Romane & Erzählungen
Jeh´n wa tanzen oda wat?

-When you're alone and life is making you lonely you can always go Downtown-
Heute würde ihre Nacht sein. Laut grölend sang sie den Text ihres Lieblingsliedes "Downtown" von Pertula Clark.
Mit 140 Sachen für Karin die Landstraße entlang. Sie hatte es eilig, denn heute war sie bereit für den Neuanfang. Zu lange hatte sie in Selbstmitleid gebadet.
Die Trennung hatte an ihr gezerrt wie kleine Blutegel. Langsam begann sie, verrückt zu werden und sie hatte das Gefühl, den verstand zu verlieren. Ihre letzte Rettung war ihr Bruder, der Sie nach langem Überreden dazu brachte, zu ihm zu ziehen. Letztendlich hatte sie auch keine andere Möglichkeit. Sie hatte ja kein zu Hause mehr. In ihrer Wohnung saß nun eine andere und Karin verbrachte ihre freie Zeit mit Auto fahren. Tagsüber fuhr sie durch die Gegend und besuchte alle möglichen Leute. Nachts ging sie arbeiten. Jeden Tag höchstens zwei bis drei Stunden Schlaf und nur die geringste Zufuhr an Nahrung die möglich war, brachten ihren Bruder zu dem Entschluss, sie zu sich zu holen. Er päppelte sie wieder auf. Körperlich durch Nahrung und seelisch durch Gespräche. Und nun, drei Monate nach der Trennung ging ein leises Raunen durch die Massen, als sie verkündete, in den
Schuppen zu gehen.
Feiern, tanzen, trinken und einen Typen abschleppen. So sah der Plan aus.
-when you've got worries all the noise and the hurry seems to help I know Downtown-
Sie machte aus den Vorbereitungen ein Seance der besonderen Art. Eine neue Röhrenjeans sowie ein knallrotes enges Oberteil sollten ihre 8 Kilo schlankere Figur betonen. Die blonden Locken wurden mit etlichen Sprays und Gels in Form gebracht und das Make-up besonders dick aufgetragen. Nachdem sie mit der Mitarbeiterin der Nachtschicht des Hotels, in dem Sie arbeitete noch drei Gläser Prosecco geleert und eine spontane Fotosession eingelegt hatte sollte es los gehen.
Nun fuhr sie mit 80 Km/h durch Potsdam, immer noch singend. -just listen to the rhythm of a gentle bossa nova,  you'll be dancing with'em too-  "Yeah, heute hol ich mir nen bossa nova!" beschloss Karin und drehte die Musik noch etwas lauter. Im Rückspiegel entdeckte sie nun aufblickendes Licht.
-Stopp! Bitte halten!-  "Ach du scheiße!" durchfuhr es Karin, die entsetzt auf den Tacho starrte und den Zeiger auf der 80 bemerkte. Langsam bremste sie ab und fuhr rechts an den Straßenrand. "OK. Keine Panik. Ruhig bleiben und Jacke ausziehen" dachte sich Karin und zog in Windeseile ihre Jacke aus. "Aussteigen erhöht die Chancen. Hoffentlich sind es Männer!" betete Sie und stieg aus dem Auto, bevor die beiden Polizisten ihren Wagen erreichten. Es waren Männer. Und was für welche. Es waren knackige, Mitdreißiger in enger Uniform. "Guten Abend kam es von dem einen, der andere musterte sie nur."  "N'abend. Hab ich was falsch gemacht?" Grinste Karin und versuchte dabei ein verführerisches Lächeln aufzulegen. Was ihr aber durch die drei Gläser Prosseco etwas schwer viel. "Naja, sie sind etwas sehr zügig gefahren." Antwortete der Polizist, während er auf ihr Dekolté starrte. "Oh wirklich? Ähm, ich war wohl etwas abgelenkt." Stotterte sie nun mit dem Versuch, ein Engelsgesicht aufzulegen. "Haben sie Alkohol getrunken?" fragte nun der andere Polizist. "Neeeeeeeein."  Eine großzügige Handbewegung untermalte ihre übertriebene Mimik, so das sie aussah, als würde sie einen Schwarm von Fliegen verscheuchen wollen. "Fahren sie bitte etwas konzentrierter. Schönen Abend noch." Sie war sich sicher, dass der Polizist ihr zuzwinkerte, traute sich aber nicht, das Zwinkern zu erwidern und stieg schnell in ihr Auto. "Puh. Scheiß Bullen!"  Noch etwas nervös aber erleichtert setzte sie ihre Fahrt fort. Ihr Lieblingslied noch mal zurück gespult und laut gedreht.
-Downtown where all the lights are bright, Downtown waiting for you tonight-
Gut, es war nicht Downtown aber ihre Geburtstadt war auch OK, für den Neuanfang. Wo kann man besser neu anfangen als in der Heimat?
Nach einer halben Stunde Autofahrt hatte sie ihr Zeil erreicht. Die kleine Stadt hatte sich seit dem Auszug von zu Hause kaum verändert. Genauso wenig wie der Schuppen. Sie parkte ihr Auto direkt davor, so dass die Schlange der wartenden Gäste ihre Aufmerksamkeit auf Karin verlegte.  Noch einmal kurz Make-up prüfen im Spiegel, hier und da etwas Rouge nachlegen, ein Paar Strähnen zurecht zupfen und raus aus dem Auto. Sie checkte kurz die Schlange von Menschen, ob es sich lohnen würde, sich anzustellen. Es könnte ja ein potenziller Bossa Nova unter ihnen sein. Nach kurzem Überfliegen stellte sie jedoch fest, dass niemand geeignet war und sie ging mit einer gewissen Arroganz an den Wartenden vorbei, wie nur sie es konnte. Ein kleines Lächeln für den Türsteher und schwups war sie auch schon im Partyhaus Number One.


Die Anlage hatte auch schon mal bessere Zeiten erlebt und dröhnte leicht überdreht Umbrella von Rihanna. Karin schaute sich kurz um, bevor sie ihre Freundin Steffi an der Bar entdeckte. Nach einer ausgiebigen Umarmung mit Küsschen wurden dann erst einmal zwei Tequila zur Entspannung und zwei Bier zum Spülen bestellt. Eine lange Tradition, die die Freundinnen zu pflegen wussten. Nach der dritten Runde Tequilla Bier entschlossen sich die Mädels zu tanzen. Und wenn die Prinzessinnen vom Schuppen tanzten, dann richtig. Zuerst wurden die besten Plätze dafür ausfindig gemacht. Vorzugsweise neben einer Gruppe von Singelmännern, dann kämpfte man sich durch die Massen (wenn es sein musste unter Einsatz der Ellenbogen) und wenn man die Wunschposition eingenommen hatte, suchte sich jede einen Kandidaten aus.  Zuerst ein schüchterner Blick in Richtung Testosteron, dann aus Versehen in diese Richtung fallen, mit dem Popo ein wenig wackeln und dann hatte man sein Opfer eigentlich auch schon dort, wo man es haben wollte: mit gezückter Börse an der Bar.
Aber heute sollte die Auswahl nicht so großzügig sein und eine Gruppe von Singelmännern war nicht in sicht. So beschlossen die beiden Mädels erst mal nur so zu tanzen. Die Musik hatte sich im Laufe der Zeit leider auch zurück entwickelt, so dass den Freundinnen nach zwei Liedern langweilig wurde und sie wieder ihren Platz an der Bar einnahmen um weitere drei Runden Tequilla mit Bier zu bestellen.  Ein Junge, etwa 18 Jahre alt hatte seine Aufmerksamkeit auf Karin gerichtet, die nach sechs Tequilla Bier nun schon etwas angeheitert war. "Hey süsse!" Hauchte er ihr ins Ohr. "Willst de ficken?" Zuerst schockiert, dann aber schnell wieder gefasst antwortete Karin mit leichtem Lallen "Junge. Lass mal die Mutti in Ruhe ihr Bierchen trinken und geh ins Bettchen!" " Ey du alte Bitch, wurdest du nicht gevögelt oder wat? Musst ja nicht gleich so scheiße sein. Alter!" Brüllte der Junge, der seine Hose in die Socken gesteckt hatte nun verärgert. Karin nahm einen Schluck Bier, schaute ihre Freundin an und überlegte. Der Alkohol hatte ihr Denkvermögen stark eingeschränkt und so dauerte das Brainstorming etwas länger als gewöhnlich. Steffi, die auch nicht mehr ganz nüchtern war ging nun auf den Teenie zu. "Hast du gerade gesagt meine Freundin ist 'ne Bitch?" zischte sie ihn an und schubste ihn so, dass er ins Wanken kam.  "Alter seid ihr scheiß Lesben oder wat?"  brüllte er nun mit hochrotem Gesicht und schubste Steffi gegen einen Tisch, auf dem einige Gläser zu Bruch gingen. Karin stand nun von ihrem Barhocker auf, klaute dem Jungen sein Kappie und schmiss es hinter die Bar.
"Tickst du noch ganz richtig, du alte Schlampe?" brüllte er und holte zum Schlag aus. Doch Steffi verpasste ihm einen Trit in den Hintern, so dass er gegen einen anderen Tisch fiel. Wieder gingen ein paar Gläser und Flaschen zu Bruch. 
Mit hoch rotem Kopf und voller Enthusiasmus rannte er nun auf die Mädchen zu. Wie ein Ninjakrieger versuchte er mit einem Kick, den beiden den Gar aus zu machen, rutscht dabei auf einer Bierflasche aus, die zuvor vom Tisch gefallen war und flog direkt in die Arme eines Türstehers. Dieser beförderte den vor Protest schreienden Jungen aus der Discothek. "Was war denn das gerade?" fragte Karin ihre Freundin verdutzt . "Hm. Keine Ahnung!" antwortete Steffi, nahm ihr Glas Tequilla in die Hand, prostete ihrer Freundin zu und sagte "Hand in Hand mit 'ner juten Freundin. Dit is echte Liebe!"  Sie tranken ihren Tequilla und gingen nach Hause.
Ohne Bossa Nova, aber wer braucht schon Männer, wenn man so eine Freundin hat?