Kurzgeschichte
Der Teddy mit dem fehlenden Auge

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"Der Teddy mit dem fehlenden Auge"
Veröffentlicht am 29. Februar 2012, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Der Teddy mit dem fehlenden Auge

Der Teddy mit dem fehlenden Auge

Beschreibung

Auf einem Speicher, in einer verstaubten Kiste lag ein kleiner Teddy. Vor langer Zeit einmal hatte er einem Kind gehört, einem Mädchen mit lustigen, blonden Zöpfen und hellblauen Augen. Das Mädchen hatte ihn gefüttert, gebadet und gewickelt, und ihn überall mit sich genommen.Nun lag er hier in der Kiste, zwischen Büchern, vergilbten Briefen und zerschlissenen Kleidern, und niemand kümmerte sich mehr um ihn.

Der Teddy mit dem fehlenden Auge

Auf einem Speicher, in einer verstaubten Kiste lag ein kleiner Teddy. Vor langer Zeit einmal hatte er einem Kind gehört, einem Mädchen mit lustigen, blonden Zöpfen und hellblauen Augen. Das Mädchen hatte ihn gefüttert, gebadet und gewickelt, und ihn überall mit sich genommen. Dann lag er zugedeckt von einer Decke in einem zierlichen Wägelchen und das Mädchen schob ihn hüpfend über Stock und Stein. Der Teddy war ihr das Liebste gewesen. Er hatte das Leben geführt, das sich jedes Kuscheltier wünschte. Der beste Freund eines Kindes, Vertrauter und Tröster.  Wenn das Mädchen fröhlich gewesen war, hatte es ihn hoch in die Luft geworfen, sodass er flog wie ein Vogel. Wenn es traurig gewesen war, fing sein weiches, braunes Fell die Tränen auf. Nun lag er hier in der Kiste, zwischen Büchern, vergilbten Briefen und zerschlissenen Kleidern, und niemand kümmerte sich mehr um ihn. Die einzige Gesellschaft, die der Teddy hatte, war die winzige Prinzessin der alten Spieluhr, die, genau wie er, ihr Ende in der Kiste gefunden hatte. „Eines Tages wird mein Mädchen mich holen kommen“, träumte der Teddy Tag für Tag laut vor sich hin. „Hör auf, Dich selbst zu belügen“, sagte dann die kleine Prinzessin und lachte ein trauriges Lachen.

“ Wir müssen hier bleiben, bis die Zeit uns zu Staub verwandelt. Niemandem fehlen wir.“
„Mein Mädchen wird mich holen kommen! Sie wird mich nicht vergessen“, beharrte der Teddy trotzig. „Das sagst Du jeden Tag und noch nie ist jemand gekommen.“  Die Prinzessin drehte sich auf ihrer Schatulle. Ein paar hohe, klingende Töne lösten sich aus der Spieluhr und schwangen durch das Innere der Kiste. „Sieh Dich doch nur an, alter Teddy! Nur noch ein Auge, aus deiner Seite quillt die Watte. Wer sollte sich noch für Dich interessieren? Dein Mädchen hat Dich verraten, vor langer, langer Zeit, und es wird seinen Irrtum nicht bemerken, dafür sind die Menschen viel zu eigennützig.“
„Aber ich war ihr bester Freund. Jede Nacht habe ich über ihre Träume gewacht, jeden Tag mit ihr verbracht. Sie kann mich nicht vergessen haben“, sagte der Teddy mehr zu sich selbst, als zu der Freundin. „Du dummer, alter Teddy, träumst einen sinnlosen Traum. Hast Du vergessen, wie sie Dich voller Wut in die Ecke warf und mit dem Beinchen auf Dich trat? Hast Du vergessen, wem Du Dein fehlendes Auge zu verdanken hast?“ Die Spieluhrprinzessin spuckte fast vor Gram und Verbitterung. „Die Menschen sind leidlose, selbstsüchtige Wesen. Sei froh, dass Du hier bei mir sein kannst und Dich nicht mehr ihrer Willkür unterwerfen musst.“ Der Teddy blieb stumm. Die Prinzessin hatte ihn tief getroffen und er erinnerte sich an den schrecklichen Tag, an dem das Mädchen ihn so böse und schlecht behandelt hatte. Der Tag, an dem er in die Kiste gewandert war, ohne zu wissen, warum seine Freundin ihn plötzlich nicht mehr wollte. Die vorherige Nacht, die er in den Armen eines Mannes verbracht hatte. Wie er am Morgen aus den kraftlosen Händen gerissen worden war und das Mädchen ihm sein Auge genommen hatte, voller Wut und Traurigkeit auf ihn getreten war. Eine Bärenträne stahl sich aus dem Verbliebenen und er sagte keinen Ton mehr. „Weine nicht, Teddy! So sind die Menschen und so werden sie immer sein. Komm ich spiele uns ein Lied“, sagte die Prinzessin und drehte sich. Die feine Melodie wiegte den alten Teddy in den Schlaf.

So vergingen die einsamen Tage, ohne Licht und Wärme. Und obwohl der Teddy wusste, dass sein Wünschen vergeblich war, träumte er weiter von seiner Errettung.
Dann eines Tages kam jemand an die Kiste. Der Teddy hatte die Schritte auf dem Holz schon viel früher vernommen, als seine Freundin auf der Spieluhr. „Hör doch nur, Prinzessin, mein Mädchen kommt! Jetzt endlich wird sie mich holen“, rief er voller Freude aus. „Ja, ja, alter Teddy“, sagte die Spieluhrprinzessin verschlafen. Doch als der schwere Deckel der Kiste angehoben wurde und Tageslicht ins Innere drang, wurde auch sie von Aufregung gepackt. „Pst, alter Teddy, sei nur schön leise!“ Knarrend und schwerfällig hob sich der Deckel ganz und klappte nach hinten. Das Gesicht eines jungen Mädchens erschien über der Kiste. Voller Anspannung hielt der Teddy den Atem an. Doch dann sah er die Augen des Besuchers. Sie waren genauso dunkel, wie sein Einziges und die Haare des Kindes waren schwarz wie seine Bärennase.
„Das ist nicht mein Mädchen“, wollte der Teddy schon sagen, aber er blieb ganz still. Die Menschen durften ihn nicht sprechen hören. „Schau nur, Oma, ein alter Teddy“, rief das Kind und griff nach ihm. „Der Arme hat ja nur noch ein Auge.“ Es hob ihn aus der Kiste und helles Tageslicht wärmte den staubigen Pelz. Das Mädchen strich liebevoll über seinen Kopf und der Teddy spürte das alte, lang vermisste Glück in sich aufsteigen.  „Tu den Teddy zurück, Maria! Ich wusste gar nicht, dass er hier oben ist. Schnell tu ihn zurück, ich will ihn nicht sehen“, sagte eine tiefe, schwache Stimme.  Zitternde, gebrechliche Finger griffen nach ihm und entrissen ihn der neuen Freundin. „Oma, was hast Du denn?  Es ist doch nur ein Teddy. Ich möchte ihn gern behalten“, erwiderte das Mädchen. Es hielt den Arm des Plüschgefährten in trotziger Gegenwehr, doch die brüchige Stimme wurde hart und unnachgiebig. „Tu ihn zurück Maria! Ich möchte darüber nicht diskutieren, hast Du gehört!“  Das Mädchen gehorchte und legte ihn zurück in die Kiste.  Die ledrigen Finger deckten den Saum eines muffigen Mantels über sein Bärengesicht. Das Letzte, was er sah, bevor der Deckel geschlossen wurde, waren müde, hellblaue Augen, aus denen der Glanz von damals gewichen war.

Sehr spät an diesem Abend hörte der alte Teddy wieder Schritte. Keinen Ton hatte er gesagt, seit dem Vorfall am Morgen. Nur stille Tränen geweint, in den Saum des Mantels. Die Spieluhrprinzessin hatte ihn gelassen. Sie wusste, dass ihr Trost nicht ausreichend war. Nun wurde der Deckel der Kiste abermals geöffnet, die knorrigen Finger griffen nach ihm und die hellblauen Augen, die jetzt von Alter und Zeit gezeichnet waren, sahen ihm entgegen.
„Ach, alter Teddy. Es tut mir so leid“, sagte das Mädchen, heute eine gebeugte Frau; und es weinte all die Tränen in das braune Fell, die es damals nicht weinen konnte.

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DerHein Re: Eine anrührende -
Zitat: (Original von kullerchen am 29.02.2012 - 13:46 Uhr) Geschichte, die mich tief traurig machte. Ich hätt gern erfahren, womit Tedddy sein Exil verdiente, weiß ja, es ist nicht seine Schuld und doch frag ich mich, wie man seinem liebsten Freund dies antun konnte.

Es muss ernst gewesen sein, die Hände des Mannes, sie deuten es an.

Mein Freund sitzt mit vielen seiner Kumpels bei mir. Ich kann mich seinem Charme einfach nicht entziehen. Zudem ist er Geheimnisträger, den ich doch nicht gehen lassen kann.

Du hast diese Geschichte toll geschrieben. Nun vielleicht findet das alte Mädchen Trost, bei einem Freund, der immer an sie glaubte!?

LG Simone


Ich danke Dir für den ausführlichen Kommentar.
Es ist eine extreme Reaktion, auf ein extremes Ereignis.
Ich wollte dem Leser Raum für eigene Gedanken lassen...

LGd
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kullerchen Eine anrührende - Geschichte, die mich tief traurig machte. Ich hätt gern erfahren, womit Tedddy sein Exil verdiente, weiß ja, es ist nicht seine Schuld und doch frag ich mich, wie man seinem liebsten Freund dies antun konnte.

Es muss ernst gewesen sein, die Hände des Mannes, sie deuten es an.

Mein Freund sitzt mit vielen seiner Kumpels bei mir. Ich kann mich seinem Charme einfach nicht entziehen. Zudem ist er Geheimnisträger, den ich doch nicht gehen lassen kann.

Du hast diese Geschichte toll geschrieben. Nun vielleicht findet das alte Mädchen Trost, bei einem Freund, der immer an sie glaubte!?

LG Simone
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