Kurzgeschichte
Pinophobie

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"Pinophobie"
Veröffentlicht am 21. Februar 2012, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Pinophobie

Pinophobie

Pinophobie

Noch eine halbe Stunde bis Ladenschluss, dachte Frau Simon, als sie vollbepackt und kurzatmig durch die belebte Einkaufsstrasse der Innenstadt hastete. Schweissperlen bildeten sich auf ihrer glänzenden Stirn, die sie - einen Moment innehaltend - mit einem Taschentuch abwischte. Ihr Mann hatte sie gebeten, doch noch schnell etwas Bargeld vom Automaten zu holen. Eine gute Gelegenheit, die neue Plastikkarte für das Gemeinschaftskonto auszuprobieren, hatte er ihr stolz verkündet. Eigentlich hielt sie gar nichts von diesem neumodischen Zeug, da sie Mühe hatte, sich Zahlen zu merken, und mit einer Maschine, einem Computer, zu kommunizieren, das widerstrebte ihr seit jeher. Nebst der Karte hatte die Bank auch gleich den neuen PIN-Code mit separater Post geschickt, welchen sie ihrem Gedächtnis in der kurzen Zeit sowieso nicht zuordnen konnte. Den Code aufzuschreiben, das hatte ihr Mann strikte verboten, der Sicherheit wegen, wie er betonte. Ihr jüngster Sohn, das Historiker-As der Familie, hatte einen blendenden Vergleich gefunden, der PIN-Code entsprach exakt der Jahreszahl der Schlacht am Morgarten, und so etwas konnte man sich ja gut einprägen, wie sie begeistert meinte.

Etwas überrascht von der Menschenmenge, die vor einem dieser Geldautomaten einer grossen Bank stand, reihte sie sich an den Schluss der ungeduldig wartenden Schlange und stellte ihre schwere Einkaufstasche auf den Boden. Über die noch zu tätigenden Einkäufe sinnierend, stand sie plötzlich zu­vorderst in der Reihe, wo sie mit nervös zittrigen Fingern hastig die Bankkarte aus ihrem Portemonnaie klaubte. Unbeholfen drehte und wendete sie das Stück Plastik in der Hand, so wie es das auf dem Automaten aufgedruckte Symbol unter dem Karten­schlitz zeigte, und steckte es hinein. Gierig und blitzschnell schluckte das stählerne Ungetüm die Karte, man hörte deutlich, wie die Protokolliermaschine im Innern zu werkeln begann, wie die feinen Nadeln des Druckkopfes gegen das Papier hämmerten. Erst jetzt öffnete sich die dicke Stahltüre und gab die blaue Tastatur mit dem darüberliegenden kleinen Monitor frei. Gespannt blickte sie mit zusammen­gekniffenen Augen auf den Bildschirm, da sie zu allem Überfluss auch noch ihre Brille vergessen hatte. Die grün fluoreszierenden Buchstaben gaben ihr unmissverständlich zu verstehen, dass sie den PIN-Code eintippen solle. PIN-Code? Ja, natürlich, die Schlacht am Morgarten. Die Er-nüchterung kam schnell; sie hatte sich ausschliesslich das Ereignis gemerkt und die dazugehö­rende Jahreszahl vergessen. Geradezu flehend schaute Frau Simon zum Himmel, als könne sie diese vier Ziffern dort ablesen, aber ihr Gedächtnis verweigerte ihr vehement den Zugriff. Um die Situation und sich selbst zu täuschen, tippte sie einfach einige Ziffern ein, mehr zwanghaft konstruiert und zufällig gewählt, als dass ihr die Richtigen endlich einfielen. Ihre Vorahnung bestätigte sich voll; die mit einem imperti­nenten Piepston untermalten Buchstaben auf dem Bildschirm erinnerten sie daran, dass sie sich wohl vertippt hätte und man ihr Gelegenheit für einen erneuten Versuch gebe. Wieder erschienen diese vier anonymen, nichtssagenden Rauten, diese undurchsichtigen Synonyme für den ersehnten Zugriff. Eine heisse Welle durchflutete sie, die Röte schoss ihr ins Gesicht, sie spürte, wie das Feuer langsam den Nacken hochkroch und sie schwer atmen liess. Die stetig länger werdende Schlange hinter ihr erdrückte sie fast, doch ihr Gedächtnis wollte sich ihr nicht offenbaren. Mit einem hilfesuchenden Gesichts­ausdruck drehte sie sich um, starrte auf die ungeduldigen, abweisend wirkenden Menschen und flüsterte zaghaft: „Schlacht am Morgarten“. Die verdutzten Leute begannen zu tuscheln, ein Munkeln ging durch die Menge, die einen tippten sich an die Stirn, die anderen hatten gar ein Schmunzeln für die sichtlich verwirrte Dame übrig. „Ach bitte, in welchem Jahr war die Schlacht am Morgarten? Das ist nämlich meine Geheimzahl“, insistierte Frau Simon. Erst jetzt ging ein Raunen durch die Reihe, es entbrannte ein regelrechter Wettstreit; einige Leute riefen ihr Jahreszahlen zu, die in ihrer Absurdität und Vielfalt aber nichts bei ihr bewirkten. Unvermittelt trat ein fremdländisch aussehender kleiner Mann aus der Reihe und sprach mit sonorer, akzentuierter Stimme: „1315“. Die erlösende Zahl entschlüsselte Frau Simons Gedächtnis; natürlich dachte sie, drehte sich um und tippte die Ziffern ein. Scheinbar befriedigt fragte sie der Automat nach dem gewünschten Geldbetrag. Schnell drehte sie sich um, suchte mit ihren Augen den hilfsbereiten Fremden und warf ihm einen dankbaren Blick zu.

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Pirf9000

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EagleWriter Ich könnte mir denken am nächsten Morgen ist das Konto leer^^.
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kullerchen Gut beschrieben - jede Einzelheit. Die Eile, das Vorhaben, dann die Ernüchterung und die Angst vor der drängenden, sich profilirenden Masse, die Einfalt, enstanden aus der Not heraus und den Helfer, dessen Motivation nicht kennt.

Das "neumodische Zeug", gerade für die älteren Generationen doch immer wieder eine Hersusforderung, die durchaus gefährlich, für Leib und Seele sein kann.

Ist der Helfer wiklich so uneigennützig und ist sich Frau Simon ihres Handelns auch bewußt? Nun ich als Leserin, mach mir Sorgen.

Muss ich wohl nicht, denn als Autor dieser Geschichte, hast du bestimmt an alles gedacht, oder?!

Wirklich toll geschrieben, denn irgendwie war ich plötzlich Frau Simon und am Ende, war ich, wieder ich!

Ich, freu mich jedenfalls auf ein Wiederlesen, Simone
Vor langer Zeit - Antworten
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