Scarlett, Cecil und Ivan arbeiten als Hunter für die berüchtigte Organisation Avalon und fangen Dämonen ein, damit diese sich nicht an den Menschen vergreifen können. Der Kampf gegen Ivalin kommt in die entscheidende Phase. Avalons Kontaktmann bei Ivalin ist enttarnt worden und Scarlett hat den Auftrag ihn und die anderen verschwundenen Hunter zu finden und zu befreien. Nur während sie sich freiwillig gefangen nehmen lässt, startet Ivalin zur selben Zeit einen Großangriff auf Avalon. Zudem gestaltet sich das Ausbrechen aus dem Kerker von Ivalin als kniffliger als erwartet... Enthält: Kapitel 16-19
Am nächsten Tag kam auch die glückliche Nachricht aus der Reinigung, dass sie selbst Cecils Sachen wieder weiß bekommen hatten. Auch Scarlett war froh, dass ihre Bluse und ihre Hose jetzt wieder scharlachrot und weiß, statt schwarz, waren. Ivan hatte von ihnen noch das kleinste Problem gehabt, nur die Frontseite seines weißen Hemdes hatte es etwas mitgenommen. Trotzdem war auch er ziemlich froh wieder rußfrei zu sein, denn auch auf der Rückfahrt gestern hatte er fast die ganze Zeit über genießt. Vielleicht hatte er wirklich eine Allergie gegen Ruß, auch wenn Scarlett davon noch nie etwas gehört hatte.
„Wollen wir heute Nachmittag etwas zusammen unternehmen?“, fragte Bianca in der Pause.
„Tut mir leid, ich muss wie immer arbeiten“, sagte Scarlett, auch wenn es ihr leid tat. Sie würde gerne mal wieder etwas mit Bianca unternehmen, doch es war so gut wie unmöglich sich bei Avalon frei zu nehmen. Außerdem wurde sowieso jeder einzelne Schritt von ihr überwacht und wenn sie in der Stadt unterwegs waren, war ihr das etwas unangenehm.
„Ich hab auch keine Zeit“, sagte Irene bedrückt, „Tut mir wirklich leid.“
Scarlett sah sie mitfühlend an. Irene hatte es fast noch schwerer als sie, gerade weil sie eigentlich noch eine Gefangene von Avalon war. Angelina und Reika standen etwas abseits, hielten sich allerdings immer in Scarletts Nähe auf. Für alle drei musste es schwer sein, immerhin wurde selbst ihren Familien etwas vorgegaukelt, damit niemand Verdacht schöpfte.
„Ist ja nicht schlimm“, sagte Bianca lächelnd. Dennoch schien sie doch ein wenig nachdenklich zu sein. Schließlich benahm sich nun auch Irene merkwürdig und ganz und gar nicht so wie sonst und dass Reika und Angelina nun neuerdings auch noch in ihrer Nähe waren, war doch ziemlich komisch.
„Äh.. ich, äh.. hallo...“
Scarlett und auch Bianca und Irene drehten sich um. Vor ihnen stand ein Junge mit dunklen Haaren, der ungefähr so groß wie Scarlett war. Und soweit sie sich erinnerte, ging er in ihre Klasse und hieß Kevin oder so ähnlich.
„Hallo Kevin, was möchtest du?“, fragte Bianca, die allerdings auch ein wenig überrascht klang.
Scarlett lobte sich selbst, ausnahmsweise war ihr ein Name mal nicht entfallen.
„Äh.. ja.. ähm, ich...“, druckste Kevin herum und sah ziemlich unsicher in die Richtung von Scarlett.
Irene schien jedoch etwas aufgefallen zu sein, denn sie sah ihn plötzlich grinsend an und hatte anscheinend bereits eine recht starke Vermutung, was gleich kommen würde.
Scarlett zog unterdessen nur eine Augenbraue hoch. Er war so unsicher, dass sie sich ein Lachen darüber verkneifen musste. Was auch immer er wollte, wie es aussah, traute er sich kaum, überhaupt den Mund aufzumachen.
„Ich.. ich liebe dich Saskia!“, sagte Kevin und es hatte ihn anscheinend eine ganz schöne Überwindung gekostet. Nun sah er sie unsicher an.
„Hä?“ Scarletts Augenbrauen wanderten nach oben. „Das ist doch wohl ein Scherz?“
Kevin schüttelte zaghaft den Kopf.
Einen Augenblick brauchte Scarlett, dann schüttelte sie ebenfalls den Kopf. „Selbst wenn das kein Scherz war, für so einen Quatsch habe ich nun wirklich keine Zeit. Und überhaupt, wir kennen uns höchstens vom Sehen her, wieso kommst du auf einmal an und sagst das einfach? Das ist doch schwachsinnig...“
Irene presste ihr auf einmal von hinten eine Hand auf den Mund und sah den ziemlich mitgenommen aussehenden Kevin entschuldigend an. „Tut mir wirklich leid, aber sie hat keine Ahnung von der Liebe, da brauchst du dir keine Hoffnungen zu machen. Du solltest dir lieber jemand anderen aussuchen, hier kommt jede Hilfe zu spät.“
Kevin sah sie und Scarlett unsicher an, die ziemlich resigniert drein blickte und sich gerade einige deftige Kommentare verkniff. Irene konnte noch was erleben. Dann ging Kevin aber auch mit hängenden Schultern und Bianca trat neben sie.
„Das war aber eine plötzliche Liebeserklärung“, stellte sie fest.
„Und wie plötzlich“, sagte Irene und nahm ihre Hand von Scarletts Mund, „Was meinst du, wie überrascht ich erst war?“
„Und was sollte das überhaupt?“, fragte Scarlett genervt, „Diesen Schwachsinn kann ich nicht gebrauchen.. und wie kommt dieser Typ überhaupt auf mich?“
„Vielleicht hast du ihm irgendwann mal, ohne es zu merken, einen Gefallen getan oder es war Liebe auf den ersten Blick“, schlug Irene grinsend vor, „Ach, da wird man ja glatt neidisch. Wo ich doch viel interessanter und...“
„Unzuverlässiger bin“, beendete Scarlett ihren Satz, „Du würdest doch zu jeder Verabredung mindestens zehn Minuten zu spät kommen. Dein Freund würde mir leid tun.“
„Hey! Er kann doch auch einfach erst zehn Minuten später aufkreuzen“, sagte Irene beleidigt.
„Wenn du das weißt, würdest du doch glatt zwanzig Minuten zu spät kommen“, warf Scarlett ein und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie musste aber auch leicht lächeln. Das war wieder die Irene, die sie kannte und mochte.
„Also das..! Das ist unfair!“, sagte Irene aufgebracht, „Ich würde definitiv nicht zu spät kommen!“
„Wisst ihr zwei was?“, fragte Bianca und lächelte fröhlich, „Ich find es schön, dass wir wieder richtige Freundinnen sind.“
Irene wirkte etwas überrascht und Scarlett nickte nur lächelnd. Bianca sprach das aus, was sie gedacht hatte. Nun war eigentlich alles soweit wieder in Ordnung, abgesehen davon vielleicht, dass Irene und Reika und Angelina sich immer noch unter Arrest bei Avalon befanden und nur mit Scarlett als Begleiterin das Gebäude verlassen durften.
Schließlich war der Unterricht auch wieder vorbei und nachdem sie sich von Bianca verabschiedet hatten, machte Scarlett sich mit Irene, Reika und Angelina auf den Weg zu Avalon. Nachdem sie die drei unten bei Sebastian abgeliefert hatte, ging sie zu ihrer Wohnung und zog sich um. Das Fax mit ihren Aufträgen lag auf dem Schreibtisch neben dem Fenster. Heute hatten sie ausnahmsweise mal nur drei Dämonen, die sie einfangen mussten. Das war eine richtige Seltenheit.
Jedoch war noch ein anderer Auftrag an alle Hunter mit auf dem Zettel. Inzwischen gab es wohl einen Insider bei Ivalin, denn anscheinend hatte man herausgefunden, dass die Organisation bald einen großen Angriff auf Avalon plante, weil sie immer mehr Mitglieder verloren. Darum mussten langsam Vorbereitungen getroffen werden, denn es war nicht ganz klar, wie viele Mitglieder Ivalin noch besaß und unterschätzen wollte Avalon die andere Organisation lieber nicht, denn Not machte erfinderisch, wie das Sprichwort so schön sagte. Daher liefen zurzeit auch noch neben dem Einfangen weiterer Dämonen die Vorbereitungen auf den Angriff von Ivalin.
„Das hört sich ja schwer nach Arbeit an“, seufzte Ivan nur und setzte sein Kap auf, mit dem er seine fast schulterlangen, nussbraunen Haare verdeckte.
„Sieht ganz so aus“, sagte Cecil, der gerade das Fax studierte und noch kurz seine Brille richtete, „Außerdem sieht es draußen nach Regen aus.“
„Stimmt...“ Scarlett war gerade dabei ihren Mantel überzuziehen und blickte aus dem Fenster. Draußen waren dunkle Regenwolken aufgezogen und kündigten bereits einen kräftigen Regenschauer an. „Dabei hat es heute Morgen noch gar nicht nach Regen ausgesehen.“
„Praktisch, dass wir schon den Wetterbericht gehört haben“, bemerkte Ivan, „Ich bin nur froh, dass unsere Klamotten wasserabweisend sind.“
„Ja, das ist bei dem Wetter, das sich da zusammenbraut, wirklich von Vorteil“, stellte Cecil fest und reichte Scarlett wieder das Fax mit den Aufträgen.
„Hoffen wir mal, dass es wenigstens nicht wie aus Kübeln schüttet“, bemerkte Scarlett, „Das wäre auch mit wasserabweisenden Klamotten nicht angenehm.“
Damit machten sie sich auch auf den Weg, um die drei Dämonen auf ihrer Liste einzufangen. Zurzeit war es sogar noch trocken, obwohl die dunklen Wolken ziemlich tief hingen und es schon fast den Anschein hatte, dass es nicht halb drei, sondern bereits neun Uhr abends war. Dennoch ließen sich Scarlett, Cecil und Ivan davon nicht beirren und fingen die ersten beiden Dämonen erstaunlich schnell, sogar für ihre Verhältnisse. Wahrscheinlich lag es allerdings daran, dass die genauen Positionen der beiden bereits bekannt gewesen waren und sie sich außerdem noch jeweils genau in einer Sackgasse befunden hatten. Daher hatten sie auch nicht fliehen können und waren für Scarlett ein leichtes Ziel gewesen.
Allerdings war der dritte Dämon nicht ganz so einfach zu finden wie die Ersten. Wie eigentlich immer war ein mehr oder weniger großes Areal bekannt, in dem der Dämon gejagt hatte und bereits gesichtet worden war. Nun mussten Scarlett, Cecil und Ivan ihn allerdings noch finden. Inzwischen hatte es jedoch auch angefangen zu regnen und die wasserabweisenden Mäntel und Schirmmützen machten sich bezahlt, das Wasser perlte zum größten Teil einfach an ihnen ab. Scarlett und Cecil war es auch zu blöd geworden ihre Brillen immer wieder abzuwischen und sie hatten sie in ihre Taschen gesteckt, bei diesem Wetter und in dieser Gegend würde ihnen sowieso keiner ihrer Bekannten begegnen.
Schließlich und nach einer langen Suche hatten sie den Dämon endlich gefunden. Es begann nur wieder das übliche Spiel, der Dämon lief vor ihnen davon und wollte sich partout nicht betäuben lassen. So kam es wieder zu der üblichen Verfolgungsjagd, auf die Scarlett bei dem Wetter auch gut hätte verzichten können. Die Wege waren nass und das schrie geradezu danach irgendwo auszurutschen.
„Du bleibst hinter ihm“, sagte Cecil nur und bog nach rechts ab, um dem Dämon den Weg abzuschneiden.
Scarlett wollte sich während des Laufens zu Ivan umsehen, doch dieser erklomm in dem Moment schon das Dach und Scarlett sparte sich einen resignierten Seufzer. Stattdessen machte sie sich daran, den Dämon wieder einzuholen und beschleunigte, trotz der Rutschgefahr, ihr Tempo. Der Dämon war jedoch ziemlich klug, er nutzte seinen Vorsprung aus und so schien er nach der ersten Kreuzung, bei der gut zehn Meter weiter hinten eine weitere folgte, irgendwo hin abgebogen zu sein. Scarlett hatte ihn verloren. Das wollte sie sich allerdings nicht gefallen lassen und war gerade dabei sich auf ihr inneres Auge zu konzentrieren, als ihr bei der Abzweigung links eine Gestalt auffiel.
Es war ein Mädchen mit schulterlangen und leicht gelockten, blonden Haaren. Es trug einen schwarzen Rock und ein dazu passendes, schwarzes Oberteil mit Matrosenkragen, der von zwei weißen Streifen geziert wurde. Sie trug komischerweise keine Schuhe und ihre Augen leuchteten in einem leichten Meerblau. Seltsamerweise aber waren die Klamotten und auch die Haare des Mädchens, das so ungefähr vierzehn Jahre alt sein musste, trocken.
Scarlett spürte augenblicklich, dass das Mädchen nicht ganz normal war, und griff reflexartig zu dem ledernen Halfter ihres Revolvers am rechten Oberschenkel, auch wenn sie die Waffe noch nicht zog. Zwar schien es keine Dämonin zu sein, denn ihre Aura war immer noch die eines Menschen, doch normal war das Mädchen auch nicht. Allerdings schien es den Revolver gesehen zu haben, denn es zuckte zusammen.
„Wer bist du und was willst du hier?“, fragte Scarlett misstrauisch.
„Nanami, Nanami Itoe“, sagte das Mädchen und seine Stimme klang etwas verwundert, „Und wer bist du?“
„Scarlett“, antwortete Scarlett schlicht, „Und was suchst du in dieser Gegend?“
„Meine Angelegenheit“, sagte Nanami nur tonlos. „Verdammt“, fluchte sie dann auf einmal leise und sprang auf das Dach des Gebäudes neben ihnen.
Scarlett war allerdings misstrauisch und da Cecil und Ivan ebenfalls noch in der Nähe sein mussten, wollte sie diese Nanami lieber nicht aus den Augen lassen. Sie sprang auf einen der Fenstersimse im ersten Stock und von dort aus flink bis hoch aufs Dach im sechsten Stock. Außerdem wunderte sie sich ein bisschen darüber, dass Nanami so eben mal hoch aufs Dach gesprungen war, das konnte selbst Ivan nur dann, wenn er ein gutes Stück Anlauf nahm.
Mitten auf dem Dach stand Nanami und hinter ihr tauchte in dem Moment ein Junge auf. „Nanami“, sagte er nur. Er trug eine schwarze Rüstung mit einem Helm und einen langen, schwarzen Umhang.
„Na toll, du schon wieder“, sagte diese und murmelte leise: „Wasser werde zum Schild der Freundschaft!“
Eine Karte erschien vor ihr, die etwas größerer als eine Spielkarte war. Auf der einen Seite stand groß das Symbol für Wasser und auf der anderen war ein altmodischer, runder Schild zu sehen, der mit dem chinesischen, japanischen und asiatischen Schriftzeichen für Wasser rings am Rand herum gemustert war. Er hatte die Farbe von Bronze als Grund.
„Dich will ich jetzt gar nicht sehen!“, sagte Nanami dann auf einmal wütend und der Junge flog plötzlich in hohem Bogen durch die Luft und verschwand in der Ferne. Daraufhin starrte Nanami auf ihre Hände und wirkte ziemlich erstaunt.
Scarlett runzelte nur die Stirn. Das war zwar gerade etwas merkwürdig, aber an das Merkwürdige war Scarlett zum Glück gewöhnt.
In dem Moment hörte sie auch einen lauten Fluch und weiter hinten tauchte auf einmal der Dämon mit den kurzen, braunen Haaren auf, den Scarlett vorhin verfolgt hatte. Kurz hinter ihm kamen auch Cecil und Ivan aufs Dach und rannten hinter ihm her, Cecil hatte sein Langschwert Zessiro in der Hand und Ivan seine Lanze Xavier. Der Dämon schoss inzwischen jedoch auf die etwas perplexe Nanami zu und schien sie für sein Nachmittagshäppchen zu halten. Scarlett seufzte nur, zog ihren Revolver aus dem Halfter und schoss einmal kurz, ohne ihn groß anzuvisieren. Trotzdem traf sie den Dämon gut gesetzt in der Magengegend und er ging krachend zu Boden. Gut sieben Meter vor Nanami blieb er liegen und die Betäubung schien bereits zu wirken, denn er knurrte noch nicht mal mehr. Cecil und Ivan kamen derweil zu Scarlett und blickten misstrauisch zu Nanami, die sich unsicher umsah.
„Wer ist das?“, fragte Cecil nur.
„Was hat sie hier zu suchen?“, fragte Ivan ernst.
„Sie heißt Nanami Itoe“, antwortete Scarlett kurz, „Und was sie hier macht, wollte sie mir nicht verraten.“
„Das hat euch auch nichts anzugehen“, erwiderte das Mädchen nur schnippisch.
In dem Augenblick aber tauchte der Junge mit der schwarzen Rüstung auf einmal wieder auf und ging auf Nanami los, die erschrocken zurückwich.
Scarlett kam die ganze Angelegenheit mittlerweile etwas suspekt vor. Wer trug denn in der heutigen Zeit noch eine Rüstung und dieses Mädchen war auch nicht normal, aber da noch keiner von beiden auf Scarlett, Cecil und Ivan losgegangen war, schienen sie nichts mit Ivalin zu tun zu haben. Was immer sie hier machten, sie schienen von dem Kampf der beiden Organisationen nichts zu wissen und hatten anscheinend mehr Spaß daran sich aus irgendeinem Grund zu bekämpfen.
Jedoch kamen sie dabei immer näher an den Dämon, der ein Stück weiter hinten noch immer auf dem Dach lag und vollkommen betäubt war. Scarlett ließ wortlos den Kipplauf von Nye aufspringen und steckte innerhalb von drei Sekunden die normalen Patronen in die Revolvertrommel. Dann rastete der Kipplauf wieder ein, Scarlett richtete ihre Waffe nach oben und schoss gleich zwei Mal in den Himmel, damit endlich mal Ruhe einkehrte.
Die beiden hielten für einen Moment tatsächlich erschrocken inne.
„Uns ist eigentlich egal, was für ein Problem ihr habt, aber wir haben keine Lust, dass unser Dämon verletzt wird“, sagte Scarlett schlicht und wies Ivan mit einer einfachen Handbewegung dazu an den Dämon einzusammeln.
Dieser verdrehte nur die Augen, ging jedoch zu dem Dämon herüber und nahm ihn über die Schulter, während er mit der anderen Hand eine Nummer auf seinem Handy wählte.
„Ich weiß zwar nicht, was eure Aufgabe ist, aber behindern will ich euch nicht“, sagte Nanami, doch der Junge nutzte den Moment und war mit einem Satz hinter ihr. Er packte sie und hielt ihr ein spitzes Messer an die Kehle.
„Du kleine Mistkröte“, sagte er, doch Nanami warf ihn sofort über ihren Rücken. Der Junge flog daraufhin über den Rand des Daches hinweg verschwand aus ihrem Blickfeld.
„Nur wie ihr seht, habe ich mit dem alle Hände voll zu tun!“, fügte sie aufgebracht hinzu, als ihr Gegner auch schon wieder auftauchte und sie zurückspringen musste.
„Wenn ich dich erwische!“, sagte er aufgebracht und Nanami wich ihm aus.
Währenddessen sahen Ivan und Cecil resigniert zu Scarlett, die auch gerade dabei war zu überlegen, ob es so klug war, die beiden hier alleine zu lassen. Da es immer noch regnete, war es zwar nicht sehr wahrscheinlich, dass sich jemand auf das Dach verirren wurde, doch Scarlett war sich auch nicht ganz sicher, was für eine Schlagkraft Nanami und der komische Junge in der Rüstung hatten. Schließlich zielte Scarlett kurz und schoss dann ein weiteres Mal, auch wenn sie den Jungen dabei nur knapp verfehlte, was allerdings Absicht war.
„Was auch immer ihr da veranstaltet“, sagte Scarlett genervt, „Ich wäre ziemlich erleichtert, wenn ihr das wo anders austragen würdet, wo ihr nicht noch womöglich die Häuser anderer Menschen zerstören könntet.“
„Was willst du denn, du kleine Göre?“, zischte der Junge nur und wollte auf sie losgehen, doch Nanami war schneller und stellte sich ihm in den Weg.
„Fahr zu Hölle!“, sagte sie und trat ihn so kräftig, dass er hoch in die Luft flog, dann schoss sie ihm hinterher und trat ihn noch höher. Er schien so überrascht zu sein, dass er sich nicht wehren konnte. Schließlich verpasste sie ihm dann einen so heftigen Tritt, dass er mit voller Wucht ganz unten zwischen den Häusern auf dem Boden aufschlug.
„Geschieht dir recht!“, schnauzte sie nur und atmete erst mal wieder tief ein.
In der Zwischenzeit schienen die Regenwolken all ihre Ladung von sich gegeben zu haben und lichteten sich allmählich, sodass die ersten Sonnenstrahlen durch sie hindurchbrachen und alles in warmes Licht tauchten.
Scarlett blinzelte nur in der Sonne und setzte ihre Sonnenbrille wieder auf. Cecil hielt immer noch sein Langschwert in der Hand und war nach wie vor ziemlich misstrauisch, wie auch Ivan, dessen Lanze in seiner freien Hand lag. Allerdings schien ihm in dem Moment noch etwas einzufallen.
„Ach ja“, sagte er leise und sah Scarlett dabei an, „Rebecca sagte vorhin, dass wir auf dem Rückweg mal Ausschau nach einem unserer Ausbrecher halten sollen.“
„Du meinst doch nicht...“, setzte Scarlett an, doch in dem Moment wehte ein laues Lüftchen um sie und auf einmal verabschiedete sich ihre Schirmmütze. Zwar fing Scarlett sie noch auf, doch nun waren ihre rotblonden Haare, die sie hochgesteckt hatte, deutlich zu sehen. Dann drehten sie und die beiden Jungen sich um und wie erwartet, sahen sie weiter hinten auf dem Dach ihren alten Freund.
„Hjuuu, das sah ja ganz schön spektakulär aus“, bemerkte Zachary grinsend und der leichte Wind spielte mit seinen langen, schwarzen Haaren, auch wenn sie nach wie vor, bis auf einige kürzere Strähnen, zu einem Pferdeschwanz am unteren Haaransatz zusammengebunden waren. Er trug auch die lange, schwarze Hose, das weiße Hemd mit dem Polokragen und darüber die dunkelblaue Weste mit den goldenen Stickereien, die besonders edel aussah.
„Nicht du schon wieder“, seufzte Scarlett nur kopfschüttelnd.
„Ich will endlich meine Ruhe“, stöhnte Nanami und ging zum Dachrand. Sie schien eigentlich herunterspringen und verschwinden zu wollen, doch auf einmal schwankte sie leicht und sank auf die Knie. Dann tauchte plötzlich wie aus dem Nichts ein Junge mit langen, hellblonden Haaren und himmelblauen Augen hinter ihr auf und ging in die Knie. Sein meerblaues bis weißes Gewand war prächtig wie die, die die Kaiser Chinas früher trugen.
„Wer bist du?“, fragte Nanami unsicher. Sie rutschte zurück und der Junge sah sie besorgt an.
„Jemand, der dir helfen will“, sagte er und Nanami zitterte, der Junge schien ihr nicht geheuer zu sein. Sie rutschte noch ein Stück zurück und war am Dachrand angekommen.
„Ich will dir nichts tun“, sagte er beschwichtigend, doch Nanami schien Angst zu haben. Sie rutschte noch ein Stück zurück und vergaß dabei, dass sie schon am Rand war. Sie kippte hinten über und konnte sich nur gerade eben noch an der Regenrinne festhalten. Das Aussehen des Jungen veränderte sich nun und seine schwarzen Rüstung kam wieder zum Vorschein.
„Jetzt habe ich dich!“, sagte er triumphierend.
Scarlett wusste es zwar nicht genau, aber alleine schon vom Hinsehen konnte man erkennen, dass der Junge nichts Gutes im Schilde führte. Darum hob Scarlett kurzerhand Nye und schoss auf ihn. Die Kugel blieb in seinem Helm stecken, doch mit dem Angriff von hinten hatte er eindeutig nicht gerechnet, denn er geriet selber kurz ins Schwanken. Jedoch fing er sich wieder und drehte sich um, während Scarlett kurz blind neue Patronen in ihren Revolver lud und ihn im Auge behielt.
„Du Miststück“, sagte er drohend und war so schnell wieder auf den Füßen, dass ein normaler Mensch die Bewegung wohl kaum erkannt hätte. Dann schoss er auf Scarlett zu. Cecil hob sein Schwert und auch Ivan erhob mit einer Hand seine lange Lanze, doch keiner der beiden sollte zum Zuge kommen, genauso wenig wie Scarlett selbst.
Zachary tauchte auf einmal blitzartig vor dem Jungen auf, obwohl er eben noch am anderen Ende des Daches gewesen war, und schlug einfach mit der geballten Faust zu. Sein Schlag traf den Jungen am Kopf und schleuderte ihn nach links weg. Dabei verlor er auch den Helm und seine kurzen, schwarzen Haare kamen zum Vorschein. Äußerst unsanft landete er auf dem Dach und blieb dort erst mal liegen.
„Zachary, du sollst doch nicht auf Menschen losgehen“, sagte Scarlett und ihre Stimme klang warnend, während sie zum Rand des Dachs ging.
„Ich hatte schon lange nichts Spannendes mehr zu tun“, erwiderte Zachary nur unbeeindruckt und verschränkte die Arme hinter dem Kopf als wäre nichts gewesen, „Außerdem dürfte der das bei dem ganzen Blech doch kaum gespürt haben.“
„Sieht für mich nicht danach aus“, bemerkte Scarlett resigniert und zog Nanami am Arm wieder hoch aufs Dach.
Diese bedankte sich flüchtig, wich dabei jedoch zurück. „Wer oder was seid ihr?“, fragte sie verunsichert. Zudem wirkte sie auch ziemlich erschöpft.
„Na ja, wir sind Hunter“, sagte Scarlett nach kurzem Überlegen – Nanami hatte ihren Namen schließlich auch verraten, von daher war es nur fair, wenn sie wenigstens etwas antwortete, „Wir arbeiten für die Organisation Avalon und fangen Dämonen ein.“
„Mein Name ist im übrigen Cecil“, sagte Cecil und sah sie abschätzend an, auch wenn er sich dabei auf sein Langschwert stützte.
„Ich bin Ivan“, bemerkte Ivan und rückte den Dämon über seiner Schulter wieder zurecht, den er mit seiner linken Hand festhielt, während er in seiner Rechten die Lanze Xavier führte.
„Und den Dämon da neben den beiden nennen wir Zachary“, bemerkte Scarlett resigniert, „Auch wenn er eigentlich bei Avalon sein sollte, ist er scheinbar schon wieder ausgebrochen.“
„Der Bunker ist öde“, sagte Zachary beleidigt, „Außerdem hat dieser Keith schon wieder schlechte Laune.“
„Trotzdem könntest du uns auch gerne mal eine Pause gönnen“, warf Cecil ein.
„Nö“, erwiderte der Dämon schlicht, „Übrigens kommt die Blechbüchse da hinten gerade wieder auf die Beine.“
Scarlett, Nanami und die beiden Jungen drehten sich auf den Hinweis hin um und sahen tatsächlich, wie der Junge in der Rüstung sich leicht schwankend wieder aufrichtete und sich die Wange rieb, wo Zachary ihn erwischt hatte. Nanami sah jedoch ziemlich erschrocken aus.
„Ich spüre eine dunkle Macht“, sagte sie und rieb sich die Oberarme, da sie anscheinend eine Gänsehaut bekam.
„Dein letztes Stündlein hat geschlagen“, sagte der Junge wütend und Nanami konnte nicht ausweichen. Er packte sie am Hals und schien sie erwürgen zu wollen. Im ersten Moment schien das Mädchen von ihrer Angst regelrecht gelähmt zu sein, doch dann trat sie den Jungen von sich weg.
„Jetzt habe ich aber wirklich genug von dir, wenn die anderen nicht da sind, um dich zu versiegeln, mache ich das eben selbst“, sagte Nanami nun wütend, die sich wie es aussah wieder gefangen hatte. Die Karte in ihrer Hand wurde auf einmal zu einer Lanze und sie richtete die Spitze auf den Jungen. Dieser sah sie erschrocken an und hinter Nanami erschien ein chinesischer Wasserdrache. Sie sah den Drachen erschrocken an und war eindeutig verwirrt – scheinbar gehörte das nicht zu ihrem Plan. Dann wurden ihre Augen jedoch blau wie das Meer, ihr Haar konnte man für fließendes Wasser halten und auch ihre Haltung war anders.
„Was kommt denn jetzt?“, fragte Scarlett misstrauisch und etwas unter Nanamis Bluse begann stark zu leuchten.
„Versiegeln“, sagte das Mädchen auf einmal nur. Die Spitze ihrer Lanze leuchtete auf und der Junge in der Rüstung fing an von innen heraus hellblau zu leuchten und sich zu weißem Glitzer aufzulösen. Nanami ging daraufhin in die Knie und sie sah wieder normal aus – die Lanze wurde wieder zu einer Karte. Der Drache fing sie daraufhin auf und flog dann mit ihr in die Luft.
„Was war das denn schon wieder?“, fragte Cecil und sah dem ziemlich imposanten und großen, chinesischem Drachen mit einer hochgezogenen Augenbraue hinterher. Der Drache flog nicht weit über den Dächern und näherte sich langsam einer der großen Hauptstraßen weiter hinten.
„Oh oh, das gibt eine Panik, wenn jemand das Ding sieht“, bemerkte Ivan beunruhigt.
„Wir müssen es stoppen.. nur wie?“, fragte Scarlett und überlegte hektisch, während sie ihren Revolver lud. Ihr war nur langsam aufgefallen, dass ihr Vorrat an Patronen sich dem Ende neigte. Daher durfte sie keine Kugel mehr einfach so verschwenden, bis sie sich wieder Nachschub aus ihrer Wohnung besorgt hatte.
„Soll ich?“, fragte Zachary gelassen, als hätte nicht gerade vorgeschlagen etwas zu stoppen, das bestimmt mehr als zehnmal größer war als er.
„Wie willst du das denn anstellen?“, fragte Scarlett.
„Wie wäre es, wenn ihr zuseht?“, fragte Zachary im Gegenzug.
Scarlett verzog das Gesicht, doch Ivan seufzte. „Wehe du passt nicht auf, was du tust.“
Zachary grinste kurz, dann schoss er wie vom Katapult abgeschossen los und rannte mit einem beachtlichen Tempo dem Drachen hinterher. Er sprang mit unglaublicher Geschicklichkeit blind über die Dächer, während er die ganze Zeit über den Drachen im Auge behielt.
„Wasser...“, murmelte er nur, „Wind bändigt das Wasser...“
Er war neben dem Drachen und ein lauer Wind kam auf. Er wehte um den Drachen und bremste ihn nach und nach aus, bis der Drache schließlich in der Luft hing und vollkommen vom Wind umhüllt war. Er schwebte kurz vor Zachary in der Luft und dieser trat langsam näher an ihn heran. Der Dämon streckte eine Hand aus und berührte den Kopf des Drachen.
„Die Gefahr ist vorüber, du kannst gehen“, flüsterte Zachary nur und sah dem Drachen ohne zu zögern in die Augen. Dieser erwiderte seinen Blick einige Sekunden lang, dann schloss er auf einmal die Augen und löste sich auf. Die so gut wie bewusstlose Nanami wurde vom sanften Wind in Zacharys Arme getragen und der Drache verschwand.
Scarlett, Cecil und Ivan hatten das Geschehen nur von etwas weiter weg gesehen, doch was sie gesehen hatten, erstaunte sie ziemlich. Dieser Dämon konnte mehr als sie geahnt hatten und was auch immer er da gemacht hatte, es schien jedenfalls das Richtige gewesen zu sein. Schließlich hatten sie aber auch zu ihm aufgeholt.
„Ziemlich beeindruckend“, bemerkte Scarlett nur.
Zachary grinste spitz. „Ich sagte doch, dass ich der gefährlichste Dämon von allen bei Avalon bin.. und einer von euch sollte sie mal nehmen, anscheinend ist sie nicht gerade gerne auf dem Arm eines Dämons.“
„Wer kann ihr das schon verdenken?“, fragte Cecil kopfschüttelnd und nahm Nanami auf seine Arme.
„Können wir uns langsam mal auf den Rückweg machen?“, fragte Ivan, „Der Dämon hier wird langsam immer schwerer.“
„Kann es nicht sein, dass du immer schwächer wirst?“, fragte Zachary frech.
Scarlett stand kurz vor ihm und ihre Faust fand seine Nase. „Spar dir deine dämlichen Kommentare.. aber gut gemacht, das muss man dir wohl lassen.“
„He he, darf ich mich jetzt noch ein bisschen umsehen?“, fragte Zachary sofort grinsend, auch wenn er sich noch kurz die Nase rieb.
„Nichts da“, sagte Scarlett, „Du kommst schön mit zu Avalon.“
„Sebastian wird sich sicher freuen, dich wieder einsperren zu können“, bemerkte Cecil resigniert.
Nanami öffnete die Augen und sah Zachary entschuldigend an. Dann sagte sie mit trockener, heiserer Stimme: „Danke euch vier.“
Ein blaues Amulett, das leuchtend um ihren Hals hing, verschwand wie von selbst unter ihrem Oberteil und die Karte löste sich in Streifen auf, glühte leicht bläulich und verschwand ebenfalls. Dann verlor sie das Bewusstsein.
„Was.. sollen wir jetzt mir ihr machen?“, fragte Cecil etwas überrascht und sah das Mädchen in seinen Armen ungläubig an.
„Keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin“, sagte Scarlett mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„Ich weiß nur, dass der Abholdienst wahrscheinlich schon auf uns wartet um.. na ja, jetzt zwei Dämonen abzuholen“, sagte Ivan resigniert und blickte zu Zachary, der zur Seite blickte und grinsend eine Melodie pfiff.
„Was machen wir nur mit Nanami?“, fragte Scarlett nachdenklich. Wenn Avalon von ihr und ihren Fähigkeiten Wind bekam, würde es für sie ungemütlich werden. Andererseits konnten sie sie hier nicht liegen lassen. Also mussten sie sich wohl eine Ausrede einfallen lassen, denn irgendwie wollte Scarlett Nanami nur ungern den höheren Leuten von Avalon ausliefern.
„Machen wir uns erst mal auf den Weg, bis zum Wagen fällt uns schon noch was ein“, sagte Cecil nur und machte sich über die Dächer in die von Ivan angegebenen Richtung auf.
Scarlett warf Zachary einen befehlenden Blick zu, der nur mit den Augen rollte und den beiden Jungen folgte. Scarlett blieb sicherheitshalber ganz hinten, damit Zachary nicht noch auf die Idee kam heimlich zu flüchten. Nebenbei überlegte sie, wie sie den Leuten vom Abholdienst am besten erklärte, warum sie Nanami dabei hatten. Als sie schließlich schon fast da waren, regte Nanami sich auf einmal unruhig und Cecil blieb verwundert stehen. Dann riss sie die Augen auf und starrte ihn an.
„Wer bist du?“, fragte Nanami erschrocken, wand sich aus seinen Armen und wich von den vieren zurück.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte Scarlett mit einer hochgezogenen Augenbraue, „Und du weißt doch, dass er Cecil heißt.“
„Kenne ich euch?“, fragte Nanami und sah sich um, „Bin ich etwa in der Stadt? Ouweia, das wird Ärger geben.“
Scarlett runzelte die Stirn. „Amnesie?“, riet sie nur.
„Scheint so“, stellte Cecil leicht verwundert fest.
„Ich habe keine Amnesie“, sagte Nanami verärgert und sah sich trotzdem leicht unsicher um. „Ich weiß zwar nicht, wer ihr seid, aber ich muss jetzt gehen“, sagte sie dann auf einmal und sprang von Hausdach zu Hausdach in Richtung Nordwest davon.
„Und weg ist sie“, bemerkte Ivan nur resigniert.
„Tschüssi.“
Scarlett blickte sich überrascht um und sah gerade noch, wie Zachary auf das Dach südlich von ihnen sprang. Er sah noch einmal grinsend über seine Schulter, dann lief er weiter.
„Verflucht!“, sagte Cecil, auch wenn er etwas überrascht klang.
„Ich fang ihn schon wieder ein“, sagte Scarlett nur und sprintete ihm hinterher. Wäre doch gelacht, wenn sie dieses übermütige Etwas nicht erwischte. Hinter dem nächsten Dach sprang Zachary nach unten und Scarlett setzte ihm natürlich nach. Als sie sich jedoch an der Wand abstoßen wollte, um den Sturz auszubremsen und nicht mit der Wand zu kollidieren, knickte sie plötzlich mit dem Fuß um. Scarlett verzog das Gesicht und fiel nach unten. Sie wusste, dass sie ein Sturz aus dem sechsten Stock ziemlich teuer zu stehen kommen konnte, doch als sie gerade versuchen wollte, sich an einem der Fenstersimse festzuhalten, fing sie auf einmal jemand auf. Einen Moment lang sah sie Zachary nur überrascht an, bis er mit ihr auf dem Boden landete.
„Das sah ja nicht sehr elegant aus“, stellte er fest und sah sie schmunzelnd an.
Scarlett schlug ihm so kräftig gegen das Kinn, dass seine Zähne hart aufeinander schlugen. Dann zückte sie Nye und hielt ihm den Revolver unter das Kinn.
„Versuch gar nicht erst abzuhauen“, sagte Scarlett drohend, „Außerdem wäre es viel klüger gewesen, gar nichts zu sagen und einfach zu verschwinden, dann hätte ich dich vielleicht nicht mehr erwischt.“
„Und wo wäre dann der Spaß?“, fragte Zachary nur grinsend.
Scarlett verzog das Gesicht und wollte am liebsten den Abzug betätigen, doch da sie immer noch die normalen Patronen geladen hatte, unterließ sie das lieber. Sie wollte ihn ja schließlich nicht verletzen. Sie wollte ihm nur lediglich am liebsten das vorlaute Mundwerk stopfen. „Du hast es immer noch nicht begriffen“, stellte sie knurrend fest.
Zacharys Grinsen wurde noch breiter. „Wieso sollte ich?“
Scarletts linkes Auge begann zu zucken und sie wand sich aus seinen Armen, doch als sie mit ihrem rechten Fuß auftrat, machte dieser schmerzhaft auf sich aufmerksam und erinnerte sie daran, dass sie eben erst umgeknickt war. Scarlett verzog kurz das Gesicht ehe sie ein genervtes Knurren von sich gab.
„Sieh zu, dass du zu den anderen zurück kommst“, sagte sie mürrisch, „Und wehe du versuchst nochmal abzuhauen.“
„Und du willst auf einem Bein nach oben aufs Dach hüpfen?“, fragte Zachary belustigt. Ihm war wohl aufgefallen, dass ihr Sturz einen Grund hatte.
„Kümmer dich um deinen eigenen Kram“, sagte Scarlett nur, „Jetzt sieh zu, oder muss ich dir Beine machen?“
Zachary hob nur eine Augenbraue, ehe er sich anscheinend ein Kichern verkniff. Dann nahm er sie plötzlich wieder auf die Arme und sprang mit nur einem Schritt Anlauf nach oben auf das Dach.
„H-Hey! Was soll das denn jetzt?!“, fragte Scarlett entgeistert.
„Stell dich nicht so an“, sagte Zachary, auch wenn er sich über ihre Reaktion eindeutig ein Lachen verkniff, „Ich lass dich ja gleich wieder runter.“
„Das will ich dir auch geraten haben“, drohte Scarlett und tauschte die normalen Patronen schnell gegen die Betäubungspatronen aus, „Du weißt, was dir sonst blüht.“
„Bitte nicht“, stöhnte Zachary nur und landete ein Stück weiter in einer Gasse ohne Schwierigkeiten wieder auf dem Boden, „Wenn wir rechts abbiegen, sollten wir bei den anderen sein.“
„Das sehe ich auch“, sagte Scarlett nur und sorgte mit einem Stoß ihres Ellenbogens zwischen seine Rippen dafür, dass er sie wieder runter ließ, „Und jetzt sieh zu, du Ausreißer.“
Zachary schien die Augen zu verdrehen, ehe er seufzend um die Ecke bog und dann mit Scarlett wieder auf die anderen traf, die sie bereits erwarteten. Scarlett ließ sich nicht anmerken, dass ihr Knöchel verstaucht war und Zachary verlor ebenfalls kein Wort darüber. Der nach wie vor betäubte Dämon wurde kurzerhand in den Kofferraum des Kleinwagens gelegt, da sie mehr Mitfahrer waren als erwartet. Vorne saßen der Fahrer und der Beifahrer, in der Reihe hinter den beiden saßen Cecil und Ivan und ganz hinten saß Scarlett neben Zachary und passte darauf auf, dass dieser nicht auf die Idee kam irgendwelche Dummheiten zu machen. Denn sie traute ihm auch ohne weiteres zu, mitten während der Fahrt einfach aus dem Auto zu springen. Gerade nach dem, was sie heute von fern gesehen hatte. Zachary verbarg ein Geheimnis vor ihnen allen und schien viel mehr zu wissen und zu können, als er ihnen bisher gezeigt hatte. Er war ein Spieler, der zwar ihren Regeln folgte, sich allerdings auch darauf verstand seine Geheimnisse zu verbergen. Er war unberechenbar.
Zachary schien ihr leicht misstrauischer Blick aufgefallen zu sein, denn er grinste spitz und dachte wohl gerade wieder daran, wie er sie einfach ohne ihre Erlaubnis auf den Arm genommen und bis fast ganz zu den anderen getragen hatte.
Scarlett verzog nur mürrisch das Gesicht und entsicherte ihren Revolver, woraufhin Zachary sich ein Lachen zu verkneifen schien.
„Wenn wir tauschen sollen, sagst du bescheid“, sagte Cecil nur, der anscheinend gehört hatte, wie Scarlett Nye entsichert hatte. Er und Ivan respektierten den übermütigen Dämon zwar inzwischen, doch leiden konnten sie ihn anscheinend immer noch nicht so wirklich, auch wenn sie es sich normalerweise nicht anmerken ließen.
„Nicht nötig, mit dem da werde ich schon fertig“, sagte Scarlett lediglich und ihre Augen wurden schmal.
„Hey hey, ich hab nichts gemacht“, beschwichtigte Zachary sie nur, auch wenn er ein Grinsen nicht ganz unterdrücken konnte.
Scarletts linkes Auge begann zu zucken, doch dann fiel ihr etwas auf. „Wo ist eigentlich Lilly?“
Zachary schien im ersten Moment ein wenig überrascht, dann schüttelte er nur den Kopf. „Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, aber einige unserer Artgenossen im Aufenthaltsraum hatten wohl keine gute Laune. Prinzesschen hatte sich zum Lesen auf einen der Stühle gesetzt, auf dem sonst immer einer der streitsüchtigen Heinis sitzt. Er hat natürlich gleich seine Freunde geholt und dann Prinzesschen angeschrien, aber sie war wohl ziemlich in ihr Buch vertieft und hat das nicht so wirklich mitbekommen. Anscheinend war es den drein dann zu blöd und ihr Anführer hat sich das Buch von Prinzesschen geschnappt und einige Seiten rausgerissen.. Na ja, Prinzesschen kann ganz schön furchteinflößend sein und dürfte wohl inzwischen mit den drein fertig sein.“
„Wie.. meinst du das?“, fragte Scarlett mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„So wie ich es sage“, antwortete Zachary nur und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, „Weißt du, ob es heute mal wieder Pfannkuchen gibt?“
Scarlett sah ihn bloß ungläubig und resigniert zugleich an. „Du und dein geliebter Pfannkuchen...“
Auch Cecil und Ivan schüttelten nur die Köpfe und was die beiden Männer vorne dachten, war Scarlett schleierhaft. Allerdings musste sie nun auch wieder an Nanami und den seltsamen Jungen denken, die anscheinend in der Lage waren so etwas wie magische Kräfte einzusetzen. Es fiel Scarlett zwar nicht weiter schwer die Fakten zu akzeptieren, das hatte sie in den Jahren bei Avalon gelernt, aber die beiden waren ihr trotzdem ein Rätsel. Laut dem, was Nanami zu Letzt gesagt hatte, wohnte sie außerhalb der Stadt. Scarlett wusste zwar nicht, was sie in der Stadt gesucht hatte, aber anscheinend hatten Nanami und ihr Gegner nichts mit Avalon oder Ivalin zu tun. Sie schienen mit ganz anderen Dingen beschäftigt zu sein, daher konnte Scarlett in ihrem Bericht wohl auch die Begegnung mit den zwein vernachlässigen. Zwar musste sie Cecil und Ivan noch dazu überreden, doch darin hatte sie mit den Jahren Übung bekommen. Und Zachary verstand sich sowieso darauf alle zu verwirren, daher würde man ihn wohl, sollte er auf die Idee kommen etwas von dem Treffen zu erwähnen, nicht ernst nehmen.
Damit war Scarlett auch wieder bei Zachary. Sie musste daran denken, wie sie von fern nur gerade eben hatte erkennen können, was Zachary getan hatte. Der Dämon schien den Drachen irgendwie gestoppt zu haben und hatte dann anscheinend kurz mit ihm geredet, ehe der Drache sich auf einmal aufgelöst hatte. Jedoch war Scarlett dabei auch mal wieder aufgefallen, dass Zachary ihnen allen schon allein von der Geschwindigkeit her überlegen war. Dennoch ließ er sich immer wieder von ihnen einfangen und machte sich einen Spaß daraus, sie alle auf die Palme zu bringen. Er spielte mit ihnen, wie er es schon immer getan hatte. Und obwohl Scarlett das alles wusste, vertraute sie diesem Dämon.
Aus den Augenwinkeln sah sie zu Zachary. Er saß friedlich neben ihr, hatte die Hände nach wie vor hinter dem Kopf verschränkt und sah nach draußen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er gute Laune, wie immer. Trotz seiner Macht und seinen ganzen Möglichkeiten, hielt er sich bei Avalon auf und machte bei der Ausbildung mit, die eigentlich alle Dämonen verabscheuten. Kein einziger machte diese Ausbildung freiwillig, wie Zachary es scheinbar tat. Er war Scarlett ein Rätsel. Sie kannte ihn seit Jahren und hatte doch nie mehr über ihn erfahren können, als das er anders war als die anderen Dämonen. Allerdings lag es auch vielleicht genau daran, dass sie ihm vertraute. Er hatte sie seit seinem Versprechen von damals noch kein einziges Mal enttäuscht. Nicht ein einziges Mal hatte er einen Menschen angerührt oder gar getötet. Und das rechnete sie ihm hoch an, denn er war immer noch ein Dämon, auch wenn er anders war.
„Da fällt mir gerade etwas ein“, sagte Cecil am nächsten Morgen auf einmal, als Scarlett gerade Irene und die anderen abholen wollte, „Wir haben gestern ganz vergessen die Sender zu verteilen.“
„Stimmt!“ Scarlett schlug sich eine Hand vor den Kopf. „Das wird Ärger geben, besser wir vergessen es heute nicht.“
„Erst mal müssen wir die Schule hinter uns bringen“, seufzte Ivan und Cecil stimmte gleich mit ein.
„Was seufzt ihr zwei so?“, fragte Scarlett stirnrunzelnd und nahm ihre Tasche.
„Nur so“, sagte Cecil und warf Ivan einen vielsagenden Blick zu.
Schließlich trennten sie sich und Scarlett holte Irene, Reika und Angelina vom Verwahrungsraum ab. Auf dem Weg zur Schule trafen sie auch auf Bianca und gemeinsam kamen sie schließlich in der Schule an. Allerdings war Scarlett wie immer der Meinung, dass sie sich die Schule im Prinzip auch sparen konnte. Es war eh nur langweilig und eintönig, gerade da sie zurzeit nur alles Mögliche wiederholten. Das machte den Unterricht noch langweiliger und Scarlett musste aufpassen, dass sie nicht versehentlich einnickte.
„Was haben die drei da hinten eigentlich?“, fragte Irene und sah stirnrunzelnd zu drei Jungen, die auf der gegenüberliegenden Seite des Schulhofs standen und immer wieder zu Scarlett und den anderen vier sahen. Ihre Blicke waren ziemlich feindselig.
„Vielleicht haben sie was Falsches gegessen“, riet Scarlett gelangweilt und unterdrückte ein Gähnen. Eigentlich hatte sie geplant, während der Pause ein kleines Nickerchen zu halten. Ihr Gefühl sagte ihr allerdings, dass daraus nichts wurde.
„Sieht mir irgendwie nicht danach aus“, bemerkte Reika und ihre Augen wurden schmal, „Sieht viel eher so aus, als würden sie eine von uns anstarren.“
„Kommt mir ebenfalls so vor“, bemerkte Angelina.
Inzwischen waren noch vier weitere Jungen dazugekommen und sie alle blickten immer wieder zu der Fünfergruppe, die langsam misstrauisch wurde. Zumindest alle bis auf Scarlett wurden misstrauisch, diese winkte nur ab, da die sieben ja wohl nicht so dumm sein würden, sich mit ihnen anzulegen. Dass sie Unrecht haben sollte, war den anderen vier von Anfang an klar und es war auch nicht ganz sicher, ob Scarlett das nicht auch gewusst hatte. Denn keine zwei Minuten später, nachdem sie sich anscheinend voll versammelt hatten, kamen die Jungen schon über den Schulhof und auf Scarlett und Co. zu.
„Was wollt ihr?“, fragte Irene argwöhnisch.
„Mit euch haben wir nichts zu schaffen, nur mit ihr“, sagte einer der Jungen und deutete auf Scarlett, die gerade schon wieder gähnte und ihn nur mit einer hochgezogenen Augenbraue ansah.
„Du hast unseren Freund lächerlich gemacht“, sagte der Junge mit den dunklen Haaren, „Das wirst du noch büßen.“
„Und von welchem Freund sprecht ihr?“, fragte Scarlett unbeeindruckt.
„Von Kevin“, knurrte ein anderer Junge, „Du hast ihn blamiert und das wirst du bereuen, so was macht keiner mit meinem kleinen Bruder.“
„Ihr seid verwandt?“ Scarletts zweite Augenbraue wanderte nach oben.
Da die Antwort sich erübrigte, stellten sich die Jungen nun in einem Kreis um die Mädchen herum auf. Irene, Reika und Angelina wurden augenblicklich ernst und Bianca wirkte reichlich verschreckt.
„So wie ich das verstanden habe, habt ihr nur mit mir ein Problem“, bemerkte Scarlett und trat einige Schritte zur Seite, „Also lasst Bianca und die anderen drei da raus und legt euch auch nur mit mir an.“
Irene wollte gerade widersprechen, als Scarlett sie warnend ansah. „Mit sieben werde ich auch so fertig, auf eure Unterstützung kann ich verzichten.“
Das verschlug Reika und Angelina, die ebenfalls ziemlich empört gewesen waren, nun endgültig die Sprache und auch Irene klappte ihren Mund wieder zu. Bianca sah nur reichlich unsicher und auch ein wenig erstaunt zu Scarlett, die inzwischen von den sieben Jungen umzingelt war.
„Du scheinst ja ziemlich von dir überzeugt zu sein“, stellte der Junge fest, der der ältere Bruder von Kevin war, „Dabei sind wir alle im Judo-Club und wir sind nicht gerade die Schlechtesten. Du solltest dir noch mal überlegen, ob du dich nicht doch lieber einfach entschuldigen willst.“
„Wieso sollte ich mich bitteschön entschuldigen?“, fragte Scarlett schon fast teilnahmslos, „Ich hab deinem Bruder lediglich klargemacht, dass ich mich nicht im geringsten für die Liebe interessiere und somit auch nicht einsehe, sein Geständnis auf irgendeine Weise positiv zu erwidern. Wenn er damit ein Problem hat, soll er selbst zu mir kommen und nicht seinen großen Bruder mit den Prügeljungs schicken.“
Das schien jetzt reinzuhauen, denn alle sieben wirkten alles andere als geschmeichelt. Im Gegenteil, ihre wütenden Blicke schienen Scarlett regelrecht durchbohren zu wollen und sie kamen bedrohlich langsam auf sie zu. Das machte Scarlett jedoch keine Angst, wer sich tagtäglich mit Dämonen anlegte, hatte keine Angst mehr vor ein paar harmlosen Jungen, die sich einbildeten, dass sie sie, nur weil Scarlett ein Mädchen war, einfach besiegen konnten.
Als die ersten beiden ausholten, trat Scarlett lediglich jeweils einen Schritt zur Seite, sodass die beiden Jungen an ihr vorbei stolperten. Die nächsten drei Schläge wehrte Scarlett gekonnt ab und drehte sich dabei zu Nummer vier um, der gerade zu einem Tritt angesetzt hatte. Jedoch hatte Scarlett ihm so schnell einen Beinhacken gestellt, dass er nicht mehr zu seinem Angriff kam und stattdessen wie eine Schildkröte auf dem Rücken lag.
Dann holte wieder einer der Jungen zum Schlag aus und Scarlett fing seine Faust kurz vor ihrem Gesicht ab. Währenddessen trat sie zur Seite und zog den Jungen schwungvoll nach vorne, sodass er einem der anderen direkt in die Arme stolperte und ihn mit sich zu Boden riss. Aus den Augenwinkeln sah sie dann nur, wie Kevins Bruder mit der geballten Faust ausholte. Sie ging lediglich kurz in die Hocke und drehte sich dabei um. Mit einer Hand stützte sie sich am Boden ab und schwang ihr Bein durch die Luft, sodass sie ihm einfach beide Beine weghaute und er nicht unbedingt sehr sanft auf dem asphaltierten Boden landete.
Dann sah sie auch schon die nächsten zwei Tritte kommen und sprang, noch aus der Hocke heraus, in die Luft. Dadurch gingen die Tritte natürlich daneben und die beiden Jungen sahen sie nur erstaunt an. Scarlett landete federleicht wieder auf ihren Füßen und streckte einfach beide Arme zur Seite. Dadurch verpasste sie den beiden jeweils einen gezielten Stoß gegen die Brust, sodass sie nach außen stolperten und auf ihren Hintern landeten. Sie drehte sich noch einmal kurz und leitete den Schlag des letzten der sieben Jungen einfach ins Leere. Anschließend verpasste sie ihm nur einen leichten Schubs und durch seinen eigenen Schwung plumpste er auf den Boden.
„So, habt ihr euch jetzt ausgetobt?“, fragte Scarlett gelangweilt.
Die entgeisterten Gesichter der Jungen sprachen für sich und während Irene, Reika und Angelina Scarlett nur etwas verblüfft ansahen, wirkte Bianca vollkommen überrascht und erstaunt zugleich. Sie blickte Scarlett nur aus großen Augen an.
„Das wirst du noch bereuen“, sagte Kevins Bruder und rappelte sich wieder auf.
„Wenn ihr den schwarzen Gürtel oder sonst was habt, könnt ihr wieder kommen“, erwiderte Scarlett gelassen, „Vorher braucht ihr gar nicht nochmal anzukommen. Aber ich bin natürlich jederzeit bereit, euch noch mal was aufs Dach zu geben, solltet ihr nicht verstanden haben, dass ich eine Nummer zu groß für euch bin.“
Die sieben Jungen sahen sie stocksauer an, doch leider mussten sie zugeben, dass Scarlett gar nicht so falsch lag. Sie war ihnen klar überlegen. Daher war es nicht verwunderlich, dass Kevins Bruder zum Rückzug blies und die Jungen schleunigst das Weite suchten. Denn es hatte sich natürlich eine ziemliche Anzahl an interessierten Schülern gefunden, die die kurze Auseinandersetzung wie gebannt verfolgt hatten.
So langsam aber verlor sich das Publikum auch wieder, gerade da es zum Unterricht läutete. Auch Scarlett kehrte mit den anderen vier wieder zum Unterricht zurück. Die Jungen waren viel zu leicht zu besiegen gewesen, zumindest für ihren Geschmack, sie war ja noch nicht mal richtig warm geworden. Es war nicht mal erwähnenswert, was die Sieben da gebracht hatten. Einfach langweilig.
Am Nachmittag wurde es glücklicherweise wieder interessanter, auch wenn sich Cecil und Ivan nur über die sieben Jungen amüsieren konnten, die versucht hatten Scarlett eine Lektion zu erteilen. Am Ende war es genau andersherum gelaufen und sie hatte ihnen gezeigt, wer das Sagen hatte. Heute dachten sie auch daran die Sender zu verteilen, die Rebecca ihnen gegeben hatte. Wenn alle Sender an ihren Plätzen verteilt waren, also auch die der anderen Teams, sollte es möglich sein, das Gelände um Avalon in einem ziemlich weiten Umkreis per Satellit überwachen zu können. Dafür aber mussten die verschiedenen Sender erstmal verteilt werden und darum kümmerten sich Scarlett, Cecil und Ivan heute hauptsächlich, abgesehen von den vier Dämonen, die sie heute außerdem noch einfangen und bei Avalon abliefern lassen mussten.
„Was?“ Scarlett starrte das Telefon in ihrer Hand verwirrt an. Die Schuldirektorin hatte sie in ihr Arbeitszimmer gerufen, weil jemand für Saskia angerufen hatte. Angeblich war es eine Freundin der Großmutter von Scarlett, doch diese hatte die Stimme von Rebecca sofort erkannt. Was die Sekretärin ihr allerdings gesagt hatte, klang in Scarletts Ohren so ziemlich unfassbar.
„Du hast mich schon richtig verstanden“, sagte Rebecca ernst, „Unser Kontaktmann bei Ivalin wurde mit ziemlicher Sicherheit enttarnt und ist nun anscheinend ein Gefangener. Sie fordern ihre Leute zurück, ansonsten würde es unserem Mann nicht sehr gut ergehen.. die Ältesten wollen die Gefangenen von Ivalin auf keinen Fall freilassen, aber wir sollen versuchen unseren Mann zu befreien.“
„Und wie.. äh.. soll ich die Katze denn finden? Ich meine, der Park ist ja schließlich ziemlich groß und da eine einzelne Katze zu finden...“ Scarlett wusste, dass Rebecca verstehen würde, was sie da gerade fragte. Wenn ihre Direktorin mit ihr Raum war, konnte Scarlett ja schlecht fragen, wie sie ihren Kontaktmann bei Ivalin finden sollte, da das Gebäude nicht gerade sehr klein war und mit großer Wahrscheinlichkeit auch über einen mehr oder weniger großen Keller verfügte.
Eine Weile herrschte Schweigen auf der anderen Seite der Leitung, ehe Rebecca mit gedämpfter Stimme weiter sprach. „Mir gefällt der Plan nicht, aber Sebastian und Keith sind der Meinung, dass es die einzige Möglichkeit ist, unseren Mann wieder zu befreien, auch wenn wir keine Ahnung haben, wo er sich aufhält.“
Scarlett hatte bereits eine starke Vorahnung und wurde ebenfalls ernst. „Ehrlich? Wie kann ich die Katze denn am besten anlocken?“
„Sebastian ist ebenfalls nicht glücklich darüber, aber er ist auch der Meinung, dass du für diesen Auftrag am besten geeignet bist“, sagte Rebecca, „Du sollst dich von Ivalin gefangen nehmen lassen. Wir vermuten stark, dass sie dich dann zu demselben Ort bringen werden, wo sie auch Steve gefangen halten. Er ist nur leider einer unserer normalen Agenten und kann sich von daher nicht selber befreien. Deshalb musst du dann euch beide befreien.. bist du bereit diesen Job anzunehmen, auch wenn es sehr gefährlich wird?“
„Natürlich“, sagte Scarlett ohne drüber nachzudenken.
„Dann sehe ich dich nach der Schule, da erhältst du genauere Anweisungen und Informationen.“
Damit war das Gespräch beendet und nachdem sich Scarlett kurz bei der etwas verwirrten Direktorin bedankt hatte, ging sie wieder zu ihrer Klasse. Irene, Reika und Angelina erzählte sie nichts davon. Auch wenn die drei nicht mehr auf Seiten Ivalins waren, war es dennoch zu riskant, irgendjemandem davon zu erzählen.
Nach der Schule trieb sie die anderen drei zur Eile an und zog sich bei Avalon nur schnell ihre scharlachrote Bluse und die weiße Hose an. Den Mantel ließ sie in ihrer Wohnung und steckte auf dem Weg zum Hauptgebäude nur kurz die Haare hoch, um sie dann unter ihrem Kap zu verstecken. Von Rebecca erfuhr sie dann, wie ihr Auftrag genau aussah. Dabei hörte sie auch, dass Cecil und Ivan einen anderen Auftrag hatten und deshalb nicht in der Nähe sein würden. Sie war auf sich alleine Gestellt, da alle Hunter, die sich dem Hauptgebäude von Ivalin genähert hatten, spurlos verschwunden waren. Und da ihre Zahl bereits fünf betrug, war es wirklich ernst. Aber obwohl Rebecca immer wieder beteuerte, wie gefährlich dieser Auftrag war, nickte Scarlett zu allem nur und nahm den Auftrag ohne Weiteres einfach an.
„Das ist unsere Scarlett“, sagte Sebastian, als Rebecca der jungen Hunter zum bestimmt schon achten Mal sagte, dass sie vorsichtig sein sollte, „Menschen schrecken sie nicht mehr ab, von welchem Kaliber auch immer sie sind.“
„Stimmt“, sagte Scarlett, „Vor Menschen habe ich keine Angst. Und seien es auch die Leute von Ivalin, ich werde unseren Kontaktmann und wahrscheinlich auch die anderen fünf nicht im Stich lassen.“
Sebastian lächelte, was durch den Zahnstocher, der aus seinem Mundwinkel lugte, ziemlich draufgängerisch aussah. „Dann pass auch auf dich selbst gut auf, ansonsten werden wir noch jemanden schicken müssen, der euch alle da rausholt.“
„Das wird nicht passieren“, sagte Scarlett und wandte sich zum Gehen, „Ich bin vor Sonnenuntergang mit den anderen wieder hier. Also kommt bloß nicht auf die Idee, euch Sorgen zu machen.“
Sebastian sah ihr ernst hinterher und auch Rebecca machte sich Sorgen. Scarlett wusste, dass dieser Auftrag sehr riskant war, das sahen die beiden ihr an. Und dennoch nahm sie wie immer den Auftrag an. Was dabei in ihr vorging, konnten sich die beiden Erwachsenen nur ausmalen, denn was das anging, war Scarlett undurchschaubar.
Den Weg zu Ivalin kannte Scarlett noch. Es war nicht weiter schwer die Straßen wiederzufinden und schließlich in die Gasse zu biegen, die direkt zu Ivalins Hauptgebäude führte. In Gedanken ging sie nochmal alles durch, an das sie denken musste. Die einzige offene Frage war, wie sie es am besten anstellte, sich von einem von Ivalin gefangen nehmen zu lassen. Wenn sie laut schrie, dass sie von Avalon war, wäre das etwas zu auffällig. Doch wie konnte sie sonst auf sich aufmerksam machen, sodass man wusste, dass sie von Avalon war?
„Oh.. wie es aussieht, kann ich mir das Grübeln sparen“, stellte Scarlett dann auf einmal mit einer hochgezogenen Augenbraue fest und blieb stehen.
Sie war umzingelt. Gleich drei Männer und eine Frau, alle in fragwürdigen Kostümen, waren wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatten sie eingekreist. Noch ehe sie sich über die ziemlich rasche Entdeckung, obwohl sie noch mehr als hundert Meter vom Hauptgebäude entfernt war, wundern konnte, wurde ihr auf einmal irgendetwas in den Rücken gerammt und ein heftiger Stromstoß durchfuhr ihren Körper. Bevor Scarlett überhaupt darüber nachdenken konnte, was passiert war, verlor sie schon das Bewusstsein.
„Gott.. wo bin ich...?“ Scarlett richtete sich schwankend wieder auf. Zurzeit sah sie noch Sterne und spürte lediglich, dass sie auf einem harten Boden aus festem Stein saß. Und ihren steifen Gliedern nach zu urteilen, hatte sie auch eine ganze Weile hier gelegen.
„In einem Kerker“, antwortete eine unbekannte Stimme.
Daraufhin schüttelte Scarlett den Kopf und vertrieb die Sterne, damit sie endlich klar sehen konnte. Es war ziemlich finster, man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Abgesehen davon, machte Scarlett etwas weiter hinten einen Lichtschimmer aus. Da er länglich und sehr schwach war, nahm Scarlett an, dass sich dort eine Tür befand. Und da das Licht, aus ihrer Sicht, immer wieder kurz unterbrochen wurde, konnte sie sich schon denken, wo sie sich befand. Es war wirklich ein Kerker und allem Anschein nach, saß sie tatsächlich in einer Zelle mit Gitterstäben vor der Nase.
„Ist ja echt geil, und ich hatte mich schon gefragt, wo sie uns hinstecken“, stellte Scarlett resigniert fest, „Da kommt man sich ja richtig willkommen vor.“
„Du bist auch von Avalon?“, fragte die unbekannte Stimme, die zu einem Mann mittleren Alters gehören musste.
„Wen sollte Ivalin denn noch hier unten einsperren wollen?“, fragte Scarlett, „Den Weihnachtsmann vielleicht?“
Der Mann seufzte. „Mein Name ist Steve. Und wer sind Sie?“
„Du reicht“, bemerkte sie, „Und mein Name ist Scarlett.“
Eine Weile lang herrschte Schweigen.
„Da ich nun scheinbar dort bin, wo ich hin wollte, muss ich mir wohl langsam mal überlegen, wie ich uns hier raus bringe“, seufzte Scarlett nach einer Weile und kam auf die Füße. Sie trat einige Schritte zur Seite, bis sie mit ihrer ausgestreckten Hand die Wand berührte. Dann ging sie an der Wand entlang und ging so einmal rund um ihre Einzelzelle. Dadurch kam sie zu dem Schluss, dass die Zelle um die sechs bis acht Quadratmeter groß war und auch quadratisch gebaut worden war. Sie konnte davon ausgehen, dass die anderen Zellen ebenfalls von dieser Größe waren. Dann sprang sie nach oben und berührte kurz mit der Hand die Decke. Sie war ungefähr drei Meter hoch, also war der Kerker etwa von normaler Größe.
„Du wolltest hier her?“, fragte Steve ungläubig.
„Mein Auftrag ist es, dich zu befreien“, sagte Scarlett ernst, „Weißt du, wo die anderen Mitglieder von Avalon sind, die verschwunden sind?“
„Sie sind ebenfalls hier unten“, sagte Steve, „Sie haben sich allerdings nicht so schnell erholt wie du und sind scheinbar noch immer ohnmächtig.“
„Großartig“, stöhnte Scarlett und schüttelte den Kopf, „Bevor sie nicht wach geworden sind, bringt ein Ausbruch sowieso nichts.“
„Ich habe bereits versucht, von hier zu verschwinden“, warf Steve ein, „Es ist unmöglich diese Gitterstäbe zu zerstören. Sie sind aus festem Stahl und da sie dir deine Waffe abgenommen haben...“
„Ich hab meinen Revolver gar nicht erst mitgenommen“, bemerkte Scarlett trocken, „Da ich damit schon gerechnet habe, wäre es doch schwachsinnig eine so wertvolle Waffe mitzunehmen. Aber irgendwie werden wir hier schon wieder rauskommen. Vielleicht hat auch einer der anderen eine Idee, wenn sie dann mal wieder wach werden.“
„Ich hab schon alles nur erdenkliche versucht“, entgegnete Steve, „Die einzige Möglichkeit von hier zu verschwinden ist mit dem Schlüssel. Und den hat der nette Sekretär, der sich nur von Kaffee und Kuchen zu ernähren scheint...“
„Und schleimiger ist als eine Horde Nacktschnecken“, fügte Scarlett hinzu.
„Da stimme ich dir durchaus zu.“
Für eine ganze Weile herrschte wieder Schweigen und Scarlett versuchte die Ziffern auf ihrer Armbanduhr zu erkennen, doch vergebens. Sie hatte keinerlei Ahnung, wie spät es war und hoffte nur, dass noch Zeit bis zum Sonnenuntergang war. Sie hatte keine Lust, dass Sebastian mit seinem Scherz am Ende doch Recht hatte. Das wäre ein wenig peinlich für sie.
Sie saß auf dem Boden und lehnte mit dem Rücken an der Wand, die zwischen ihrer und Steves Zelle war. Inzwischen lag ihre Vermutung darin, dass dies ein Keller unter dem Gebäude von Ivalin war. Sie konnte zwar nicht genau sagen, ob es noch weitere unterirdische Stockwerke gab, doch dieser Keller oder Kerker, wie auch immer man ihn bezeichnen wollte, schien ohnehin schon ziemlich groß zu sein. Jedenfalls hallten ihre Schritte mehrmals wider und auch ihre Stimme klang hohl. Mehr hatte sie allerdings noch nicht feststellen können und zurzeit grübelte sie darüber nach, wie sie am besten von hier verschwinden konnten.
„Oh Mann.. wo bin ich?“
Scarlett horchte auf. Wie es aussah, war gerade eine der anderen Hunter wach geworden. Jedoch erkannte Scarlett zu ihrer Verblüffung die Stimme. „Diane! Was machst du denn hier?“
„Huh? Scarlett?“ Diane klang ziemlich überrascht. „Wo bist du? Und warum ist es hier so dunkel?“
„Weil wir in einem Kerker von Ivalin stecken“, meldete sich Steve mal wieder zu Wort.
„Hä? Wer war das?“, fragte Diane verwirrt.
„Steve, unser Kontaktmann zu Ivalin“, seufzte Scarlett, „Leider nur wurde er enttarnt und außer dir wurden noch vier weitere Hunter von Ivalin geschnappt. Ich bin ihnen freiwillig in die Falle gegangen, weil ich beabsichtige, uns hier rauszuholen.“
„Ach du Heiliger, ich war wohl eine ganz schön lange Zeit ohnmächtig“, stellte Diane erstaunt fest.
„Das kann man so sehen“, bemerkte Steve, „Du warst die Zweite, die von Ivalin gefangen wurde.“
„Na wenigstens sind wir nun schon zwei wache Hunter.“ Scarlett blickte zur Decke. „Wenn die anderen vier hoffentlich bald wach werden, können wir uns überlegen, wie wir hier am besten raus kommen.“
„Das scheint aber ein hartes Stück Arbeit zu werden“, warf Diane ein, „Ich hab hier gerade die Gitter zu fassen.. es wird gar nicht so einfach werden, sie ohne Waffe zu zerbrechen. Meine Dolche scheinen die von Ivalin mir abgenommen zu haben.“
„Das war zu erwarten“, murmelte Scarlett nachdenklich und da Diane ebenfalls schwieg, war es naheliegend, dass sie ebenfalls darüber nachdachte, wie sie von hier weg kamen.
Mit der Zeit wurden zum Glück auch die restlichen vier Hunter wach. Scarlett kannte sie auch alle, es waren außer Diane noch Elvin aus ihrem Team, Allen und das wahrscheinlich einzige Zweiergespann Shirley und Shaoran, die Geschwister waren.
Dianes Aussehen hatte Scarlett noch im Kopf, schließlich hatte sie die Ein-undzwanzigjährige vor gut zwei bis drei Wochen erst gesehen. Sie hatte hellbraune Haare und band sie immerzu zu einem Pferdeschwanz nach oben, wodurch sie ihrer hier nicht anwesenden Kameradin Rachel sehr ähnelte. Sie trug ein blauschwarz kariertes Cape, darunter eine beige Bluse und eine lange, schwarze Hose.
Ihr anwesender Teamkamerad Elvin hatte, soweit Scarlett sich entsinnte, kurze, hellblonde Haare. Er trug normalerweise ein edel aussehendes, weißes Rüschenhemd und dazu eine Hose aus dunkelbraunem Leder. Zwar wusste Scarlett nicht, wie er sich in der engen Hose überhaupt bewegen konnte, doch sie hatte auch nie die Lust danach gehabt ihn zu fragen, schließlich konnte es zweideutig wirken, wenn sie das einen fünfundzwanzigjährigen Mann fragte.
Allen hatte goldblonde Haare, war neunzehn und ein recht kluges Köpfchen, wie Scarlett noch wusste. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte er nach mittelalterlicher Manier ein weißes Leinenhemd ein. Darüber trug er eine schlichte, aber schöne, dunkelviolette Jacke mit einigen silbernen Verzierungen am unteren Rand. Seine Hose war ebenfalls weiß und von daher ähnelte sein Erscheinungsbild ein bisschen dem von Cecil, der schließlich auch fast nur weiße Klamotten trug, obwohl sie so gut wie unübersehbar waren.
Allerdings war Scarlett mit den Jahren aufgefallen, dass viele der Hunter trotz allem auch gerne weiß trugen, selbst wenn es in dunklen Gegenden ziemlich auffällig war. Daher wunderte sie sich auch nicht mehr darüber, schließlich trug sie selber auch eine weiße Hose.
An das Aussehen von Shirley und Shaoran konnte Scarlett sich nur schwer erinnern, sie hatte die Geschwister schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Soweit sie sich aber noch erinnerte, hatten beide dunkelrote Haare. Shaoran trug sie vorzugsweise kurz und Shirley steckte sie kunstvoll hoch und hatte noch eine hübsche, weiße Spange im Haar. Beide waren über fünfundzwanzig. Shirley trug eine dunkelgrau-weiß gestreifte Bluse und eine dünne, dunkelgraue Hose, über der sie noch einen kurzen, weißen Rock trug. Ihr Mantel war lang und khakifarben und war gerade im Wald eine sehr gute Tarnung. Ihr Bruder Shaoran trug ein Hemd, das ebenfalls dunkelgrau-weiß gestreift war. Seine Hose war jedoch rot und sein Mantel, den er eigentlich immer offen trug, wie Scarlett es auch immer tat, war wieder dunkelgrau.
Einzig den Kontaktmann zu Ivalin, Steve, hatte Scarlett noch nie gesehen und konnte sich so nur vorstellen, wie er vielleicht aussah.
„Tja, und wie wollen wir hier jetzt raus kommen?“, fragte Elvin nach einer langen Weile, in der sie alle nur geschwiegen hatten.
„Ich hab keine Ahnung“, gestand Diane und seufzte.
„Wir haben auch keine Idee“, sagte Shirley und sprach damit auch für ihren eher schweigsamen Bruder.
„Mir will zur Zeit auch nichts einfallen“, seufzte Allen.
„Super“, stöhnte Scarlett, „Da ich zurzeit auch planlos bin, sitzen wir hier wohl noch eine Weile fest. Weiß wenigstens einer, wie spät es gerade ist?“
„Nö.“
„Nein.“
„Tut uns leid.“
„Leider nicht.“
Scarlett seufzte und überlegte weiter. Jedoch brachte sie die immer weiter verstreichende Zeit auch nicht auf neue Ideen. So kam es, dass in dem Kerker wieder eine Zeit lang Schweigen herrschte.
Jedenfalls bis vor der einzigen Tür in dieses Verließ Schritte zu hören waren. Dann wurde die Tür auch schon geöffnet und zwei Männer in Kostümen, die dem Outfit eines Ninjas ähnelten, betraten den Kerker. Dadurch drang auch mal etwas mehr Licht in den weiten Raum, auch wenn es trotzdem nicht mehr zu sehen gab. Die Wände waren aus kahlem Stein und der Boden war unregelmäßig mit Pflastersteinen übersät. Sobald Scarlett die beiden Männer sah, die anscheinend nur mal nach dem Rechten sehen wollten, kam ihr aber eine Idee.
„Oh, was für eine Erleichterung“, seufzte Scarlett in theatralischer Manier und eilte zu den Gitterstäben, „Ich dachte schon, ich halte es nicht mehr aus...“
„W-Was willst du?“, fragte einer der beiden Ninja-Männer ein wenig unsicher. Anscheinend wussten er und sein Freund nicht, was sie von Scarletts Schauspiel halten sollten. Allerdings erging es auch den restlichen Anwesenden, die in den Zellen nebenan saßen und natürlich mithörten, nicht sehr viel anders. Was hatte Scarlett auf einmal?
„Bitte, ich muss ganz dringend mal für kleine Mädchen“, sagte Scarlett und rüttelte verzweifelt an den Stäben, „Ich bitte euch, lasst mich nur kurz raus, ich brauche nicht lange.. nur kurz...“ Als könnte sie es nicht mehr aushalten, hampelte sie herum und trat von einem Fuß auf den anderen. Dabei sah sie die beiden Wachmänner flehend an.
„Äh.. na.. das...“ Die beiden Männer sahen sich an.
„Na ja, aber wir müssen dich fesseln“, sagte der Erste dann zögernd und kam zu Scarletts Zelle.
Scarlett streckte sofort die Hände zwischen zwei den Gitterstäben heraus. „Beeilt euch, lange halte ich es nicht mehr aus.“
Daraufhin beeilten sich die beiden Männer wirklich und fesselten sie behelfsmäßig mit einem alten Seil. Dann öffneten sie mit einem der Schlüssel an dem dicken Schlüsselbund die Tür zu Scarletts Zelle und diese eilte nach draußen. Doch kaum wollten die Männer sie beide an den Armen packen und nach draußen führen, löste sich die Verzweiflung in Luft auf. Mit nur einem Tritt zwischen die Beine brachte Scarlett den ersten der beiden Männer dazu in die Knie zu gehen und ehe der Zweite begreifen konnte, was los war, trat Scarlett schon ein weiteres Mal zu und ihr Tritt traf ihn direkt am Kopf. Gute drei Sekunden später hatte Scarlett sich auch endlich von ihren Fesseln befreit und streckte sich ausgiebig.
„Wie lange ist es her, dass ich so etwas Peinliches tun musste?“, fragte sie dann resigniert und nahm den dicken Schlüsselbund, der auf dem Boden gelandet war.
„Meine Hochachtung“, sagte Elvin erstaunt und klatschte, „Du hast die beiden wirklich aufs Kreuz gelegt, ich bin mir nicht mal sicher, ob ich eine Chance gegen dich gehabt hätte.“
„Das war wirklich ein genialer Einfall“, stimmte Diane zu, „Wie bist du nur darauf gekommen?“
„Das frage ich mich auch“, murmelte Scarlett, die wesentlich weniger begeistert war. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn die anderen das nicht mitbekommen hätten. Doch was sollte sie sich über vergossene Milch ärgern? Sie schloss erstmal die Zelle von Steve auf, der ebenfalls etwas erstaunt dreinblickte.
„Also das hätte ich ihnen nicht zugetraut, Miss Scarlett“, bemerkte er nur und rückte seine Sonnenbrille zurecht.
Scarlett fragte sich zwar, wie er bei dieser Dunkelheit noch eine Sonnenbrille auf der Nase haben konnte, doch sie sprach die Frage nicht aus. Stattdessen sah sie nun zum ersten Mal, wie Steve überhaupt aussah. Er trug ein rotes Hemd und darüber einen schwarzen Anzug. Seine weiße Krawatte saß locker und auch die Ohrringe, wie auch die Unordnung seiner schlicht braunen Haare, ließen darauf schließen, dass er sich für einen ziemlich harten Kerl hielt. Wie viel heiße Luft dahinter steckte, wusste Scarlett nicht genau. Allerdings interessierte es sie im Moment auch herzlich wenig.
„Sorgen wir dafür, dass die beiden uns nicht frühzeitig verpetzen“, sagte Scarlett und packte die beiden ohnmächtigen Männer am Kragen. Sie schleifte die beiden kurzerhand in die Zelle, in der sie bis vor zwei Minuten gehockt hatte. Danach schloss sie einfach die Zellentür und verriegelte sie noch, damit die beiden nicht herauskamen.
„So einfach kann´s gehen“, stellte Allen fest und kicherte leise, „Aber ich wäre auf die Tour auch reingefallen, das war wirklich wie aus dem Bilderbuch.“
„Danke, danke, danke, aber können wir jetzt lieber mal darüber reden, wie wir hier raus kommen?“, fragte Scarlett genervt und ging bereits auf die Tür zu, die aus dem Kerker führte.
„Wieso weichst du aus?“, fragte Elvin lächelnd, „Du solltest stolz auf deine Tat sein und sie nicht einfach abtun.“
„Dummerweise habe ich zurzeit mehr Interesse daran, einen Weg hier raus zu finden und dabei noch auf eure konfiszierten Waffen zu stoßen“, erwiderte Scarlett entnervt und verkniff es sich mit den Augen zu rollen.
„Stimmt, vielleicht sollten wir uns wirklich erstmal darum kümmern“, stellte auch Diane nachdenklich fest, als sie die Treppe nach oben ins Erdgeschoss hoch stiegen und dabei höchstens zu zweit nebeneinander gehen konnten, da die Treppe recht schmal war.
„Das dürfte kein Problem sein“, machte Steve auf sich aufmerksam und nahm bei dem spärlichen Licht seine Sonnenbrille ab, „Ich kenne mich hier schließlich aus und wenn sie eure Waffen nicht in einen anderen Raum verlegt haben, weiß ich auch, wo sie sind.“
„Hey, unser Kontaktmann erweist sich ja doch als ganz nützlich“, stellte Shirley fest, die zusammen mit ihrem Bruder die meiste Zeit über schwieg.
„Wie kam es überhaupt, dass Sie aufgeflogen sind?“, fragte Diane Steve und sah ihn neugierig an. Manchmal wirkte sie nicht wie einundzwanzig, sondern mehr wie fünfzehn, wie Scarlett bereits aufgefallen war. Sie war zwar erwachsen, aber noch nicht so weit, dass Scarlett sie als Erwachsene bezeichnet hätte.
Steves Gesichtsausdruck nach zu urteilen, fand er die Frage alles andere als passend. „Es war ein dummer Zufall, mehr müsst ihr nicht wissen.“
„Hm? Kann es sein, dass da jemand nicht verkraftet, dass er versagt hat?“, fragte Elvin mit einer hochgezogenen Augenbraue. Anders als Scarlett es erwartet hatte, war Elvin mit den Jahren mehr und mehr zu einem Draufgänger geworden. Und das merkte man an seinen spitzen Kommentaren immer wieder, Scarlett tat dieser Steve schon beinahe leid.
Steve atmete tief ein und schien sich einen deftigen Fluch zu verkneifen. „Wie ich bereits sagte, es war ein dummer Zufall und mehr nicht. Sobald wir oben sind, sollten wir aber schweigen, da die Wände ja bekanntlich Ohren haben. Ich führe euch zu dem Raum, in dem sie eure Waffen aufbewahrt haben.“
„Na dann hoffen wir, dass sie noch dort sind“, sagte Scarlett, „Und danach verschwinden wir klammheimlich von hier und damit fertig.“
„Der Plan ist gut“, stellte Shirley fest, „Wir sollten nur hoffen, dass uns die Leute von Ivalin nicht noch einen Strich durch die Rechnung machen.“
„Ja, ein kleines Gebet wirkt manchmal Wunder“, murmelte Scarlett und schüttelte den Kopf. Sie hatte noch nie an einen Gott geglaubt und würde jetzt gewiss nicht damit anfangen.
„So, und jetzt Ruhe“, sagte Steve und öffnete die Tür am oberen Ende der Treppe einen Spalt. Er spähte einen Augenblick lang nach draußen, dann gab er den Huntern mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen. Diese sahen sich kurz an, doch dann folgten sie ihm. Eigentlich hörten sie nicht auf Nicht-Hunter, doch in diesem Fall kannte Steve sich wohl wirklich besser aus als sie. Also folgten sie ausnahmsweise mal seinem Befehl.
Sie schlichen durch einen Gang und gingen anschließend leise eine Treppe hoch. Gleich mehrmals gab Steve ihnen das Zeichen, eine oder auch zwei Stufen zu überspringen, wahrscheinlich weil sie knarrten oder etwas dergleichen. Jedenfalls ging es bis hoch in den dritten Stock. Dort sah Scarlett auch die Tür, die zum Büro von dem schmierigen Herrn Schrada führte. Da rein wollte sie allerdings nicht so schnell wieder, nicht weil sie Angst hatte, sondern weil sie Herrn Schrada absolut nicht leiden konnte. Ihm triefte der Schleim ja schon beinahe aus dem Mund, wenn er sprach.
Zum Glück wollte Steve auch zu einem Raum ein Stück weiter links den Gang runter. Vor einer Tür blieben sie stehen und Steve sah sich kurz um, ehe er an der Tür horchte. Auch die anderen Hunter sahen sich um. Gerade Scarlett kam es viel zu still vor. Eigentlich sollten hier die anderen Mitglieder von Ivalin rumlaufen, doch es war keine Menschenseele zu sehen. Es war beinahe totenstill und das beunruhigte sie alle. Dann drückte Steve vorsichtig die Klinke der Tür vor ihnen herunter und schob sich in den Raum. Anschließend schob er die Tür einfach auf.
„Ihr könnt reinkommen, es ist niemand hier“, sagte er mit gedämpfter Stimme, „Dafür liegen eure Waffen auf dem Schreibtisch.“
Tatsächlich lagen hinten auf dem Tisch einige Waffen aus Orichalcon. Sofort galt die Aufmerksamkeit der Hunter dem Tisch und jeder nahm wieder seine Waffe an sich. Nur Scarlett hatte ihre Waffe in weiser Voraussicht bereits in ihrer Wohnung gelassen und stand in der Tür, um zu sehen, ob sie nicht doch noch Gesellschaft bekamen. Als Elvin und Diane gerade darüber diskutierten, ob sie sich noch weiter hier umsehen sollten, öffnete sich auf einmal die Tür des Zimmers nebenan. Ein uniformierter Mann sah Scarlett, die lässig im Türrahmen lehnte, erstaunt an. Dann wollte er eine Waffe ziehen, doch Scarlett war schneller bei ihm als er gucken konnte. Sie schlug ihm einfach die Pistole aus der Hand und verschränkte seine Arme hinter dem Rücken.
„Hey ihr Streithähne, wir haben doch noch Gesellschaft!“, rief sie den anderen zu, die immer noch nebenan waren und inzwischen schon etwas lauter am Diskutieren waren. Nach ihrem Ruf wurde es jedoch still und sie kamen auf den Gang, nur um Scarlett und den Mann vor ihr, der mindestens einen Kopf größer war als sie, mit einer hochgezogenen Augenbraue anzusehen.
„Hui, da hast du dir ja was geangelt“, stellte Diane nur erstaunt fest, „Gut dass du nicht so vertieft in diese Diskussion warst.“
„Deswegen bevorzuge ich es, solche Diskussionen zu führen, wenn wir uns nicht auf feindlichem Terrain befinden“, seufzte Scarlett, „Und nun zu dir, bist du der Einzige, der noch hier ist?“
Der Mann wirkte reichlich unsicher, gerade da seine Befreiungsversuche an Scarletts eisernem Griff gescheitert waren, aber er antwortete nicht.
„Dann nehmen wir mal eine andere Frage: Wieso sieht es so aus, als wären alle ausgeflogen?“ Scarlett hielt seine Hände inzwischen nur noch mit einer Hand fest und hatte währenddessen einer ihrer Haarklammern aus ihrem Haar geholt. Sie nahm die metallische Seite und hielt sie dem Mann an den Hals, sodass es sich für ihn anfühlte, als hätte er ein Messer an der Kehle. Und die Drohung schien zu wirken.
„Die anderen...“ Der Mann versuchte noch ein letztes Mal sich zu befreien, doch daraufhin verstärkte sich Scarletts Griff um seine Hände und er gab es endgültig auf. „Herr Schrada hat den Befehl gegeben, dass heute alle Mitglieder gegen Avalon antreten und die Organisation mit all ihren Dämonen und Mitgliedern vernichtet wird.“
Scarlett sah zu den anderen, die ebenfalls ziemlich geschockt aussahen.
„Wie lange ist es her, seit der Befehl gegeben wurde?“, fragte Shaoran und erinnerte damit daran, dass er auch noch sprechen konnte. Allerdings klang seine Stimme finster und bedrohlich, was umso verwirrender war, da es sein normaler Ton zu sein schien. Es war schon ein wenig beängstigend, wie düster jemand alleine schon durch seinen Ton wirken konnte und langsam wunderte es Scarlett nicht mehr, dass er nur selten sprach. Er vermittelte einem nicht unbedingt ein Gefühl von Freundlichkeit.
Shaorans Tonfall zeigte auch bei dem uniformierten Mann Wirkung. „Gut vier Stunden.“
„Und wie spät ist es jetzt?“, fragte Scarlett ernst.
„Halb fünf“, antwortete der Mann und er klang mittlerweile wirklich ängstlich.
„Mist!“
„Das kannst du laut sagen, Scarlett“, sagte Allen ernst.
„Was machen wir jetzt mit ihm?“, fragte Diane und sah den nun erschrockenen Mann an, dem seine Situation eindeutig ganz und gar nicht behagte. Er schien noch nicht mal eines der Mitglieder von Ivalin zu sein, die Dämonen jagten. Viel mehr schien er einer der Leute zu sein, die den Papierkram erledigten.
„In die Küche einsperren“, schlug Scarlett spontan vor, „Er hat uns ja keine Probleme gemacht, insofern können wir wohl nett sein.“
„Von mir aus, also wo ist die Küche?“, fragte Elvin und sah den Mann genervt an, „Und sie ist hoffentlich mindestens im zweiten Stock, nicht dass du auf die Idee kommst zu flüchten.“
Der Mann schüttelte schnell den Kopf. „Hier am Ende des Ganges ist eine kleine Küche...“
Ehe er ausreden konnte schob Elvin Scarlett zur Seite und führte den Mann selber weiter, während Scarlett ihre Haarklammer wieder dorthin steckte, wo sie hingehörte. Die anderen folgten ihm ebenfalls. Auch Steve, der zu Letzt nur noch geschwiegen hatte, als die Hunter den armen Mann in die Mangel genommen hatten, kam hinter ihnen her. Schließlich kamen sie zu der Tür, die zur Küche führte. Der Mann vor Elvin hatte zwar immer wieder noch etwas sagen wollen, doch Shaoran hatte ihn durch das bloße Wort „Schweig!“ tatsächlich zum Schweigen gebracht. Als sie den Mann dann in die Küche gesperrt und diese von außen verriegelt hatten, sahen sich die sechs Hunter und Steve an.
Doch noch ehe einer von ihnen ein Wort herausbringen und fragen konnte, wie sie jetzt am besten vorgingen, da der Kampf zwischen Avalon und Ivalin wahrscheinlich schon in Gange war, wurde eine Tür schräg links auf der anderen Seite des Ganges geöffnet. Bestimmt acht Männer in verschiedenen Kostümen, die zum einen Teil an den Krieg und zum anderen Teil an einen Faschingsball erinnerten, betraten den Gang und schnitten Scarlett und den anderen damit den Weg ab.
„Ich glaube, genau das hat uns dieser Mann in der Küche sagen wollen“, stellte Scarlett mit einer hochgezogenen Augenbraue fest. Anscheinend hatte man diese Männer zurückgelassen, damit sie auf das Hauptquartier aufpassten, solange die anderen sich mit Avalons Mitgliedern herumschlugen.
„Oho, wie es scheint, ist es den Mitgliedern von Avalon inzwischen gelungen, sich zu befreien“, stellte einer der Männer fest und zog ein beachtliches Breitschwert aus der Scheide an seinem Gürtel, „Umso besser für uns, dann haben wir wenigstens auch etwas zu tun.“
Damit zogen auch die anderen Waffen. Daraufhin holten auch Diane, Elvin, Allen, Shirley und Shaoran ihre Waffen hervor und selbst Steve zog einen normalen Revolver aus einer seiner Hosentaschen. Nur Scarlett hatte ihre Waffe natürlich in ihrer Wohnung gelassen. Langsam fand sie die Idee nicht mehr so genial wie am Anfang.
Kaum hatten die beiden Seiten ihre Waffen gezogen, ging der Kampf auch schon los und die Leute von Ivalin stürzten auf die Hunter von Avalon zu. Scarlett verzog sich etwas in den Hintergrund und wollte über die Sache lieber den Überblick behalten. Allerdings war sie anscheinend auch ohne Waffe auffällig genug, dass sich gleich zwei Mitglieder von Ivalin auf sie stürzten.
Jedoch war Scarlett auch ohne ihren Revolver alles andere als hilflos. Dem Hieb mit der Lanze konnte sie ausweichen und als der zweite Mann sie gerade mit seinem Gewehr durchlöchern wollte, sprang sie einfach über ihn hinweg. Sobald sie hinter ihm landete, ging sie in die Hocke und schlug ihm mit ihrem Bein seine Beine weg, sodass er zu Boden krachte. Dadurch hatte nur leider Nummer eins wieder die Gelegenheit sie zu durchbohren und um ein Haar gelang es ihm auch sie zu köpfen, doch nur um ein Haar. Im letzten Moment hatte sie noch den Kopf eingezogen und sprang nach vorne. Ihr Schlag direkt in die Magengrube hatte gesessen, denn der Mann ließ seine Lanze fallen und sackte keuchend in sich zusammen. Scarlett hätte gerne seine Waffe genommen, doch diese löste sich leider auf, sobald sie nicht mehr in Berührung mit ihm war. Daraufhin seufzte Scarlett nur und sah sich um, ob noch jemand nach ihrem Leben trachtete. Jedoch schien der Rest ganz gut mit sich selbst zu tun zu haben und Scarlett konnte dem sogar recht spannenden Kampf zusehen. Allerdings sollte dieses Vergnügen nur von kurzer Dauer sein.
Einer der Männer von Ivalin brüllte plötzlich etwas Unverständliches und drückte einen schönen, roten Knopf an der Wand. Anscheinend hatte man hier einige Sprengladungen installiert, denn keine zwei Sekunden später gab es einen nicht zu verachtenden Knall, der die Grundmauern des Gebäudes erschütterte und den Huntern in den Ohren klang.
Die Männer von Ivalin stürmten den Gang runter, während sich Scarlett und die anderen kurz überrascht umsahen. Doch als sie endlich begriffen, was hier vorging, krachte auch schon das Stockwerk über ihnen in sich zusammen und kam runter. Steve drückte sich in den Türrahmen der Küchentür, Elvin packte nur Diane und drückte sie an die Wand, Shaoran und Shirley retteten sich in die Ecke und Allen zog Scarlett auf den Boden und blieb schützend über ihr. Und als wäre es nicht schon genug, dass das Gebäude über ihnen in sich zusammenbrach, nein, plötzlich gab es ein Rums und der Boden unter ihnen brach auseinander. Sie fielen nach unten und wurden gleichzeitig von oben halbwegs von Gesteinsbrocken, zum Teil kaum erkennbaren Möbelstücken und anderen Dingen erschlagen. Bevor aber noch mehr passieren konnte, wurde Scarlett schwarz vor Augen und sie verlor das Bewusstsein.
Als Scarlett langsam wieder zu Bewusstsein kam, spürte sie augenblicklich, dass sie von lauter Felsbrocken umgeben war. Außerdem war die Luft stickig und schien kaum noch Sauerstoff zu enthalten. Mit einigem Stöhnen, das manch einer als Fluchen bezeichnen würde, öffnete sie ihre Augen. Dass sie im Prinzip gar nichts sah, verwunderte sie nicht sonderlich. Wenn ihr Erinnerungsvermögen sie nicht im Stich ließ, war sie ja auch gerade von dem oberen Teil des Gebäudes von Ivalin begraben. Das brachte sie nun zu der Frage, wieso sie in diesem Fall noch lebte. Erst in dem Moment fiel ihr allerdings auch auf, dass sie zwar unter und überall neben sich die harten Felsen spürte, doch was auch immer über ihr war, war weder hart noch kalt, sondern hatte eine warme Körpertemperatur und schien menschlich zu sein.
„Allen!“ Scarlett fiel wieder ein, dass er sich ja schützend über sie geworfen hatte, als die oberen Stockwerke heruntergekommen waren. Er schien jedoch, wie Scarlett bis eben auch, das Bewusstsein verloren zu haben. So langsam nahm ihr Verstand auch wieder seine Arbeit auf, obwohl sie sich, ihren heftigen Kopfschmerzen nach zu urteilen, bei dem Sturz den Kopf angeschlagen hatte. Mit ziemlicher Sicherheit hatte sie eine Gehirnerschütterung, doch das kümmerte sie im Moment herzlich wenig. Sie und Allen mussten aus diesem Trümmerhaufen raus, und das schnell, denn bald würde der Sauerstoff wirklich aufgebraucht sein, wie ihr ihre Vorzeichen für einen Kreislaufzusammenbruch und das aufkommende Schwindelgefühl verrieten.
„Bravo, das ist ja mal wieder super“, stöhnte Scarlett und tastete um sich herum die Felsen ab. Sie und Allen hatten wirklich Glück gehabt, dass die Trümmer so liegen geblieben waren, dass sich ein Hohlraum gebildet hatte. Ob die anderen auch lebend davongekommen waren, konnte Scarlett im Moment nicht sagen. Sie versuchte vielmehr auf eine Idee zu kommen, wie sie sich befreien konnten, ohne dass am Ende noch alle Trümmer über ihnen doch noch herunterkamen.
Da ihr allerdings klar wurde, dass sie entweder zerquetscht und erschlagen von Felsen oder an Sauerstoffmangel sterben konnte, schob sie ihre Bedenken zur Seite und suchte nach einem Stein, den sie bewegen konnte. Dass Allen quer über ihr lag, machte die Sache zwar nicht gerade einfacher, doch damit musste Scarlett sich arrangieren, da sie ihn, bedingt durch den Platzmangel, nicht von sich runter schaffen konnte. Sie probierte es mit einigen Steinen neben sich, doch schließlich fand sie es doch klüger an den Steinen über ihr zu rütteln.
Und zu ihrem großen Erstaunen fand sie tatsächlich einen mittelgroßen Felsbrocken, der sich etwas bewegen ließ. Noch mehr erstaunte sie allerdings der Anblick, der sich ihr bot, als sie den Stein, nachdem sie ihn endlich vollständig gelöst hatte, zur Seite schob. Sie erblickte Tageslicht und frische Luft, gemischt mit etwas Staub und Abgasen, gelangte in ihre Lunge.
Erleichtert atmete Scarlett erst mal tief ein und genoss das Gefühl von unverbrauchtem Sauerstoff in ihrer Lunge. Dann trieb sie ihren Verstand dazu an, seine Arbeit gänzlich wieder aufzunehmen und sich nicht auf der Erleichterung auszuruhen. Sie bewegte ihre Glieder, um zu prüfen, ob ihre Beine noch da waren und ihr gehorchten, denn von ihren Armen hatte sie ja bereits erfolgreich Gebrauch gemacht. Zufrieden stellte sie fest, dass auch ihre Beine noch in der Lage waren, ihre Befehle auszuführen.
Anschließend packte sie Allen und stieg durch das Loch in der Decke des Hohlraums zwischen den Felsen. Nachdem sie auch Allen nach draußen gezogen und einigermaßen bequem auf zwei größere Felsbrocken gelegt hatte, sah sie sich um. Nur die eine Hälfte des Hauptgebäudes von Ivalin schien von der völligen Zerstörung betroffen zu sein, denn der Rest des Gebäudes stand noch und war anscheinend voll in Takt, da schien wirklich ein Meister seines Fachs am Werk gewesen zu sein.
„Tja, wenigstens leben wir zwei noch...“ Scarletts Blick war über die Trümmer des östlichen Teils des Gebäudes gestreift und hatte dabei gleich mehrere Gestalten ausgemacht, die etwas weiter hinten in den Trümmern gruben. Kurz blinzelte Scarlett dann stellte sie erstaunt fest, dass es Diane, Shaoran und sogar Steve waren, die da standen. Und wenn Scarlett sich nicht täuschte, lagen neben den drein noch Elvin und Shirley, die allerdings bewusstlos zu sein schienen.
Ohne weiter drüber nachzudenken winkte Scarlett und rief: „Hey! Hier sind wir!“
Augenblicklich drehten sich die anderen zu ihr um und winkten ebenfalls.
„Geht es dir gut?!“, rief Diane fragend und begann an Elvin zu zerren, bis Steve ihr Half den hochgewachsenen Mann hochzuziehen und so zu stützen, dass er nicht wieder umkippte.
„Mir schon! Nur Allen ist ohnmächtig und.. hat einige Verletzungen...“ Scarlett kam erst jetzt dazu den Neunzehnjährigen anzusehen und dabei festzustellen, dass er eine ziemlich große Wunde auf dem Rücken haben musste, da auf den Felsen unter ihm bereits Blut zu sehen war. „Auweia.. das ist ernst...“
Inzwischen hatte Shaoran auch seine Schwester auf den Arm genommen und die drei kamen, mit den beiden Bewusstlosen, zu Scarlett und Allen herüber. Scarlett hatte sich über Allen gebeugt und erleichtert festgestellt, dass er auf jeden Fall noch am Leben war. Allerdings war er in einem nicht gerade guten Zustand und ein Blick zu den anderen, als sie vor ihr standen, verriet Scarlett, dass es ihnen auch nicht sehr viel besser ging. Diane hatte lauter Kratzer und Schrammen und an vielen Stellen hatte sie Blut, doch sie hielt sich wacker auf den Beinen; Elvin war ohnmächtig und hatte ebenfalls am Rücken die schlimmsten Verletzungen, wie auch Allen; Shaoran hatte eine lange, kräftig blutende Schramme am Arm und noch unzählige Beulen und blaue Flecken, die man schon jetzt erkennen konnte; Shirley sah ebenfalls arg demoliert aus und hatte eine ziemlich schlimm aussehende Verletzung in der Magengegend; und auch Steve hatte es schwer getroffen, die Platzwunde über dem linken Auge und die blutende Stelle am Knie, durch die er humpeln musste, sahen alles andere als leicht aus.
In dem Moment stellte Scarlett auch fest, dass sie eine tiefe Wunde in der Seite hatte, jedenfalls fühlte sich die Bluse an der Stelle etwas feucht und auch ziemlich warm an, Scarlett sah lieber nicht hin. Nun spürte sie auch das Ziehen und Brennen, doch sie versuchte den Schmerz zu überspielen und möglichst mit ihrer rechten, heilen Seite zu den anderen zu stehen. Andere Verletzungen hatte sie noch nicht bemerkt und sie hoffte inständig, dass es auch bei der in ihrer Seite blieb, schließlich musste einer von ihnen auf die Gruppe aufpassen. Und da sie noch diejenige mit den wenigsten Verletzungen war, musste sie diesen Part übernehmen.
„Anscheinend hast ja wenigstens du es einigermaßen heil überstanden“, stellte Diane erschöpft fest und ließ sich auf einen der Trümmer sinken. Auch Steve wollte sein verletztes Bein wohl lieber entlasten und so wurde auch Elvin wieder hingelegt.
„Auch nur dank Allen“, bemerkte Scarlett und sah sich um. Es war weit und breit keine Menschenseele zu sehen, fast so wie zu dem Zeitpunkt als das Gebäude noch heil war und nicht nur noch zur Hälfte stand. Anscheinend hatten die anderen Männer, wenn sie es noch rechtzeitig in sichere Gefilde geschafft hatten, noch nicht bemerkt, dass scheinbar alle von Avalon überlebt hatten. Wenn auch nur knapp.
Dann fiel Scarlett jedoch etwas ein und sie sah die anderen wieder an. „Wir müssen zurück!“
Die alles andere als begeisterten Gesichter von Diane, Shaoran und Steve sahen sie missbilligend an und schienen fragen zu wollen, warum und wie sie das überhaupt anstellen sollten.
„Ihr habt doch gehört, was der Mann gesagt hat“, sagte Scarlett und ihre Stimme klang nun ein wenig gehetzt, „Ivalin ist ausgerückt, um uns alle von Avalon kaltzumachen. Wir müssen nachsehen, wie der Kampf läuft und wenn nötig eingreifen.“
„Deinen Ehrgeiz und deine Besorgnis in allen Ehren, aber wie sollen wir das anstellen?“, fragte Steve ernst und warf einen Blick zu den anderen, „Drei von uns sind bewusstlos und wir anderen sind alle verletzt, selbst ihr Hunter verkraftet so einen Einsturz nicht ohne Weiteres.“
Das erinnerte Scarlett auch wieder an die höllischen Schmerzen in ihrer Seite und sie verkniff es sich, sie Wunde zu berühren, da das auch nicht helfen würde. Und leider musste sie auch zugeben, dass Steve Recht hatte. Sie waren Hunter, bis auf ihn, aber solche Verletzungen machten auch ihnen sehr zu schaffen. Ein Kampf war in ihrem Zustand ausgeschlossen. Jedenfalls solange sie dabei nicht ihr Leben verlieren wollten.
Scarlett biss die Zähne zusammen. „Na schön, trotzdem sollten wir uns lieber einen anderen Platz suchen, hier ist es viel zu ungeschützt und ich glaube nicht, dass der Einsturz unbemerkt geblieben ist, also wird wahrscheinlich auch bald die Polizei auftauchen.“
„Da hast du allerdings Recht“, stimmte Diane ihr zu und erhob sich schwankend wieder, „Wir sollten uns ein Versteck suchen und dort überlegen, was wir jetzt am besten machen.“
Es widerstrebte Scarlett, doch sie wusste, dass Dianes Vorschlag definitiv vernünftiger war als ihre Idee, sich jetzt auf direkten Weg zu Avalon zu begeben, wo womöglich ein ausgewachsener Kampf zwischen den Organisationen tobte. So legte Scarlett sich einen Arm von Allen über die Schultern und zog ihn hoch, bis sie sich wieder aufgerichtet hatte und er an ihr lehnte. Sie musste ihm noch einen Arm um den Rücken legen, da sie ihn allein an dem Arm über ihrer Schulter nicht festhalten konnte.
Schließlich aber hatte sie ihn einigermaßen sicher, auch wenn ihre eigene Verletzung lautstark und mit höllischen Schmerzen protestierte, und auch die anderen waren so weit. Diane und Steve stützten den bewusstlosen Elvin und Shaoran hatte Shirley wieder auf den Arm genommen, obwohl sein verletzter Arm dabei bestimmt ebenfalls ziemlich wehtat.
So machte sich die Gruppe langsam auf den Weg, doch dabei mussten sie erstmal über ein weites Feld aus Trümmern, das geradezu danach rief, dass sie immer wieder stolperten und sich noch mehr Verletzungen zuzogen. Tatsächlich rutschte Scarlett mehrmals beinahe ab und einige Stürze konnte sie nur mehr als knapp verhindern, doch auch den anderen ging es nicht anders. Diane stolperte sogar wirklich einmal über eine der Kanten und fiel hin, wodurch Steve Elvins volles Gewicht halten musste und in die Knie ging, da sein Bein dort nicht mehr mitspielte. Shaoran stolperte so vor sich hin, doch er konnte sich noch jedes Mal wieder fangen, bevor er mit Shirley auf dem Boden landete.
Allen wurde mit der Zeit immer schwerer und Scarlett spürte auch, dass sich ihre Bluse auf der linken Seite immer weiter mit Blut voll sog, doch sie ignorierte es, wie auch das immer stärker werdende Schwindelgefühl. Den anderen ging es schließlich auch nicht besser, also konnte sie sich nicht so hängen lassen. Dass das keine so gute Idee war, wurde ihr erst klar, als ihr die ersten schwarzen Punkte vor den Augen tanzten und sie anfing zu taumeln. Nur sehr knapp konnte sie verhindern, in ein Loch zwischen den einzelnen Trümmern zu treten und ließ beinahe auch Allen los, doch sie konnte ihn gerade noch festhalten.
In dem Moment kam ein lauer Wind auf, der ihr durch das offene Haar strich. Ihre Mütze hatte sie schon beim Einsturz des Gebäudes verloren und ihre Klammern hatten sich ebenfalls ziemlich gelockert, weswegen sie sie in die Tasche ihrer Hose gesteckt hatte. Nun erblickte sie ein Stück weiter hinten auf einem hoch aufragenden Trümmerteil eine Gestalt. Scarlett brauchte noch nicht mal genauer hinzusehen, sie erkannte ihn sofort.
„Ein Dämon“, stellte Shaoran mit finsterer Stimme fest, die nun noch ein ganzes Stück bedrohlicher klang und Scarlett beinahe einen Schauer über den Rücken jagte.
„Das ist jetzt ganz unpraktisch“, stellte Elvin fest, der vor einigen Minuten erst wieder zu sich gekommen war. Auch er klang grimmig und alles andere als erfreut. „Sehr, sehr unpraktisch.“
„Der verspeist uns zum Frühstück“, sagte Allen mit schwacher Stimme, der auf einmal auch wieder zu sich kam und die Macht des Dämons schon fast zu spüren schien, „Unpraktisch ist die Untertreibung des Jahrhunderts.“
Scarlett war zu erschöpft, um auf die anderen einzugehen und sah nur ungläubig zu dem Dämonen auf. „Was um Himmels Willen suchst du hier? Zachary?“
Dieser lächelte spitz wie immer und sprang von dem Trümmerteil. Dann kam er auf sie zu, was zur Folge hatte, dass die anderen Hunter sich alle anspannten. Nur Diane, die jedoch vollkommen kaputt zu sein schien, wirkte nicht erschrocken oder sonderlich beunruhigt. Sie wusste ja, dass Zachary keine Gefahr darstellte. Die anderen jedoch griffen zu ihren Waffen.
„Hey hey, ich bin nicht an eurem Fleisch interessiert“, sagte Zachary nur, sobald er näher war. Seine Stimme klang vergleichsweise ernst, scheinbar hatte er im Näherkommen bemerkt, in welchem Zustand sich die Anwesenden befanden. „Was ist mit euch passiert?“
„Das geht einen Dämon wie dich nichts an“, erwiderte Elivn drohend, auch wenn er eindeutig nicht in der Position für einen solchen Ton war.
„Wir waren in dem einstürzendem Gebäude“, antwortete Scarlett jedoch, woraufhin die anderen, bis auf Diane, sie beinahe fassungslos ansahen, „Es grenzt schon an ein Wunder, dass wir überlebt haben...“
Sie hatte vor lauter schwarzen Punkten schon fast gar nichts mehr erkannt und nun gab ihr Kreislauf endgültig den Geist auf. Ohne Vorwarnung kippte sie zur Seite und ließ dabei auch Allen los, der es jedoch schaffte alleine auf den Füßen zu bleiben, auch wenn er ziemlich schwankte.
Als Scarlett gerade die Augen schloss und sich auf eine schmerzhafte Landung auf ihrer ohnehin schon verletzten Seite gefasst machte, wurde sie aufgefangen. Nur mit Mühe schaffte sie es ihre auf einmal überaus schweren Augenlider wieder zu öffnen. So kam es, dass sie bemerkte, dass Zachary mal wieder seine Schnelligkeit bewiesen hatte. Obwohl er noch bestimmt fünf Meter von ihr entfernt gewesen war, war er nun neben ihr und hielt sie fest. Kurz hatte sie gespürt, wie seine Hand ihre Verletzung gestreift hatte, und seinem schon beinahe entsetzten Gesicht nach zu urteilen, sah die Wunde alles andere als gut aus.
Scarlett lächelte nur müde und ließ einen Augenblick lang zu, dass er sie in den Armen hielt und an sich zog. Sie hatte immer gedacht, dass ihr diese Geste von einem Dämon zuwider sein würde, doch wie sie verblüfft feststellte, fühlte sie sich sogar recht wohl in seinen Armen. Allerdings meldete sich auch ihr langsam wieder aufwachende Verstand zu Wort und meldete, dass ihre Gedanken nicht ganz zu ihrer derzeitigen Situation passten. Von daher schob sie die Frage, wie es sein konnte, dass sie sich bei einem Dämon, dem natürlichen Feind des Menschen, wohl fühlen konnte, erstmal beiseite.
Die anderen starrten Zachary nur entgeistert an, der Scarlett immer noch festhielt und sie scheinbar gar nicht loslassen wollte. Vor allem Allen, der den beiden am nächsten war, wirkte entsetzt. Gerade weil Zacharys Gesicht nicht weit von Scarletts Kopf war und er sich problemlos herunterbeugen konnte, um sie in die Schulter zu beißen.
Scarlett versuchte sich von Zachary wegzudrücken, doch ihre Glieder fühlten sich an wie Wackelpudding und wollten nicht auf sie hören. Sie konnte gar nicht anders als so zu bleiben, wie sie war. Zachary schien dies aufgefallen zu sein, denn der Blick aus seinen dunkelbraunen Augen, mit einigen hellen Sprenkeln, wurde ernst. Dann nahm er sie auf einmal auf die Arme und Scarletts Augen weiteten sich vor Überraschung.
„H-Hey...“
„Du solltest deine Verletzung nicht noch schlimmer machen, als sie es ohnehin schon ist“, bemerkte Zachary leise, sodass nur Scarlett ihn verstehen konnte. Diese war von seinem ernsten Ton vollkommen überrascht. Dass Zachary so ernst und schon beinahe besorgt klang, kannte sie gar nicht von ihm. Jedoch fielen ihr dann die Gesichter der anderen auf. Alle bis auf Diane sahen Zachary misstrauisch an und hatten ihre Waffen in der Hand. Gerade da sie nun auch noch Scarletts Verletzung sahen, weil Zachary sie so auf die Arme genommen hatte, dass die Wunde von ihm weg zeigte, schienen sie umso misstrauischer zu sein.
„Gott...“, stöhnte Scarlett und versuchte die Kopfschmerzen zu ignorieren, die mit der Zeit noch schlimmer geworden waren und sie zusammen mit ihrer Wunde beinahe in den Wahnsinn trieben. Außerdem war sie vollkommen fertig und es kam ihr so vor, als hätten sie gleich mehrere Lastwagen überrollt.
„Seit wann bist du denn gläubig?“
Scarlett sah Zachary mit gerunzelter Stirn an, der auf einmal wieder so keck und amüsiert wie immer klang. Er hatte auch tatsächlich ein Grinsen im Gesicht, doch seine noch immer dunkelbraunen Augen passten nicht ganz ins Bild. Sie verrieten als Einziges, dass er eigentlich immer noch ernst war, auch wenn er es gekonnt überspielte. Und Scarlett sprang auch drauf an. „Ich bin nicht gläubig, ich bin vollkommen fertig, du alter Ausbrecher.“
„Lass sie runter“, erklang nun aber auf einmal Shaorans düstere Stimme und die Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht.
Nur leider schien der Dämon gegen eine solche Art von Drohung immun zu sein, jedenfalls wirkte er nicht im Mindesten beeindruckt. „Du solltest dir mal ein paar Halslutschbonbons kaufen, die wirken wahre Wunder bei einem kratzigen Hals“, bemerkte Zachary grinsend.
Scarlett konnte nicht verhindern, dass ihre Mundwinkel sich zu einem Grinsen verzogen. Dieser Dämon hatte ein Mundwerk, das keiner übertreffen konnte. Allerdings fiel ihr dann auf, dass sie die anderen besser auch mal darüber informieren sollte, dass Zachary keine Bedrohung für sie darstellte.
„Du bist ganz schön mutig“, stellte Shaoran fest und seine Augen wurden schmal.
„Aber unterschätz uns nicht, auch wenn wir verletzt sind, werden wir dir Scarlett nicht überlassen“, sagte Allen und auch er klang drohend.
„Leute, es ist alles Ordnung“, stöhnte Scarlett und versuchte sich wenigstens aufzurichten, doch das wollte genauso wenig funktionieren, wie ihre Versuche sich von Zachary zu befreien, „Zachary ist harmlos.“
Die anderen wirkten nicht überzeugt.
„Himmel, wäre er hinter meinem Fleisch her, hätte er mich doch schon dreimal verspeisen können“, sagte Scarlett entnervt, „Also hört auf ihn zu bedrohen, er tut uns nichts.“
Diane blickte auf und schien Zachary erst jetzt zu bemerken. „Oh.. wo kommt er denn her?“
Nun sahen die anderen auch Diane ungläubig an, die zu ihrer Verwirrung alles andere als beunruhigt klang.
„Frag mich was Leichteres“, murmelte Scarlett und kämpfte gegen die Müdigkeit an, die in ihr hoch kam.
„Ich komme von Avalon“, antwortete Zachary und zuckte, mit Scarlett auf dem Arm, mit den Schultern, „Da war ein ziemlicher Tumult, als diese komischen Witzfiguren aufgetaucht sind und angegriffen haben.“
Augenblicklich sahen die anderen ihn mit verschiedensten Mienen an. Von ernst über erstaunt bis hin zu ungläubig waren fast alle erdenklichen Gesichtszüge mit dabei. Auch Scarlett war ein wenig überrascht.
„Du hast gesehen, wie die Leute von Ivalin angegriffen haben?“, fragte Elvin nach einer Weile misstrauisch.
„Jap.“
„Wo warst du da?“, fragte Allen, auch wenn er schon nicht mehr ganz so argwöhnisch klang.
„Ich war gerade ausgebrochen, als die ankamen“, antwortete Zachary und zuckte erneut mit den Schultern, „Einige dieser komischen Hampelmänner meinten auch mich angreifen zu müssen, aber ich hatte keine Lust und bin über die Mauer nach draußen.“
„Weißt du, wie es mit dem Kampf weitergegangen ist?“, fragte Scarlett und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie völlig fertig war. Allerdings sagte ihr der nach wie vor dunkelbraune Ton von Zacharys Augen, dass er ganz genau wusste, dass es ihr alles andere als gut ging.
„Zuerst sah es so aus, als würden die Hampelmänner gewinnen“, antwortete Zachary nachdenklich, „Aber als ich verschwunden bin, schienen die Hunter die Sache wieder unter Kontrolle zu haben.“
„Und wie lange ist das her?“, fragte Elvin, der in dem Moment jedoch Diane stützen musste, die schwankte und beinahe zur Seite kippte. Sie murmelte nur eine rasche Entschuldigung und wollte sich wieder aufrichten, doch Elvin hielt sie fest und verhinderte, dass sie noch etwas Dummes machen konnte. Ansehen tat er allerdings immer noch Zachary. Und seinem Blick nach zu urteilen, vertraute er dem Dämon nicht ein bisschen.
„Ein.. zwei Stunden vielleicht“, antwortete Zachary nur.
Elvins Augen wurden schmal und auch Shaoran schien an der Glaubhaftigkeit von Zacharys Worten zu zweifeln.
„Vielleicht sollten wir doch mal nachsehen, wie der Kampf ausgegangen ist“, bemerkte Scarlett, auch wenn sie immer noch in Zacharys Armen lag und nicht in der Lage war sich großartig zu regen. Ihre Gliedmaßen schienen mehrere Tonnen zu wiegen und wollten sich einfach nicht bewegen.
„Das erscheint mir langsam auch als eine gute Idee“, bemerkte Elvin, „Und du Dämon lässt sie jetzt auf der Stelle los.“
„Wieso sollte ich?“, fragte Zachary mit einer hochgezogenen Augenbraue, „Du kannst nicht zwei Leute tragen, der mit den Halsproblemen hat schon jemanden auf dem Arm und der Junge kann sich kaum selber auf den Beinen halten. Ist es da nicht besser, wenn ich sie trage?“
Elvin und auch Shaoran schien es gar nicht zu passen, dass Zachary mit seiner logischen Erklärung auch noch Recht hatte.
„Das stimmt wohl“, gab Allen allerdings zu, „Auch wenn es mich verblüfft, solch vernünftige Worte von einem Dämon zu hören.“
Zacharys Mundwinkel verzog sich zu einem kecken Grinsen. „Es müssen ja nicht alle so unzivilisiert wie manch andere sein.“
Manchmal hatte Scarlett wirklich das Gefühl, dass es Zachary Spaß machte über seine Artgenossen herzuziehen. Manchmal vermittelte er einem wirklich diesen Eindruck. Oder kam das nur ihr so vor? Manchmal sprach Zachary von anderen Dämonen so, als würde er nicht zu ihnen gehören. Scarlett wusste nicht, wieso sie ausgerechnet jetzt darauf kam, wo sie vollkommen fertig und mehr oder weniger schwer verletzt war und auch noch von höllischen Kopfschmerzen geplagt wurde, von einer ziemlich wahrscheinlichen Gehirnerschütterung gar nicht zu sprechen.
„Du bist mal ein interessanter Dämon“, stellte Allen fest und schien langsam aber sicher sein Misstrauen gegenüber Zachary zu verlieren.
„Das habe ich schon oft gehört“, bemerkte dieser grinsend und sah Scarlett an, die ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue ansah. Da sie allerdings recht blass war und ziemlich erschöpft wirkte, sah sie aus wie ihre eigene Leiche, was noch harmlos ausgedrückt war. Seine Augen hatten sich zwischenzeitlich ein wenig aufgehellt, doch nun wurden sie wieder dunkler. „Aber wir sollten uns vielleicht mal auf den Weg machen, ihr seht so aus, als könntet ihr eine ausgiebige Sprechstunde beim Arzt gebrauchen.“
„Sehr witzig“, murmelte Elvin nur genervt und nahm Diane auf den Arm, die inzwischen eingeschlafen zu sein schien. Shaoran sparte sich jeden Kommentar und sah den Dämon nur weiterhin misstrauisch an. Steve hielt schon seit einer geraumen Weile den Mund und hatte den Dämon argwöhnisch beobachtet. Zu seinem Erstaunen passte er so gar nicht in das Bild, das er bisher von Dämonen hatte. Er passte absolut nicht hinein.
„Wo ist eigentlich Lilly?“, fragte Scarlett, als sie schon eine Weile langsam durch die dunklen und verlassenen Gassen gingen.
Zachary hob eine Augenbraue. „Sie sollte hier irgendwo in der Nähe sein.“
Es überraschte Scarlett noch nicht mal mehr, dass die Kleine ebenfalls ausgebrochen war. Ob sie freiwillig mit Zachary mitkam oder ob er sie einfach immer mit sich nahm, wusste sie allerdings nicht.
„Wer ist Lilly?“, fragte Elvin von hinten.
„Das da ist Lilly.“
Scarlett sah Zachary verwirrt an, doch dann blickte sie ebenfalls nach vorne und entdeckte die kleine Dämonin, die etwas weiter vorne auf einer Feuerleiter saß und scheinbar irgendetwas zusah. Kaum hatte Zachary ihren Namen ausgesprochen, drehte sie jedoch den Kopf und entdeckte die Gruppe. Augenblicklich stand sie auf, sprang über das Geländer hinweg und lief auch Zachary zu. Ihr schönes, schwarzes Kleid mit dem etwas engeren Kragen, dessen unterer Rand bis zu ihren Knien reichte, schlug einige Falten und auf ihrer Brust ruhte das silberne Kreuz, das an der ebenso silbernen Kette befestigt war. Ihre bis zum Boden reichenden, goldblonden Haare glänzten und wehten mit dem Wind, während sie lief.
„Noch ein Dämon?“ Elvin blickte ungläubig drein. Shaoran wirkte auch nicht gerade begeistert, während Allen eher interessiert die kleine Dämonin beobachtete und Steve etwas verblüfft aussah. Er hatte wohl noch nie eine so junge und süße Dämonin sehen.
„Lilly“, sagte Scarlett lächelnd, woraufhin die kleine Dämonin auch auf sie aufmerksam wurde. Sofort beschleunigte sie ihr Tempo und auch wenn Scarlett es nicht für möglich gehalten hätte, sprang die Lilly hoch und landete noch auf Scarlett auf Zacharys Arm. Während Scarlett überrascht nach Luft schnappte, die ihr Lillys verblüffend sanfte Landung aus den Lungen gepresst hatte, sah Zachary auch ein wenig verdutzt aus. Als Lilly es sich dann aber schon auf Scarlett bequem machte und den Kopf an ihr Schlüsselbein kuschelte, fing er an zu lachen. Scarlett schüttelte nur lächelnd den Kopf. Lilly war einfach zu süß, sodass Scarlett kurz sogar ihre Wunde, die Kopfschmerzen und ihre Erschöpfung vergaß.
Die anderen sahen nun allerdings endgültig verblüfft aus. Selbst Shaoran und Elivn sah man ihre Verblüffung deutlich an.
„Höchst erstaunlich“, stellte Allen fest, der sie allerdings auch mit großen Augen ansah.
Scarlett musste über die Gesichter der anderen kichern und verzog vor Schmerz das Gesicht, doch sie konnte nicht anders. Lilly schien bereits eingeschlafen zu sein und Zachary betrachtete die zwei in seinen Armen nur mit hochgezogenen Augenbrauen. Eigentlich wurden die beiden zu zweit langsam schwer, doch der Anblick war einfach zu süß. Außerdem konnte er nicht leugnen, dass er nichts dagegen hatte, sie in den Armen zu halten.
Nachdem die anderen sich wieder einigermaßen gefangen hatten und diesen eigentlich unmöglichen Anblick, von einem Mensch zwischen zwei Dämonen, die ihn nicht als ihr Abendessen ansahen, verkraftet hatten, machten sie sich daran Avalon zu erreichen, bevor es endgültig stockdunkel wurde. Die Sonne war inzwischen so gut wie untergegangen.
Als sie schließlich bei Avalon ankamen, stellten sie ein wenig verdutzt fest, dass die Meisten der rumlaufenden Leute bereits mit den Aufräumarbeiten beschäftigt waren. Draußen wimmelte es nur so von Polizisten, die selbst nach mehreren Stunden laufender Ermittlungen keine genaue Ahnung hatte, was hier abgelaufen war. Es hatte einen großen Tumult gegeben, als plötzlich lauter kostümierte Menschen das Gelände von Avalon, über die drei Meter hohe Mauer hinweg, gestürmt hatten. Was hinter den Mauern abgelaufen war, war den Männern von der Polizei allerdings schleierhaft. Zumindest hörte Scarlett das aus einem der laufenden Gespräche unter den Polizisten heraus.
In einem günstigen Moment überwand die inzwischen aus neun Personen bestehende Gruppe die Mauer und sah anschließend das, was von dem Krawall übrig geblieben war. Einige der Mietshäuser sahen ein wenig mitgenommen aus und schienen ganz schön in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein, doch viel mehr war komischerweise nicht zu sehen. Einige der Hunter, die hier ebenfalls rumliefen und die Überreste etlicher unterschiedlicher Waffen einsammelten, die sich nicht aufgelöst hatten, weil sie nicht von der Astralebene stammten, hatten mehr oder weniger schwere Verletzungen.
Im Gegensatz zu sieben der neun Nachzügler, die das Gelände betraten, sahen die Verletzungen der anderen Hunter jedoch wie einfache Kratzer und blaue Flecken aus. Gerade da ein Dämon eine der Hunter trug, und ein anderer Dämon noch auf der Hunter lag und schlief, wurden sie ziemlich schnell umringt und darüber ausgequetscht, was mit ihnen passiert war.
Da sich allerdings zeigte, dass keiner von ihnen zum Reden aufgelegt war, wurden sie rasch in den dritten Stock zur Krankenstation gebracht. Dort wurden Zachary und Lilly auch von Sebastian abgeholt, der die müden Hunter und auch Steve, für den dieser Tag wohl fast ein wenig zu viel war, so wie er aussah, nur besorgt ansah. Sogar so etwas wie Schuldbewusstsein schien in seinen sonst immer so herrlich selbstgefälligen und amüsierten Augen zu liegen, doch da Scarlett kurz darauf einschlief, war sie sich nicht so sicher, ob sie sich mit ihrem letzten Eindruck von Sebastian nicht getäuscht hatte. Sie wollte auch einfach nur ihre Ruhe, denn der Tag hatte es in sich gehabt.
„Ich glaube, sie wird wach.“
Als Scarlett langsam wieder zu sich kam, hatten sich zumindest ihre Kopfschmerzen verzogen. Von den Schmerzen in ihrer Seite konnte man das allerdings nur unzureichend behaupten und auch die Erschöpfung hielt immer noch an. Sie musste wohl noch eine ganze Weile lang schlafen, bis sie sich wieder einigermaßen erholt hatte.
„Glaubst du? Für mich sieht es eher so aus, als würde sie schlecht träumen.“
Viel Schlaf, das brauchte sie. Doch wie sollte man den bekommen, wenn man ständig zwei Stimmen hörte, die sich nicht darüber einig wurden, ob Scarlett nun wach war oder nicht? Eine schwere Frage.
„Nein, vielleicht hat sie Schmerzen und verzieht das Gesicht deshalb so, als würde ihr jemand eine Vogelspinne unter die Nase halten und verlangen, dass sie sie isst.“
Scarlett konnte Vogelspinnen wirklich nicht leiden. Und gerade deshalb wurde sie langsam immer wacher, auch wenn sie das ärgerte. Sie wollte lieber noch schlafen und nicht ständig von den beiden Jungen aus ihrem schlummernden Zustand aufgeweckt werden.
„Jetzt sieht sie aus, als würde sie gleich mit irgendetwas nach uns werfen.“
„Also glaubst du mir, dass sie wach ist?“
„Ich frage mich, ob sie gerade von uns träumt. Wenn sie so aussieht, was glaubst du, tun wir dann gerade?“
„Woher soll ich das wissen?“
„Ihr geht mir furchtbar auf die Nerven, weil ich lieber in Ruhe schlafen würde, als eure Fantasiererein mitanzuhören“, knurrte Scarlett und schlug die Augen auf. Wie sie erwartet hatte, befand sie sich auf der Krankenstation und dieses Mal war sie es, die im Bett lag und von Cecil und Ivan mit besorgten Blicken gemustert wurde. Zwar war die Decke bis zu ihrer Brust hochgezogen, doch Scarlett spürte, dass einer der Ärzte wohl, während sie geschlafen hatte, einen Verband um die scheinbar recht schwere Verletzung an ihrer Seite gewickelt hatte.
„Oh.. tut uns leid“, sagte Ivan etwas überrascht.
„Ich hab dir gesagt, dass sie wach ist“, bemerkte Cecil trocken.
„Ich war nicht wach“, korrigierte Scarlett, „Ich wurde wach, und zwar wegen euch beiden, weil ihr eure Klappen nicht halten konntet. Ich war doch auch nicht so laut, als ihr das letzte Mal hier gelegen habt. Was ist so schwer daran, still zu sein oder draußen zu diskutieren?“
„Nichts“, antwortete Cecil, doch nun klang er ernst, „Aber wir haben uns ernste Sorgen um dich gemacht. Ich hab mir schon gedacht, dass Sebastians Plan nicht der Beste ist, aber dass er so nach hinten losgeht, hätte ich nicht erwartet.“
„Wer erwartet denn schon, dass die Mitglieder von Ivalin aus lauter Verzweiflung ihr halbes Gebäude in die Luft jagen, nur um uns lebendig zu begraben?“, fragte Scarlett und versuchte gar nicht erst den Galgenhumor in ihrer Stimme zu verbergen.
Die Blicke der Jungen sprachen für sich.
„Wie geht es den anderen?“, fragte Scarlett. Da sie nun eh wach war, konnte sie die beiden auch darüber ausquetschen, was passiert war, als sie bei Ivalin war und was geschehen war, als sie geschlafen hatte.
„Sie erholen sich ganz gut“, antwortete Ivan, „Zwar können sie noch nicht wieder auf Dämonenjagd gehen, aber sie sind bereits wieder auf den Beinen.“
„Nur du hast volle vier Tage durchgeschlafen“, fügte Cecil wie beiläufig hinzu und sah sie von der Seite an.
Scarlett entgleisten beinahe die Gesichtszüge. „Vier Tage?“, fragte sie ungläubig.
„Ob du es glaubst oder nicht, du hast die ganze Zeit über geschlafen“, sagte Cecil, „Oder was glaubst du, warum wir hier bald am Rad gedreht haben, weil du einfach nicht wach werden wolltest, während die anderen bereits wieder draußen rum spazieren?“
„Oh...“ Mehr konnte Scarlett dazu nicht sagen. Wie kam es, dass sie so lange und auch noch durchgehend geschlafen hatte? Das hatte sie ja noch nie geschafft. Es verblüffte sie ziemlich. Allerdings musste sie auch feststellen, dass sie, jetzt wo sie richtig wach war, sich auch gar nicht mehr so schlapp fühlte. Im Gegenteil, sie fühlte sich ausgeruht und bis auf die Verletzung in ihrer Seite schien alles in bester Ordnung zu sein.
„'Oh'.. eine treffendere Bemerkung fällt dir wohl nicht ein“, stellte Cecil ungläubig fest und schüttelte den Kopf.
„Ich finde sie ziemlich passend“, entgegnete Scarlett, „Da mein Hirn vor vier Tagen ziemlich durchgeschüttelt wurde, finde ich es schon bemerkenswert, dass ich bereits wieder in der Lage bin, mich über euch zu ärgern.“
„Du ärgerst dich über uns?“ Ivan sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Hätten wir dazu nicht eigentlich viel mehr Grund?“
„Ich spare mir die Frage, wie ihr darauf kommt“, erwiderte Scarlett und unterließ den Versuch sich aufsetzen zu wollen lieber, „Ihr könnt mir lieber erzählen, was.. na vor vier Tagen passiert ist, als ich bei Ivalin war.“
„Im Gegenzug erzählst du uns anschließend, was bei dir passiert ist“, forderte Cecil.
„Von mir aus“, stöhnte Scarlett und legte sich etwas bequemer hin, „Also?“
Ivan verdrehte die Augen. „Um ungefähr ein Uhr sind aus heiterem Himmel mehrere duzend Leute von Ivalin aufgetaucht und über die Mauer auf das Gelände hier gestürmt. Frag mich aber nicht, wie sie sich vorgestellt haben, dass es hier aussieht. Jedenfalls haben sie am Anfang ein wenig planlos ausgesehen, bis sie auf die Idee gekommen sind, nicht die Wohnhäuser sondern das Hauptgebäude anzugreifen. Inzwischen waren wir Hunter allerdings schon beinahe alle hierher zurückbeordert worden und konnten den Aufstand relativ schnell eindämmen. Draußen sind nur ein paar aufgeschreckte Fußgänger, die nicht mit so was gerechnet haben, auf die Idee gekommen, die Polizei zu verständigen. Als die aber hier ankamen, hatten wir fast alle von Ivalin bereits gefangen genommen und unten in das erste Untergeschoss gesperrt. Sebastian und Keith sind begeistert gewesen, denn bei dem Trubel sind natürlich auch wieder einige Dämonen ausgebrochen, die wir nun wieder einfangen dürfen. Na ja, jedenfalls ist der Großteil des Personals von oben dazu gebracht worden unten bei den Gefangenen von Ivalin zu helfen. Einige aus der Schreibtisch-Abteilung...“
„Ihr meint die, die nur den Papierkram erledigen?“, fragte Scarlett mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„Jap“, antwortete Ivan, „Jedenfalls sind unsere Anwälte versammelt worden und haben sich mit der Polizei rumgeschlagen, während wir die restlichen Unruhen unten im Untergeschoss zum Schweigen gebracht haben. Nicht dass wir oder die anderen Hunter sie getötet haben, wir haben die größten Störenfriede in Einzelzellen gepackt und danach war es nicht weiter schwer die anderen endlich so weit zu beruhigen, dass sie niemanden mehr stören. Tja.. als die Anwälte uns dann auch endlich die Polizei vom Leib geschafft hatten, konnten wir mit dem Aufräumen anfangen und wenig später seid ihr auch aufgetaucht...“
„Und damit bist du dran“, bemerkte Cecil, „Was ist bei euch los gewesen.“
„Nicht viel“, antwortete Scarlett nüchtern, „Ich habe mich wie geplant von den Leuten von Ivalin gefangen nehmen lassen und bin so in deren Kerker gelandet. Wusstet ihr, dass sie im Keller richtige Kerkerzellen haben? Ich war doch ein bisschen erstaunt, muss ich zugeben. Jedenfalls bin ich dort auch auf unseren Kontaktmann Steve gestoßen und wie durch Zufall waren auch die anderen vermissten Hunter dort. Also musste ich nur noch bei der passenden Gelegenheit die Wärter überlisten und damit waren wir frei. Na ja, wir mussten aber noch die Waffen der anderen holen, daher konnten wir nicht gleich verschwinden. Als wir sie dann hatten, ist ein Mann von Ivalin aufgetaucht, von dem wir erfahren hatten, warum kaum jemand da war. Ivalin war gegen Avalon ausgerückt, wir waren echt begeistert gewesen. Nur als wir den armen Mann gerade weggesperrt hatten, sind auf einmal welche aufgetaucht, die sich unbedingt mit uns anlegen mussten. Eigentlich hätten wir sie fast besiegt, aber dann hat jemand gleich mehrere Sprengsätze gezündet und der linke Teil des Gebäudes ist vollständig in sich zusammengebrochen. Und wir waren mitten drin. Super nicht? Zum Glück war ich nicht tief verschüttet und konnte mich und Allen so befreien und auch die anderen hatten es alle geschafft. Nur waren wir durch den Zusammenbruch natürlich alle ziemlich schwer verletzt gewesen und konnten uns von daher nicht gerade schnell irgendwo hin verziehen.. dann ist Zachary aufgetaucht und wenig später haben wir auch Lilly eingesammelt. Und so sind wir dann schließlich bei Avalon wieder angekommen...“
„Und Zachary hatte dich auf dem Arm“, stellte Cecil schon beinahe vorwurfsvoll fest.
„Und was stört dich daran?“, fragte Scarlett resigniert, denn sie wusste, dass die Jungen Zachary immer noch nicht vollständig vertrauten. Zumindest nicht, wenn er ihr zu nahe kam. „Elvin musste Diane tragen, Shaoran hatte Shirley auf dem Arm, Steve konnte selber kaum laufen und Allen ist doch auch fast von alleine zusammengebrochen. Ausnahmsweise muss ich da für Zachary sprechen, da sich mein Kreislauf verabschiedet hatte und ich nicht mehr gerade gehen konnte. Zumal mir meine Seite höllisch wehtat und ich Kopfschmerzen hatte. Habe ich mich jetzt genug gerechtfertigt oder muss ich noch mehr ins Detail gehen?“
„Schon gut“, murmelte Cecil und blickte zur Seite, „Wir machen uns nun mal Sorgen um dich und Zachary ist immer noch ein Dämon.“
Scarlett seufzte herzhaft und sparte sich die Wiederworte. Sie würde die beiden nie ganz davon überzeugen können, dass Zachary in Ordnung war. Mit ziemlicher Sicherheit war Scarlett auch die Einzige, die dem Dämon wirklich voll vertraute. Das störte sie allerdings nicht sonderlich.
Cecil und Ivan sahen sich beide an.
Scarlett hob daraufhin fragend eine Augenbraue.
„Was mit den Mitgliedern von Ivalin geschehen soll, steht immer noch nicht fest“, sagte Cecil ernst, „Die Leitung ist sich noch nicht ganz sicher, in wie weit die Leute eine Bedrohung für Avalon darstellen könnten. Daher beraten sie sich schon seit Tagen darüber, was jetzt mit ihnen geschehen soll, denn so viele Leute können wir auf Dauer nicht hier behalten. Das geht schon allein von der Versorgung her nicht, vom Platz gar nicht zu sprechen.“
Scarlett nickte. Anscheinend war noch nicht klar, was mit Irene, Reika, Angelina und den anderen passieren sollte. Scarlett konnte nur hoffen, dass es nichts allzu Schlimmes war, aber das konnte sie in diesem Fall leider auch nicht voraussehen. Schließlich war es noch nie vorgekommen, dass sich gleich eine ganze Organisation gegen Avalon verschworen hatte.
Es dauerte noch gute zwei Tage, dann konnte Scarlett sich wieder einigermaßen schmerzfrei bewegen, auch wenn sie wegen der Schmerzmittel ein etwas dumpfes Gefühl in der linken Seite hatte. Sie war auch ziemlich froh, nicht mehr ans Bett gefesselt zu sein. Die zwei Tage Ruhe waren gut und schön gewesen, aber Scarlett hatte noch nie lange still liegen können. Deswegen war dieser Job ja auch so ideal für sie, denn einem wurde eigentlich nie langweilig. Für einen Hunter gehörte Abwechslung zum Tagesprogramm.
„Und du bist dir sicher, dass du dich nicht noch lieber etwas ausruhen willst?“, fragte Ivan zweifelnd, als sie über das weite Gelände gingen. Er trug nur das weiße Hemd und die lange, schwarze Hose, seinen dunkelbraunen Mantel hatte er mitsamt der Schirmmütze in der Wohnung liegen gelassen.
„Ja, und zum siebten Mal, es geht mir ausgezeichnet“, stöhnte Scarlett genervt und verkniff es sich nochmals mit den Augen zu rollen. Das hatte sie schon bei den letzten fünf Wiederholungen getan und sie war sich nicht sicher, ob es ihren Augen so guttat, wenn sie das zu oft machte. Als ein lauer Wind über das Gelände strich und ihre Haare mal wieder um ihre Ordnung brachte, glättete Scarlett auch ihre etwas zerknitterte, scharlachrote Bluse.
„Tut uns ja leid, aber du gehörst nun mal zu den Kandidaten, die man gar nicht oft genug fragen kann“, bemerkte Cecil und nahm die Brille ab. Scarlett hatte sich schon gefragt, warum er sie überhaupt aufgesetzt hatte, schließlich hatten sie noch keine neuen Aufträge und auch er hatte seine weiße Jacke in seiner Wohnung gelassen. Er trug nur die weiße Hose und das hellblaue Hemd, das, wie Scarlett erst jetzt auffiel, hauchfeine, silberne Verzierungen an den Ärmeln und an der Knopfleiste aufwies.
Scarlett streckte ihm zur Antwort die Zunge raus und ging schnurstracks auf das Hauptgebäude zu. Da sie heute Morgen entlassen worden war, hatte sie mal wieder einige Stunden in ihrer Wohnung verbracht. Dort hatte sie erstmal eine Entschuldigung für ihre Lehrer geschrieben und auch gleich eine für Irene, mit der gefälschten Hand- und Unterschrift ihrer Mutter, verfasst. Da Irene auch schon früher gerne mal aus Krankheitsgründen gefehlt hatte, hatte Scarlett bereits einige Male auf den Entschuldigungen die Handschrift ihrer Mutter gesehen. Und die war nicht schwer zu imitieren, zumindest war es Scarlett nicht weiter schwer gefallen. Wie immer hatte sie auch für ihre Großmutter unterschrieben, da diese es wegen ihres Todes natürlich schon lange nicht mehr konnte. Nun wollte sie allerdings mal wieder nach Irene und ihren beiden Freundinnen sehen und ging so geradewegs ins erste Untergeschoss, gefolgt von Cecil und Ivan.
„Willkommen Miss Scarlett“, begrüßte Sebastian sie mit einem spitzen Lächeln. Er lehnte an der Tür zu Keiths Büro, kaute auf seinem Zahnstocher und sah sie an, als hätte er sie bereits erwartet.
„Lass mich raten, du hast uns mittels Aura-Sicht bereits entdeckt“, sagte Scarlett trocken.
Sebastians breiter werdendes Lächeln beantwortete ihre Frage. „Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass sich eine unserer zuverlässigsten Hunter dauerhafte Schäden zugezogen hat.“
„Wieso meint ihr eigentlich alle, dass ihr euch Sorgen um mich machen müsst?“, fragte Scarlett resigniert, „Aber um mal zu dem zu kommen, weshalb ich hier bin, was machen die Leute von Ivalin?“
„Nun, die meisten schienen sich inzwischen mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben“, sagte Sebastian und krempelte die Ärmel seines orange-weiß karierten Hemdes weiter hoch, „Es ist recht ruhig, nur gelegentlich machen einige noch Radau, aber damit kommen wir klar.“
Scarlett nickte.
„Was haben die Ärzte gesagt?“, fragte Sebastian dann.
Scarlett schnaubte. „In ein bis zwei Wochen kann ich wohl langsam wieder mit meiner Arbeit anfangen. Vorher soll ich mich nicht überanstrengen.“ Das letzte Wort sprach sie aus, als hätte sie einen haarigen Käfer im Mund.
Sebastians Grunzen zeigte seine eindeutige Belustigung über das Missfallen von Scarlett.
„Und wir werden dafür sorgen, dass sie diese Ruhe auch bekommt“, bemerkte Ivan und legte Scarlett eine Hand auf die Schulter, „Nicht? Sonst kommst du nur wieder auf dumme Gedanken.“
„Wenn du deine Hand nicht innerhalb der nächsten zwei Sekunden von meiner Schulter nimmst, fliegst du“, drohte Scarlett und sah Ivan über ihre Schulter hin warnend an.
Dieser hob nur die Hand und sah sie beschwichtigend an.
„Schon besser“, murmelte Scarlett und sah Sebastian mit einer hochgezogenen Augenbraue an, der sich schon seit einigen Sekunden eine Hand auf den Mund presste und vergebens versuchte sein Lachen zu unterdrücken. Und ihr Blick schien derart resolut auszusehen, dass er nun endgültig anfing zu lachen und Scarlett nur den Kopf schüttelte.
„Würdest du uns den Gefallen tun und uns mal dorthin bringen, wo die Mitglieder von Ivalin derzeitig versammelt werden?“, fragte Scarlett genervt, als Sebastian sich scheinbar wieder einigermaßen beruhigt hatte. Lediglich seine Mundwinkel zuckten noch leicht, wenn er Scarlett ansah.
„Natürlich“, sagte Sebastian nur, denn er musste schon wieder kichern.
Sie seufzte herzhaft und verkniff es sich, wegen Sebastian schon wieder mit den Augen zu rollen. Dass Cecil und Ivan sich ebenfalls ein Lachen verkniffen und sich nur amüsierte Blicke zuwarfen, förderte Scarletts Laune natürlich auch nicht unbedingt.
Schließlich aber hatte sich Sebastian wieder beruhigt und führte die drei Hunter zu dem Aufenthaltsraum, der ein Stockwerk weiter unten eigentlich den Dämonen gehörte. Es war der Gleiche wie beim letzten Mal, nur war es dieses Mal voller und ein ganzes Stück lauter.
„Sieht ja wirklich ganz friedlich aus“, stellte Ivan leicht erstaunt fest.
„Es scheint jedenfalls so“, sagte Cecil, doch er klang noch ein wenig misstrauisch.
Scarlett hielt nach Irene, Reika und Angelina Ausschau, doch sie konnte sie nicht finden. Als sie sich gerade an Sebastian wenden wollte, trat jemand an die Glasscheibe, den sie eigentlich nicht hatte wiedersehen wollen.
„Saskia Anders“, sagte auf einmal Herr Schrada und er klang höchst erstaunt.
„Igitt!“, entfuhr es Scarlett und sie verkniff es sich gerade noch einen Schritt zur Seite zu treten. Da die Glasscheibe, durch die man trotz ihrer Dichte die Stimmen der in dem Raum Sitzenden hören konnte, zwischen ihnen war, würde sein Schleim sie wohl nicht erreichen.
„Igitt?“ Herr Schrada sah sie ein wenig perplex an, ehe sein Blick ernst und sogar etwas finster wurde. „Und was tust du hier? Du gehörst rechtskräftig zu unserer Organisation, also warum bist du da draußen und nicht hier drin?“
Scarlett konnte sich ein gönnerhaftes Grinsen einfach nicht verkneifen. „Ich und Ivalin? Tse, Saskia Anders ist schon seit über zehn Jahren tot. Diesen Namen trage ich nur noch in der Schule und gelegentlich, wenn es Not tut, wie im Fall von Ivalin. Aber mein richtiger Name ist Scarlett und ich bin eine Hunter von Avalon.“
„Und eine der Besten“, bemerkte Sebastian und fast so etwas wie Stolz klang in seiner Stimme mit, „Zusammen mit den beiden hier.“
Cecil und Ivan hatten Herrn Schrada eine Weile nur still gemustert und ihren Gesichtern nach zu urteilen, hatten sie ihn bereits abgestempelt. Sein beinahe fassungsloses Gesicht sprach auch für sich. Damit hatte er anscheinend nicht gerechnet, selbst nachdem Scarlett eigentlich geglaubt hatte, dass sie sich verraten hatte. So konnte man sich täuschen.
„Wo sind Irene, Reika und Angelina?“, fragte Scarlett dann und drehte sich zu Sebastian um. Herrn Schrada ignorierte sie gekonnt.
Auf die Frage hin lächelte Sebastian auf einmal wieder. „Die drei haben gemeinsam ein Einzelzimmer bekommen, sie sind nur ein Stück den Gang runter.“
Scarletts hochgezogene Augenbraue sprach ihre Frage aus.
„Da die drei erheblich dafür verantwortlich sind, dass sich die Unruhen gelegt haben, dürfte ihnen ein mildes Urteil sicher sein“, sagte Sebastian, „Durch dich haben sie wohl verstanden, was hier wirklich abläuft. Sie haben die anderen davon überzeugt, dass Avalon nicht so finster ist, wie sie geglaubt haben. Ihre Meinung über die Dämonen ist zwar noch zweigeteilt, aber auf jeden Fall verdanken wir deinen drei Freundinnen, dass sich die Situation bereits so schnell beruhigt hat.“
Nun war Scarlett überrascht. Allerdings hielt das nicht lange an, da sich ein Lächeln auf ihren Lippen breit machte. Sie war heilfroh, dass die drei vernünftig geworden waren, bevor es zu spät war.
„Das ist doch mal eine gute Nachricht“, stellte Cecil lächelnd fest, der Scarletts erleichtertes Gesicht gesehen hatte.
„Eine Sorge weniger“, sagte Ivan, „Besser gesagt gleich zwei, das mit Ivalin scheint sich ja auch erledigt zu haben.“
„Stimmt.“ Scarlett war das noch gar nicht aufgefallen. „Das heißt, wir können wieder zur Normalität übergehen.“
„Klingt doch gut“, sagte Ivan grinsend.
Sebastian grinste zwar ebenfalls, doch es war etwas verzogen. Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen, doch der Schein trog. Es braute sich etwas Neues zusammen. Etwas, das das Problem mit Ivalin bei weitem überstieg. Allerdings wusste er es noch nicht genau und vage Vermutungen sprach er für gewöhnlich nicht aus, bevor er sich sicher war, dass sie auch zutrafen. Dennoch hatte er ein ungutes Gefühl.