Romane & Erzählungen
Spiegelwelt - Scherbentanz

 

 

 

Scylla Jeruscha

 

Spiegelwelt
Scherbentanz

Danksagung

 

 

 

Ich danke Herr C. Schulze,
welcher mir die Erlaubnis zur Nutzung
seiner Fotografie gab.

Alle Rechte liegen bei ihm.

__________________________________________

 Komm tanz' mit mir in
die Spiegelwelt

Komm tanz' mit mir bis der
Vorhang fällt

Es gibt keine Schatten in einer
Welt ohne Licht

Komm tanz' mit mir bis der
Spiegel bricht!
__________________________________________

Stillste Stund - Spiegeltanz

Kapitel 1

„Alice...“ wisperte eine leise Stimme. „Alice... komm zu mir.“ Eigentlich hätte das Mädchen längst schlafen sollen, doch die Stimme, von der sie nicht wusste, woher sie kam, hielt sie wach. Am liebsten wäre sie zu ihren Eltern ins Schlafzimmer gerannt und sich bei ihnen versteckt, doch sie waren aus und Alice wusste nicht, wann sie wieder nach Hause kommen würden. „Alice...“ hörte sie die Stimme wieder flüstern, diesmal nahm sie all ihren Mut zusammen und stieg aus dem Bett, vorsichtig ging Alice zu ihrer Zimmertür und sah hinaus in die Dunkelheit. Erneut hörte sie dieses leise Wispern. Sie ging zu ihrem Bett zurück und nahm den Kerzenleuchter, welcher auf ihrem Nachttisch stand, hoch. Auf blanken Sohlen ging sie erneut zu ihrer Zimmertür und streckte den Arm mit der Kerze in den dunklen Flur, welcher von der kleinen Lichtquelle kaum erleuchtet wurde. Sie sah zu ihrem Bett zurück und erkannte gerade noch, wie sich ihre klein Katze maunzend einrollte um weiter zu schlafen.

Auf Zehenspitzen ging sie den Gang entlang und beugte sich an der Treppe hinunter, die Kerze nach unten haltend, doch war die Lichtquelle zu gering und erhellte den Raum darunter kaum. So ging sie zur Treppe hinüber und langsam die Stufen hinab, der Schein ihrer Kerze spiegelte sich sanft in dem mannshohen Spiegel, welcher im Eingangsbereich stand. Eine Gänsehaut lief ihren Rücken hinunter, die Verzierungen am Rahmen erinnerten in der Finsternis an gebrochene Knochen und schmerzverzerrte Gesichter. Leise ging sie an dem Spiegel vorbei, die Kerze hochhaltend, als sie wieder die leise Stimme hörte, welche ihren Namen rief. „Alice... komm zu mir. Ich bin hier... komm zu mir... Alice.“ Erstaunt sah sie sich um, ging ein paar Schritte weiter in den Raum hinein, am Spiegel vorbei und ließ ihn in eine leichte Dunkelheit zurückfallen. Doch sah sie niemanden, der ihren Namen gerufen haben könnte. Und so fragte sie leise in den dunklen Raum hinein: „Hallo? Ist hier jemand? Hallo?“ Das Mädchen sah sich im Raum um, doch sie konnte nach wie vor nichts erkennen, auch die Stimme, welche sie die ganze Zeit gehört hatte, war verschwunden.

Vielleicht hatte sie es sich nur mal wieder eingebildet. Das war schon oftmals vorgekommen. Alice ging wieder in die Richtung der Treppe, vorbei an dem Großen Standspiegel, als sie die Stimme wieder vernahm. „Alice... geh nicht weg... Alice... komm her zu mir...“ Sie schrak zusammen und sah sich um, wie zuvor war nichts zu sehen. Sie ging wieder mit erhobener Kerze in die Mitte des Raumes, doch als sie diesmal am Spiegel vorbei ging hatte sie das Gefühl, dass sie etwas oder gar jemanden darin gesehen hatte. Allen Mut zusammennehmend ging sie vor den Spiegel, den Blick starr zu Boden gerichtet. Sie presste die Augen fest zusammen und hob den Kopf, dann riss sie die Augen auf und sah sich selbst, mit weit aufgerissenen Augen in den Spiegel starrend, mit nichts weiter bekleidet als einem Knöchellangen, weißen Nachthemd. Doch dann sah sie es, es war ein Mädchen in ihren Alter, welches vor ihr im Spiegel stand, zuerst hatte sie es für eine optische Täuschung, für Einbildung gehalten, durch das zusammenpressen der Augenlider, doch es verschwand nicht, das rothaarige Mädchen mit den leuchtenden, grünen Augen sah sie weiterhin aus dem Spiegel heraus an.