Scarlett, Cecil und Ivan arbeiten als Hunter für die berüchtigte Organisation namens Avalon und fangen Dämonen ein, die sich an den Menschen vergreifen wollen. Nur wie haben die drei eigentlich Zachary kennengelernt? Der so außergewöhnliche Dämon macht auf den ersten Blick ja einen ziemlich harmlosen Eindruck., aber das war nicht immer so. Der erste Auftrag von Scarletts Team, der beinahe in einem ziemlichen Desaster geendet hätte... Enthält: Kapitel 7-10
„Also gut, das ist mein erster Auftrag“, seufzte Scarlett und steckte ihr rotblondes Haar mit einigen Klemmen hoch. Zum Schluss setzte sie sich noch die schwarze Schirmmütze auf. Die Sonnenbrille ließ sie erstmal noch in der Tasche ihres Mantels. In dem Moment klopfte es an der Tür und sie öffnete.
„Na? Bist du soweit?“, fragte Cecil lächelnd. Seine kurzen, flachsfarbenen Haare verbarg er unter dem weißen Kap.
Soweit Scarlett wusste, war es auch der erste richtige Einsatz der beiden Jungen. Da die beiden allerdings nach wie vor zwei Jahre Vorsprung in der Ausbildung hatten, war es nicht verwunderlich, dass sie bereits ein paar Mal als vierter Mann in einem der Teams hatten mitwirken können. Insofern hatten sie einen klaren Vorteil, denn das heute war Scarletts erster Außeneinsatz.
„Oder hast du nun doch Fracksausen bekommen?“, fragte Ivan. Im Gegensatz zu Cecil, dessen weiße Jacke und Hose man in der Dunkelheit hervorragend erkennen konnte, war Ivan im Schatten so gut wie unsichtbar. Er trug einen tief dunkelbraunen Mantel und eine schwarze Hose. Nur wenn er den Mantel, so wie jetzt, auf ließ und man sein weißes Hemd sehen konnte, war auch er in der Dunkelheit nur schwer zu übersehen. Sein nussbraunes Haar war unter der schwarzen Schirmmütze kaum zu sehen, nur einige der längeren Strähnen lugten am Rand heraus.
„Was glaubt ihr, mit wem ihr hier redet?“, fragte Scarlett empört. Zwar war sie schon ein wenig aufgeregt, aber sie wollte es sich gegenüber der Jungen nicht anmerken lassen.
„Schon gut“, sagte Cecil lächelnd und setzte seine Brille auf, „Dann lasst uns mal gehen.“
„Wissen wir überhaupt, wo sich drei-vier-drei-fünf gerade aufhält?“, fragte Scarlett, als sie das Miethaus verließen.
„Wir haben eine Vermutung, wo er sich aufhält“, antwortete Ivan, „Ob er wirklich da ist, wissen wir, wenn wir dort sind.“
„Oje“, seufzte Scarlett nur, „Ich werde das Gefühl nicht los, dass heute noch irgendetwas schief gehen wird.“
„Das werden wir noch sehen“, sagte Ivan grinsend.
Inzwischen standen sie vor der drei Meter hohen Mauer und Ivan sprang mit einem Satz einfach nach oben. Mühelos zog er sich über den Rand und sah kurz nach links und rechts. „Ihr könnt kommen, hier ist niemand.“
Cecil sprang augenblicklich ebenfalls nach oben und Scarlett folgte ihm sofort. Heute musste sie beweisen, dass sie die Ausbildung nicht umsonst schon ein Jahr früher beendet hatte, als der Lehrplan es eigentlich vorsah. Wenn sie den Auftrag heute nicht perfekt erledigte, würde sie nochmal für ein Jahr in der Ausbildung festsitzen und Cecil und Ivan müssten in andere Teams. Sie durfte nicht versagen, schließlich hatten sie, Cecil und Ivan sich damals geschworen, dass sie ein Team bilden würden. Das Versprechen, das sie sich damals gegeben hatten, als Scarlett beschlossen hatte sich der Organisation Avalon anzuschließen. Es war etwas sehr Wichtiges und sie durfte die beiden Jungen nicht enttäuschen, schließlich hatten sie sich damals dafür eingesetzt, dass Scarlett die Ausbildung anfangen durfte, obwohl sie ein Jahr zu alt war. Sie verdankte den beiden so viel, deshalb wollte sie es unbedingt schaffen. Um den beiden zu danken.
„Wir sind da“, sagte Ivan auf einmal.
Scarlett blickte auf. Sie standen vor einem recht großen Haus aus dunkelrotem Backstein und mit einem flachen Dach auf Höhe des sechsten Stocks. Von denen gab es in dieser Gegend massenweise und es unterschied sich nicht im Geringsten von den anderen. Zwischen den Häusern gab es nur schmale Gassen, in die eigentlich nur gegen Mittag Licht drang, wenn die Sonne direkt über den Häusern stand. Scarlett konnte sich nicht helfen, irgendwie erschien es ihr komisch, dass ausgerechnet hier ein Dämon hocken sollte. Nichts wies daraufhin.
„Bist du sicher, dass die Daten stimmen?“, fragte sie stirnrunzelnd.
„Wie Rebecca uns schon vorgewarnt hat, die Daten müssen nicht stimmen“, sagte Ivan, der auf sein Handy sah, „Dieser Dämon ist unberechenbar und wenn er nicht hier ist, haben wir keine Ahnung, wo er stecken könnte.“
„Oje“, seufzte Scarlett nur.
„Egal, sehen wir mal nach, ob wir drinnen etwas Verdächtiges finden“, sagte Cecil und ging auf den Hauseingang zu.
Ivan folgte ihm und auch Scarlett ging natürlich mit. Allerdings erschien ihr der Ort auf einmal irgendwie unheimlich. Als sie das Haus durch den Vordereingang betraten, wehte ihnen eine starke Brise entgegen.
„Wind in einem Gebäude?“ Ivan hob eine Augenbraue.
„Ich ahne nichts Gutes“, seufzte Cecil und nahm seine Brille ab, „Seid vorsichtig, ich glaube, wir wurden bereits bemerkt.“
Sie sahen sich im Erdgeschoss um, doch sie konnten nichts finden. Über die Treppe, von der mindestens die Hälfte der Stufen laut knarrte, kamen sie ein Stockwerk weiter nach oben. Im ersten Stock wurden sie aber auch nicht fündig, dafür schlug ihnen wieder ein leichter Wind entgegen, als sie die Stufen in den zweiten Stock erklommen.
„Wir kommen näher“, sagte Ivan ernst und holte sein Handy aus der Tasche, „Ich schalte die Ortungsfunktion ein, damit die anderen zu Not wissen, wo wir sind.“
„Beruhigend.“ Scarlett rollte mit den Augen. Als ob ihnen das im Ernstfall noch helfen würde.
Sie betraten das zweite Stockwerk. Die Türen von allen Wohnungen in diesem Stock standen sperrangelweit offen. Der Wind heulte um einige Ecken und eine Tür quietschte. Misstrauisch sahen die drei sich um. Noch war nichts zu sehen oder zu hören, außer dem leisen Wind. Dennoch kam es ihnen allen so vor, als würden sie beobachtet werden.
„Er ist hier“, sagte Ivan leise und ließ das Handy in seiner Tasche verschwinden.
„Das glaube ich auch.“ Scarlett hatte eine leichte Gänsehaut auf den Armen. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie weg musste, dass Gefahr drohte. Doch sie durfte sich unter keinen Umständen einschüchtern lassen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel.
„Ich glaube fast, dass das eine Nummer zu groß für uns ist“, bemerkte Cecil beunruhigt. Auch bei ihm schrillten die Alarmglocken, es drohte Gefahr. Und diese war größer, als sie es wahrscheinlich ahnten, was ihn stark beunruhigte.
„Quatsch mit Soße“, sagte Scarlett nur verbissen und ging zur ersten Tür.
Cecil und Ivan sahen sich kurz an, dann folgten sie Scarlett auf den Fuß. Die erste Wohnung schien leer zu sein, genauso wie die auf der gegenüberliegenden Seite. Sie arbeiteten sich auch hier bis nach hinten durch. Vor der letzten Tür stellten sich dann Scarletts Nackenhaare auf. All ihre Sinne waren in höchster Alarmbereitschaft.
„Noch können wir umdrehen“, flüsterte Cecil ernst. Ihm behagte das hier ganz und gar nicht, außerdem war er derjenige im Team, der die ausgeprägtesten Sinne hatte. Zumindest wenn es darum ging abzuschätzen, ob ein Dämon eine Nummer zu groß war oder nicht.
Scarlett zog Nye aus dem Halfter an ihrem Oberschenkel. „Wir sind so weit gekommen, jetzt umzudrehen wäre eine Schande.“
Vorsichtig streckte sie die Hand zu der Wohnungstür aus, die als einzige angelehnt war. Sie gab der Tür einen leichten Stoß und sie schwang mit einem Quietschen auf. Ein Windzug spielte mit ihren Mänteln. Dann wurde der anfangs leichte Windzug mit einem Mal zu einer heftigen Windböe und riss sie beinahe von den Füßen.
„Wir werden ja richtig willkommen geheißen“, murmelte Ivan nüchtern, als der Wind wieder nachgelassen hatte.
„Wir gehen rein“, sagte Scarlett ernst und setzte den ersten Schritt in die Wohnung. Die beiden Jungen blieben direkt hinter ihr. Vorsichtig schlichen sie durch den kurzen Flur und standen vor einer weiteren angelehnten Tür. Scarlett holte noch einmal tief Luft, dann gab sie der Tür einen kräftigen Stoß und sie schwang auf.
Bei dem Anblick presste Scarlett sich eine Hand vor den Mund. Die Frau, die dort auf dem Boden lag, war von Blut nur so überströmt. Ihre nach innen gedrehten Augen sahen in ihre Richtung. Überall war Blut. Der ehemals wohl hellgraue Teppich war von Blut getränkt und einige der Möbel hatten ebenfalls Blutspritzer abbekommen. Das Kleid der Frau war zerrissen und ihr Fleisch war an der Schulter und am Oberschenkel zerfetzt, man konnte sogar die Knochen sehen. Scarletts Magen rebellierte und sie war froh, dass sie am Morgen noch nichts gegessen hatte. Cecil und Ivan verzogen ebenfalls die Gesichter, denn der Geruch von Blut hing in der Luft. Jedoch fehlte von dem Dämon jede Spur.
Einen Moment lang standen die drei wie versteinert in der Tür. Scarlett war auf vieles vorbereitet worden, doch nicht auf so einen Anblick. Normalerweise ließen Dämonen keine Opfer zurück. Einen Finger oder auch mal ein Bein zu sehen, damit hatte Scarlett gerechnet, doch nicht mit so einem angebissenen Opfer. Der Dämon hatte vielleicht vier oder fünf Mal zugebissen und ihr das Fleisch an der Schulter und am Bein von den Knochen gerissen, doch dann hatte er einfach von ihr abgelassen. Vor ihrem Tod musste die Frau sehr schön gewesen sein, doch nun war ihr rostbraunes Haar von Blut durchtränkt und bildete einen blutigen Kranz um ihren Kopf.
„Unser Dämon scheint ja ziemlichen Spaß am Töten zu haben“, stellte Ivan mit tonloser Stimme fest.
„Scheint so“, brachte Scarlett mit erstickter Stimme hervor und betrat den Raum. In dem Moment war ein Zischen zu hören und Scarlett wurde von den Füßen gerissen. Als sie mit dem Rücken auf dem Boden aufschlug, riss sie die Augen wieder auf. Der Dämon über ihr stieß ein Fauchen aus und zeigte dabei seine überaus spitzen Zähne. Seine stechenden, fast schwarzen Augen sahen direkt in Scarletts geweitete, hellgrüne Augen. Dieser Dämon war auf ihren Tod aus. Die Freude am Töten war in seinen Augen deutlich zu erkennen.
„Runter von ihr!“ In Ivans Hand lag seine Lanze Xavier und er schlug mit der flachen Seite der silberweißen Klinge nach dem Dämon. Dieser stand daraufhin mit einem Satz neben der fast zu Tode erschrockenen Scarlett.
„Wenn du sie noch einmal anrührst, verlierst du deinen Kopf“, drohte Cecil und in seiner Hand erschien sein Langschwert Zessiro.
Der Dämon fauchte noch immer und nahm die drei direkt ins Visier. Seine langen, schwarzen Haare waren mit einem dünnen Band zusammengebunden, auch wenn einige kürzere Strähnen fransig um sein Gesicht hingen. Mittlerweile ging sein Fauchen auch in ein tiefes Knurren über und er ging leicht in die Knie. Scarlett kannte diese Position, der Dämon setzte zum Sprung an.
„Steh auf, wenn er dir ins Genick beißt, können wir das mit dem Team an den Nagel hängen“, sagte Ivan und packte Scarlett am Oberarm. Er zog sie auf die Füße, konnte ihre Fassungslosigkeit aber durchaus verstehen. Die dunklen Klamotten des Dämons hatten sich an vielen Stellen durch das Blut noch dunkler verfärbt und auch im Gesicht und an den Händen hatte er Blut. Es war ein scheußlicher Anblick, den man eigentlich niemandem zumuten wollte.
In dem Moment wurde das Knurren des Dämons tiefer und er hechtete auf sie zu. Die beiden Jungen sprangen erschrocken zur Seite und Scarlett ließ sich in die andere Richtung kippen. Doch der Dämon stieß sich von der Wand ab und schoss erneut auf Scarlett zu. Die beiden Jungen waren ebenfalls mit der Wand kollidiert, doch Ivan stieß sich mit einem Fuß ab und rammte dem Dämon den Schaft seiner Lanze in die Seite. Der Dämon fauchte erzürnt und sprang ein Stück zurück, nur um sich dann Ivan zu stürzen. Dieser konnte ihn gerade noch mit seiner Lanze abwehren. Da schlug Cecil dem Dämon aber die breite Seite seines Schwertes auf den Kopf. Ivan sprang daraufhin zurück, während der Dämon in die Knie ging.
Scarlett starrte ihn erschrocken an, doch dann fiel ihr etwas auf. „Passt auf!“
Das Grinsen des Dämons war ein übles Zeichen und im nächsten Moment stieß er mit dem Kopf voraus gegen Cecil. Dieser keuchte erschrocken auf, als der Dämon ihm seinen Kopf in den Magen rammte. Erschrocken sah Scarlett, wie der Dämon nun wieder auf Ivan zu stützte. Dieser wollte ihm erneut den Schaft seiner Lanze in den Magen rammen, doch der Dämon stand plötzlich neben ihm. Ehe Ivan sich versah, hatte der Dämon ihm mit einer Hand im Gesicht gepackt und gegen die Wand hinter ihnen geschleudert.
„Verdammt“, sagte Cecil nur, „Der ist viel stärker als die normalen Dämonen.“
Da stürzte der Dämon sich erneut auf ihn und Cecil konnte nur gerade eben noch sein Schwert hoch reißen. Dennoch fiel er durch die Wucht des Dämons hinten über und lag auf dem Rücken, während er versuchte mit dem Schwert den Dämon von sich wegzuhalten. Dieser aber ließ sich durch das Schwert, das mit der breiten Seite an seiner Brust war, nicht beirren und kam Cecil mit seinen Zähnen langsam bedrohlich nahe. In dem Moment war ein Schuss zu hören. Der Dämon fiel zur Seite und rollte sich bis zur Wand auf der anderen Seite.
Scarlett lehnte an der gegenüberliegenden Wand und hatte Nye noch zum Schuss erhoben. Jedoch hatte sie es noch nicht geschafft die Betäubungspatronen zu laden, es waren noch die normalen, aber etwas verhärteten Kugeln, die sie gegen Dämonen einsetzen konnten und die einem Menschen glatt die Knochen zerschmettern würden. Ihre Hände zitterten allerdings immer noch und sie starrte den Dämon fassungslos an. Er war bei weitem schlimmer und aggressiver als alle Dämonen, mit denen sie im Training zu tun hatte. Nie hatte sie damit gerechnet, solch einem Dämon bei ihrem ersten richtigen Auftrag gegenüberzustehen.
„Gut gemacht.“ Cecil kam wieder auf die Füße und warf kurz einen Blick zu Ivan, der stöhnend an der Wand saß und anscheinend eine Platzwunde am Hinterkopf hatte. Es sah zwar ziemlich schlimm aus, doch er würde es wohl überstehen, wenn nicht noch weitere solcher Verletzungen hinzukamen.
Scarlett sah den Dämon allerdings immer noch mit geweiteten Augen an, der durch ihren Schuss eine Wunde im rechten Oberarm hatte. Er fletschte die Zähne und knurrte tief.
„Nimm die Betäubungspatronen, bevor er noch uns alle außer Gefecht setzt“, sagte Cecil und hob sein Langschwert, „Ich geb dir Deckung.“
Scarlett nickte nur und sah kurz besorgt zu Ivan. Dann fasste sie schnell an das Halfter von Nye und zog die Betäubungspatronen aus einer kleinen Seitentasche. Der Kipplauf von Nye sprang auf und sie holte schnell die normalen Patronen aus der Revolvertrommel.
Der Dämon hechtete unterdessen wieder in ihre Richtung, doch Cecil konnte ihn abwehren. Plötzlich aber und ohne Vorwarnung stellte der Dämon ihm einen Beinhacken und verpasste dem überraschten Cecil einen Faustschlag direkt in den Magen. Cecils Gesicht war schmerzverzerrt und er hustete, ehe er keuchend still hielt und auf dem Boden liegen blieb.
Scarlett ließ vor Schreck die Betäubungspatronen in ihrer Hand fallen. Der Dämon sah nun auf und kam langsam auf sie zu. Noch nie hatte Scarlett von einem Dämon gehört, der solch kämpferische Fähigkeiten besaß und der sich darauf verstand, Menschen so zu bekämpfen, dass sie sogar ohnmächtig wurden. Auf was für einen Dämon waren sie da gestoßen?
Ein Fauchen von dem Dämon holte Scarlett aus ihren Gedanken. Dann bückte sich der Dämon kurz und hechtete auf sie zu. Einen Moment lang war Scarlett wie gelähmt, aber dann kam ihr dieser Ablauf aus dem Training bekannt vor und sie sprang zur Seite. Sie rollte sich kurz ab und kam dann sofort wieder auf die Füße. Der Dämon sah sie fauchend an.
Scarlett spürte in dem Moment, dass der Teppich an der Stelle, an der sie stand, durchgeweicht war. Sie sah lieber nicht nach unten, doch sie zwang ihren Kopf dazu die Arbeit aufzunehmen und ihr wurde klar, dass sie unbedingt die Betäubungspatronen brauchte. Ohne sie würde es schwer werden diesen Dämon außer Gefecht zu setzen, da es anscheinend auch nichts brachte, ihm eine Waffe aus Orichalcon über den Kopf zu ziehen, wie Cecils Versuch bereits bewiesen hatte. Er war äußerst zäh.
Dann hechtete der Dämon erneut auf Scarlett zu und sie sprang wieder zur Seite. Dabei stieß sie sich allerdings die linke Schulter an der Kante der Kommode und verzog das Gesicht. Aus den Augenwinkeln sah sie jedoch, wie der Dämon sich auf einmal wieder Ivan näherte. Scarlett wusste, dass sie vorhin alle normalen Patronen bereits aus der Trommel genommen hatte, daher konnte sie nicht mehr schießen. Doch bevor sie die Betäubungspatronen wieder aufgesammelt hatte, hätte der Dämon Ivan wahrscheinlich schon mindestens einmal kräftig gebissen.
So nahm Scarlett all ihren Mut zusammen und sprang auf den Dämon zu. Dieser drehte sich in dem Moment und wollte sie packen, doch sie duckte sich und sprang nach vorne an ihm vorbei. Dabei riss sie ihren Revolver hoch, sodass sie den Dämon damit an der Stirn traf. Er kippte hinten über, doch noch im Fall drehte er sich und konnte so verhindern auf dem Rücken aufzuschlagen.
Scarlett hechtete derweil zu der Stelle, an der sie die Betäubungspatronen hatte fallen lassen. Sie bekam zwei der Patronen zu fassen, doch dann musste sie schon wieder zur Seite springen. Der Dämon sprang hinter ihr her und Scarlett wusste nicht, wo sie hin sollte. Das Wohnzimmer war schon sehr groß, doch zu klein um ausreichend Abstand zwischen sich und den Dämon zu bringen.
Dann traf sie plötzlich etwas am Rücken und sie stieß sich den Kopf an der Wand. Sie drehte sich sofort wieder um und musste den Kopf einziehen. Nur knapp über ihrem Schädel bröckelte der Verputz ab, denn der Dämon hatte seine Faust beinahe ganz durch die Wand gerammt. Scarlett keuchte erschrocken und der Dämon, dessen Gesicht noch nicht mal einen halben Meter von ihrem entfernt war, knurrte wieder. Ihr Herz pochte laut und um einiges schneller als sonst in ihrer Brust und sie hatte Angst.
Dennoch hatte sie blind den Kipplauf von Nye geöffnet und steckte gerade die Patronen in die Revolvertrommel. Dem Dämon schien das jedoch aufzufallen, denn er schlug ihr plötzlich gegen die Hände und Nye flog in hohem Bogen zur Seite. Als der Revolver auf dem Boden landete, rastete der Kipplauf zwar wieder ein, doch die Waffe war außer Reichweite und das Knurren des Dämons wurde tiefer. Aus dem dem Training wusste Scarlett, dass es nichts brachte, wenn ein Mensch einen Dämon schlug. Die Knochen von Dämonen waren um einiges härter und am Ende würde sie sich wahrscheinlich selber mehr schaden als dem Dämon 3435.
Auf einmal aber biss der Dämon dann Scarlett in den Oberarm. Es war haargenau die Stelle, die sie vorhin bei ihm angeschossen hatte. Scarlett schrie vor Schmerz auf und schlug dem Dämon, trotz der geringen Chance, gegen den ohnehin schon angeschlagenen Oberarm. Jedoch verstärkte sich daraufhin nur der Biss des Dämons und Scarlett stöhnte vor Schmerz. Sie biss die Zähne fest zusammen und überlegte, ob das nun das Ende sein sollte.
In dem Moment tauchte plötzlich Ivan hinter dem Dämon auf und schlug ihm von der Seite die breite Fläche seiner Lanze gegen den Kopf. Wie durch ein Wunder biss der Dämon sich nicht in Scarletts Fleisch fest, sondern nahm seine Zähne noch aus der Wunde, bevor er zur Seite geschleudert wurde. Scarlett sank daraufhin in sich zusammen und keuchte erschöpft. Ivan schwankte in dem Moment auch wieder und taumelte rückwärts gegen die Wand, an der er vorhin schon gelegen hatte. Der Dämon schüttelte den Kopf und brauchte einen Augenblick, um wieder auf die Beine zu kommen, da Ivan wirklich mit voller Wucht zugehauen hatte.
Scarlett sah währenddessen zu ihren beiden Freunden. Ivan saß stöhnend an der Wand und schien schon so gut wie ohnmächtig zu sein und Cecil schien komplett das Bewusstsein verloren zu haben. Sie selbst war die Einzige, die sich noch einigermaßen bewegen konnte. Allerdings war ihr klar, dass sie die Blutung an ihrem Arm bald stoppen musste, sonst verlor sie zu viel Blut. Vorher jedoch musste sie es schaffen diesen Dämon zu stoppen.
Dieser schien noch leicht benommen zu sein und Scarlett kam wieder auf die Füße. Das Dumme war allerdings, dass sie mit links nicht schießen konnte und ihr rechter Arm war unbrauchbar. Sie hatte also zwei Versuche mit links, denn bevor sie an weitere Patronen kam, hatte der Dämon sie höchstwahrscheinlich ebenfalls ausgeschaltet. Dann endeten sie und ihre beiden Freunde als Dämonenfutter.
In dem Moment hörte sie, wie der Dämon sich wieder aufrappelte und leise fauchte. Und das Fauchen kam näher. Auch auf die Gefahr hin, dass ihr Arm ihr das nicht verzeihen würde, sprang Scarlett nach vorne und erwischte während ihrer unsanften Landung Nye. Ihr rechter Arm hing schlaff neben ihrem Körper und in der linken Hand hielt sie ihren Revolver, der auf den Dämon gerichtet war. Dieser hechtete in dem Augenblick auf sie zu. Scarlett hatte nicht genug Zeit, um ihn richtig anzuvisieren, und schoss einfach zwei Mal in seine Richtung. Die erste Kugel ging daneben, doch die zweite traf den Dämon etwas unterhalb der Brust. Er landete mit einem Rums auf dem Boden und knurrte laut.
Scarlett ließ ihren linken Arm sinken und saß keuchend an der Wand. Der Dämon wand sich zwar noch immer, doch das Betäubungsmittel schien Gott sei Dank zu wirken. Er sah Scarlett jedoch an und knurrte auch nach fünf Minuten immer noch drohend, obwohl die Betäubung inzwischen seinen ganzen Körper lahm gelegt haben musste. Eigentlich sollte er bereits ohnmächtig sein. Scarlett atmete immer noch schwer und sah ihn ebenfalls an. Dann fiel ihr jedoch etwas ein und sie erhob sich stöhnend wieder. Leicht schwankend ging sie zu Ivan und nahm das Handy aus seiner Tasche.
„Rebecca hier“, erklang die Stimme aus dem Telefon.
„Hier ist Scarlett, wir haben den Dämon“, sagte Scarlett nur leise.
„Du hörst dich ja ganz schön mitgenommen an“, bemerkte Rebecca beunruhigt.
„Die beiden Jungen hat es schlimmer erwischt, wir brauchen auch einen Arzt“, sagte Scarlett, „Die Ortungsfunktion ist eingeschaltet und wir können euch auch nicht entgegen kommen.“
„So wie sich das anhört, schicke ich lieber Sebastian mit ein paar Männern zu euch.“
„Der Dämon ist betäubt, aber ich kann nicht sagen, wie lange das bei ihm anhalten wird. Er scheint keiner der normalen Dämonen zu sein“, stöhnte Scarlett.
„In zehn Minuten sind Sebastian und die anderen bei euch, bleibt da, wo ihr seid“, sagte Rebecca noch und legte auf.
„Was anderes bleibt uns sowieso nicht übrig“, murmelte Scarlett und steckte das Handy in ihre Manteltasche.
Ein ziemlich lautes Knurren erinnerte sie wieder daran, dass der Dämon trotz der Betäubung und zweier Schusswunden, sowie wahrscheinlich ausgewachsenen Kopfschmerzen, die er von den zwei Schlägen mit dem Schwert und der Lanze haben dürfte, nicht ohnmächtig war.
„Kannst du eigentlich nicht sprechen?“, fragte Scarlett vorsichtig. Bis jetzt hatte sie eigentlich nur Dämonen gesehen, die auch sprechen konnten. Da sie den Menschen, abgesehen von den Essgewohnheiten vielleicht, sehr ähnelten, hatte sie das auch nie gewundert. Dennoch hatte dieser Dämon noch nicht ein Wort gesagt. Er knurrte auch jetzt nur noch lauter und versuchte eindeutig sich zu bewegen, doch das ging nicht. So eine Betäubung hielt bei normalen Umständen um die zwei Stunden an, daher musste sie eigentlich lange genug anhalten, um ihn zu Avalon zu bringen.
Scarlett ließ sich nur wieder an der Wand neben Ivan runtergleiten und sah den Dämon an. Diesem schien mittlerweile auch klar geworden zu sein, dass der Versuch sich zu bewegen nichts brachte. Er starrte Scarlett jedoch die ganze Zeit über misstrauisch an.
Nach fast sieben Minuten sah der Dämon auf einmal kurz nach rechts neben sich. Cecil hatte angefangen sich zu bewegen und hielt sich mit leicht verzogenem Gesicht den Magen. Scarlett kam daraufhin seufzend wieder auf die Füße. Sie sah absichtlich nicht zu der Leiche der Frau, die auch nicht weit von ihnen auf dem Boden lag. Neben Cecil ging sie in die Hocke.
„Geht es, Cecil?“, fragte Scarlett besorgt.
„Was ist mit dem Dämon?“, fragte dieser nur leise und stöhnte wieder.
„Der ist betäubt“, antwortete Scarlett.
„Und wie geht es dir und Ivan?“
„Ivan ist bewusstlos und mir geht es so weit ganz gut“, sagte Scarlett, auch wenn ihr Arm alles andere als in Ordnung war.
„Na wenigstens etwas.“
„Wie geht es dir nun?“
„Mein Bauch fühlt sich an als hätte jemand mir eine Bowlingkugel in den Magen geschleudert, aber sonst geht es“, stöhnte Cecil nur und öffnete ein Auge.
Scarlett drehte sich absichtlich so, dass er ihren rechten Arm nicht sah.
Dann blickte Cecil nach links und sah den Dämon, der gut zwei Meter neben ihm lag. Er fletschte auch prompt leicht die Zähne und knurrte leise.
„Ist er wirklich betäubt?“, fragte Cecil misstrauisch.
„Ja doch“, sagte Scarlett, „Und Rebecca hat Sebastian mit einigen Männern her geschickt. Sie sollten jeden Moment hier eintreffen.“
„Gut“, murmelte Cecil noch, dann schien er eingeschlafen zu sein.
Scarlett seufzte lediglich erneut, stand auf und ging wieder zu ihrem Platz neben dem bewusstlosen Ivan. Der Dämon folgte ihr die ganze Zeit über mit den Augen. Als Scarlett sich gerade hinsetzen wollte, hörte sie im Treppenhaus Schritte von mehreren Leuten. Keine zehn Sekunden später erschienen Sebastian und einige weitere Männer in der Tür zum Wohnzimmer. Der Dämon knurrte augenblicklich wieder laut und Sebastian sah ein wenig verblüfft von den beiden bewusstlosen Jungen zu dem Dämon und dann zu Scarlett.
„Was ist denn hier passiert?“, fragte er mit einer hochgezogenen Augenbraue, „Ihr seht ja alle ganz schön mitgenommen aus.“
„Hat Rebecca dich nicht vorgewarnt?“, fragte Scarlett nur.
„Schon, aber ich habe eigentlich nicht damit gerechnet, dass es so schlimm ist“, sagte Sebastian und betrat den Raum, während die anderen Männer sich noch etwas geschockt umsahen.
„Ivan hat es am schlimmsten erwischt, er hat eine Platzwunde am Hinterkopf, wenn ich mich nicht täusche“, sagte Scarlett, „Cecil hat zwei heftige Schläge in den Magen abbekommen, der Dämon hat zwei Schusswunden und ich bin nur leicht verletzt.“
„Leicht?“ Sebastian sah Scarlett ein wenig ungläubig an. „So wie dein Arm aussieht, hat der Dämon ganz schön zugebissen.“
Sebastian sah wieder zu dem Dämon, der zähnefletschend in ihre Richtung sah. Sein Knurren konnte kaum tiefer und bedrohlicher sein.
„So, du bist also der Übeltäter“, stellte Sebastian fest und trat vor ihn, „Bist du brav oder müssen wir dir noch eine weitere Betäubung verpassen?“
Der Dämon sah nur knurrend auf Sebastians schwarze Hose, durch die man allerdings noch die durchtrainierten Muskeln sehen konnte. Auch bei dem orange-weiß gestreiften Oberhemd sah man die stark trainierten Muskeln, gerade da er die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. Seine hellblonden Haare waren glatt wie immer und seine dunkelbraunen Augen hatten ihren üblichen, leicht spöttischen Ausdruck.
Sebastian seufzte nur. „Matthew, bitte eine Betäubungsspritze, nicht dass er uns auf der Rückfahrt noch irgendwelche Dummheiten macht.“
Der Dämon fauchte und knurrte und versuchte sich zu bewegen, doch er konnte nicht verhindern, dass ihm einer der Männer eine Spritze mit einer farblosen Flüssigkeit gab. Noch nicht mal eine Minute später schien der Dämon endlich vollkommen betäubt zu sein und lag bewusstlos auf dem Boden.
„Gut“, sagte Sebastian daraufhin, „Drei Männer kommen mit mir zurück zum Hauptquartier, der Rest kümmert sich um den Saustall hier.“
Jeweils ein Mann nahm Cecil und Ivan über die Schulter und Sebastian und ein weiterer nahmen den Dämon.
„Kommst du Scarlett?“ Sebastian sah über die Schulter.
Scarlett verkniff es sich die tote Frau noch mal anzusehen und lief hinter den Männern her. Der Kleintransporter stand nicht weit entfernt und sie fuhren mit ziemlichem Tempo zurück zum Hauptquartier. Scarlett war sich sicher, dass einige der Ampeln, von denen Sebastian behauptete, dass sie noch gelb waren, eigentlich schon rot waren. Sie wollte auch nicht wissen, was passiert wäre, wenn sie einem Streifenwagen vor die Augen gekommen wären. Doch Sebastian hatte recht, sie mussten schnell zurück, denn Scarletts Arm und Ivans Platzwunde gehörten schnellstens versorgt und Cecil musste auch noch mal untersucht werden.
Wenig später fuhren sie auf das Gelände von Avalon. Während Sebastian und ein anderer Mann den immer noch bewusstlosen Dämon in eines der Untergeschosse brachten, wurden Cecil, Ivan und Scarlett von den beiden anderen Männern ins Hauptgebäude gebracht. Im dritten und vierten Stock war die Krankenstation, auf der die drei abgeliefert wurden. Cecil und Ivan lagen jeweils in einem Bett und eine Krankenschwester kümmerte sich gerade um Ivans Platzwunde. Scarletts Arm wurde gleich nebenan von einer weiteren Schwester zusammengeflickt. Laut dieser hatte Scarlett Glück, dass der Dämon seine Zähne nicht noch weiter in ihren Arm gegraben hatte. Ansonsten hätte ihr Knochen etwas abbekommen und das hätte sonst wo enden können. Scarlett fand das Nähen allerdings fast noch schlimmer als die Schmerzen allein.
Scarlett lehnte an der Fensterbank in Ivans und Cecils Krankenzimmer. Sie selbst war erst vor einigen Minuten von der Krankenschwester entlassen worden, nachdem diese ihr noch ein wenig Blut abgenommen hatte, um zu sehen, ob der Dämon vielleicht irgendeine Krankheit an sie übertragen hatte. Cecil und Ivan lagen in zwei Betten gleich nebeneinander und schienen zu schlafen.
Im Moment kamen Scarlett jedoch einige besorgniserregende Gedanken. Sie hatten den Dämon zwar letztlich erwischt, doch zu welchem Preis? Sie waren alle drei verletzt und Scarlett befürchtete langsam, dass dieses Team aufgelöst wurde. Sie hatten sich schließlich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Zwar musste sie den Bericht noch verfassen, doch die Regeln für die Hunter waren äußerst streng und die Untauglichen wurden zumeist sofort aussortiert und bekamen dann eigentlich immer irgendwelche Büroarbeit aufgehalst. Scarlett würde bei der Auflösung des Teams zwar noch ein weiteres Jahr mit der Ausbildung verbringen und Cecil und Ivan wahrscheinlich in andere Teams kommen, doch trotzdem war diese Befürchtung ziemlich erschreckend. Sie wollte mit den beiden ein Team bilden und mit niemandem sonst.
„Hey...“
Scarlett sah überrascht auf. Cecil, der fast direkt neben ihr lag, war aufgewacht und sah sie an.
„Du bist wach“, sagte Scarlett nur etwas überrascht.
„Ist das so erstaunlich?“, fragte Cecil mit einer hochgezogenen Augenbraue.
Scarlett musste matt lächeln.
„Schon viel besser“, sagte auch Cecil lächelnd und setzte sich auf. Er verzog kurz das Gesicht, dann atmete er tief ein und schien zu versuchen, den Schmerz zu vergessen. „Dieser verfluchte Dämon hat echt Fäuste aus Stahl, so hat mich noch keiner von denen erwischt.“
„Irgendwann ist immer das erste Mal“, bemerkte Scarlett, doch ihr Lächeln schwand, „Es tut mir leid, das ist meine Schuld.“
„Quatsch mit Soße.“ Ivan setzte sich stöhnend auf und schwankte im ersten Moment ein wenig, ehe er sich gefangen hatte.
Scarlett wusste, dass er absichtlich ihre eigenen Worte verwendete.
„Wir haben wenn denn alle Schuld“, sagte Cecil, „Ich hätte auch sagen können, dass wir da nicht rein gehen. Schließlich hat mich mein Gefühl davor gewarnt, da rein zu gehen, und ich habe trotzdem zugelassen, dass wir den Dämon suchen.“
„Ich hätte mich nicht so überraschen lassen können“, bemerkte Ivan und fasste sich an den Verband, den er um den Kopf trug.
„Und ich hätte meine Angst früher überwinden müssen“, sagte Scarlett bedrückt.
Eine ganze Weile herrschte Schweigen im Krankenzimmer. Die drei sahen nach unten. Sie alle hatten Fehler gemacht, die sie womöglich teuer zu stehen kommen würden.
„Ach was“, sagte Ivan und ließ sich wieder nach hinten in die Kissen sinken, „Du musst doch sowieso noch den Bericht schreiben, Scarlett, da kannst du ja auch an einigen Stellen einfach ein bisschen übertreiben. Ich denke nicht, dass jemandem das auffallen würde. Du hattest bei dem Schreiben von Berichten immer die besten Noten von uns, also wird das kein Problem sein.“
„Das Dumme ist nur, dass ich noch nie gut lügen konnte“, warf Scarlett mit einem schiefen Lächeln ein, „Weder beim Sprechen, noch beim Schreiben.“
„Na und?“ Cecil lächelte. „Schreib einfach den Bericht, wir werden ja sehen, was passiert und wie die Leitung unserer Abteilung reagiert.“
„Stimmt auch wieder“, seufzte Scarlett, „Kann ich euch beide alleine lassen?“
„Tu nicht so als wären wir schwer verletzt“, sagte Ivan etwas empört, „Auf uns selber aufpassen können wir immer noch ganz gut. Vor allem wenn kein Dämon in der Nähe ist.“
„Gut“, sagte Scarlett nur, „Weil ich morgen zur Schule muss und die Hausaufgaben, den Bericht und so was muss ich alles noch machen.“
„Viel Spaß“, sagte Cecil schmunzelnd, „Wenn du gerade schon dabei bist, kannst du unsere Hausaufgaben gleich mit machen.“
Scarlett hob eine Augenbraue. „Bin ich euer Dienstmädchen? So schwer seid ihr nun wirklich nicht verletzt. Ich weiß auch was Besseres, die Aufgaben bring ich euch morgen mit.“
„Und ein paar Bücher“, fügte Ivan noch hinzu, „Mir ist jetzt schon langweilig...“
Da hatte Scarlett schon die Tür hinter sich geschlossen.
Den fertigen Bericht gab sie am nächsten Morgen bei Rebecca ab und machte sich dann auf den Weg zur Schule. Da es glücklicherweise nicht so warm war, fiel es niemandem weiter auf, dass sie ein langärmeliges Shirt trug, um den dicken Verband an ihrem Oberarm zu kaschieren. Während des Unterrichts war sie mit den Gedanken allerdings ganz wo anders.
Es war klar, an wem es lag, dass der gestrige Auftrag beinahe schief gelaufen wäre. Scarlett hatte sich zu sehr von ihrer Angst beeinflussen lassen und das wussten auch die beiden Jungen, doch Scarlett zuliebe nahmen sie auch einen Teil der Schuld auf sich, aber das machte sie nur noch wütender. Wie hatte sie nur so hirnlos sein können? Dieser Dämon war zwar außergewöhnlich gewesen, doch sie hatte sich davon viel zu sehr beeindrucken lassen. Und das hatten Cecil und Ivan ausbaden müssen. In dem Bericht hatte Scarlett auch geschrieben, dass sie es war, die den Fehler gemacht hatte, sich zu sehr ablenken zu lassen.
Die Gedanken daran, dass es ihr Fehler gewesen war, beschäftigten sie den ganzen Morgen über und den Weg zum Gelände von Avalon rannte sie fast. Warum hatte ihr das ausgerechnet bei ihrem ersten Auftrag passieren müssen?
Als Scarlett bei Cecils und Ivans Krankenzimmer ankam, blieb sie stehen. In der Hand hatte sie einen Beutel mit einigen Sachen für die beiden, doch in dem Zimmer war niemand. Etwas verwirrt fing sie eine Schwester ab und fragte sie über den Verbleib von den Brüdern aus.
„Die haben wir heute Morgen rausgeworfen“, antwortete die Schwester und ihre resignierte Miene zeigte ihre Laune bei den Gedanken an die Jungen, „Die haben sich ziemlich schnell erholt und ihnen war es eindeutig zu langweilig...“
„Schon gut“, sagte Scarlett nur schief lächelnd, denn die Details wollte sie gar nicht erst wissen, „Wissen Sie, wo die beiden jetzt sind?“
„Seit sie heute Morgen das Zimmer verlassen haben, habe ich sie nicht mehr gesehen“, antwortete die Schwester nachdenklich, „Tut mir leid.“
„Ist nicht schlimm, hätte ja sein können.“ Damit verabschiedete Scarlett sich von der Schwester und machte sich stirnrunzelnd auf den Rückweg. Wo steckten die beiden denn jetzt? Spielten sie jetzt mit ihr verstecken oder was?
Erstmal brachte Scarlett jedoch die Sachen zurück zu ihrer Einzimmerwohnung. Dann sah sie nachdenklich zum Faxgerät. Es war noch keine neue Nachricht eingetroffen. Das hieß wohl, dass sich die Leitung sich noch nicht einig war, was mit ihr oder auch mit dem ganzen Team geschehen sollte.
Während sie auf ihrem Bett saß, musste sie auch aus irgendeinem Grund wieder an den Dämon denken. Der Dämon insgesamt entsprach einfach nicht dem typischen Muster. Furchteinflößend war er vielleicht, doch ansonsten unterschied er sich von allen anderen Dämonen, die Scarlett bisher gesehen hatte. Selbst wenn die Dämonen nicht hier in der Ausbildung waren, hielten sie ihre Haare eigentlich immer kurz, weil es für sie praktischer war.
Dann war da noch sein merkwürdiges Verhalten. Eigentlich ließen die Dämonen von ihren Opfern meist kaum bis gar nichts übrig, doch dieses Exemplar schien immer ein paar Mal zuzubeißen und seinem Opfer durchaus auch das Fleisch von den Knochen zu ziehen, doch es blieb immer noch eine stark entstellte Leiche zurück.
Scarlett ließ um ihren Magen willen nicht zu, dass das Bild der toten Frau von gestern in der Wohnung noch mal vor ihrem inneren Auge auftauchte. Es war scheußlich gewesen, selbst für einen Dämon. Ihm schien das Töten Spaß zu machen, wohingegen die meisten Dämonen doch eigentlich nur aus ihrem angeborenen Überlebensinstinkt jagten. Dieser Dämon tanzte aus der Reihe wie ein Elefant in einem Straußengehege. Und auch wenn seine Handlungen eigentlich eher abstoßend waren, faszinierte er Scarlett irgendwie. Er war so anders.
Schließlich stand sie seufzend wieder auf. Das grüne Langarmshirt hatte sie zuvor schon gegen ihre zweite scharlachrote Bluse eingetauscht und auch ihre weiße Hose trug sie bereits. Sie war nur froh, dass sie von den roten Blusen ein paar mehr besaß. Auch wenn sie heute natürlich keine Aufträge hatten, fühlte sie sich in diesen Sachen immer noch am wohlsten. Ihr Mantel war allerdings irgendwo im zwölften Stock des Hauptgebäudes in der Schneiderei. Das große Loch in ihrem Ärmel musste geflickt werden und außerdem hatte Scarlett die Anfrage gestellt, ob man vielleicht einen etwas solideren und festeren Stoff einarbeiten konnte, damit der Ärmel nicht nach einem einzigen Biss von einem Dämon schon geflickt werden musste.
Sie machte sich auf den Weg zum Hauptgebäude. Zwar war ihr selber nicht so ganz klar, warum sie den Dämon nochmal sehen wollte, doch sie hatte auch nichts Besseres zu tun. Sie zeigte beim Eingang zu den unteren Trakten ihren Ausweis vor und wurde daraufhin eingelassen. Eine Treppe über Eck führte sie ins erste Untergeschoss und Scarlett ging noch ein Stockwerk weiter unter die Erde.
Kaum hatte sie das zweite Untergeschoss betreten, stand sie einem hochgewachsenen Mann gegenüber. Keith hatte seine kurzen, braunen Haare wie immer mit Gel geglättet und auch das dunkle Hemd mit der hellen Hose kannte sie bereits. Zwar hatte sie noch nie direkt mit ihm gesprochen, doch ein paar Mal hatte sie ihn bereits gesehen und mit Sebastian reden hören.
„Was suchst du hier unten?“, fragte Keith auch sogleich und sah sie von oben herab an.
„Ich möchte kurz mit Sebastian reden“, antwortete Scarlett und klang dabei mit Absicht genauso unfreundlich wie er.
„Was möchtest du denn?“
Scarlett drehte sich überrascht um. Sie hatte Sebastian gar nicht kommen gehört, doch das war von einem Meister wie ihm auch zu erwarten. Er lächelte etwas schief und schien wie üblich gute Laune zu haben.
„Ist das in Ordnung?“, fragte Keith nur, „Anfänger haben hier unten gewöhnlich nichts zu suchen.“
„Das geht schon klar“, sagte Sebastian nur und legte Scarlett einen Arm um die Schultern, „Sie hat den Wildfang von gestern schließlich erlegt.“
Eine von Keiths Augenbrauen wanderte nach oben.
Sebastian hob nur die Hand und zog Scarlett mit sich, bis sie ein Stück weiter entfernt waren. „Vergib ihm seine Unfreundlichkeit, er war noch nie sonderlich beliebt bei den Frauen“, bemerkte Sebastian schmunzelnd.
Scarlett konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, ehe sie wieder ernst wurde. „Ich würde gerne den Dämon von gestern nochmal sehen, wenn das möglich ist.“
„Du willst ihn sehen?“ Sebastian wirkte etwas überrascht. „Du weißt doch, dass die Fänger den Dämonen, die sie gefangen haben, besser nicht zu früh wieder gegenüber treten. Das lässt viele der Dämonen ausrasten.“
„Ist mir klar“, seufzte Scarlett, „Aber ich weiß nicht, irgendwie will ich ihn nochmal sehen, schließlich war er der erste und vielleicht auch letzte Dämon, den mein Team gefangen hat.“ Es war ihr ein wenig peinlich zu sagen, dass sie irgendetwas an dem Dämon faszinierte und außerdem stimmte das Gesagte ja auch. Vielleicht war er wirklich der letzte Dämon, den sie gefangen hatte.
„Also der Letzte mit Sicherheit nicht“, sagte Sebastian mit einer hochgezogenen Augenbraue, „Es sei denn, ihr hattet vor die nächsten Dämonen alle entkommen zu lassen.“
Scarlett sah ihn verdattert an.
„Haben Cecil und Ivan dir noch nichts erzählt?“, fragte Sebastian, „Die beiden haben hier heute Morgen einen halben Aufstand veranstaltet, damit euer Team nicht aufgelöst wird.“
Scarlett blinzelte nur verwirrt. Es war nett, dass sie das auch mal erfuhr.
„Im Übrigen habe ich vielleicht vergessen zu erwähnen, dass Keith und ich entscheiden, welche Teams bestehen und welche nach einem Fehlschlag aufgelöst werden“, fügte Sebastian lächelnd hinzu, „Und euer Team ist eine ziemlich gute Kombination. Also warum sollte ich wollen, dass ihr gleich wieder aufhört, nur weil man euch ein viel zu starken Dämon auf´s Auge gedrückt hat?“
„Viel zu stark?“, fragte Scarlett stirnrunzelnd.
„Euch ist doch mit Sicherheit aufgefallen, dass dieser Dämon eine ganz andere Klasse hat als die, um die ihr euch eigentlich kümmern sollt“, sagte Sebastian und seufzte, „Der wäre wahrscheinlich auch für mit ein harter Brocken gewesen. Ihr verdient Respekt dafür, dass ihr nicht gleich wieder umgedreht seid.. oder aber eine Ohrfeige, weil ihr so blöd gewesen seid.“
Scarlett zog schon den Kopf ein, woraufhin Sebastian anfing zu lachen.
„Seit wann bist du denn so verschreckt?“, fragte Sebastian belustigt, „Als ob ich dich schlagen würde. Aber dieser Dämon ist wirklich ein ganz schön zäher Bursche, ich bin wirklich beeindruckt, dass ihr mit solchen, in Anführungszeichen, leichten Verletzungen davongekommen seid.“
„In wie fern ist euch das denn aufgefallen?“, fragte Scarlett.
„Einmal durch deinen Bericht“, sagte Sebastian nun wieder ernst, „Aber kurz nachdem er hier unten abgeliefert worden war und wir eigentlich vorhatten ihn zu waschen und mal die Haare zu schneiden, ist er schon wieder aufgewacht. Trotz der doppelten Betäubung wohl gemerkt. Da er sich eigentlich noch nicht wieder bewegen konnte, wollten wir trotzdem noch das Gröbste machen.. aber du hättest mal sehen sollen, was der für ein Theater veranstaltet hat, als wir das Band aus seinen Haaren genommen hatten und sie eigentlich gerade schneiden wollten. Trotz der immer noch wirkenden Betäubung hat er sich aufgerichtet und unserem Friseur beinahe in den Arm gebissen...“
„Trotz zweier Betäubungen?“, fragte Scarlett ungläubig.
„Wie gesagt, ihr hattet wirklich ein außergewöhnliches Exemplar gegen euch“, sagte Sebastian ernst, „Wir haben ihm noch schnell das Elektroschock-Halsband verpasst und daran dann noch zwei Ketten befestigt, die wir an das Bett gekettet haben. Es war wirklich nicht ganz einfach ihn zu überwältigen, obwohl er nach wie vor betäubt war. Erst nach mehreren Elektroschocks hat er einigermaßen still gehalten, sodass wir ihn zu Ende anketten konnten.“
Inzwischen standen sie vor einer eisernen Tür.
„Und du bist dir sicher, dass du rein willst?“, fragte Sebastian zweifelnd, „Jetzt dürfte die Betäubung auf jeden Fall vollkommen nachgelassen haben und ich kann dir ehrlich gesagt nicht sagen, wie er reagiert, wenn er dich sieht.“
„Ich geh rein.“ Scarlett wusste zwar immer noch nicht, warum sie das eigentlich tat, aber sie machte es einfach. Auch wenn sie doch ein wenig unsicher war.
Sebastian holte einen Schlüsselbund und eine Art kleine Minifernbedienung aus der Tasche. „Mit dem Ding kannst du das Halsband aktivieren und ihm einige Stromstöße verpassen, sollte er sich wider Erwarten auch noch von den Ketten befreien.“
Scarlett nahm die Fernbedienung entgegen, auf der nur zwei Knöpfe waren. Einer war der Einschaltknopf, mit dem anderen löste sie die Elektroschocks aus.
„Aber eigentlich haben wir schon Ketten aus Orichalcon verwendet, um ihn an das Bett zu fesseln“, sagte Sebastian und steckte den Schlüssel in das Vorhängeschloss an der Tür, „Er sollte sich aufrichten können, aber vom Bett aufzustehen oder es gar mit sich zu reißen, ist eigentlich auch unmöglich, denn das ist ja am Boden festgeschraubt, wie du weißt. Sollte irgendetwas sein, drück den Knopf an der Unterseite der Fernbedienung. Dann komme ich zu dir.. weil wie du weißt, werde ich dich mit dem Dämon wieder einschließen müssen...“
Er machte absichtlich eine Pause, doch Scarlett nickte nur. Daraufhin drehte er seufzend noch ein letztes Mal den Schlüssel herum. „Und der Dämon hat auch noch kein einziges Wort gesagt, deswegen kann ich dir weder seinen richtigen Namen, noch irgendetwas über seine Herkunft sagen. Also sei bitte vorsichtig.“
„Versprochen.“ Damit betrat Scarlett den kahlen Raum und hinter ihr schloss Sebastian wieder die Tür. In der Hand hatte Scarlett die kleine Fernbedienung. Sie sah sich in dem Raum um. Der Boden und auch die Wände waren metallisch, doch wenigstens hatte man die Wand cremefarben gestrichen. Auf dem Boden lag ein ausgefranster, dunkelbrauner Teppich, der schon mal besser ausgesehen hatte. Die einzigen Möbelstücke waren ein kleiner Tisch, ein Stuhl aus Holz und das eiserne Bett.
Auf diesem lag der Dämon von gestern. Tatsächlich war er mit gleich zwei Ketten, die an zwei eisernen Riemen an seinem Halsband befestigt waren, an das Bett gekettet. In seinen dunklen Klamotten sah man das eingetrocknete Blut und einige seiner langen, schwarzen Haare waren ihm über die Schulter gefallen. Man sah jedoch, dass seine letzte Wäsche schon eine ganze Weile zurücklag.
Der Dämon, der mit dem Rücken auf der Matratze lag und zuvor an die Decke gestarrt hatte, sah nun in ihre Richtung. Als er sie erblickte, begann er sofort wieder zu knurren. Seine rotbraunen Augen waren direkt auf Scarlett geheftet, die immer noch vor der Tür stand und ihn ansah. An seinem Kinn und auch am Hals waren noch einige getrocknete Reste von Blut zu sehen, von dem er sich das meiste wohl inzwischen abgekratzt hatte.
Scarlett wusste nicht ganz, was sie machen sollte. Nun war sie hier, doch was jetzt? Als sie mit ihren Überlegungen nicht weit kam, nahm sie sich den hölzernen Stuhl und stellte ihn mit zwei Metern Abstand vor das Bett. Sie setzte sich und ihr war bewusst, dass der Dämon jede einzelne Bewegung von ihr genau beobachtete. Da ihr nichts einfiel, was sie sagen konnte, erwiderte sie seinen Blick einfach. Auch wenn seine Augen immer noch einen starken Hass und auch die Freude am Töten ausstrahlten, fiel es ihr aus irgendeinem Grund gar nicht so schwer, seinem Blick standzuhalten. Sein Knurren war inzwischen in ein leises Fauchen übergegangen, doch er verhielt sich ruhig. Sie hatte auch bereits von Dämonen gehört, die, wenn sie den gesehen hatten, der sie eingefangen hatte, fast durchgedreht waren und alles versuchten, um ihn zu töten. Komischerweise beschränkte sich dieser Dämon auf das Anfauchen seiner Fängerin.
Eine ganze Weile saßen sie sich so gegenüber. Mit der Zeit hatte der Dämon auch aufgehört zu fauchen und sah sie einfach nur an. Scarlett war durchaus bewusst, dass das immer noch der Dämon war, der mehrere Menschen einzig und allein aus Mordlust getötet hatte, doch trotzdem faszinierte sie irgendetwas an ihm. Er unterschied sich von den anderen nicht nur im Verhalten und ihm Aussehen, sondern auch seine Präsenz, seine Aura, war anders. Er hatte etwas Edles und irgendwie Außergewöhnliches an sich.
Schließlich war Scarlett die Stille zu langweilig. „Wie ist eigentlich dein Name?“
Der Dämon hatte kurz zu einem Knurren angesetzt, doch er schwieg.
Aus irgendeinem ihr unbekannten Grund musste Scarlett lächeln. „Na ja, du musst natürlich nicht antworten. Ich bin jedenfalls Scarlett.“
Es herrschte wieder eine ganze Weile Schweigen zwischen ihnen. Scarlett wusste auch nicht, wie viel Zeit so verging, denn sie hatte ihre Armbanduhr nicht mit hier runter genommen. Es war aber auch nicht unangenehm zu schweigen. In der Schule fühlte Scarlett sich immer genötigt, mit den anderen zu reden, aber wie auch bei Cecil und Ivan, hatte sie bei dem Dämon nicht das Gefühl reden zu müssen. Vielleicht lag es auch daran, dass der Dämon selbst die ganze Zeit über nur schwieg oder wenn denn leise fauchte, aber es war Scarlett auch egal. Durch die Nachricht von Sebastian, dass ihr Team nicht aufgelöst wurde und sie bald wieder an die Arbeit konnten, war sie ziemlich erleichtert. Sie hatte nicht den Drang irgendwo hin zu gehen und irgendwie fühlte sie sich ja eigentlich ganz wohl hier unten.
Eine Zeit lang ging Scarlett ihren Gedanken nach und sah dabei nach wie vor den Dämon an, der sie ebenfalls musterte. Dann hörte Scarlett, wie das Schloss vor der Tür aufgeschlossen wurde. Im nächsten Moment öffnete Sebastian die Tür und hinter ihm stand Keith. Augenblicklich begann der Dämon zu knurren und setzte sich auf einen Schlag so weit auf, wie die Ketten es zuließen. Er fletschte die Zähne und Scarlett sah ihn nur überrascht an. Von der vorherigen Ruhe fehlte jegliche Spur.
„Heiliger“, sagte Sebastian leicht überrascht, „Das Biest ist ja ganz schön aggressiv.“
Scarlett saß noch immer auf dem Stuhl und sah den Dämon verwirrt an. Während sie alleine gewesen waren, hatte er sich nicht ein Mal so aufbrausend benommen. Nun hatte es fast den Anschein, dass der Dämon sich am liebsten von den Ketten losreißen und Sebastian an die Gurgel gehen wollte.
„Komm Scarlett“, sagte Sebastian daraufhin nur, „Wird Zeit, dass du mal wieder Tageslicht siehst.“
Scarlett warf noch einen letzten Blick zu dem erzürnten Dämon, der nur dank der Ketten noch nicht auf Sebastian zugestürmt war. Dann stand sie auf, stellte den Stuhl an seinen Platz und folgte Sebastian aus dem Raum. Er schloss noch kurz die Tür wieder ab und ging dann mit Scarlett in Richtung Ausgang. Keith war nur wenige Schritte hinter ihnen.
„Ich frage mich, wie du es geschlagene drei Stunden mit dem Dämon in einem Raum ausgehalten hast“, sagte Sebastian schließlich kopfschüttelnd.
„Der ist ja ganz schön wild“, bemerkte Keith, „Es ist zwar nicht das erste Mal, dass wir so was sehen, aber dieses Exemplar scheint ja einen besonderen Groll gegen uns zu hegen.“
Scarlett verzog nur ein schräges Gesicht. Dass der Dämon erst so wild geworden war, als die beiden den Raum betreten hatten, verschwieg sie erst mal, denn glauben würden die beiden Bändiger und Lehrmeister ihr sowieso nicht.
„Warum so ein Gesicht?“, fragte Sebastian mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„Nur so“, sagte Scarlett und lächelte schief, „Kann ich morgen wiederkommen?“
„Du willst noch mal zu diesem Dämon?“, fragte Keith ungläubig von hinten.
„Wieso denn nicht?“, fragte Scarlett und versuchte dabei ganz unschuldig zu klingen.
Keith schüttelte den Kopf und Sebastian lächelte amüsiert. „Du bist mal ´ne ganz andere Nummer. Bevor du da rein gegangen bist, sahst du aus wie ein Häufchen Elend und jetzt wieder so gut wie normal. Man könnte fast meinen, dass der Dämon dich mit seinem Verhalten aufgeweckt hat.“
„Das hat schon die Nachricht, dass das Team nicht aufgelöst wird“, bemerkte Scarlett lächelnd.
„Schön, übrigens suchen da schon zwei Jungen nach dir.“ Sebastian schmunzelte.
Scarlett sah überrascht auf. „Cecil und Ivan?“
Sebastian nickte nur.
„Wie schön, dass die beiden auch mal wieder was von sich hören lassen“, murmelte Scarlett etwas beleidigt. Die beiden hätten ihr auch mal bescheid sagen oder eine Nachricht hinterlassen können, da sie schon wieder auf den Beinen waren.
„Die beiden wollten dich eigentlich überraschen“, bemerkte Sebastian.
„Die Überraschung ist ihnen gelungen. Ich hätte beinahe eine Vermisstenanzeige aufgegeben, hätte die Schwester mich nicht aufgeklärt.“
Sebastian grinste nur belustigt.
Inzwischen waren sie an der Treppe angekommen und Scarlett verabschiedete sich von den beiden Männern. Oben angekommen verließ sie das Hauptgebäude und ging wieder hinüber zu den Mietshäusern. Als sie dann gerade ihre Wohnung betreten wollte, öffnete sich die Tür von Cecil und Ivan.
„Hey, du bist ja auch mal wieder da“, sagte Ivan nur grinsend. Um den Kopf hatte er einen Verband.
„Wir haben dich vermisst“, fügte Cecil hinzu.
„Habe ich schon gehört“, sagte Scarlett nur, „Sebastian hat mich vorgewarnt.“
„Also warst du da unten?“, fragte Ivan stirnrunzelnd, „Was hast du da gemacht?“
„Äh...“ Scarlett sah zur Seite.
„Raus mit der Sprache“, sagte Cecil, „Irgendetwas hast du da gemacht.“
„Unseren Dämon besucht.“
Cecil und Ivan sahen sie verwirrt an. „Haben wir da was nicht mitbekommen?“
„Keine Ahnung“, sagte Scarlett, „Ich weiß auch nur, dass dieser Dämon komisch ist.“
„Ist dir noch was aufgefallen, außer dem, was wir eh schon wissen?“, fragte Ivan nur ungläubig.
„Wie man´s nimmt.“
„Hör auf mit diesen Andeutungen“, seufzte Cecil.
„Es ist komisch“, sagte Scarlett nachdenklich, „Obwohl ich ihn ja mehr oder weniger gefangen habe, knurrt oder faucht dieser Dämon höchstens in meiner Gegenwart.. Zumindest wenn wir alleine sind. Als Sebastian und Keith mich dann abgeholt haben, ist der Dämon ganz schön ausgerastet.“
„Du warst mit ihm allein in einem der Verwahrungsräume?“, fragte Ivan völlig verdattert.
„Er war an das Bett gekettet“, stellte Scarlett fest, „Und er war auch die ganze Zeit über eigentlich recht friedlich, bis Sebastian und Keith halt aufgetaucht sind.“
Cecil schüttelte nur den Kopf. „Dich soll ein Mensch verstehen. Gestern hat der Dämon uns noch alle das Fürchten gelehrt und heute verbringst du freiwillig gleich mehrere Stunden in einem Raum mit ihm. Du verstehst hoffentlich, dass wir das nicht so ganz nachvollziehen können.“
„Na ja, solange du dich nicht beißen lässt, mach von mir aus, was du willst“, sagte Ivan schulterzuckend, „Wir sind schließlich nicht deine Eltern, aber tu uns den Gefallen und sei vorsichtig. Du weißt, dass er unberechenbar ist.“
Scarlett nickte nur.
„Gut“, seufzte Cecil, „Wie auch immer, wir haben noch ein paar Tage Pause, bis wir wieder Arbeit bekommen. Damit sich das GANZE Team erholen kann. Ist es möglich, dass du mir gestern etwas verschwiegen hast?“
Scarlett lächelte schief. „Der Dämon hat mich gestern noch gebissen, bevor ich ihn betäuben konnte.“
Cecil stöhnte kopfschüttelnd und sparte sich den Kommentar dazu.
Am nächsten Morgen war Freitag und Scarlett freute sich auf das Wochenende. Die Pause tat ihr und den beiden Jungen bestimmt gut. Erst mal musste sie jedoch den langweiligen Unterricht in der Schule überstehen. Hinzu kam noch, dass Irene es in der Pause geschafft hatte eine Schillischote zwischen ihre Brothälften zu schummeln und Scarlett biss natürlich auch prompt drauf. Den Rest der Pause verbrachte sie daraufhin am Wasserhahn und selbst danach brannte ihre Zunge im Unterricht noch. Und das nur, weil sie wie immer früher losgegangen war als Irene und Bianca, da die beiden heute Morgen wieder mal viel zu spät dran waren. Es lief allerdings eigentlich immer so ab, deswegen sparte Scarlett sich den Kommentar dazu.
Am frühen Nachmittag kam sie wieder bei Avalon an und zog sich kurz um. Mit der scharlachroten Bluse und der weißen Hose ging sie dann hinüber zum Hauptgebäude und dort in das zweite Untergeschoss. Es hatte fast den Anschein, dass Sebastian sie bereits erwartet hatte.
„Also willst du wirklich noch mal zu dem Wildfang?“, fragte er nur mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„Hat er denn schon wieder etwas angestellt?“, fragte Scarlett im Gegenzug.
„Nichts Besonderes“, sagte Sebastian resigniert, „Der Friseur hätte nur beinahe seine Hand verloren; als wir dem Dämon neue Klamotten geben wollten, hätte er Keith beinahe am Arm erwischt und das mit dem Essen haben wir uns gleich gespart.“
„Oje...“, seufzte Scarlett nur.
„Wunder dich aber bitte nicht, Keith hat dem Dämon ein paar mehr Stromstöße verpasst und es kann sein, dass er immer noch wütend ist“, warnte Sebastian sie.
„Ich werd drauf achten, ihm nicht zu nahe zu kommen“, sagte Scarlett.
Damit drückte Sebastian ihr wieder die Fernbedienung in die Hand und schloss die Tür neben ihnen auf. Ein tiefes Knurren verriet, was der Dämon von dem Besuch hielt.
„Und du bist dir sicher?“, fragte Sebastian zweifelnd.
„Ja.“ Scarlett schob die Tür auf und betrat den Raum. Alles sah noch so aus wie gestern, nur dass auf dem Tisch einige saubere Klamotten lagen. Der Dämon sah sie aufgebracht an und knurrte immer noch, als Sebastian die Tür bereits wieder abgeschlossen hatte. Da der Dämon sich auch aufgesetzt hatte und die Ketten sich bereits spannten, war Scarlett doch ein wenig unsicher.
Dann aber machte sie sich klar, dass der Dämon immer noch angekettet war und für sie im Grunde keine Gefahr bestand. Jedenfalls keine, die sie nicht vorhersehen konnte. Sie nahm wie gestern den Stuhl und setzte sich mit einigem Abstand zu dem eisernen Bett hin. Nach wie vor knurrte der Dämon tief. Seine langen schwarzen Haare waren auch noch immer offen und lagen auf seinem Rücken, die Spitzen ruhten sogar auf dem Bett, obwohl er aufrecht saß. Er sah sie misstrauisch an.
Scarlett konnte ihm ohne weiteres ansehen, dass Keith den Elektroschock ziemlich häufig verwendet hatte. Die kürzeren Haare des Dämons standen ihm zu Berge und er wirkte ein wenig mitgenommen. Sie sah ihn eine Weile einfach nur still an. Mit der Zeit schien der Dämon sich dann wenigstens ein bisschen zu beruhigen. Er fauchte nur noch leise, blieb allerdings aufrecht sitzen und sah sie die ganze Zeit über misstrauisch an.
Scarlett wusste, wie das mit dem Bändigen der Dämon hier lief. Erst sperrte man sie einige Tage allein in einen Raum. Sie bekamen auch nichts zu essen und man wartete, bis sie wieder Hunger hatten. Dann wurden den Dämonen einige Speisen hingestellt, die sie essen konnten oder nicht. Irgendwann begannen die meisten Dämonen dann auch das Essen von Menschen zu essen, weil ihr Hunger zu groß wurde. Die Methode war zwar schon ein wenig grausam, doch anders konnte man den Dämonen nicht abgewöhnen Menschenfleisch zu essen.
Der Dämon 3435 war zurzeit noch in der Phase, in der er nichts zu essen bekam. Normalerweise wurden die Dämonen während der anhaltenden Betäubung noch ein wenig gewaschen und einigermaßen ordentlich hergerichtet, doch bei diesem Dämon gestaltete sich das anscheinend ein ganzes Stück schwieriger. Wenn er sich selbst bei einer doppelten Betäubung noch gegen alles wehrte, würde es wohl ziemlich schwer werden, ihn an das Leben eines normalen Menschen zu gewöhnen.
Schließlich seufzte Scarlett, als der Dämon seit einer Weile still war. „Hey.“
Der Dämon sah sie aus seinen dunkelbraunen Augen misstrauisch an.
„Ich weiß, dass du nicht reden willst“, sagte Scarlett etwas unsicher, „Aber ich würde gerne wissen, wie du heißt. Ich kann dich doch schlecht Dämon drei-vier-drei-fünf nennen. Mir würde es jedenfalls nicht gefallen, nur vier Zahlen als Namen zu haben.“
Der Dämon sah sie immer noch nur an.
„Schon gut“, seufzte Scarlett, „Ich frage mich, was ich hier unten eigentlich mache. Alles, was ich über dich weiß, ist, dass du kein normaler Dämon bist. Ich habe während meiner Ausbildung ja schon einige Dämonen gesehen, aber so was wie du, ist mir in meinem Leben auch noch nicht unter die Augen gekommen.“
Der Dämon wirkte beinahe nachdenklich und sah sie immer noch an.
Scarlett sah ihn noch eine Weile lang an, dann schüttelte sie den Kopf. Was hatte sie eigentlich erwartet? Das der Dämon ausgerechnet mit ihr sprach? Mit der, die ihn eingefangen und aus seiner Sicht in dieses Verließ gesteckt hatte? Es war eine absurde Idee und Scarlett wusste nicht, wie sie überhaupt darauf gekommen war.
„Zachary.“
Scarlett sah verwirrt auf. Hatte sie sich das gerade nur eingebildet oder hatte der Dämon wirklich etwas gesagt?
Dieser sah sie einen Moment lang misstrauisch an, dann sagte er: „Mein Name ist Zachary.“
Scarlett blinzelte überrascht. Der Dämon hatte wirklich gesprochen. Und er hatte ihr seinen Namen gesagt.
Eine Weile herrschte wieder Schweigen.
„Hat es dir jetzt auf einmal die Sprache verschlagen oder was?“, fragte der Dämon mit Namen Zachary dann auf einmal.
Scarlett brauchte eine Sekunde, bis sie die Überraschung endlich ganz verdaut hatte. „Na ja, du hast die ganze Zeit über nur geschwiegen, da ist es schon ein wenig überraschend, wenn du auf einmal anfängst zu reden.“
„Ist das so?“ Der Dämon hob nur eine Augenbraue.
Scarlett wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
„Und du bist genauso komisch“, sagte Zachary, „Vor zwei Tagen hattest du noch furchtbare Angst und trotzdem gehst du mir heute schon wieder auf die Nerven.“
„Ich geh dir auf die Nerven?“
„Ja“, antwortete Zachary schlicht.
„Soll ich gehen?“, fragte Scarlett.
„Tse, mach doch, was du willst.“
„Gut, dann bleib ich hier.“ Scarlett wusste selber nicht so genau, warum sie sich jetzt mit dem Dämon anlegte. Aber irgendwie faszinierte er sie immer noch, seine Stimme war die eines normalen Jungen im Alter von ungefähr sechzehn bis siebzehn Jahren, doch wie auch seine Aura, klang sie einfach zu edel für einen normalen Jungen oder Dämonen. Und sie klang auch ziemlich herablassend und selbstgefällig, als würde er so etwas wie Unsicherheit gar nicht kennen.
Zachary knurrte. „Du bist ganz schön hartnäckig.“
„Warum?“, fragte Scarlett stirnrunzelnd.
„Weil du genau weißt, zu was ich fähig bin“, sagte Zachary und sah ihr dabei in die Augen, „Ich könnte mich auch losreißen, wenn ich wollte.“
„Und warum hast du es dann noch nicht getan?“
Zacharys Augenbrauen bekamen im ersten Moment eine starke Tendenz nach oben, dann schlich sich ganz leichtes Lächeln auf seine Lippen. „Weil es immer noch ein Spiel ist.“
„Ein Spiel?“ Scarlett runzelte erneut die Stirn. „Aber wenn das ein Spiel für dich ist.. sind wir und alle anderen Menschen dann deine Gegenspieler?“
„So ungefähr.“
„Und warum hast du uns dann nicht getötet?“, fragte Scarlett ernst, „Du hattest die Möglichkeit dazu.. und das wahrscheinlich sogar die ganze Zeit über.“
„Stimmt“, sagte Zachary grinsend, „Aber was hat es denn für einen Sinn, wenn man seine stärksten Gegenspieler gleich zu Anfang schon tötet? Wo wäre dann der Spaß?“
„Gute Frage.“ Scarlett kam der Dämon immer suspekter vor. Je mehr sie über seine Persönlichkeit erfuhr, umso mehr verwirrte er sie.
In dem Moment verzog er für eine Sekunde das Gesicht und schüttelte dann den Kopf.
„Was ist los?“, fragte Scarlett.
„Dieser eine Kerl hat doch wirklich eine Meise“, murmelte Zachary und er schien am liebsten knurren zu wollen, „Diese Elektroschocks sind einfach nur nervtötend.“
„Stimmt, du hättest dem Friseur ja auch beinahe von seiner Hand befreit“, stellte Scarlett nur resigniert fest. Ob das auch zu seinem Spiel gehörte?
„Ja“, erwiderte Zachary gereizt, „Der hat doch keine Ahnung, wie lange es gedauert hat, die Haare so lang wachsen zu lassen.“
„Du bist aber auch weit und breit der einzige Dämon, der mit so langen Haaren durch die Gegend läuft“, bemerkte Scarlett, „Du entsprichst so gar nicht den Dämonen, die wir kennen. Du musst dem armen Mann schon verzeihen, dass es da ein bisschen verwirrend ist, wenn ein Dämon auf einmal so sehr an seinem Haar hängt.“
„Ich hänge nicht daran“, entgegnete Zachary und knurrte kurz, „Aber ich lass es mir auch nicht so einfach abschneiden.“
Scarletts Wunde am Arm kribbelte schon seit einer Weile und sie berührte den Verband, verzog jedoch das Gesicht. Zachary berührte im selben Moment seinen rechten Arm und beide sahen sich leicht überrascht an.
„Ich denke, wir sind quitt“, sagte Scarlett dann, „Ich hab dich angeschossen, du hast mich gebissen.“
Zachary grinste. „So sagt man das wohl bei euch Menschen.“
Irgendwie musste Scarlett ebenfalls lächeln, auch wenn es im nächsten Moment etwas resigniert wirkte. „Wie schmeckt mein Fleisch eigentlich?“
Zachary hob eine Augenbraue. „Findet ihr Menschen das normalerweise nicht ekelerregend?“
„Schon, aber mich interessiert´s trotzdem.“
„Hm.“ Zachary lächelte nun wieder. „Gar nicht mal so schlecht, ich kann mich jedenfalls nicht beklagen.“
„Warum hast du.. mir eigentlich nicht gleich das ganze Fleisch vom Arm gerissen?“, fragte Scarlett, auch wenn sie beim Gedanken daran schauderte, „Als Ivan dich getroffen hat, hättest du doch auch weiter zubeißen können, statt loszulassen.“
„Es war mir ein bisschen zu schade“, erwiderte Zachary und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, auch wenn sich das mit den Ketten ein wenig schwierig gestaltete.
Scarlett runzelte nur die Stirn. Wahrscheinlich würde sie davon irgendwann noch Falten bekommen.
Zachary lächelte daraufhin.
„Ich geb´s auf“, seufzte Scarlett schließlich, „Ich werde dich wohl nie verstehen.“
„Wieso solltest du auch?“, konterte Zachary, „Du bist keine Spielerin.“
„Und ich bin genauso wenig eine Spielfigur in deinem Spiel“, erwiderte Scarlett. So langsam ging es ihr auf die Nerven, dass dieser Dämon alles nur als ein Spiel ansah und von ihr redete, als sei sie eine seiner Spielfiguren.
„Ach nein? Du bist schon längst in meinem Spiel eingeplant und du bist auch nicht in der Lage, dich dagegen zu wehren“, sagte Zachary lächelnd.
„Bist du dir da so sicher?“ Scarlett stand auf und wagte es einen Schritt näher an ihn heranzutreten.
„Ja, du hast deinen Revolver nicht dabei und ohne den bist du endgültig machtlos gegen mich“, stellte Zachary fest.
„Das glaubst aber auch nur du.“ Scarlett beugte sich vor und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Ich bin nicht umsonst zum Hunter ausgebildet worden und glaub mir, ich hab noch mehr gelernt als mit einem Revolver zu schießen.“
„Das hat man ja gesehen“, entgegnete Zachary mit seinem herablassenden Grinsen, „Vor Angst hast du es kaum geschafft, dich zu verteidigen, und wäre ich nicht so unvorsichtig gewesen, direkt auf dich loszugehen, hättest du es nie geschafft mich zu treffen.“
„Du kleines Biest...!“, zischte Scarlett aufgebracht. Sie widerstand dem Drang zu knurren und damit dem Dämon nachzumachen.
In dem Moment packte dieser ihren ausgestreckten Unterarm und zog sie nach vorne. Vor Schreck konnte sie nichts dagegen machen und er zog sie am Arm so weit runter, dass ihre Gesichter fast auf einer Höhe und nicht mehr weit voneinander entfernt waren. Scarlett war einerseits erschrocken, aber auch immer noch wütend und sie sah dem Dämon zwangsweise direkt in die Augen.
Zachary lächelte nur und hielt ihren Arm immer noch fest gepackt. „Siehst du? Du bist ohne deinen Revolver machtlos. Ich könnte dich jetzt ganz einfach als mein Mittagessen ansehen.“
„Es ist Nachmittag“, warf Scarlett ein, auch wenn ihr absolut nicht zum Spaßen zu mute war.
Das Lächeln des Dämons wurde breiter. „Tja, das tut mir leid, aber wie du siehst, gibt es hier unten keine Uhr. Dann bist du eben mein Nachmittagsmahl.“
Scarlett versuchte sich loszureißen, doch sie konnte nur so gerade eben gegenhalten und verhindern, dass Zachary sie noch näher zu sich zog. Da fiel ihr jedoch etwas ein und sie zog mit der linken Hand die Fernbedienung aus der Tasche.
„Du willst also auch damit anfangen“, stellte Zachary fest und seine Augen wurden schmal. Sie schienen dabei sogar etwas dunkler zu werden.
„Nur wenn du mich nicht sofort loslässt“, erwiderte Scarlett verbissen und erwiderte seinen Blick.
„Dann mach schon“, sagte Zachary, „Drück den elenden Knopf.“
Scarlett wollte ihm am liebsten gleich ein paar mehr Elektroschocks verpassen, doch irgendwie brachte sie es nicht fertig, den Kopf zu drücken. Die kleine Fernbedienung lag in ihrer Hand und ihr Daumen schwebte bereits über dem Knopf, der den Elektroschock auslöste, doch sie drückte ihn nicht.
Eine Weile lang lieferten sie sich einen stillen Augenkampf. Nach wie vor hatte Zachary ihren Arm fest gepackt und zog sie nach unten, doch Scarlett hielt so gut sie konnte dagegen. Sie hatte nicht vor, gegen diesen Dämon zu verlieren. Nicht gegen so einen Dämon, der das Leben nur als Spiel ansah.
Dann spielte auf einmal ein leichter Wind mit Scarletts offenen, rotblonden Haaren und der Dämon ließ ihren Arm los. Scarlett stolperte nur überrascht einen Schritt nach hinten.
Zachary lächelte noch immer sein herablassendes Lächeln, das er die ganze Zeit über schon auf den Lippen hatte. „Du hast Mumm, das muss man dir wohl lassen.“
Scarlett trat wieder einen Schritt vor und achtete dieses Mal darauf, dass der Dämon sie mit ausgestreckter Hand nicht erreichen konnte. Wo der Wind so plötzlich hergekommen war, wusste sie allerdings nicht, und er hatte auch schon wieder aufgehört zu wehen.
„Aber trotzdem bist und bleibst du eine Schachfigur in meinem Spiel und nicht mehr, daran kannst du nichts ändern“, fügte Zachary noch hinzu.
Scarlett reichte es nun endgültig. Sie verlagerte plötzlich das Gewicht auf ihren rechten Fuß, vollführte eine schnelle Drehung und verpasste dem Dämon mit Schwung einen Tritt direkt ins Gesicht. Die Spitze ihres linken Fußes in dem nicht gerade weichen Schuh hatte ihn auch genau an der Wange getroffen und er knallte mit dem Kopf gegen das eiserne Geländer am Kopfende des Bettgestells.
„Mir reicht es langsam wirklich mit dir!“, sagte sie aufgebracht, „Das Leben ist nicht einfach nur ein Spiel, bei dem alle nach deiner Pfeife tanzen! Jeder lebt sein eigenes Leben und entscheidet selbst, was er tut und lässt. Du bist nicht berechtigt überhaupt zu denken, dass du besser seist als die anderen und deswegen über ihr Leben oder ihren Tod entscheiden kannst. Du bist einfach nur verachtenswert und ich frage mich langsam, wie man nur so durchtrieben sein kann. Selbst für einen Dämon bist du zu dumm.“
„Dumm?“ Zachary knurrte drohend und rieb sich die getroffene Wange. Seine Augen schienen noch dunkler zu werden, sie waren beinahe schwarz.
„Als was anderes kann man dich nicht bezeichnen“, sagte Scarlett immer noch aufgebracht, „Wer so wie du denkt, ist dumm, einfältig, engstirnig, hirnrissig und was weiß ich nicht noch alles. Wenn noch mehr so denken würden wie du, wäre die Welt zum Tode verurteilt. Ich kann nicht glauben, dass ich dich mal faszinierend gefunden habe. Du bist nur verabscheuungswürdig, wenn überhaupt.“
Zachary sah sie wütend an und seine Augen schienen immer schmaler zu werden. Nun hatte es wirklich den Anschein, dass seine Pupillen sich so weit ausgebreitet hatten, dass die Iris vollkommen vom Schwarz der Pupille verdeckt wurde. Tief schwarz und unergründlich.
Scarlett sah ihn nur verachtend an. Sie fragte sich mittlerweile wirklich, was sie an ihm faszinierend gefunden hatte. Seine Mordlust? Was auch immer es war, von Bedeutung war es nicht. Er war ein verrückter, mordlustiger Dämon und nicht mehr.
Dann seufzte Zachary auf einmal und atmete tief durch. Er berührte noch mal kurz seine schmerzende Wange, dann sah er sie an und seine Augen schienen auf einmal wieder heller, dunkelbraun. „Na schön, spielen wir mal eine Weile nach deinen Regeln“, sagte er lächelnd.
„Ich spiele überhaupt kein Spiel“, erwiderte Scarlett. Dennoch war sie überrascht. Jeder andere Dämon wäre ausgerastet und hätte sonst was veranstaltet, doch ausgerechnet dieser Dämon schien eine einzigartige Selbstbeherrschung zu haben.
Zachary verdrehte die Augen. „Wie du willst, vergessen wir das mit den Spielchen mal für eine Weile...“
„Das will ich dir auch raten“, knurrte Scarlett und nahm ihn nun direkt ins Visier, „Wir spielen hier keine Spiele, sondern geben dir eine Chance auf ein richtiges Leben in Frieden mit den Menschen. Dämonen wie du, denen sowieso alles egal ist und die sich nicht an die Regeln halten, werden früher oder später gnadenlos getötet...“
„Glaubst du wirklich, ich...“
„Und bei jemandem wie dir hat der liebe Gott keine Gnade!“, unterbrach Scarlett ihn barsch und sah ihn drohend an, „Also würde ich es mir noch mal überlegen, ob es nicht vielleicht eine Option wäre mal deine bescheuerte Ansicht der Welt zu vergessen und zu versuchen wie jemand ganz normales zu leben. Ist das möglich? Oder ist dein Erbsenhirn mit dieser Aufgabe überfordert?!“
Einen Moment lang herrschte Stille. Dann fing Zachary auf einmal an laut zu lachen und Scarlett zog eine Augenbraue hoch.
„Mann Mädchen, du machst mich fertig!“, lachte Zachary kopfschüttelnd und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „So jemand wie du ist mir wirklich noch nicht begegnet.“
Scarlett legte den Kopf schief. Dieser Dämon war ihr noch suspekter als sie gedacht hatte.
Zachary schüttelte noch immer nur grinsend den Kopf. Aus irgendeinem Grund schien er auf einmal ziemlich amüsiert zu sein und sein Grinsen wirkte nicht mehr ganz so herablassend. Auch seine Augen waren nun um einiges heller und von einem satten rotbraun. Dies schien seine eigentliche Augenfarbe zu sein, auch wenn Scarlett nicht wusste, wie er es schaffte, dass seine Augenfarbe wechselte. Und das schien sie je nach seiner Laune zu tun, es war faszinierend und irgendwie geheimnisvoll, anders konnte man es nicht beschreiben.
In dem Moment hörte Scarlett wie der Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde und sie drehte sich zur Tür um. „Du bist echt ein komischer Dämon.“
„Und du bist genauso ein komischer Mensch.“ Zacharys Stimme klang sogar ein wenig herausfordernd, bevor er wieder anfing zu knurren.
Sebastian öffnete die Tür und Zachary schien zu versuchen sich von den Ketten loszureißen, was aber misslang. Scarlett wunderte sich zwar noch immer ein wenig über Zacharys Aggressivität gegenüber Sebastian, doch sie zuckte nur mit den Schultern und verließ den Raum.
„Macht es dir so einen Spaß, dir sein Geknurre anzuhören, oder warum warst du schon wieder so lange da drin?“, fragte Sebastian nur mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„Hm.. vielleicht“, sagte Scarlett nur lächelnd. Sie wusste nicht warum, aber sie hatte irgendwie gute Laune. Zwar regte dieser Dämon sie auf, doch auch wenn sie es an einigen Stellen nicht wahrhaben wollte, war er etwas Besonderes. Etwas Besonderes mit einer gewöhnungsbedürftigen Persönlichkeit, wohl bemerkt.
Sebastian schüttelte den Kopf. „Ich nehme mal an, dass wir dich morgen wieder sehen werden.“
„Gut geraten“, sagte Scarlett nur.
Cecil und Ivan erzählte Scarlett sicherheitshalber nicht, was Zachary so gemacht hatte. Sie erzählte den beiden nur, dass dieser Dämon ein Rad ab hatte.
Am nächsten Tag war Samstag und Scarlett schlief erst mal richtig aus. Irene und Bianca hatten sie auf einen Einkaufsbummel eingeladen, doch bis dahin war noch Zeit. Ausnahmsweise musste sie ja nicht arbeiten. Die beiden Mädchen hatten auch reichlich überrascht gewirkt, als Scarlett ihre Einladung nicht wie sonst ausgeschlagen hatte, weil sie eigentlich immer arbeiten musste. Beim Anziehen musste Scarlett nur aufpassen, dass sie nicht aus Versehen ihre Arbeitskleidung anzog. Sollten die beiden ihr aus irgendeinem Grund auch mal während der Arbeit über den Weg laufen, durften sie sie auf keinen Fall erkennen und deshalb durfte Scarlett ihre Arbeitskleidung, die die scharlachrote Bluse und die weiße Hose ja waren, nicht bei normalen Ausflügen tragen. Stattdessen nahm sie ein hellgraues Shirt mit dreiviertellangen Ärmeln und eine rote Hose. Zum Schluss band sie noch ihre Haare zu einem Pferdeschwanz hoch und machte sich auf den Weg.
Wie immer war sie die Erste von ihnen und dabei war sie selbst zwei Minuten zu spät dran, weil sie sich zuvor noch mit Rebecca verquatscht hatte. Gute zehn Minuten später erst tauchten ihre beiden Freundinnen auf.
„Und ihr wundert euch, dass ich lieber alleine zur Schule gehe.“ Scarlett schüttelte lediglich den Kopf, was sie in letzter Zeit irgendwie öfter tat.
„Wahre Freunde halten zusammen, in guten wie in schlechten Zeiten“, erwiderte Irene daraufhin giftig.
„Dumm nur, dass die schlechten Zeiten irgendwie schon immer über uns hängen und ich es mir nicht erlauben kann, jeden Tag zu spät zu kommen“, entgegnete Scarlett schlicht.
„Du kannst noch was erleben, verlass dich drauf“, sagte Irene gereizt.
„Wollen wir dann?“, fragte Bianca lächelnd.
„Aber sicher doch“, antwortete Scarlett und streckte sich, „Ist schon ´ne Weile her, seit ich mal einen kompletten freien Tag hatte.“
„Das stimmt allerdings, ich kann mich schon gar nicht mehr daran erinnern“, sagte Irene nur resigniert.
Sie machten sich schwatzend auf den Weg und Scarlett genoss den Tag in der Stadt. Das letzte Mal, dass sie so einen freien Tag hatte, lag wirklich schon Jahre zurück. Wahrscheinlich war es sogar noch vor ihrer Ausbildung zum Hunter gewesen. Auf jeden Fall genoss sie das Eis an der Eisdiele und Irenes und Biancas Gesellschaft. Es war doch etwas anderes mit Mädchen Schoppen zu gehen, als mit zwei Jungen Dämonen zu jagen oder zu trainieren. Etwas ganz anderes.
Erst so gegen fünf verabschiedeten sich die drei Mädchen wieder voneinander. Es war nur noch ein Katzensprung bis zum Hauptgebäude von Avalon und Scarlett machte sich fliegenden Schritts auf zu den Mietshäusern. Als sie sich umgezogen hatte, lief sie Ivan in die Arme.
„Huch, wo soll´s denn hin gehen?“, fragte Ivan nur ein wenig überrascht.
„Ich will mal wissen, was unser Dämon denn heute wieder angestellt hat“, sagte Scarlett schmunzelnd. Vielleicht hätte sie Sebastian noch sagen sollen, dass lieber niemand versuchen sollte Zachary die Haare zu schneiden.
„Da du dich ja schon so drauf zu freuen scheinst, will ich dich nicht weiter aufhalten“, sagte Ivan, „Ich lass mir endlich diesen Verband an meinem Schädel abnehmen.. sie hört mir gar nicht zu...“
Scarlett lief über das Gelände hinüber zum Hauptgebäude. Inzwischen kannten die Wärter sie schon und Scarlett brauchte noch nicht mal ihren Ausweis vorlegen. Im zweiten Untergeschoss entdeckte sie allerdings nirgendwo Sebastian. Als ihr das Suchen zu langweilig wurde, ging sie spaßeshalber einfach nach hinten zu dem Raum, in dem Zachary untergebracht war. Die Tür war sogar nur angelehnt und Scarlett hörte Keiths wütendes Gefluche. Vorsichtig steckte sie den Kopf durch die Tür und spähte in den Raum. Keith fuchtelte mit der Fernbedienung für das Elektroschock-Halsband in der Luft herum und daran, dass Zachary des Öfteren zusammenzuckte und sein Knurren immer bedrohlicher wurde, nahm Scarlett an, dass Keith von der Fernbedienung fleißig Gebrauch machte.
Als sie sich das einige Sekunden lang angesehen hatte, betrat Scarlett vorsichtig den Raum und lehnte die Tür wieder an. Die beiden Streithähne hatten sie auch noch nicht bemerkt. Keith war vollkommen in seine Flüche und Beschimpfungen vertieft und Zachary ließ ihn nicht aus den Augen und knurrte für eine ganze Horde aufgebrachter Hunde.
„Dürfte ich mal fragen, was ihr da macht?“
Keith zuckte erschrocken zusammen und ließ beinahe die Fernbedienung fallen. Dann drehte er sich um und sah Scarlett aufgebracht an. „Was suchst du hier drin?! Kinder gehören hier nicht nach unten und schon gar nicht, wenn ich meine Arbeit mache!“
„Für mich sieht es zwar mehr nach einem einfachen Streit aus, aber mir soll´s auch egal sein“, sagte Scarlett lediglich gelassen, „Was auch immer ihr da macht, ich glaube, ihr könnt es für ein paar Minuten unterbrechen und mal eine Pause machen.“
„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“ Keith machte einen Schritt in Scarletts Richtung und Zachary, der aufgehört hatte zu knurren, als er Scarlett bemerkt hatte, fing wieder an drohend zu knurren und zog an den Ketten.
Keith schien nicht ganz zu wissen, um wen von beiden er sich zuerst kümmern sollte. Scarlett oder den Dämon?
Scarlett ging unterdessen an dem Bändiger vorbei und stellte sich vor Zachary. Sie sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Was veranstaltest du hier eigentlich? Du übertriffst mit deinem Geknurre ja die besten Wachhunde.“
Zacharys linkes Auge schien zu zucken und er beschränkte sich auf ein leises Fauchen.
„Was denn? Redest du nicht mehr mit mir?“, fragte Scarlett und beugte sich zu ihm vor. Sie wusste selber nicht, warum sie heute so ein Selbstbewusstsein hatte und ihre Laune sich nicht trügen lassen wollte.
„Was machst du da bitte schön?“, fragte Keith nur mühsam beherrscht.
„Ich rede mit der Kratzbürste da auf dem Bett“, antwortete Scarlett, „Mit dem Etwas da, das die ganze Zeit wie eine Meute Hunde knurrt.“
„Du wirst mir langsam ein ganzes Stück zu überheblich“, bemerkte Zachary nun auf einmal mit einem schiefen Grinsen im Gesicht.
„Ich und überheblich?“ Scarlett drehte sich grinsend um. „Wir kommst du denn auf die Idee?“
„Nur so ein Gefühl“, sagte Zachary und sein Mundwinkel zuckte.
Scarletts Grinsen wurde breiter und sie verkniff sich ein Lachen über Zacharys schiefes Gesicht. Als sie sich dann wieder umdrehte, musste sie endgültig lachen. Keith war sein Gesicht vollkommen entgleist und er starrte sie und Zachary verdattert an. So fassungslos hatte sie ihn noch nie gesehen und sie hielt sich den Bauch vor Lachen. Zachary, der den Bändiger ebenfalls kurz angesehen hatte, schien ein Lachen über dessen Gesicht zu unterdrücken und grinste nur.
In dem Moment betrat Sebastian den Raum und seine Augenbrauen wanderten nach oben. Das Bild, das sich ihm bot, war einfach zu verrückt. Scarlett, die sich vor Lachen schon fast krümmte, Keiths fassungsloses Gesicht und ein grinsender Dämon auf dem Bett, der anscheinend auch kurz davor war zu lachen. Allerdings bemerkte er in dem Moment Sebastian und fing sofort wieder an zu knurren.
Scarlett beruhigte sich auch langsam wieder und keuchte vom Lachen. „Ich kann nicht mehr...“, murmelte sie nur kopfschüttelnd.
Keith schien in dem Moment Sebastian zu bemerken und sammelte schnell seine Gesichtszüge wieder ein.
„In Ordnung, ich würde nun aber auch gerne mal wissen, was hier los ist“, sagte Sebastian und verkniff sich ein Grinsen, „Ich hab dich ja schon lange nicht mehr so lachen gehört Scarlett und Keith, dein Gesicht hättest du eben mal im Spiegel sehen sollen.“
„Ich hab nur über Keiths Gesicht gelacht“, bemerkte Scarlett und versuchte nicht nochmal daran zu denken. Doch sie musste schon wieder kichern und sah zur Seite, als Keiths wütender Blick auf sie fiel.
„In Ordnung, was hat dich denn dazu veranlasst, dermaßen fassungslos zu sein, Keith?“, fragte Sebastian daraufhin diplomatisch.
„Diese Brut da.“ Keith deutete auf Zachary. „Wir dachten, das Biest kann nicht sprechen, aber er kann es sehr wohl...“
Zachary schien es gar nicht zu gefallen als Brut oder als Biest bezeichnet zu werden, denn er fauchte und zog schon wieder an den Ketten.
Sebastian hob nur eine Augenbraue. „Stimmt das?“ Er sah den Dämon an.
Zacharys Fauchen ging in ein tiefes Knurren über.
„Er hat gesprochen“, sagte Keith aufgebracht, „Frag doch die Göre da.“
Scarlett gefiel es auch nicht als Göre bezeichnet zu werden. „Also ich höre nur Fauchen und Geknurre.“
Keith starrte sie wutentbrannt an und Scarlett verkniff sich ein schadenfrohes Grinsen.
„Na dann komm“, sagte Sebastian und packte den vor Wut sprachlosen Keith am Kragen, „Wir können hier auch später weiter machen.“
Die Tür schloss sich und Scarlett grinse breit. Das geschah Keith nur recht. Wer so unfreundlich war, musste sich über die Konsequenzen nicht wundern.
„Na auf deine Abschussliste möchte ich nicht geraten“, bemerkte Zachary grinsend.
Scarlett drehte sich lächelnd um, doch ihr fiel erst jetzt etwas auf. „Du hast dich ja umgezogen.“
„Warum auch nicht?“, fragte Zachary nur lächelnd. Nun trug er eine saubere, schwarze Hose, ein schneeweißes Hemd und eine elegante, dunkelblaue Weste mit einigen goldenen Stickereien. Es waren die Klamotten, die Scarlett gestern auf dem Tisch gesehen hatte. Sie sahen richtig edel aus und passten perfekt zu Zachary.
„Wie komme ich denn dazu?“, fragte Scarlett stirnrunzelnd.
„Ich hab doch gesagt, dass ich es hier versuchen werde“, sagte Zachary und sein Grinsen wurde spitz, „Ich hatte schon lange keine richtige Herausforderung mehr.“
„Du lernst es wohl wirklich nicht“, seufzte Scarlett resigniert. Anscheinend sah er das Ganze immer noch als ein Spiel an, also hatte ihr gestriger Wutausbruch leider nichts gebracht.
„Ich denk noch nicht mal daran.“ Zacharys Grinsen wurde breiter, doch es wirkte nicht mehr so herablassend wie am Anfang. Seine Augen hatten einen schönen, rotbraunen Ton und nun war Scarlett sich sicher, dass dies seine richtige Augenfarbe war. Sie war sehr schön und auch außergewöhnlich, wie sie zugeben musste.
Auf seinen Kommentar hin schüttelte Scarlett allerdings bloß den Kopf. Dieser Dämon war unbelehrbar.
„Ich hab Hunger“, murmelte Zachary nach einer Weile und ließ sich nach hinten auf die Kissen fallen, „Weißt du, wann es hier mal was zu essen gibt?“
„So genau weiß ich das nicht“, sagte Scarlett, „Aber wenn sie dir was geben, wird es.. Menschenfraß sein, wie du es wahrscheinlich nennen würdest.“
„Igitt“, brummte Zachary nur resigniert und seufzte.
„Tut mir leid, aber da müssen alle Dämonen durch“, bemerkte Scarlett lächelnd. Sie war froh, dass sie mit Zachary endlich Frieden geschlossen hatte. Wahrscheinlich konnte er sie immer noch nicht wirklich leiden, doch wenigstens ließ er es sich nicht anmerken.
In dem Moment fiel Zacharys Blick auf sie und wenn man über das eben Gesagte noch mal genauer nachdachte, war Scarletts Reaktion nicht verwunderlich. Sie trat nämlich sicherheitshalber einen Schritt zurück. Zachary grinste daraufhin nur.
„Du vertraust mir wohl nicht“, stellte er amüsiert fest.
„Wieso sollte ich auch?“, erwiderte Scarlett trocken, „Vor drei Tagen wolltest du mir an die Gurgel, hast mich sogar gebissen, gestern hast du mich als Nachmittagsmahl bezeichnet und bedroht.. Habe ich noch was vergessen?“
Zachary kicherte nur. „Nein, soweit ich mich erinnere nicht.“
„Gut.“
„Oje, was muss ich eigentlich tun, damit du mir vertraust?“, fragte er auf einmal lächelnd.
Scarlett sah ihn etwas überrascht an. „Mach die Ausbildung mit und lerne dich wie ein Mensch zu benehmen.“
Zachary seufzte. „Wieso wusste ich, dass die Antwort kommt?“
„Woher soll ich das wissen?“
Zachary grinste wieder. Dann fiel ihm allerdings eine seiner Haarsträhnen, die schon die ganze Zeit so auf halb acht gehangen hatte, über die Schulter und kitzelte ihn an der Nase. Zachary nieste kräftig und rieb sich die kribbelnde Nase.
„Im offenen Zustand sind sie manchmal wirklich unpraktisch“, stellte er fest und schob die Strähne wieder über seine Schulter.
Scarlett musste sich ein Lachen verkneifen. Schließlich schüttelte sie den Kopf und zog an dem weißen Band, mit dem sie ihre Haare hochgebunden hatte. Es löste sich und ihre Haare fielen ihr wieder über die Schultern.
Zachary sah sie etwas verwirrt an.
„Brauchst du so was?“, fragte Scarlett lächelnd.
„Meine Nase würde es auf jeden Fall gutheißen.“
„Hier“, sagte Scarlett und hielt ihm das lange Band hin.
„Mach du das, mit den Ketten kann ich das nicht, die sind im Weg“, sagte Zachary und zog demonstrativ an einer der beiden Ketten, die nach wie vor an seinem Halsband befestigt waren.
„Nein.“
Zachary sah sie an. „Hast du so eine Angst vor mir?“
„Nein, aber ich traue dir nicht.“
Er verdrehte die Augen. „Ich mach nichts, versprochen.“
„Kann ich dir vertrauen?“, fragte Scarlett zweifelnd.
„Ja, es sei denn du willst einfach nicht.“
Scarlett sah ihn einige Sekunden lang an, dann seufzte sie. Aus ihrer Tasche holte sie die Fernbedienung. „Nur zur Erinnerung, falls du etwas versuchen solltest, habe ich immer noch das Ding.“
„Schon gut“, sagte Zachary und fing wieder an zu grinsen. Er drehte sich mit dem Rücken zu ihr und starrte an die Wand.
Scarlett überlegte noch einen Moment, doch dann gab sie sich einen Ruck und trat hinter ihn. Die zweite Kette war jedoch im weg. Scarlett zögerte nicht lange, zog sie hoch und schob sie über seinen Kopf.
Zachary krächzte nur. „Du willst mich wohl erwürgen.“
„Das ist natürlich auch eine Möglichkeit“, überlegte Scarlett laut.
„Du bist echt unmöglich“, murmelte Zachary resigniert.
Scarlett lächelte, doch dann fiel ihr etwas auf. „Deine Haare sind ja gewaschen.“
„Jo, und danach hab ich diesen braunhaarigen Typ mit dem Elektro-Schaden gebissen“, grinste Zachary.
„Jetzt wundert es mich nicht mehr, dass Keith so ausgerastet ist“, stellte Scarlett nur resigniert fest, „Und scheinst ja auch noch stolz drauf zu sein.“
Sie wusste, dass der Dämon vor ihr grinste und schüttelte nur den Kopf. Dann fuhr sie mit den Fingern durch seine Haare, denn leider hatte sie hier unten keine Bürste, weshalb sie nur ihre Finger nehmen konnte. Sie musste jedoch zugeben, dass Zachary schöne Haare hatte. Ein wenig verwildert waren sie vielleicht, doch trotz allem schienen sie ganz gut gepflegt zu sein. Einige der Kletten löste sie mit den Fingern, dann sammelte sie die langen Strähnen am unteren Haaransatz zusammen. Zachary hielt die ganze Zeit über still und sah nur stumm zur Wand. Scarlett musste irgendwie lächeln, denn er schien das ja schon fast zu genießen. Als sie sich dann sicher war, dass sie alle langen Haare erwischt hatte und seine kürzeren Strähnen draußen blieben, fasste sie die langen Haarsträhnen zu einem Zopf zusammen.
„Komm aber ja nicht auf die Idee eine Schleife reinzumachen, dann beiß ich dir den Arm ab“, bemerkte Zachary, doch er klang irgendwie entspannt.
Scarlett musste Grinsen. „Komisch, ich hatte gerade Lust dazu.“
„Wage es ja nicht, ich halte meine Versprechen“, drohte Zachary lächelnd.
„Schon gut, jetzt lass mich machen.“ Scarlett wickelte das lange, weiße Band mehrere Male um die zusammengefassten Haare. Es sah schon fast so ähnlich aus wie der Verband an ihrem Arm. Dann knotete sie die beiden Enden des Bandes zusammen und nahm sicherheitshalber gleich einen Doppelknoten. Sie trat zurück und betrachtete ihr Werk. Das weiße Band passte wunderbar zu seinen schwarzen Haaren und der Zopf war ihr ganz gut gelungen. In dem Moment drehte Zachary sich wieder um und sah sie an. Er hatte ein schiefes Grinsen im Gesicht.
„Wie wäre es mal mit einem Danke?“, fragte Scarlett nach einigen Sekunden und verschränkte die Arme vor der Brust.
Zacharys Augenbraue wanderte nach oben. „Wie wäre denn ein Danke von dir? Ich hab dich nicht gebissen, obwohl ich es die ganze Zeit konnte.“
„Wer wollte denn seine nervigen Haare loswerden?“, fragte Scarlett und beugte sich vor, „Ich glaube, das warst du, mein Freund.“
„Nun bin ich also dein Freund“, stellte Zachary grinsend fest.
„Das sagt man nur so“, wehrte Scarlett ab.
„Ach ja?“
„Ja“, knurrte Scarlett, „Du musst gar nicht übermütig werden. Ich kann dir immer noch einen Elektroschock verpassen.“
„Och nö neh?“ Zachary sah sie schief an. „Verschon mich. Dank diesem Keith oder wie er auch heißt habe ich schon genug Kopfschmerzen.“
„Hast doch selber Schuld, wenn du ihn beißt“, bemerkte Scarlett.
„Er hat mich provoziert.“
„Das kann er gut.“
„Und dann wundert er sich über die Konsequenzen.“
„Meine Meinung.“
„Dann verstehen wir uns.“ Zachary grinste.
„Ich denke schon“, sagte Scarlett und lächelte ebenfalls.
In dem Moment wurde das Schloss aufgeschlossen. Die Tür öffnete sich und Zachary fing sofort wieder an drohend zu fauchen. Es waren jedoch Cecil und Ivan, die da in der Tür standen. Hinter ihnen stand noch Sebastian und sah mit einer hochgezogenen Augenbraue zu Scarlett.
„Hey“, sagte Cecil, „Wir wollten dich so langsam mal abholen...“
Zacharys lautes Knurren ließ Cecil verstummen und auch Ivan sah den Dämon zweifelnd an, der sich da gerade schon wieder gegen die Ketten lehnte.
Scarlett seufzte nur und da sie noch schräg neben Zachary stand, haute sie ihm mit der Faust leicht gegen den Kopf. „Jetzt ist mal gut. Du hast für heute wirklich genug geknurrt. Es wundert mich, dass du davon noch nicht heiser geworden bist.“
Zachary stöhnte. „So schnell werde ich nicht heiser.“
Scarlett hob nur wieder ihre Faust. „Trotzdem geht mir das langsam auf die Nerven, also lass es sein.“
Zachary knurrte leise, woraufhin sie erneut zuhauen wollte, doch er duckte sich und rutschte schnell ans Kopfende des Bettes. „Rette mich einer vor dieser...“
„Noch ein Wort und du wirst noch wesentlich schlimmere Kopfschmerzen haben!“, unterbrach Scarlett ihn und knackte mit den Fingerknöcheln.
Cecil, Ivan und auch Sebastian sahen sie nur verdattert an und schienen nicht so ganz glauben zu können, was sie da sahen. Der Dämon, der vor noch nicht mal vollen drei Tagen versucht hatte sie umzubringen, bei dem die Bändiger und alle anderen immer auf ihre Glieder aufpassten mussten, verhielt sich gegenüber Scarlett wie ein ganz normaler Junge. Irgendetwas lief hier nicht ganz richtig. Es war nur die Frage, was nicht richtig tickte.
Zachary grinste breit und Scarlett schüttelte den Kopf. Dann drehte sie sich zu den anderen um und musste bei ihren Gesichtern prompt anfangen zu lachen. Auch Zachary wirkte ziemlich amüsiert und grinste noch breiter.
„Darf ich vorstellen“, sagte Scarlett schließlich kichernd, „Sein Name ist Zachary und seit gestern hat er angefangen mit mir zu reden.“
Die anderen sahen sie immer noch verdattert an und inzwischen gesellte sich auch Keith dazu. Er schien zuvor bereits Zacharys Stimme gehört zu haben, so wie er mit dem Finger auf ihn und Scarlett zeigte.
„Ich hab dir doch gesagt, dass er spricht!“, sagte Keith zu Sebastian und zeigte dann allein auf Scarlett, „Und sie hat gelogen, sie hat es gerade selber zugegeben. Du kleine Göre, dafür wirst du noch büßen!“
„Wer würde dir bei deiner Unfreundlichkeit schon helfen?“, fragten Scarlett und Zachary gleichzeitig unfreundlich.
Keith entglitten die Gesichtszüge und Sebastian fing auf einmal an zu lachen. Cecil und Ivan schüttelten nur die Köpfe. Dann betraten die beiden Jungen den Raum und traten neben Scarlett.
„So sieht unser Dämon also inzwischen aus“, stellte Ivan nur skeptisch fest.
„Ich gehöre niemandem“, entgegnete Zachary gereizt. Seine Augen schienen wieder ein klein wenig dunkler zu werden.
„Wenn du ihr auch nur ein Haar gekrümmt hast, wird es dir noch leidtun“, sagte Cecil drohend.
„Soll ich jetzt Angst vor dir haben?“, fragte Zachary unbeeindruckt.
„Das würde ich dir raten“, erwiderte Ivan und seine Augen wurden schmal.
„Jungs, würdet ihr mal aufhören euch anzugiften“, forderte Scarlett augenrollend.
Zachary grinste nur. „Habt ihr Angst, dass ich eurer Freundin etwas antue?“
Cecils und Ivans Blicke wurde finster. Neben den beiden leuchteten längliche, schwarze Lichter.
„Lasst das ihr zwei!“, sagte Scarlett überrascht und erstaunt zugleich. Sie stellte sich vor Zachary.
„Wenn du sie auch nur anrührst, wirst du dafür büßen“, sagten Cecil und Ivan gleichzeitig und Scarlett lief bei ihren Stimmen beinahe ein Schauer über den Rücken. Was war denn mit den beiden los?
Zacharys Grinsen wurde jedoch breiter.
„Wenn ihr kämpfen wollt, macht das wo anders, aber nicht hier drinnen“, sagte Keith genervt und betrat ebenfalls den Raum, „Nur wir Bändiger dürfen innerhalb der Verwahrungsräume Waffen verwenden, das solltet ihr eigentliiii...“
Keith stolperte über eine Falte im Teppich und taumelte nach vorne. Er stieß gegen Cecil, der wiederum aus Versehen Scarlett einen Schubs gab, die daraufhin nach hinten kippte. Sie schaffte es noch sich zu drehen, doch sie stieß Zachary mit um, der eigentlich noch hinter ihr auf dem Bett gesessen hatte. Beide landeten auf der Matratze. Scarlett stützte sich mit den Händen ab und schüttelte den Kopf, ehe sie verwirrt feststellte, dass sie genau über Zachary war und sich gerade mit den Händen an seiner Brust abstützte.
„Das kam überraschend“, stellte Zachary fest und blinzelte.
Noch ehe Scarlett etwas sagen konnte, wurde sie am Kragen ihrer Bluse gepackt und wieder auf die Füße gezogen, weg von Zachary. Sie krächzte nur, da ihr das die Luft abschnürte. Cecil stand derweil schon mit Zessiro in der Hand vor dem Dämon und Scarlett vermutete Ivan hinter sich.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Cecil ernst und ließ Zachary dabei nicht aus den Augen.
„Wie er schon gesagt hat, es kam nur ziemlich überraschend“, krächzte Scarlett und zog vorne an ihrer Bluse, damit sie wieder Luft bekam.
„Wir haben dich eben schon gewarnt“, sagte Cecil nun zu Zachary und hob sein Schwert.
„Hey, ich habe nichts gemacht!“, erwiderte der Dämon ein wenig überrascht.
„Das kannst du jemand anderem erzählen, außerdem haben wir auch noch eine Rechnung offen“, konterte Cecil und stach mit dem Schwert zu.
Zachary war allerdings schnell ein Stück weiter nach rechts gerückt und konnte so dem Schwerthieb entkommen.
Keith wollte gerade dazwischen gehen, doch Sebastian hielt ihn an der Schulter fest. „Das sollen die vier mal unter sich austragen.“
„Aber...“, setzte Keith an, doch Sebastian verstärkte seinen Druck auf Keiths Schulter und dieser verzog das Gesicht.
Scarlett sah Cecil entgeistert an. „Lass den Quatsch, Cecil!“
Ivan ließ sie in dem Moment ebenfalls los und in seiner Hand lag bereits Xavier, seine Lanze. Scarlett starrte die beiden Jungen einen Moment lang verdattert an, als diese wirklich wieder zum Schlag ausholten. Zachary war durch die beiden Ketten auch so sehr eingeschränkt, dass er nicht beiden gleichzeitig ausweichen können würde.
Scarlett stellte sich kurzentschlossen schnell vor ihn. Ivan wollte sie daraufhin wieder zur Seite schieben, doch da sie sich dagegen wehrte, stieß er sie am Ende an und Scarlett fiel wieder rückwärts nach hinten. Sie saß auf der Matratze und Zachary, der hinter ihr saß, hielt sie überrascht an den Schultern fest.
„Das wird langsam nervig“, stellte er nur resigniert fest.
„Ach nee“, sagte Scarlett und sie klang nicht weniger begeistert.
„Lass sie los.“ Cecil hob drohend sein Schwert und richtete es auf Zachary.
Scarlett kam in dem Moment eine Idee, auch wenn sie vielleicht auch ein bisschen gefährlich war. Dennoch hätte sie vor drei Tagen in dieser Position, dem Dämon direkt auf dem Silbertablett serviert, noch eine höllische Angst gehabt. Heute jedoch empfand sie nichts dergleichen.
„Ich bleib hier sitzen, bis Zessiro und Xavier wieder verschwunden sind“, sagte sie.
Cecil und Ivan sahen sie entgeistert an. „Das ist doch nicht dein Ernst?“
„Oh doch“, sagte Scarlett nur stur.
Zachary schien unterdessen schon zu merken, welchem Zweck die Aktion diente. Er grinste und beugte sich so weit vor, dass sein Kinn auf ihrer Schulter lag. Seine Augen hatten auch wieder ihre rotbraune Farbe angenommen. Er hielt sie immer noch an den Oberarmen fest. Allerdings hatte er seine Hand rechts direkt über ihrem Verband, doch er hielt sie dort nicht richtig fest, sodass es nicht wehtat.
„Treib´s nicht zu weit“, flüsterte Scarlett, ohne dass die beiden Jungen vor ihr es hörten.
„Keine Angst, ich beiß sich schon nicht“, grinste Zachary nur leise und sah genüsslich, wie Cecil und Ivan bald am Rad drehten.
Nach einem beinahe einminütigen Augenkampf zwischen Scarlett, Zachary, Cecil und Ivan, seufzten die zwei Jungen. Das Schwert und die Lanze verschwanden und sie sahen Scarlett aufgebracht an.
Diese lächelte nur leicht und Zachary ließ sie wieder los. Daraufhin stand sie auf und sah die beiden Jungen an. „Na also, es geht doch.“
„Bist du eigentlich wahnsinnig?“, fragte Ivan ungläubig, „Er hätte dir auch in den Hals beißen können und das...“
„Sehe ich aus wie ein Vampir?“, fragte Zachary resigniert.
Cecil und Ivan sahen ihn ungläubig an.
„Ich hab euch doch gesagt und ihr habt auch schon selber gemerkt, dass er nicht ganz normal ist“, bemerkte Scarlett, „So ganz vertraue ich ihm auch noch nicht, aber wie ihr seht, bin ich noch heil und an einem Stück.“
„Auch wenn ich es nicht glauben kann“, murmelte Cecil, „Ich hab schon viele als außergewöhnlich bezeichnete Fälle gesehen, aber so was, wie den hier, habe ich noch nie zu Gesicht bekommen.“
„Dann freu dich doch“, grinste Zachary und lehnte sich zurück, „So was wie mich wirst du auch nie wieder sehen.“
„Seine Persönlichkeit ist ein wenig gewöhnungsbedürftig“, räumte Scarlett leicht resigniert ein, „Aber ansonsten ist er ganz Ordnung.“
„Hey, ich werde gelobt, was für eine Ehre.“
„Du kriegst gleich was auf´s Dach!“, sagte Scarlett und drehte sich um.
„Bitte nicht, hab Gnade.“ Zacharys Grinsen konnte kaum breiter sein.
Cecil und Ivan schienen immer noch nicht fassen zu können, was sie da sahen, doch schließlich schüttelten sie die Köpfe.
„Na schön, aber du weißt hoffentlich, was dir blüht, wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst“, sagte Ivan zu dem Dämon.
„Tue ich das?“ Zachary legte den Kopf schief.
Scarlett schlug ihm daraufhin ihre Faust wieder gegen den Kopf, auch wenn ihr das jedes Mal selber wehtat. „Jetzt sag einmal was Vernünftiges wie: Klar weiß ich das. Oder sonst was. Zettel nicht schon wieder einen Kampf an!“
„Vernünftig ist langweilig“, entgegnete Zachary nur und rieb sich den Kopf, „Und da ich nicht mehr spielen darf, muss ich mich ja irgendwie anders beschäftigen.“
„Und deine Beschäftigung ist es, andere auf die Palme zu bringen, nehme ich mal an“, stellte Scarlett bloß resigniert fest.
Zacharys amüsiertes Grinsen war Antwort genug.
Cecil und Ivan sahen sich kurz an. Es war zwar eigentlich unglaublich, doch sie mussten sich wohl damit abfinden, dass dieser Dämon anders als die anderen war und sie ihn deshalb wohl auch anders behandeln konnten. Sie wussten nicht genau wieso, aber sie wurden das Gefühl nicht los, dass es zum Teil auch an Scarlett lag, dass dieser Dämon sich so seltsam verhielt. Schließlich aber gingen die Jungen und Scarlett wieder. Als Scarlett in der Tür stand, hielt sie sich noch mal inne.
„Und vergiss dein Versprechen nicht“, sagte sie nur über die Schulter.
Zachary lächelte, dann verschwanden die drei. Sebastian betrat daraufhin jedoch nochmal den Raum – er war vorhin mit Keith nach draußen verschwunden – und Zachary knurrte wieder leise.
„Hey, ich will dir nichts tun“, sagte Sebastian nur beschwichtigend.
„Was willst du dann?“, fragte Zachary mit drohender Stimme.
„Du interessierst mich“, antwortete Sebastian und lehnte sich neben der Tür an die Wand, „Wie die drei schon gesagt haben, einen Dämon wie dich haben wir hier noch nie gesehen.“
Zacharys Augen wurden schmaler und er knurrte wieder leise.
„Hey, immer mit der Ruhe. Ich habe nicht gesagt, dass ich irgendwie mit dir experimentieren will“, sagte Sebastian und hob die Hände, „Ich will nur ein bisschen was über dich wissen, wenn es dich nicht stört.“
„Kommt ganz drauf an, was du wissen willst“, erwiderte Zachary misstrauisch.
„Oje.“ Sebastian schüttelte nur den Kopf. „Ich sehe schon, anfangen tu ich wohl besser mit den weniger persönlichen Fragen.“
Zachary sagte nichts dazu.
„Wie kommt es, dass du die drei in der Wohnung am Leben gelassen hast, obwohl du sie mit Leichtigkeit hättest töten können?“, fragte Sebastian daraufhin, „Und wie schaffst du es eigentlich dem Drang zu widerstehen Scarlett zu beißen, wenn du ihr so nahe bist? So wie ich das sehe, ist sie doch für Dämonen ein wahrer Leckerbissen.“
Er hatte schon vor einiger Zeit gemerkt, dass Scarlett wohl irgendwie für Dämonen sehr gut roch oder etwas dergleichen, jedenfalls wurde sie beim Training meistens häufiger attackiert als die beiden Jungen. Es war als würde sie die Dämonen regelrecht anziehen. Gerade deshalb hatte er sie auch persönlich ausgebildet, denn sie war theoretisch gesehen immer dann in Gefahr, wenn ein Dämon in der Nähe war. Zum Glück nur hatte sie einen starken Willen und war nicht so zerbrechlich wie manch andere Mädchen, ansonsten könnte sie als Hunter nicht bestehen.
„Einfach so eine Laune“, antwortete Zachary, „Und wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich das durch.“
„Ich nehme mal an, dass du dir in den Kopf gesetzt hast, sie am Leben zu lassen?“
„Vielleicht“, sagte Zachary schlicht.
„Wie es aussieht, wirst du mir noch allerhand Schwierigkeiten machen“, seufzte Sebastian kopfschüttelnd. Dieser Dämon war wirklich das, was man als einen äußerst außergewöhnlichen Fall bezeichnen konnte. Obwohl er der wahrscheinlich stärkste Dämon hier bei Avalon war, war ausgerechnet er derjenige, der aus freien Stücken heraus darauf verzichtete Scarlett zu beißen, wo sie doch eine stark anziehende Wirkung auf alle Dämonen ausübte. So unberechenbar wie er war noch keiner der Dämonen, die Sebastian unter die Augen gekommen waren.
Zachary grinste daraufhin nur leicht. Genau das hatte er vor, wenn er schon hier festsaß. Er würde Schwierigkeiten machen, darauf konnte sich dieser Sebastian verlassen.