Die Beerdigung
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Allen voran tritt das Mädchen, das das Kreuz trägt durch das Tor des Friedhofes. Gefolgt von zwei Ministranten, dem Pfarrer, meiner Erd-Familie, Angehörige, Freunde und viele andere. Auf dem Friedhof haben sich bereits einige Personen eingefunden, die das Seelenamt nicht mitgefeiert haben.
Im offenen Teil der Friedhofskapelle ist mein Sarg aufgebahrt, der nun verschlossen ist. Ein weiß und lachsfarbenes Blumengebinde deckt den gesamten Sargdeckel ab. Links neben dem Sarg ein wunderschöner Kranz ebenfalls in weiß und lachsfarben gehalten. Rechts davon ein großes Blumenherz. Die Gärtnerin hat das wirklich wunderschön gestaltet. Die Blumen wirken sehr frisch und die Farben strahlen. Schade, dass sich so wenige der Anwesenden an dieser Blumenkunst erfreuen. Die Angehörigen nehmen links auf bereit gestellten Stühlen platz. Der Pfarrer steht mit den Ministranten vor dem Sarg. Rechts hat sich der Kirchenchor eingefunden. Sie singen unter anderem auch das Lied „So nimm denn meine Hände“. Dieses Lied habe ich bei der standesamtlichen Trauung meines jüngsten Sohnes auf dem Standesamt zum Abschluss als Solo gesungen. Das ist der Grund warum meine Schwiegertochter und mein jüngster Sohn nun besonders gerührt sind und schluchzen. Es folgen noch Gebete des Pfarrers. Ich werde diese Zeit nutzen um durch die Reihen der Trauergäste zu schweben. Rosalie, eine Frau mit der ich in guten Zeiten immer unterwegs war, hat gerötete Augen, sie denkt gerade an ihre letzte Begegnung mit mir im Pflegeheim. Damals fragte sie mich, ob ich es denn gewollte hätte, dass ich hier im Heim bin. Ich antwortete ihr, dass ich ja sonst nicht hier wäre, wenn ich es nicht gewollt hätte. Sie hat es mir nicht geglaubt. Nun ja, ich hatte ja keine Wahl. Meine Tochter wäre mit meiner Pflege überfordert gewesen. Meine Schwiegertöchter konnten es sich erst gar nicht vorstellen mich zu pflegen. So kam nur das Pflegeheim in Frage. Meine Schwägerin mit ihren Kindern und Schwiegerkindern. Sie denkt immer noch über meinen Bruder nach, fragt sich ob er irgendwo in der Menschenmenge ist. Nein, ist er nicht. Nachdem er sich als erster in der Kondolenzliste eingetragen hatte, ist er wieder verschwunden. Sie hat ihm nicht verziehen, was alles zu Ehezeiten geschehen war. Und weil sie dies nicht tat, ist sie immer noch an ihn gefesselt, nicht wirklich frei. Sie kann nicht anders.
Jetzt bin ich bei meinem Ex. Oh, Oh, na Alter, warum heulst du denn so, würde ich ihn gerne fragen. Er weint, weil er sich schuldig fühlt. Er weint, weil er mich nicht gegrüsst hat, als ich damals an ihm vorbei ging. Er weint, weil er mich nie besucht hat, obwohl er es gerne getan hätte. Mit seiner Neuen konnte er darüber nicht reden. Sie hätte ihn nicht verstanden. Er weint auch,weil er sich nicht sehr wohl fühlt, dort wo er nun sein Zuhause hat und sich nie zeigen kann wie er ist. Er hat Vorstellungen zu erfüllen, ihre Vorstellungen. Er weint auch um verpasste Chancen eine gute Beziehung zu unseren Söhnen aufzubauen. Ja, du bereust eine ganze Menge Alter. Ob du das klären kannst bist du selbst in der Kiste liegst? Vermutlich nicht. Wegen mir brauchst du nicht heulen, nicht mehr. Ich habe das Leid der Welt hinter mir gelassen. Leicht und befreit und seelenruhig bin ich. Wunschlos leicht.
So gleite ich durch die Reihen der Menschen und höre die Gedanken und sehe Tränen, die meist wenig mit mir zu tun haben. Eher mit ihrer eigenen Geschichte. So ist das mit den Menschen. Sie trauern um das unumgängliche Ende ihrer Körperlichkeit. Sie sind traurig, weil sie wissen, dass sie altern werden. Sie weinen, weil sie nicht wirklich lebendig sind oder sich nicht so fühlen. Sie betrauern ihren mangelnden Mut sie selbst zu sein und das gefangen sein in gesellschaftlicher Norm und Moral. Zugeben tun sie das nicht, also machen sie sich vor, dass sie wegen mir weinen. Ich weiß, dass dies nicht der Fall ist. Aber egal. Es kommt der Augenblick, an dem sie sich selbst nicht mehr belügen können, das ist gewiss. Spätestens, wenn ihr letztes Stündchen schlägt, dann spätestens beginnt die Stunde der Wahrheit. Dann wird unumstößlich klar, dass Mensch Irrlichtern statt dem wahren Licht gefolgt ist und dass der Schein des Geldes nichts ist gegen das Licht des Lebens.
Die Frage warum diese Erkenntnis nicht früher reift in den meisten Mitmenschen kann ich mir sparen. Sie reift, wenn sie reift. Es ist wie in der Natur. Alles folgt den Gesetzen des Lebens, der Natur. Auf fruchtbarem Boden reifen die Früchte anders als auf kargem, trockenen oder zu nassen Boden. Und die Frage warum der eine Same dahin fällt und ein anderer dort hin, darauf gibt es keine andere Antwort als: ES IST EINFACH SO.
Und da!? Da ist ja der Steinewerfer mit seiner Frau. Sie kamen nicht umhin zu meiner Beerdigung zu gehen, da sie ja auch im Kirchenchor mitsingen. Was habe ich mich zu Lebzeiten über euch geärgert, grün und blau habe ich mich wegen euch geärgert. Wenn diese beiden Steine in ihrem an meinen Garten grenzenden fanden wurde nicht lange überlegt und zack flogen sie über den Zaun hinüber in Nachbars Garten. Dies geschah auch mit fauligem Obst oder Schnecken. Da ich meinen Garten sehr liebte, hat mich dies natürlich sehr geärgert. Auf diese Art Nachbarn kann Mensch gut und gerne verzichten. Rosalie berichtete mir, dass sie beobachtet hätte, dass der Steinewerfer sich nicht zu schade war als ich im Krankenhaus lag des nachts meinen prachtvollen Endivien zu klauen. Man stelle sich das vor. Heute berührt mich dies alles nicht mehr. Ich bewege mich nun in anderen Welten.
Nun gehen vier Sargträger zu meinem Sarg und greifen nach den mit weißen Taschentüchern umkleideten Griffen. Der Sarg liegt auf einer rollbaren Bahre und sie rollen ihn nun über eine Rampe hinunter auf den Weg der zu meinem Grab führt. Meine Kinder und die Familie folgen, danach alle anderen Anwesenden. Das letzte Stück zur ausgehobenen Grabstätte müssen sie mich tragen. Sie stellen am Grab meinen Sarg auf die bereitliegenden Hölzer, die quer über dem Grab liegen. Menschen sind immer wieder betroffen wenn sie unmittelbar an diesem an die zwei Meter tiefen Loch stehen, in das der Sarg hinab gelassen wird. Erde zu Erde Staub zu Staub.
Ein tiefes Loch für eine Hülle, die der eine gern, der andere voller innerer Ablehnung getragen hat.
Ich bin darüber dankbar diese alte, verbrauchte und kranke Hülle abgelegt zu haben.
Aus meiner Perspektive sieht die Welt nun völlig anders aus.
Nach und nach treten die meisten Anwesenden an mein Grab. Manche werfen Blumen in die Tiefe.
Einen letzten Gruß nennen das die Menschen. Sie sollten die Blumen den Lebenden schenken, das wäre sinnvoller.
Plötzlich bemerke ich, dass ich nicht alleine hier bin, wo ich bin. Ich staune nicht schlecht, als ich meinen vor vielen vielen Jahren tödlich verunglückten Ehemann auf der Bank und der Linde in der Mitte des Friedhofes genüsslich eine Zigarette rauchen sehe. Jung, zufrieden und freudig lächelt er mir zu. Ich kann nicht anders als ihn anstarren. Ich weiß er ist nur wegen mir da. Und ich weiß, dass er mir den Weg zeigen wird, wohin auch immer. Gewiss ist, dass mich nichts abhalten wird ihm zu folgen. Er ist da, weil ich es bestimmt hatte. Immer wenn ich zu Lebzeiten an seinem Grab stand, es ist das gleiche Grab, in dem nun mein Erdenleib liegt, habe ich ihm gesagt, wir werden uns wieder sehen. Und so ist es. Es ist noch eine große Distanz zwischen uns. Es liegt an mir auf ihn zuzugehen. Er wird warten, bis ich komme. Wie ein kleiner Wirbel sause ich nochmals wie ein übermütiges Kind durch die Reihen. Ohne Wehmut und ohne jeglichen Wunsch. Meine Kinder nehme ich eins nach dem anderen in die Arme und küsse sie . Sie werden auch bald den Friedhof verlassen und mit ihnen auch ich. Nun beginnt eine Reise in eine neue Dimension. Eine Reise, ohne Reisefieber, eine Reise die niemals enden wird.
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Eins ist gewiss, wir sehen uns wieder.
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Mach´s gut, bis dann!
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