.

„Bitte bitte bitte.“ Ich warf mich auf ihn und setzte mein schönstes Lächeln auf, um ihn rumzukriegen.

„Jaja, ist ja schon gut.“ Er riss mich herum, dass ich unter ihm lag, und küsste mich zärtlich. Wie erwartet schmeckte er nach Rauch, doch mittlerweile störte mich das auch nicht mehr. „Noch bist du nicht mit Castiel zusammen, richtig?“

„Nein…“ Ich schloss langsam die Augen und zog ihn erneut zu mir herunter. „Aber glaub ja nicht, dass ich noch mal mit dir schlafe“, hauchte ich ihm ins Ohr.

„Ein bisschen Ablenkung würde dir auch nicht schaden.“ Vorsichtig senkte er seinen Kopf und legte seine Lippen auf meine, doch ich drückte ihn schnell von mir.

„Claude, bitte hör auf. Ich will nicht, wirklich.“ Zwar sah er mit seiner langen Pyjamahose und dem freien Oberkörper wie immer umwerfend aus, doch ich brachte es einfach nicht übers Herz etwas mit ihm anzufangen, jetzt wo Castiel vielleicht irgendwo auf mich wartete. „Du siehst zwar heiß aus, aber… tut mir Leid.“ Ich gab ihm noch einen kurzen Kuss und wollte danach aufstehen, doch Claude ließ mich nicht los.

„Dann bleib wenigstens noch hier, bis ich aufstehen muss.“

„Okay.“ Ich legte mich wieder neben ihn und zog die Decke weit nach oben. „Wann musst du denn raus?“

„Um sechs.“

„Weckst du mich dann?“

„Kann ich machen.“ Er küsste mich noch einmal flüchtig und schlief schließlich wieder ein.

„Claude, lass mich in Ruhe.“ Ich bemerkte, wie er auf die nervigste Art an mir rumrüttelte, um mich zu wecken, doch ich hatte überhaupt keine Lust aufzustehen.

„Komm, du wolltest doch, dass ich dich wecke.“

„Jaja…“ Ich drehte mich um und zog die Decke über mein Gesicht. Danach hörte ich nur noch, wie er anfing zu lachen und schließlich ging. Vorsichtig lugte ich unter der Decke hervor und sah mich im Raum um. Er war wirklich weg. „Claude?“

Keine Antwort.

Langsam quälte ich mich aus dem Bett und ging ins Bad. Er stand unter der Dusche, anscheinend war er selber erst aufgestanden.

„Ach, haben wir es doch aus dem Bett geschafft?“, fragte er lachend.

„Hör auf, dich über mich lustig zu machen“, brummelte ich vor mich hin. So ein Idiot. „Mach dich lieber fertig, sonst kommst du noch zu spät.“

„Bin schon dabei.“ Er stellte das Wasser ab und kam aus der Dusche. Nackt.

„Willst du mich wieder scharf machen oder was?“, sagte ich leise.

Er stellte sich genau vor mich, so nahe, dass mir das Wasser von seinen Haaren ins Gesicht tropfte. „Bringt es denn etwas?“, fragte er grinsend, während er sich fest an mich drückte und aus dem Schrank hinter mir ein Handtuch zerrte.

„Nein, irgendwie nicht.“ Dennoch wich ich seinem Blick aus und versuchte, an irgendetwas anderes, weniger erregendes zu denken. Ein Kühlschrank oder so zum Beispiel.

„Schade.“ Er legte einen Arm um meine und gab mir einen Kuss auf die Stirn, während er sich das Handtuch umwickelte. Anschließend verließ er ohne ein weiteres Wort das Bad. „Willst du auch duschen?“, rief er mir nach einigen Minuten zu.

Erschrocken sah ich auf und fuhr mir durch die Haare. Ich war so in Gedanken dass ich gar nicht richtig bemerkt hatte, wie er gegangen war. „Ähm… ja, klar. Warum nicht.“ Ich zog mich vorsichtig aus, um auf den feuchten Fliesen nicht auszurutschen, und stellte mich unter die Dusche. Doch ich konzentrierte mich nicht darauf, mich zu waschen, sondern war in Gedanken bei Castiel und Claude.

Irgendwie konnte ich mich zwischen den beiden immer noch nicht richtig entscheiden. Ich war mir sicher, dass ich Castiel liebte, doch ich konnte die Finger nicht von Claude lassen. Er sah mindestens genauso gut aus wie Castiel, doch für ihn empfand ich nicht mehr als Freundschaft. Auch, wenn es mir deutlich einfacher vorkäme, mit ihm zusammen zu sein.

Ich lehnte mich gegen die nasse Wand und schloss die Augen. Vielleicht würde sich ja heute Abend alles entscheiden. Vielleicht war ich mir dann endlich im Klaren darüber, wen von beiden ich wollte.

„Du stehst schon seit einer halben Stunde hier.“

Ich zuckte erschrocken zusammen, wobei ich beinahe den Halt verlor, doch Claude griff blitzschnell nach mir. „Erschreck mich nicht so!“

„Tut mir Leid.“ Er reichte mir ein großes Handtuch und wickelte es behutsam um mich. „Du warst wieder in Gedanken, oder?“, fragte er lächelnd.

„Ja, irgendwie schon.“ Vorsichtig stieg ich aus der Kabine und ging mit meinen Sachen zurück zum Bett, um mich anzuziehen. „Wann musst du eigentlich los?“

„In ein paar Minuten. Also beeil dich, damit ich dich noch zu deinem Zimmer bringen kann.“

„Claude, so weit ist es nun auch wieder nicht. Das schaffe ich auch alleine.“

„Keine Widerrede. Ich bring dich noch weg und heute Abend hole ich dich auch wieder ab.“

„Wenn wir zu Castiel gehen?“ Ich zog eines von Claudes Hemden an, wobei er mich aufmerksam beobachtete, und knöpfte es hastig zu.

„Genau. Und jetzt komm, ich muss los. Nikita und Nicolaj warten sicher schon.“

Ich hüpfte schnell in meine Jeans und schob die Karte von Claude in eine der Hosentaschen, bevor wir uns auf den Weg in mein Zimmer machten.

Claude

Ich klopfte kurz an Nymphadoras Tür und wartete, bis sie öffnete. Es war mal wieder ein anstrengender Tag gewesen, da wir die Kapelle endlich wieder vollständig aufgebaut hatten, dafür war ich aber auch völlig fertig. Es passte mir überhaupt nicht, dass Nymphadora jetzt noch zu diesem Inkubus in den Wald wollte, ausgerechnet dorthin, wo wir ungeschützt waren.

„Hey Claude! Ich bin gleich fertig, wartest du noch kurz?“

„Ja, klar.“

Sie schmiss die Tür wieder zu und ließ mich allein auf dem Flur stehen. Musste es wirklich sein, dass sie sich so für diesen Kerl auftakelte? Mir wurde schon bei dem Gedanken daran, dass ich ihn heute wiedersehen würde schlecht. Aber solange ich Nymphadora so einen Gefallen tun konnte, war mir alles recht. Vielleicht wollte er ihr ja auch einfach nur sagen, dass aus den beiden nichts wurde…

„So, wie können los!“ Sie kam aus ihrem Zimmer gerannt, doch ich hielt sie am Arm fest und zog sie langsam zurück.

„Was ist das da?“ Ich deutete auf ihre Schuhe, deren Absatz mindestens zehn Zentimeter hoch war.

„Na meine High-Heels.“

„Nymphadora, wir müssen in den Wald. Was glaubst du, wie es sich da mit den Dingern laufen lassen wird?“

„Jaja, schon gut“, erwiderte sie trotzig, während sie erneut im Zimmer verschwand. Bereits nach wenigen Minuten kam sie lächelnd wieder heraus. „Und, wie sehe ich aus?“ Sie drehte sich einmal im Kreis und sah mich erwartungsvoll an.

„Großartig, wie immer.“ Nymphadora trug ein wunderschönes, weißes Kleid mit schwarzer Spitze. Es war ziemlich kurz, passte aber zu den schwarzen Stiefeln, die sie nun angezogen hatte. Außerdem trug sie noch einen schwarzen Bolero, der ihre Arme verdeckte, aber wahrscheinlich würde sie sowieso frieren. Trotzdem sah sie wunderschön aus. Castiel konnte sich wirklich glücklich schätzen, dass ein Mädchen wie sie sich ausgerechnet in ihn verliebt hatte.

„Gut, dann können wir jetzt los!“ Sie stürmte aufgeregt den Gang hinunter, während ich gemächlich hinter ihr herlief. Sie hatte es anscheinend eilig, ich jedoch nicht. Wenn Castiel sie wirklich liebte, konnte er ruhig eine Weile auf sie warten.

„Wann sind wir endlich da?“, stöhnte Nymphadora. „Mir tun die Füße weh!“

„Wir haben es gleich geschafft.“ Wir liefen seit ungefähr einer Stunde durch den Wald und waren immer noch nicht an dem Ort, an dem wir Castiel treffen wollten, angekommen. Außerdem gefiel mir die Gegend überhaupt nicht. Als wäre es so schon nicht dunkel genug, standen auch noch tausende von Bäumen um uns herum, die mir die Sicht nahmen. Es war einfach nur unheimlich, sogar für mich.

„Guck mal, da vorne! Ich hab gerade ein Licht gesehen!“, rief sie plötzlich aufgeregt.

„Dann gehen wir da wohl hin…“, sagte ich leise. Nun, ein Licht hatte Nymphadora wirklich gesehen. Es war irgendein beleuchteter Weg, doch als wir an seinem Ziel ankamen, waren wir mehr als überrascht.

Vor uns lag wohl so etwas wie ein riesiger Festplatz. Es gab zahlreiche Stuhlreihen, die voll besetzt waren, ein gewaltiges Buffet –auf das ich mich am liebsten sofort gestürzt hätte- und einen Traualtar. Und ratet mal, wer händchenhaltend vor dem Altar stand.

„Aber… das kann nicht sein…“, flüsterte Nymphadora.

Nymphadora

Ich stand wie erstarrt da und sah zu Castiel, der zusammen mit einer Sukkubus, die Patricia verdammt ähnelte, vor dem Altar auf den Priester wartete.

Sie trug ein bodenlanges, schwarzes Kleid, er einen schneeweißen Anzug. Genau so hatte ich ihn mir früher auch vorgestellt, bloß, dass wir zusammen vor dem Altar gestanden hatten.

Er schaute traurig zu ihr hinab und setzte ein gezwungenes Lächeln auf.

„Komm, Nymphadora, wir müssen gehen“, flüsterte Claude mir dringlich zu.

Ich war jedoch zu geschockt, um überhaupt noch irgendwo hinzugehen. Ich hatte mich auf unser Treffen gefreut, hatte gedacht, dass er mich liebte; dass wir zusammen sein und selber irgendwann vor einem Altar stehen würden.

Doch die anderen hatten recht gehabt. Jeder hatte mich vor ihm, einem Inkubus, gewarnt, und jetzt bereute ich es, dass ich ihm doch geglaubt hatte. Ich hatte ihm endlich vertraut, obwohl ich es erst nicht konnte, und nun hatte er mich verraten. Ich hatte ihm geglaubt, dass er mich liebte, doch er hatte mich nur verarscht.

„Nymphadora!“ Claude packte mich am Handgelenk und wollte mich wegziehen, als er plötzlich auf einen Ast trat. Das Knacken, das dabei entstand war zwar ziemlich leise, doch es war immer noch laut genug, dass Castiel und die anderen es hören konnten. Die Sukkuben und Inkuben drehten sich sofort um und grinsten uns hinterlistig an, rührten sich aber nicht.

Ich interessierte mich jedoch immer noch nur für Castiel. Sein Lächeln war mit einem Mal verschwunden, er sah eher erschrocken aus, als hätte er nicht geahnt, dass ich wirklich kommen würde. Schließlich lächelte er mich traurig an und beugte sich zu einem großen, muskulösen Mann, der neben ihm stand. Ohne zu zögern drehte dieser sich um und stürmte zwischen den Gästen entlang, direkt auf uns zu.

„Verdammt, nun komm endlich!“ Claude riss mich einfach herum und zog mich zwischen den hohen Bäumen entlang. Anscheinend wusste er nicht einmal, wohin wir liefen, doch es war immer noch besser, als in die Hände dieser Typen zu geraten; schließlich waren während unserer Verfolgung immer mehr hinzugekommen, sodass uns mittlerweile fast zehn Männer verfolgten.

„Bleibt stehen!“, rief uns einer von ihnen zu, doch wir hörten natürlich nicht auf ihn. Wer weiß, was sie mit uns machten, wenn sie uns wirklich erreichten.

Allerdings schienen die Männer immer schneller zu werden, je länger wir liefen, während wir langsam kaum noch rennen konnten. Mir tat schon von dem Weg hierher alles weh, doch von einer aggressiven Gruppe quer durch diesen riesigen Wald gejagt zu werden hatte mir noch gefehlt. Hätte ich bloß auf Claude gehört und wäre nie mit ihm hergekommen. Warum hatte ich ihn eigentlich mit reingezogen? Ich hätte lieber alleine gehen sollen, schließlich war er nun wegen mir in Gefahr. Ich war mal wieder schuld an allem.

„Nymphadora, wir schaffen das, nur nicht schlappmachen!“, keuchte er, während er mich weiter zwischen den Bäumen entlangführte.

„Ich kann nicht mehr…“ Ich blieb kurz stehen, um Luft zu holen, und sah mich um. Sofort lief ich wieder los, denn mittlerweile waren die Männer nur noch wenige Meter entfernt. Gleich hatten sie uns.

Plötzlich tauchte vor uns eine riesige Gruppe von Hütern auf. Ich wusste nicht, wo sie herkamen oder was sie hier taten, doch es war mir auch egal. Sie waren hier, um uns zu retten, und das genügte mir. Claude hatte sie schon erreicht, als ich noch einige Meter von ihnen entfernt war. Ich rannte, so schnell ich konnte; doch es kam, wie es kommen musste. Ich stolperte ungeschickt über die Wurzel eines Baumes, die aus dem Boden ragte, und fiel der Länge nach hin. Die Männer nutzten sofort diese Chance, um mich an den Beinen zu packen und zu sich zu ziehen. Ich versuchte noch, mich irgendwo festzuhalten, wehrte mich, doch es half nichts. Sie zogen mich quer über den Boden, während ich verzweifelt nach irgendwelchen Wurzeln oder Grasbüscheln griff, die ich jedoch nur aus der Erde riss.

„Claude, hilf mir!“ Ich versuchte, die Männer zu treten damit sie mich losließen, doch sie umfassten meine Knöchel nur noch fester. „Lass mich nicht allein!“

Claude wollte gerade loslaufen und mir helfen, als ihn einer der Hüter auf einmal festhielt. Er packte ihn grob am Handgelenk, zog ihn zurück und flüsterte ihm irgendetwas ins Ohr. Claude hörte jedoch nicht auf ihn, er wollte mir helfen, doch sie ließen es nicht zu. Stattdessen ließen sie mich hier einfach zurück, sahen zu, wie ich von diesen Männern entführt wurde.

„Claude, bitte!“, schrie ich verzweifelt, doch so sehr er sich auch gegen sie wehrte, die Hüter ließen ihn nicht gehen.

Die Tränen liefen mir übers Gesicht, ich flehte ihn an, doch er schaffte es einfach nicht, sich von ihnen loszureißen. Nun begann er ebenfalls zu weinen, er schrie mir irgendetwas zu, doch ich verstand es längst nicht mehr. Die Tränen nahmen mir die Sicht, das Rauschen der Blätter um mich herum übertönte alles andere.

Ich entfernte mich immer weiter von Claude, wurde tiefer in den Wald gezogen und sah schließlich ein, dass es endgültig vorbei war.

Claude

Ihre gequälten Schreie hallten in meinen Ohren, während ich versuchte, mich zu befreien. Ich sah nur noch ihr Gesicht vor mir, die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Es hätte nicht erst so weit kommen dürfen. Ich hätte mit ihr in Fortezza bleiben sollen, in Sicherheit. Dort hätte ich sie ordentlich beschützen können, doch nun musste ich mit ansehen, wie sie von diesen Männern verschleppt wurde, wie sie um ihr Leben und das ihres Babys kämpfte.

„Lasst mich los!“ Ich schlug wie verrückt um mich, doch die Hüter hielten mich weiterhin fest. Sie hielten mich davon ab, Nymphadora zu helfen, ließen sie einfach im Stich. „Ich muss ihr helfen!“

„Sie ist bereits verloren“, sagte einer der Hüter ernst, während er mich von ihr wegzog.

„Ich kann sie aber nicht einfach allein lassen, ich muss zu ihr!“ Erst jetzt bemerkte ich, wie mir die Tränen über das Gesicht liefen, doch ich machte mir nicht die Mühe, meine Gefühle zu verbergen. Ich sah kurz zu Nymphadora, konnte sie jedoch nicht mehr sehen, da sie schon zu weit entfernt war.

„Wir müssen gehen, komm. Du kannst ihr nicht mehr helfen.“

„Aber ich muss es wenigstens versuchen!“ Mit einem kräftigen Ruck riss ich mich aus dem Griff der Hüter und lief einfach los. Ich rannte in die Richtung, in die die Männer Nymphadora gezogen hatten. Nach einigen Sekunden hörte ich wieder ihre Schreie, wie sie die Männer anflehte, sie gehen zu lassen, aber leider auch die Schritte der Hüter hinter mir. Sie hatten mich fast eingeholt. „Nymphadora!“, rief ich laut, doch es kam keine Antwort mehr. Mit einem Mal waren ihre Schreie verstummt.

„Wag es dir nicht noch einmal, einfach wegzurennen!“ Der Hüter riss mich an der Schulter herum und packte mich grob am Arm, doch ich rührte mich nicht mehr.

Nymphadora war endgültig weg. Ich konnte ihr nicht mehr helfen, sie nicht mehr befreien. Es war einfach zu spät.

Ich hatte versagt.

„Verdammt, wo haben Sie gesteckt?“ Zanolla kam auf mich zu gerannt und starrte mich wütend an.

„Wir haben ihn im Wald gefunden, zusammen mit einem Mädchen.“ Der Hüter, der mich zurück nach Fortezza geführt hatte, stieß mich grob nach vorne, sodass ich vor ihr im Kies kniete.

„Und… wo ist sie?“, fragte Zanolla zögernd.

„Sie haben sie mitgenommen…“, antwortete ich leise.

„Wen?“ Sie sah mich erschrocken an, dabei wusste sie genau, wen ich meinte.

„Nymphadora… diese Männer haben sie verschleppt!“, schrie ich sie verzweifelt an. Es war das erste Mal in meinem gesamten Leben, dass ich um ein Mädchen weinte, obwohl ich nicht einmal in sie verliebt war. Doch ich konnte einfach nicht ihr Gesicht und ihre Schreie vergessen, wie sie mich anflehte, ihr zu helfen…

„Warum haben Sie ihr nicht geholfen?“ Sie lief aufgeregt vor dem Schultor auf und ab.

„Weil sie bereits verloren war. Sie hatte keine Chance mehr“, sagte der Mann ernst.

„Nun, anscheinend wissen Sie nicht, was dieses Mädchen für uns bedeutet!“ Sie baute sich voller Zorn vor dem Hüter auf und starrte ihn mit ihren dunklen, funkelnden Augen an. „Sie ist die Tochter von Eveline und Alexej Nowakow, noch dazu ist sie schwanger! Sie ist eine unserer wichtigsten Schülerinnen hier!“

„Ach, darum geht es also. Nymphadora soll den Ruf dieser Schule wahren, ja?“, sagte ich herablassend.

„Darum geht es nicht, Claude! Sie ist unsere beste Kämpferin und…“

„Sie kann doch nicht einmal kämpfen! Sie ist schwanger, sie müsste eigentlich ständig im Bett liegen!“

„Und trotzdem haben Sie ohne meine Erlaubnis mit ihr das Schulgelände verlassen“, zischte sie mich an.

Ich antwortete jedoch nicht, sondern stand einfach auf und ging hoch auf mein Zimmer, wo ich mich sofort in mein Bett fallen ließ.

Natürlich war es meine Schuld, dass Nymphadora jetzt weg war.

Ich hatte ihr zugestimmt, sie zu begleiten.

Ich hatte ihr den Weg zu den Inkuben gezeigt.

Und was am wichtigsten war, ich hatte es nicht geschafft, sie zu beschützen.

Am Morgen wachte ich mit so starken Kopfschmerzen auf, wie ich schon lange keine mehr hatte. Auch sonst tat mir einfach alles weh. Noch dazu hatte ich schlecht geschlafen, da Nymphadora mir einfach nicht mehr aus dem Kopf ging. Sie war einfach überall, wo ich auch war. Egal, ob sie mich mit diesem leidenden Blick beobachtete oder mich anschrie, ich konnte ihr nicht entkommen.

Den ganzen Tag über redete ich kein Wort. Weder Nikita noch Nicolaj schafften es, irgendetwas über die vergangene Nacht aus mir herauszubekommen. Denn wie Zanolla oder der Hüter, der mich hergebracht hatte, schwieg ich darüber. Ich hatte einfach nicht die Nerven dazu, überhaupt jemandem davon zu erzählen, solange ich selber nicht damit fertig wurde.

Nymphadora

Irgendwann, während die Männer mich quer durch den Wald geschliffen hatten, war ich schließlich ohnmächtig geworden.

Erst, als wir scheinbar nach einer halben Ewigkeit am Ziel ankamen, erwachte ich wieder.

Ich setzte mich vorsichtig auf und sah mich um. Wie erwartet befand ich mich noch immer im Wald, doch es war nirgends jemand zu sehen. Allerdings glaubte ich nicht, dass sie mich wirklich alleine gelassen hatten. Schon gar nicht jetzt, wo es wieder hell war.

Dennoch stand ich langsam auf, behielt meine Umgebung dabei jedoch weiter im Auge. Ein Versuch konnte ja nicht schaden.

Bevor ich aber überhaupt einen Schritt machen konnte, stand einer der Männer schon wieder vor mir.

Ich wich erschrocken zurück, sodass ich mit dem Rücken an einem Baum stand, und starrte ihn ängstlich an.

„Na, wollten wir etwa fliehen?“, fragte er grinsend, während er weiter auf mich zukam.

„Was… was wollt ihr von mir?“ Ich drückte mich fest gegen den Stamm und schaute zu ihm auf. Der Mann war mindestens 15 Zentimeter größer als ich und hatte schulterlange, schwarze Haare. Er sah einfach nur unheimlich aus.

„Wir wollen von dir nichts, aber Alice.“ Er senkte langsam seinen Kopf an meinen Hals und leckte mir gierig mit der Zunge über die Haut. „Nun… ich möchte auch gerne etwas, aber ich darf leider nicht…“ Er wich etwas von mir zurück und offenbarte mit seinem Grinsen die scharfen Eckzähne, die in seinem Mund aufblitzten.

„Das… das kann nicht sein…“, stotterte ich erschrocken. Ich hatte zwar von Vampiren gelesen, aber nie geglaubt, dass es wirklich welche geben würden. Es reichte schließlich schon, dass wir die Inkuben am Hals hatten.

Aber… wenn es Vampire gab, dann doch sicher auch Engel… oder?

„Oh doch, so ist es. Und solange es keine weiteren Befehle mehr gibt, werde ich mich um dich kümmern.“

Vorsichtig blickte ich noch einmal um mich. Wenn es einen Weg hier raus gab, dann nur durch den Wald. Wer weiß, wo ich mich überhaupt befand und ob wir noch in Venedig waren. Es gab sicher keine passende Gelegenheit, von hier zu fliehen, doch ich musste es wenigstens versuchen. Solange, bis Claude mich endlich hier rausholte.

Ohne zu zögern sprang ich zur Seite und rannte los. Der Mann sah mich zuerst etwas verwirrt an, nahm aber sofort die Verfolgung auf. Mir tat immer noch alles von unserer Flucht in der Nacht weh, doch ich wollte hier unbedingt weg. Ich wollte nicht länger diesem Vampir ausgeliefert sein.

„Hab ich dich!“ Mit einem Mal stürzte er sich auf mich und riss mich zu Boden.

„Lass mich los!“ Ich hämmerte wie verrückt mit meinen Fäusten auf ihn ein, doch ihm schien es nichts auszumachen.

„Okay.“ Er ließ mich einfach los, doch bevor ich wieder aufstehen konnte, schossen lange Rosenranken aus dem Boden und fesselten mich.

„Was soll das?“

„Irgendwie muss ich dich ja hier festhalten. Und als Vampir hat man da einige Vorteile.“ Er grinste mich an und klopfte sich den Dreck von der Jeans.

„Claude wird mich eh bald befreien und dann werden wir euch töten!“, zischte ich ihn an.

„Oh, das bezweifle ich. Niemand hat diesen Ort je gefunden.“

„Dann bring mich sofort um“, sagte ich ernst. Zwar meinte ich es in dem Moment wirklich so, doch schon einige Sekunden später bereute ich es. Alleine, wenn ich an das Baby dachte, wollte ich unbedingt überleben.

„Tut mir Leid, aber das darf ich nicht. Auch, wenn ich es gerne würde, aber Alice hat es mir verboten.“

„Wer… wer ist sie?“

„Sie ist praktisch die Chefin der Sukkuben“, sagte er lächelnd.

„Seit wann arbeitet ihr mit ihnen zusammen?“, fragte ich zögernd. Noch immer versuchte ich ab und zu, mich zu befreien, aber die Ranken ließen mir keinen Platz um mich großartig zu bewegen. Noch dazu schnitten mir die Dornen tief in die Haut, doch ich versuchte, den Schmerz zu ignorieren.

„Nun, erst seit einer Weile. Aber es ist deutlich besser, als alleine auf die Jagd zu gehen. Ich bringe dir gleich etwas zu Essen vorbei, also verhalte dich bitte etwas ruhiger, um die anderen nicht zu stören.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand zwischen den Bäumen.

Als er weg war, sah ich mich noch einmal um. Weit und breit war immer noch niemand zu sehen, wen sollte ich hier schon stören? Ich zappelte also weiter vor mich hin, um mich zu befreien, doch die Ranken gaben einfach nicht nach. Je mehr ich mich bewegte, umso enger schienen sie sich um meinen Körper zu schließen. Ich schrie kurz auf, als sich eine weitere Ranke um meinen Hals legte und sah mich um. Irgendwie musste ich hier doch rauskommen, aber ich war so naiv gewesen und hatte auf ein Treffen mit Castiel gehofft, sodass ich nicht einmal ein Messer mitgenommen hatte.

„Reiß dich etwas zusammen.“ Ein weiterer Mann trat vor mich und starrte mich feindselig an. „Du nervst.“

„Und? Solange ihr mich hier festhaltet, müsst ihr damit leben!“

Mit seinen hellen, grauen Augen musterte er mich von Kopf bis Fuß, während er neben mich trat. „Ich kann dich auch einfach umbringen und mir den ganzen Ärger sparen“, sagte er grinsend.

„Dann musst du damit leben, dass Alice dasselbe mit dir tun wird!“

Er sah mich überrascht an. „Woher weißt du von ihr?“

„Der andere Kerl hat es mir erzählt.“

„Natürlich. Liam musste es ja sagen.“ Er drehte sich um und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Hey, Liam!“

Ich hob ein wenig den Kopf und sah, wie er mit dem Essen angelaufen kam.

„Was willst du denn hier, Milian?“, fragte er genervt.

„Ich habe versucht, unseren nervigen Gast endlich zum Schweigen zu bringen. Wenn du es nicht schaffst, muss es ja jemand anders tun.“

„Oh, und wie ich sehe, hattest du Erfolg“, sagte er lachend.

Auf einmal lösten sich die Fesseln an meinem Körper, doch ich blieb weiterhin liegen. Vor einem Vampir hätte ich vielleicht noch fliehen können, doch bei den beiden war es praktisch unmöglich.

„Los, setz dich hin. Ich hab dein Mittagessen dabei.“ Liam reichte mir das Tablett, auf dem eine Schale mit Nudeln stand, und hockte sich neben mich.

„Danke“, sagte ich leise und sah ihn misstrauisch an.

„Keine Sorge, es ist nicht vergiftet.“

„Wie süß“, erwiderte Milian herablassend und starrte uns an. „Ich an deiner Stelle hätte ihr nichts gegeben, bis sie mich darum angefleht hätte.“

„Alice will aber, dass sie bei Kräften bleibt.“

„Gut, viel Spaß dabei. Ich gehe wieder. Und sieh zu, dass sie etwas leiser ist, vorhin hat man sie durch den halben Wald schreien gehört.“

„Dafür, dass ich durch den halben Wald geschrien hab, warst du aber ziemlich schnell hier“, blaffte ich ihn an.

Er grinste jedoch nur und verschwand.

Ich stocherte in der Schale herum, aß jedoch nicht. Zwar hatte ich zuerst wirklich Hunger gehabt als er sagte, er würde mir etwas holen, doch mittlerweile war mir der Appetit vergangen.

„Hey, jetzt iss endlich was.“ Liam, der immer noch neben mir saß, stieß mir leicht mit dem Ellbogen in die Seite.

„Warum ist Milian so gemein?“ Ich schaute auf und sah ihn erwartungsvoll an. Solange ich hier war musste er damit leben, dass ich ihn mit Fragen durchbohren würde.

„Weil er Menschen hasst, genauso wie Sukkuben. Zwar ist er Alices Untergebener, doch auch nur, weil er zu unserer Gruppe gehört und wir damals entschieden haben, uns ihnen anzuschließen.“

„Und warum geht er dann nicht einfach?“

„Weil er es alleine deutlich schwerer haben wird. Hier haben wir ein Zuhause und können in einer Gruppe jagen. Es ist besser als die meisten anderen Orte, an denen wir bisher waren.“

„Und wo ist euer Zuhause?“ Ich sah mich noch einmal um, doch es war nirgends etwas zu sehen, das eine Behausung darstellen konnte.

Liam fing an zu lachen und deutete mit dem Finger in irgendeine Richtung. „Dort hinten, etwa vier Kilometer entfernt steht es.“

„Und warum so weit weg?“

„Damit du es nicht siehst“, antwortete er lächelnd.

„Aber… ihr habt dann doch auch einen weiten Weg.“

„Bei uns ist es anders. Wir Vampire sind schneller, als du denkst.“

„Und… deswegen war Milian auch so schnell hier, oder?“

„Genau. Und jetzt iss endlich deine Nudeln und quatsch nicht so viel.“

Ich sah zu meinem Essen und schob mir ein wenig in den Mund. Jetzt, da ich ein paar Antworten bekommen hatte, ging es mir schon etwas besser; auch, wenn ich mich immer noch in der Gewalt der Vampire, oder besser gesagt der Sukkuben, befand.