Beschreibung
Shorts sind Kurzgeschichten, die bewusst sehr knapp gehalten sind. Sie sind als kleine Gedankensplitter zu sehen und sollen im Kopf des jeweiligen Lesers ihre Vollendung finden. Das Ende sieht oft ganz anders aus, als vermutet, manchmal aber kommen sie seltsam vertraut vor.
Kalt
Er wacht am frühen Morgen auf. Frierend wälzt er sich aus dem Bett und nimmt eine heiße Dusche, allerdings kann das nicht die Kälte vertreiben, die er in sich spürt. Die Uhr zeigt ihm, dass er sich beeilen muss, wenn er nicht zu spät zur Arbeit kommen will. Zitternd nimmt er sich was zum Anziehen aus dem Schrank. Obwohl es ihm kalt ist, geht es im gut. Er hat einen klaren Kopf und keine Gliederschmerzen. Nichts deutet auf eine aufkommende Erkältung hin. Im Hinuntergehen nimmt er seine Tasche. Der Mantel, den er sich vorher überzog, kann auch nicht das frostige Gefühl in ihm lindern.
Der Morgen ist klar, die Sonne scheint. Ein Blick auf das Thermometer bei dem Optikerladen zeigt ihm, dass es jetzt schon 20 Grad ist und das um sechs Uhr morgens. Es ist Sommer, er fühlt den Winter in sich.
Die Menschen, die sich jetzt schon auf den Straßen befinden, sind sommerlich gekleidet, doch niemand zeigt sich verwundert, dass er mit einem langen Mantel herumläuft. Frierend zieht er den Kragen um seinen Nacken hoch.
Im Bus ist die Heizung ausgeschaltet. Er kauert sich in den Sitz, damit versucht er seine Körperfläche zu verkleinern, um nicht zu viel Wärme zu verlieren.
Kaum ist der Bus zum Stehen gekommen, spring er schon heraus, aus den sich öffnenden Türen. Das letzte Stück zu seinem Büro geht er schneller. Vielleicht hilft das ihm, die Kälte in seinem Innern zu vertreiben.
Zitternd erreicht er sein Büro. Ungern zieht er seinen Mantel aus. Das Thermometer zeigt ihm, dass es fast 26 Grad an seinem Arbeitsplatz ist. Ein großes Schild prangert am Schwarzen Brett. Auf dem steht: Die Klimaanlage wird zu Wartungszwecken heute abgeschaltet.
Einige seiner Kollegen stehen davor und schütteln den Kopf. »Wie können die bei so einer Hitze eine Wartung der Klimaanlage ansetzen«, hört er aus der Gruppe. Vorstellen kann er es sich nicht, was wäre, wenn die Klimaanlage die Raumtemperatur auf 21 Grad gesenkt hätte. Fröstelnd geht er zu seinem Arbeitsplatz.
Er sitzt ziemlich zentral in einem Großraum- büro. Auch ein Schluck des heißen Kaffees, den er sich auf dem Weg zu seiner Box von der Kaffee-Ecke mitgebracht hat, kann das Kalte nicht aus seinem Körper vertreiben. Es liegen noch einige Akten von gestern auf seinem Tisch. Als er die Erste anfasst, beginnen seine Zähne zu klappern. Den Kopf schüttelnd legt er die Akte wieder zur Seite. So kann er heute nicht arbeiten, denkt er und meldet sich krank.
Frierend packt er seine Sachen ein und geht zum Ausgang. Er sehnt sich nach seinem Mantel, aber er hat wenig Hoffnung, dass der die Kälte von ihm nehmen kann.
Jetzt läuft er zum Bus. Vielleicht braucht er nicht so lange zu warten, wenn er sich beeilt. Doch der nächste Bus fährt erst in einer knappen halben Stunde. Zitternd setzt er sich in das Wartehäuschen, seine Tasche stellt er neben sich.
Er rutscht unruhig hin und her, in der Hoffnung eine Position zu finden, wo es ihn nicht so friert. Seine Tasche stößt er dabei herunter. Er will sie gerade aufheben, da sieht er, wie zwei kleine Hände die Tasche ergreifen und sie ihm hinhalten. Er blickt in das freundlich lächelnde Gesicht eines kleinen Mädchens.
Plötzlich spürt er, wie die Kälte in seinem Innern langsam verschwindet. Er will sich noch bei dem kleinen Mädchen bedanken, aber das ist schon wieder weiter- gelaufen. Das nahegelegene Café fällt ihm ein. Dort will er den Morgen verbringen und am Nachmittag in den Park gehen. Im Café angelangt setzt er sich nicht an einen freien Tisch. Die Kälte in seinem Körper ist jetzt verschwunden und als er ein Gespräch mit einem fremden Menschen beginnt, spürt er, wie die Wärme seinen Körper durchflutet.