Beschreibung
Es ist dunkel.
Es ist Nacht.
Donner hallt und Blitze zucken über den Himmel.
Und ein kleines Mädchen hockt im Wandschrank...
Verstecken
Es war stockfinster und eng. Im Rücken konnte ich das Regal für die Schuhe spüren. Das Metall war hart und da ich schon eine ganze Weile hier drin hockte, tat es inzwischen richtig weh. Mir war kalt und ich rieb mir die Arme, die nur von den Ärmeln meines dünnen Nachthemdes bedeckt wurden. Meine nackten Füße spürte ich vor Kälte kaum noch, doch ich wagte es nicht, mich zu rühren.
Dann hörte ich sie. Leise Schritte, die den Flur entlang schlichen. Mir lief bei dem Geräusch ein Schauer über den Rücken und ich hielt die Luft an. Er durfte mich nicht finden.
Plötzlich knallte draußen der Donner und gleich im Anschluss wurde die kleine Kammer für einen Sekundenbruchteil taghell erleuchtet. Ich zuckte vor Schreck zusammen und unterdrückte mit Mühe einen Schrei. Hoffentlich hatte er nicht gehört, wie ich mit dem Ellenbogen aus Versehen voll gegen die Schubladen des Schranks rechts von mir gehauen hatte – was im Übrigen ganz schön wehtat!
Nur Sekunden später aber hörte ich sie wieder, diese leisen Schritte. Nun waren sie jedoch näher als zuvor und ich schluckte schwer. Ich presste mir beide Hände auf den Mund und starrte die Tür an. Die Schritte waren unmittelbar davor zum Stehen gekommen. Mein Herz pochte so laut, dass ich Angst bekam, dass der vor der Tür es hören konnte. Die Sekunden verstrichen quälend langsam eine nach der anderen. Schließlich hatte ich die Luft so lange angehalten, dass ich glaubte zu ersticken, und schnappte nach Luft.
Daraufhin wurde die Türklinke langsam heruntergedrückt. Sie quietschte.
„Buh!“
Der Donner hallte draußen in der Nacht und direkt vor dem Flurfenster zuckte ein Blitz herab. Die Gestalt vor der Tür ragte wie ein gespenstischer Schatten vor mir auf.
„Na, hast du dich erschreckt?“, fragte mein großer Bruder mit einem frechen Grinsen.
„Bäääh.“ Ich streckte ihm demonstrativ die Zunge raus. „Dich Trampeltier hört man doch schon von weitem.“
Mein wertes Brüderchen lächelte nur ein wenig schief. „Tut mir ja leid, aber mit neunzehn bin ich nicht mehr so ein Fliegengewicht wie du.“
Ein Schadenfrohes Grinsen stahl sich auf mein Gesicht.
Er schüttelte den Kopf, bevor er fragte: „Kannst du jetzt schlafen oder planst du, mich noch länger wach zu halten?“
Mein Grinsen wurde breiter.
„Ich hab´s geahnt.“ Brüderchen stöhnte herzhaft. „Wer sucht wen?“
„Du mich“, antwortete ich und schälte mich rasch zwischen dem Staubsauger und dem Schrank hervor, „Zähl bis dreißig und wag es ja nicht zu schummeln!“ Damit lief ich auch schon aus dem Zimmer und suchte nach einem guten Versteck.
„Also ehrlich“, seufzte er und stemmte eine Hand in die Hüfte, „Ich kenne echt keine andere Achtjährige, die mitten in der Nacht bei Gewitter auf die Idee kommt Verstecken zu spielen. Gut, dass unsere Eltern bei dem Treffen sind…“
Wieder hallte der Donner durch die Dunkelheit und wurde gleich von dem Blitz verfolgt, während der Regen vom Wind getrieben gegen das Fenster prasselte.
Er schüttelte den Kopf, dann schloss er die Augen und zählte: „Eins, zwei, drei…“
Wie er mich das nächste Mal im Küchenschrank zwischen den Pfannen und Töpfen fand und ins Bett brachte, bekam ich nicht mehr mit. Zu dem Zeitpunkt schlief ich bereits tief und fest.