Tragischer Tod
»Panisch und keuchend vor Angst rannte sie durch einen dichten Wald. Ob Tag oder Nacht konnte sie nicht erkennen. Schritte von drei Personen und rascheln von Kleidern verfolgten und jagten sie durch das Unterholz.
Sie selbst trug ein langes dunkelrotes viktorianisches Kleid, das nahezu perfekt zu ihren langen schwarzen Haare passte, die zu einem eleganten Zopf hochgesteckt waren.
Sie lief und lief und lief immer weiter in den Wald hinein und blieb immer wieder an einem Dornenstrauch hängen. Bald hing ihr Kleid unten in Fetzen hinab und ihre Haare hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und kitzelten Nacken und Wangen. Sie stolperte über ihr Kleid und stieß mit der Schulter gegen einen Baum. Schatten umkreisten sie und sie rappelte sich keuchend wieder auf. Panisch lief sie weiter und rammte in eine Sackgasse.
Eine hohe und glatte Bergmauer versperrte ihr den Weg und das knacken trockener Äste ließ sie herumfahren. Drei Mädchen, Drillinge, mit langen, glatten blonden Haaren, die an einigen stellen dunkel gefärbt waren und zusammenklebten, standen mit einem zufriedenen Lächeln vor ihr.
Sie trugen ebenfalls viktorianische Kleider, die aber an einigen Stellen jedoch rot waren anstatt beige. In ihren Händen hielten sie eine Axt, ein Beil und ein Messer.
Alle drei hatten dunkelgrüne Augen, das wusste Aislin aus ihrem ersten Alptraum, doch nun glitzerte der pure Wahnsinn in ihren Augen und die Schatten unter ihren Augen ließen sie wie Zombies aussehen. Gerade als die drei ihre Waffen erhoben und auf sie niederlassen wollten, wachte Aislin schweißgebadet auf auf und starrte an die weiße Decke des Greenwich Mädcheninternats.«
Der Mond schien durch einen Spalt ihrer schweren Vorhänge. Haare und Nachtkleid klebten ihr verschwitzt am Körper und der Schmerz in der Schulter klang wie ein Echo in ihrer Schulter. Sie befühlte ihre Beine und stieß den angehaltenen Atem aus.
Das Mädcheninternat lag weit abgeschnitten von der Stadt umhüllt von einer Waldmauer und einem Berg.
Es waren vor sieben Tage, als der schreckliche Unfall passierte und seitdem Aislin diese schrecklichen Alpträume hatte.
Cindy Miller, 16 Jahre, war mitten in der Nacht verschwunden. Ihre Zimmergenossin hatte diese noch aus dem Zimmer gehen hören, seitdem war sie verschwunden.
Aislin stieg aus ihrem Bett und ging ans Fenster, der Nebel der über Nacht aufgestiegen war, wich langsam dem Morgen und eine Standuhr im Flur schlug 3.
„Eine Stunde mehr als gestern“, murmelte sie und schloss angespannt die Augen.
Der Wind heulte durch die Fluren des Internats, welches ein altes Schlossgebäude war.
Es klopfte an der Tür und Aislin fiel aus ihren Gedanken. Lautlos ging sie zur Tür und öffnete sie.
Melinda, ebenfalls 16, stand im beigen Nachtkleid vor ihr und sah sie verängstigt an. Ihre mittellangen dunkelblonden Haaren waren zerwühlt und unter ihren braunen Augen erkannte man deutlich die dunklen Ränder, durch schlaflose Nächte.
„Ich kann nicht schlafen und da wollte ich fragen, ob ich vielleicht zu dir kommen könnte?“, fragte diese leise und Aislin nickte nur.
„Es war ja nicht das erste mal, dass Melinda mitten in der Nacht vorbei kam“, dachte Aislin erschöpft und ließ Melinda eintreten.
„Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte sie zögernd und Aislin wies auf das unbenutzte Bett.
„Nicht mehr“, sagte Aislin trocken und wunderte sich wie eigentlich immer: „Warum ging sie nicht zu ihren Freundinnen?“.
„Ich wollte nicht zu den anderen gehen, da sie bestimmt selber viel mit sich zu tun haben“, sagte Melinda leise. Ihre Stimme zitterte und Aislin legte ihr eine Wolldecke um die Schultern, die auf dem Bett gelegen hatte.
„Das verstehe ich nicht, ihr erzählt euch doch sonst immer alles“, sagte Aislin ein wenig verwirrt und Melinda verzog den Mund zu einem matten lächeln.
„Cindy war das sogenannte Bindeglied zwischen mir und den anderen und nun, da Cindy verschwunden ist, bin ich natürlich unwichtig, zumal immer mehr denken ich hätte was damit zu tun“, flüsterte Melinda erklärend und unterdrückte ein schluchzen.
„Ah, ich verstehe“, sagte Aislin leise, setzte sich neben Melinda und sah sie tröstend an.
Das Knarren der Dielen ließ beide Mädchen aufhorchen. Leise Schritte und das rascheln von Stoff glitt über die Dielen und Aislin stand auf.
„Die Schritte ist eine Etage über uns, aber wir sollen doch mindestens zu zwei unterwegs sei“, dachte Aislin misstrauisch und ging zur Tür.
Sie folgten dem Geräusch, raus auf den Flur, und lauschten. Melinda klammerte sich Ängstlich an Aislin die nur aufmerksam auf die Decke starrte. Die Schritte gingen leise, fast lautlos, über die Dielen. Sie folgten ihnen bis zum Ende des Ganges, wo sie in der Wand verschwanden. Ängstlich und Neugierig standen die Mädchen in der Sackgasse und starrten an die Decke. Melinda begann zu zittern und Aislin sah sie aus den Augenwinkeln an. Melinda tappte von einem Fuß auf den anderen und so wandte Aislin sich ab.
„Wie kommt es das du wieder zu mir kommst? Du sagtest doch jetzt wäre alles wieder gut?“, fragte Aislin ein wenig verwirrt. Melinda hatte die ersten Tage bei Aislin im Zimmer geschlafen, auf Anordnung der Lehrer hin. Aislin war es egal gewesen, denn außer der Ausnahme, dass Melinda unruhig schlief, war sie eine stille Zimmergenossin.
„Nun ich hatte einen ganz schlimmen Alptraum und wollte einfach nur reden", antwortete Melinda und folgte Aislin den Gang zurück, „Darf ich heute Nacht wieder bei dir im Zimmer schlafen?“. Melinda sah sie unsicher an und Aislin nickte nur, öffnete die Tür und blieb wie angewurzelt stehen.
Das war nicht ihr Zimmer, sondern das Nebenzimmer. Das Zimmer von Melinda und Cindy. Melinda zog erschrocken die Luft ein und starrte auf den Leblosen Körper, der mitten im Raum lag.
Cindy lag da, ohne jegliche Wunde, im Nachtkleid des Internats gehüllt. Das Blut unter ihrem Körper lief zwischen den Dielen zum Fenster. Aislin starrte erschrocken in den Raum: Eine Hälfte des Raumes war vollkommen mit Blut befleckt. Die Bettdecke, ebenso wie die Wand, der Schrank, der Boden ja sogar das Papier auf dem Schreibtisch, alles war mit Blut getränkt.
Melinda stammelte kurze Worte, bevor sie laut Cindy´s Namen schrie. Kurz danach gingen die Zimmertüren im Umkreis auf und die Mädchen versammelten sich vor der Tür. Melinda sackte wimmernd zu Boden und Aislin stockte der Atem. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Langsam wurde ihr bewusst, wer im Traum durch den Wald gerannt war.
Einige Mädchen hatten sich um Melinda versammelt und versuchten sie zu beruhigen. Diese stammelte immer wieder Wörter und halbe Sätze, während sie fassungslos den Kopf schüttelte.
Aislin kniete sich vor Melinda hin und nahm sie fest in die Arme. Melinda´s stammeln wurde immer leise, bis es nur noch ein flüstern war.
Sie schaffte es irgendwie Melinda in ihr Zimmer zu bringen und setzte sie auf das freie Bett. Melinda saß einfach nur da, wie eine Puppe, und starrte ins Leere.
Aislin hörte die Stimmen von älteren Schülerinnen und drehte sich zur Tür um. In der Drehung sah sie über all Blut: An den Wänden, der Tür, dem Boden und sogar dem Bett und an einem der zwei Fenster. Aislin erstarrte zur Salzsäule, blinzelte und alles war verschwunden.
Eine der älteren Schülerinnen kam ins Zimmer und sah Aislin besorgt an.
„Wie geht es euch?“, fragte sie und Aislin fiel aus ihren Gedanken.
„Mir geht es gut, aber Melinda hat es sehr getroffen“, antwortete sie und setzte sich auf ihr Bett. Das ältere Mädchen sah noch lange zu Melinda, die ausdruckslos ins Leere starrte und glanzlose Tränen von ihrem Kinn tropften.
Aislin hörte Stimmen im Raum. Eine Männerstimme summte leise eine Melodie, die im Zimmer widerhallte. Aislin fiel in eine Art Trance und sah gerade noch wie das Mädchen aus dem Zimmer verschwand.
»Sie hörte Schritte im Gang und setzte sich im Bett auf. Ihre Mitbewohnerin kam in das Zimmer, bleich wie Kreide.
„Zoe. Was ist denn passiert?“, fragte sie nervös und Zoe starrte sie an.
„Die vermisste Schülerin ist aufgetaucht, leider anders als Erhofft.“ «
»Die Umgebung änderte sich und wieder lief Aislin durch die Dunkelheit. Diesmal jedoch war sie alleine. Springend und keuchend lief sie durch den Wald. Das Nachtkleid war am Saum schon eingerissen und flatterte ihr um die nackten Beine.«
Aislin erwachte keuchend und blinzelte sich die Tränen aus den Augen. Melinda saß ungerührt auf der Bettkante und starrte vor sich hin.
„Wie geht es dir?“, fragte ein an Aislin gewandt. Es stand im Türrahmen und sah Aislin besorgt an. Aislin die immer noch leicht keuchte setzte sich im Bett auf.
„Es geht schon“, sagte Aislin leise und ihre Cousine, Noelle, betrat den Raum. Sie sah Melinda nur mitfühlend an und wandte sich dann an Aislin
„Ich hab es gesehen“, flüsterte Aislin leise und Noelle starrte sie an.
Noelle setzte sich neben Aislin auf das Bett und legte ihr einen Arme um die Schultern.
„Konntest du sehen wer es war?“, fragte sie flüsternd und Aislin schüttelte den Kopf.
Im Flur herrschten verängstigte und schluchzende Stimmen. Die Zimmer standen alle offen und das leise schniefen der Mädchen und die beruhigenden Stimmen der Älteren drangen in Aislin ein und sie holte zittrig Luft. Das Mädchen stand immer noch im Türrahmen und sah Melinda traurig an.
„Es war der Geist der Prinzessin“, nuschelte Melinda, die Augen immer noch starr auf den Boden gerichtet. Ihre Stimme war hohl, leer und so voller Stille das Aislin einige Herzschläge brauchte um ihre Worte zu hören. Noelle sah zu Melinda und dann zu dem anderen Mädchen, das anscheinend auf Noelle wartete.
„Die Lehrer haben beschlossen, dass Melinda ab heute in dieses Zimmer zieht“, sagte Noelle leise und einige Schülerinnen brachten Melinda´s Sachen und legten sie auf Schreibtisch und Boden. Noelle führte die Mädchen zur Tür und redete mit gedämpfter Stimme auf sie ein.
Etwas knarrte im Raum und Aislin verspürte einen feinen Luftzug. Stoff raschelte über den Boden Aislin begann zu zittern.
„Verschwinde“, dachte sie ängstlich und kniff die Augen zu. Eisige Hände strichen über ihre Wangen und Aislin zuckte zusammen.
„Noelle“, gab Aislin leise von sich. Das Bett knarrte und die Matratze wurde schwer.
Aislin riss vor Schreck die Augen auf und starrte zwei blassen Geistern in die Blutunterlaufen Augen. Ihr wurde augenblicklich übel und Noelle drehte sich von den anderen ab. Aislin zitterte am ganzen Körper. Ihre Beine waren wie festgefroren und die langen dürren Hände kamen ihrem Gesicht gierig näher.
„Sag es“, eine Stimme in Aislins Kopf und Aislin hielt den Atem an. Sie fühlte wie erstarrt. Aislin sah zu Melinda die den Kopf gehoben hatte und ihr nun direkt in die Augen sah.
„Rzhm én Frímdmn“, kam es Aislin über die Lippen und die Geister schrien qualvoll auf, bevor sie in grüne Flammen aufgingen. Keiner der Älteren schien überhaupt nichts davon mitbekommen zu haben und Aislin zu Noelle die nur wie gebannt auf Melinda starrte. Die zur Seite fiel und einschlief.
Die Zeit verging. Erst um fünf Uhr wagte Aislin sich zu bewegen. Noelle hatte nach der Geisteraustreibung die Tür geschlossen und seid dem herrschte angespannte Ruhe. Auch im Gang und in den umliegenden Zimmern war Ruhe eingekehrt, nur noch das flüstern des Windes durchbrach unregelmäßig die Stille. Aislin spürte wie ihre Muskeln sich lösten und sie rutschte von der Bettkanne auf ihre Füße.
„Duschen“, dachte sie und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und machte sich schwankend auf den Weg zu den großen Badezimmern.
Sie hörte schon von weitem, dass die anderen Mädchen aus ihrem Jahrgang ebenfalls unter der Dusche waren. Es war ungewöhnlich das keines der Mädchen redete, aber nach so einer Nacht war es doch wieder selbstverständlich.
Lautlos zog sie sich aus und schlüpfte in eine leere Duschkabine.
„Aislin oder Melly?“, fragte eine Stimme, Linda.
„Aislin“, gab Aislin zur Antwort und stellte das Wasser an. Es blieb weiterhin stumm und Aislin seifte sich ein.
„Wie geht es ihr?“, fragte ein zweites Mädchen, Katlehn.
„Sie ist endlich eingeschlafen“, antwortete Aislin knapp und ließ das heiße Wasser über ihren Körper fließen.
„Verständlich, sie und Cindy standen sich sehr nahe“, sagte Katlehn mitfühlend.
Eine Dusche nach der anderen ging aus und Aislin schloss müde die Augen.
„Kommst du?“, fragte Linda, doch Aislin reagierte nicht, „Dann bis nachher zum Frühstück“.
Das war das letzte was Aislin hörte, danach war nur noch das rauschen der Dusche zu hören.
„Sollte hier nicht eigentlich alles ruhig verlaufen? Seid sieben Tagen habe ich wieder diese Alpträume und davor hatte ich sieben Jahre Ruhe?“, dachte Aislin fassungslos und hob den Kopf. Gedanken kreisten in ihrem Kopf und sie schloss die Augen.