Krimis & Thriller
Freundschaftsanfrage

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"Freundschaftsanfrage"
Veröffentlicht am 16. Februar 2012, 22 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Freundschaftsanfrage

Freundschaftsanfrage

Kapitel 1: Ouvertüre

Das Mädchen, das man im dunklen Kellereingang gefunden hatte, war kaum mit dem zu Vergleichen, das man auf den fein säuberlich eingeklebten Bildern des Familienalbums sehen konnte. Die bleiche Haut hing schlaff und eingefallen um ihr Gesicht und stand in einem starken Kontrast zu den rot glühenden Ringen um die müden Augen. Zusammengekauert, fern von jeglichem Anzeichen aufrechten Ganges, taumelte sie auf ihren schwachen Beinen hin und her. Das bizarre Licht der Deckenlampe, die zwar erst letzte Wochen vom Herren des Hauses ausgetauscht, aber wahrscheinlich durch die starke Erschütterung des gewaltsamen Eindringens sprichwörtlich die Fassung verloren hatte, schien flackernd auf das surreale Szenario herab. Die Luft war verbraucht und klamm, wie die Mauern die diesen Raum vom Erdreich trennten. Von der Außenwelt, die mit hektischer Hysterie den Problemen nacheilte, für die sie selbst verantwortlich war. Der Lärm der Straße war kaum noch wahrnehmbar, so massiv waren die Wände des alten Anwesens sogar unterirdisch gebaut worden. Das erdrückende Gefühl einer schließenden  Fahrstuhltür, mit dem Vertrauen, der Hoffnung, darauf, dass sie sich am gewünschten Ziel wieder öffnen möge, traf den Beamten ohne Vorwarnung. Ihm war nie bewusst gewesen, dass in ihm so was wie Platzangst oder Beklemmung vorhanden war. Vielmehr wunderte es ihn allerdings, dass er nicht das Erfolgsgefühl empfand, das er normalerweise hätte empfinden sollen. Für gewöhnlich wären in solchen Momenten alle in ihm verankerten Alarmglocken eingeschaltet worden. Für gewöhnlich hätte er sich, seinem Gefühl treu, in eine gesicherte Ausgangsposition versetzt. Für gewöhnlich war er kein Mensch der eine Unachtsamkeit durchließ. Nicht wenn das Leben einer Person auf dem Spiel stand.

Doch dieser Tag war nicht gewöhnlich. Denn für gewöhnlich wäre er an diesem Tag nicht gestorben

Kapitel 2: Eve Sanger

Es wurde immer stürmischer. Langsam legten sich die Wolken auch vor den letzten Rest freien Himmels, der vor wenigen Minuten noch strahlenden Sonnenschein preisgab. Vor wenigen Minuten, als Karl gegangen war um die Miete abzuholen. Eve Sanger konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie darüber nachdachte, dass ihm noch ein 15-minütiger Fußmarsch nach Hause bevorstand. Sie hatte dem Alten zwar ständig geraten einmal den Wagen durchchecken zu lassen, aber er beharrte auf seiner Meinung, dass sein alter Offroader schon zu lange auf der Jagd für einen Totalausfall war. Ironischerweise sah der Offroader das anders und blieb vor einer Woche im Schlamm stecken. Langsam ließ Eve das Weinglas sinken, das sie soeben geleert hatte. Dann lauschte sie auf die letzten Töne der Sonate, die im Hintergrund lief und seufzte, als sie zum Bildschirm ihres Laptops herüber sah, der schon seit einigen Minuten dasselbe Bild wiedergab. Schnell entschied sie sich auch den letzten Rest aus der Flasche in das Glas zu füllen, auch wenn es vom Volumen her der Etikette nicht nachkam, man wollte ja nichts verkommen lassen.

Wein. Sie konnte selbst nicht glauben, dass sie hier mit Wein saß und Mozart hörte. Vor nicht einmal einem halben Jahr hätte sie zusammen mit ihren Freunden in der Bar gesessen und sich Bier aus Flaschen eingeflößt. Was hatte sie also "versnoben" lassen? Wahrscheinlich war es die Ruhe die hier herrschte. In Portsmouth gab es so wenig Einwohner und so viel Quadratkilometer, dass man nur selten durch den Lärm der Außenwelt gestört wurde. Zwei Hauptstraßen kreuzten die Ortschaft und teilten den Ort in Nord und Süd, wie West und Ost. Der der Stadt war passenderweise die Kreuzung beider Straßen, an der man ökonomisch sinnvoll die Einkaufsmeile angelegt hatte. Sprich: Eine Tankstelle und ein Tante-Emma-Laden. Das Rathaus und die Polizeistation bildeten dann den Kern der Stadtzusammen mit einigen kleinen Wohnhäuschen, einem Postamt und verschiedenste Dienstleistern. Der Großteil der Bevölkerung lebte allerdings abseits des Stadtkerns und verbrachte das Leben in idyllischer Einsamkeit.

Genau zum Stadtkern, genauer gesagt zum Rathaus musste Karl, denn der ältere Herr war nicht nur Eves Immobilienmakler, alias Vermieter, sondern auch derzeitiger Bürgermeister von Portsmouth. Mit der Demokratie konnte man eben auch nicht seinen Unterhalt abdecken.

Eve lebte also noch relativ nah am Stadtkern und trotzdem kam es ihr in ihrem kleinen Häuschen nahe dem Tümpel, den man Fireflys-Lake nannte, so vor, als wäre sie in einer anderen Welt. Ohne Autos, ohne Atommüll und ohne lästiger Werbung zwischen dem Sonntagsabendkrimi. Allerdings auch Welt ohne Sonntagsabendkrimi, denn einen Fernsehanschluss hatte sie auch nach einem halben Jahr immer noch nicht Zuhause. Anfangs hieß es, dass man erst ein Kabel verlegen müsse, Karl meinte eine einfache Satellitenschüssel würde reichen (was sie aber durch irgendwelche Störungen nicht tat), und so kam eins zum anderen und die Bürokratie nahm ihren Lauf. Eve hatte zwar schon mehrfach betont, dass solche Umstände eine Mietminderung mit sich tragen sollte, Karl allerdings tat dies mit der Begründung ab, dass die Hütte zu viel Heizkosten durch die schlechte Isolierung erzeugen würde, dass er so vielmehr von einer Mieterhöhung absehen konnte. Eve versuchte erst gar nicht ihm klar zu machen, dass das ja ebenfalls seine eigene Schuld war, und nahm das Schicksal wie es kam und nahm sich die überschüssige Zeit, um zu lesen, joggen oder den Nachbarn auf den Nerv zu gehen. Letzteres tat sie ganz unabsichtlich, denn ihre bloße Existenz schien den Alteingesessenen gegen den Strich zu gehen. Allerdings konnte Eve sich nur zu schwer vorstellen, dass man ohne ihre Anwesenheit beim nachmittäglichen Kaffee-Klatsch noch ansatzweise einen solch hohen Gesprächsinhalt hatte. Denn vielmehr als angebliches Hören-Sagen, gab es innerhalb von Portsmouth nicht zu berichten. Das was es von außerhalb zu berichten hätte geben können, wurde abgetan als das Problem anderer. Eve musste sich jedes Mal zurückhalten bei solcherlei Thema nicht einzuwerfen, dass ein erhöhter Meeresspiegel zwar nicht allein von Portsmouth verursacht werden könnte, die Tatsache, dass Portsmouth aber nur knapp über dem Meeresspiegel lag sehr wohl berücksichtigt werden sollte. Sie behielt es dann aber doch meist für sich.

Wurde der Mitteilungsdruck allerdings zu stark gab Eve sich ihrem neuen Hobby, dem Internet, hin. Dafür musste sie zwar täglich in das Internetcafé neben dem Polizeibüro gehen, aber da sie zumeist eh in der Nähe war, lag es praktisch auf dem Weg. Hier stöberte sie sich durch verschiedenste Foren und Chats, um dort zu allem und jeden eine Meinung zu haben. Es tat ihr gut, von vielen eine Bestätigung ihrer Meinung zu bekommen, und war es nur ein einfacher" Klick der Zustimmung", doch viel erfüllender war es, die Opposition mit einer gut aufgebauten Argumentationskette in die Ecke zu drängen. Diese legte sie sich meist abends immer zurecht, hatte die Mitteilungen auf ihrem Laptop kopiert und nahm sie haargenau auseinander. Eine Flasche Wein half da meist die Kreativität zu fördern, Musik ließ den Raum nicht so stumm wirken und wie Eve bald feststellte war klassische Musik um einiges angenehmer als Rock, zumindest wenn man sich konzentrieren wollte. Ihre Mitteilungen kamen so zwar immer etwas verspätet an, die Diskussionen, die sie allerdings hervorrief, ließen ihr diese Zeit allemal. Und so kam es, dass Eve Sanger nun an diesem Abend, wie jeden anderen auch, auf ihrem Sofa saß, die Flasche Wein geleert hatte, die Musik gerade ihr Ende fand und sie angestrengt auf ihren Laptop sah

 

» Das 21. Jahrhundert zeichnet sich primär durch die Fülle an Informationen aus, die ein Mensch sich jeden Tag ausgesetzt sieht. Dabei zeigen grade die neusten Erkenntnisse in psychologischer Fachrichtung, dass wir eben dadurch einem enormen Stress ausgesetzt sind, der uns in vielerlei Hinsicht krank machen kann.

Es tauchen immer wieder Fragen darüber auf, wie Informationen dem Menschen schaden können und warum unser Gehirn, einer der wohl leistungsfähigsten Computer, mit diesem Informationsfluss nicht umzugehen weiß.  Nun, darauf lässt sich nur antworten: Was nützt einem eine hohe Leistungsfähigkeit, wenn das System von einem Virus befallen ist.

Wie auch in jedem anderen normalen Verarbeitungssystem können auch in unserem Gehirn Fehler auftreten. Diese Fehler werden durch infizierte Daten erzeugt, die sich in unsere Psyche drängen und unser System zerstören. Nullen und Einsen, die in kompilierter Form jede natürliche Sperre überwinden und Informationen enthalten, die in uns eindringen und schaden.

Gnadenlos sind wir ihnen ausgeliefert.

Das Problem dabei ist nicht, dass diese Daten nicht abgeschirmt oder vernichtet werden könnten, sondern vielmehr nutzen Daten unsere größte Schwäche aus, die einzige Macht, der sich so gut wie kein Mensch entziehen kann, der Neugier.

Daten sind nicht nachsichtig, sie handeln nicht affektiv; Daten sind logisch und kalt.

Daten sind die wahrscheinlich gefährlichste Waffe der heutigen Gesellschaft. «

 

Eve zog tiefe Falten auf ihrer Stirn. Sie las schon seit geraumer  Zeit die Artikel dieses Verschwörungstheoretikers und, obwohl sie nicht wirklich derselben Meinung war,  stolperte sie immer wieder auf diese Seite.  Eigentlich war Eve kein großer Fan von Fantasien gelangweilter  Internetfreaks, aber ihr gefielen die Themen, über die es in den Artikeln ging. Keine Geheimnisse der Tempelritter, keine Vatikan-Verschwörung, kein geheimer Geheimbund, mit Mitgliedern die jede Welt kennt, aber die unter der Dusche ein anderes Leben führen; es ging ganz einfach um das manipulativste Medium, das Internet.  Eve selbst war auch der Meinung, das im World Wide Web nicht alles mit rechten Dingen zu ging, aber das Ganze als Teufelswerk zu brandmarken war ihr dann doch ein kleinen wenig zu viel. Deshalb reichte es ihr auch für diesen Abend.

Wie als wolle sie sich selbst tadeln, schüttelte sie den Kopf und verließ dann das Wohnzimmer. Sie musste allmählich wirklich schlafen gehen, denn ihre Arbeit begann früh und ihr war es lieber, wenn sie als Erste auf der Polizeiwache war.

Kapitel 3: Alltag

Die Polizeiwache von Portsmouth und das ihm angrenzende Rathaus waren einst ein wunderschönes Anwesen gewesen, das man innerhalb des letzten Jahrhunderts durch Umbauten, die zwangsweise wegen eines sehr hässlichen Brandes durchgeführt werden mussten, in zwei  voneinander getrennte Abteilungen aufgeteilt hatte. Man hatte vereinbart, dass das Rathaus, als Repräsentant des örtlichen Wohlstandes und Ursprung politisch tiefschürfender Abkommen, einen prozentual höheren Anteil der Wohnfläche bekam, vorzugweise mit südlicherem Fensteranteil,  die Wache dagegen ein Stück der Nordfront genügen müsse. Ohnehin war es, auch so war man übereingekommen, nicht sonderlich förderlich für die reuenden Straftäter über ihre Gräueltat nachzudenken, wenn sie auf eine malerische Umgebung fixiert waren.  Gar keine Fenster waren da schon sinnvoller.

Letzteres fand Eve gar nicht so abwegig, auch wenn ihr vielmehr das Argument in den Sinn kam, dass die wenigstens Zellen Fenster besaßen. Dies allerdings hätte ihr sicherlich die Arbeit erleichtert, da so der penetrante Geruch männlicher Ausdünstungen um einiges schneller aus den engen Mauerkästen, die man mit Hochglanzgitterstäben gesichert hatte,  verschwunden wäre. Nicht, dass man nicht auch weibliche Insassen gehabt hätte, doch das männliche Geschlecht hatte die Reviermarkierung auch im 21. Jahrhundert noch nicht aufgegeben. So half nur Raumspray, der sich bekanntermaßen vielmehr mit dem ganzen Spektrum olfaktorischer Extravaganz verband und zu einer sämigen Suppe  Desaster aufquoll.  Ekelhaft, reichte aber um sie wieder in das Hier und jetzt zurück zu versetzen.

Das Klappern von Tasten, das Klirren von Kaffeetassen und das Rascheln von Papierstapeln war die gewohnte Geräuschkulisse der Portsmouth Polizeiwache und wahrscheinlich auch einer jeden vorörtlichen Polizeiwache auf der Welt.

Eve hielt diese Symphonie aber weiterhin für einzigartig und beharrte darauf, dass sie nirgendwo so klang, wie eben an diesem Ort.

»Sag mal Eve, hast du gestern Abend mal die Nachrichten eingeschaltet«, Kurt Millener, kurzgeschnittenem dunkelblondem Haar und Dreitagebart sah von seiner Akte auf und blickte Eve fragend an. Kurt war etwa in ihrem Alter oder musste zumindest um die 32 sein, wenn Eve sich nicht unglaublich verschätzte. Sie hatte ihn nie direkt gefragt, obwohl sie jetzt schon seit knapp zwei Jahren zusammen arbeiteten. Man sah Kurt an, dass er einst sehr sportlich gewesen und, wie sie eines Abends bei einem Kneipenrundgang erfahren hatte, Captain eines Football Teams gewesen war. Breites Kreuz, muskulöse Arme und der obligatorische Bauchansatz ließen ihn in die Kategorie „noch attraktiv, aber am verwelken“ fallen.

»Sieh dir doch mal ihr Gesicht an, Kurt. Wir hatten wohl wieder ein Date mit Mr. Traubensaft, was Eve? «

 Eve schenkte dem zweiten Mann im Bunde, Leon Stuart, ein zynisches Lächeln. Leon war ein alter Fuchs hier in Portsmouth und einer der wenigen Alten, die Eve hier akzeptierten. Glücklicherweise war er außerdem der Chef. Er war aufgeschlossen und hilfsbereit. Im Grunde war er das, was man einen knuddeligen alten Teddybär nannte. Für Eve hatte er schon immer so etwas wie eine kleine Vaterfigur abgegeben. Er war in ihren ersten Monaten für sie da und hatte ein Auge auf sie geworfen, wenn Miss Saltbury beim Einkaufen wieder einmal versuchte ihr einen Extra-Joghurt in die Jackentasche zu schmuggeln, nur um dann an der Kasse lauthals zu fragen, ob Eve denn vorhatte, nicht auch ebendiesen zu bezahlen. Für Eve hatte das in den ersten Wochen für einige peinliche Momente gesorgt, besonders als sie bemerkte, dass dieser Joghurt von der Sorte war, die die weibliche Verdauung anregen sollten. Als hätte sie mit  derartigen Problemen zu kämpfen, geschweige denn sich überhaupt damit auseinandergesetzt, wenn man von solchen Ortsansässigen terrorisiert wurde.

Was Miss Saltbury in Hinsicht auf das Verdauungsproblem betraf, sah Eve vielleicht einen versteckten Hilferuf oder ähnliches.

»Danke Leon, aber du irrst dich, die Weinflasche war noch so gut wie voll« -das war gelogen- »Ich habe lediglich etwas zu lange telefoniert« - das entsprach halbwegs der Wahrheit.  Kommunikationstechnisch zumindest.

»Wieder dieser Donald…Daniel? «, fragte Kurt mit hochgezogener Augenbrauen.

»David. Und es geht dich einen Scheißdreck an,  mit wem ich telefoniere «, zischte ich.

Leon ließ ein leises Kichern los und brummte kleinlaut vor sich hin:

»Für gewöhnlich benutzen wir Männer doch nur diese Ausrede, wenn wir und verwählt haben, oder Kurt? «

Beide Männer tauschten ein verschmitztes Lächeln und Eve verdrehte demonstrativ die Augen. Kurt räusperte sich.

»Sei ehrlich, du hast dir wieder irgendwelchen Verschwörungskram aus dem Internet gezogen. Warum beschäftigst du dich nicht mal mit was Richtigem. Du bist doch wirklich kein dummes Mädchen du könntest…«

Eve unterbrach ihre Arbeit und glitt elegant auf den Schreibtisch von Kurt, um ihn eindringlich von oben herab in die Augen schauen zu können. Ihre Uniform ließ diese Aktion allerdings weniger gewandt wirken, als eigentlich geplant.

»Weiß du -«, begann sie.

»Ach komm Kurt, lass sie doch. Es ist doch völlig legitim nach etwas Aufregung im Leben zu suchen. Einige tun das durch Actionfilme, andere sitzen Nächtelang an irgendwelchen Videospielen und wieder andere stricken solche Verschwörungen. Da ist doch nichts dabei«,

Leon unterbrach sie und widmete sich wieder seinem PC.

»Ich glaube viel mehr, sie sucht Probleme, wo gar keine sind«, erwiderte Kurt.

»Und ich glaube, du sucht ein wenig zu viel in meinem Ausschnitt«, mischte sich Eve mit einer süßlichen Stimme ein, legte den Finger unter Kurts Kinn und hob seinen Kopf wieder so, dass sich beide in die Augen sehen konnten.

Wieder lächelte er frech und gab ihr einen kurzen Luftkuss, den sie beiläufig zu Seite wehen ließ.

Zwischen ihr und Kurt hätten Außenstehende vielleicht eine bevorstehende Romanze vermutet, tatsächlichen lägen diese dann auch gar nicht so falsch. Zwischen Eve Sanger und Kurt Millener gab es wirklich einmal so etwas wie ein romantisches Interesse. Der Höhepunkt dieser Geschichte war allerdings der besagte Kneipenrundgang, der am späten Morgen damit endete, dass man sich die Intimität zuwider gequatscht hatte und sich tatsächlich eine freundschaftliche Bindung entwickelt hatte. Ungewöhnlich, aber möglich. 

Seitdem gab es zwischen Eve und Kurt nichts weiter als neckische Spielereien und kleine verführerische Interaktionen, die ihre Freundschaft so besonders machten.

Für Eve war es wie eine Erlösung gewesen neben Leon auch einen gleichaltrigen Kumpel zu haben. Zwar zerriss man sich den Mund darüber, dass sie ausgerechnet die beiden Männer der Wache auf ihrer Seite gezogen hatte, aber das ließ sie völlig kalt, als sie erfuhr, dass diese Tratscherei ausgerechnet von den Frauen kam, die mit den Männern der örtlichen Feuerwehr verheiratet waren.

Vorsichtig glitt Eve wieder vom Schreibtisch herab und ließ kurz den Kopf kreisen.

»Wenn es dir nicht gut geht, dann geh doch besser nach Hause. Nicht, dass du uns noch den Boden besudelst«, Leon sah besorgt aus.

Eve winkte schnell ab.

»Nein, es geht schon«, dann verzog sie die Mine, »Die arme Putzfrau, die das aufwischen müsste, was? «

Kurt kicherte, Leon schmunzelte vor sich hin und Eve drehte sich mit dem Rücken zu beiden Männern, um sich wieder an die Arbeit zu machen.

So ein paar Kopfschmerzen waren es nun wirklich nicht wert nach Hause zu gehen. Außerdem hatte sie ja selbst Schuld gehabt, als sie doch noch eine weitere Weinflasche geöffnet hatte. Man muss halt auch mal auslöffeln können.

Wenn Eve Sanger ein gesamtes Resümee abgeben hätte müssen, konnte sie im Großen und Ganzen sagen, dass sie eigentlich viel Glück gehabt hatte. Ein kleines Häuschen zu einem erschwinglichen Preis mitten in einer ländlichen Einöde mit einem festen Job.  Was sie sich jetzt nur wieder abgewöhnen musste war das ständige In-Gedanken-Schwelgen.  Doch sie freute sich schon wie ein kleines Kind darauf, nach Feierabend endlich ein Kommentar abgeben zu können. Das durfte man gewiss keinem erzählen.

Eve war so in Gedanken vertieft, dass sie nicht einmal bemerkte, wie Leon eindringlich auf sie einredete.

»Wie lange willst du eigentlich noch diese Stelle da wischen, Schätzchen? «

»Der Boden kann auch nichts für deine ausfallende Lebensart «, fügte Kurt gehässig hinzu.

Eve wachte aus ihrer Trance auf und ließ die Schulter hängen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie leicht weggetreten war.

»Manchmal kotzt ihr Kerle mich wirklich an, wisst ihr das? «

»Aber das ist doch gerade der Grund, warum du uns so magst«, antworteten beide Männer im Chor und verfielen in lautes Gegröle.

»Ich mach mich jetzt mal an die Toiletten, wenn euch das recht ist. Dann hab’ ich meine Ruhe.«

Kurt nickte zustimmend und Leon sah gequält aus als er sagte:

»Aber sei vorsichtig, meine Frau hat gestern überbackende Chilibohnen aufgetischt. «

Eve seufzte genervt und warf Kurt, der soeben eine Art Triumphschrei losließ, einen vernichtenden Blick zu, dann wandte sie sich zu der Tür, die in den Flur folgte. Das Niveau war wirklich kein Grund, warum sie mit den beiden befreundet war.

Ich arme Putzfrau, dachte Eve sich.

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MysticRose Mit diesem kleinen Stück Horror- und Thrilleratmosphäre in Buchstaben gegossen!! - Obwohl so kurz, fand ich das Stück recht originell und spannend... :-)
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