Ausräumen
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Ja, hier habe ich meine letzten Tage gelebt. In diesem Zimmer im Pflegeheim. Wir sind inzwischen angekommen. Die Pflegeschwestern entschuldigen sich dafür, dass das Zimmer so schnell geräumt werden muss. Es sind viele Interessenten da. Bevor der oder die neue Bewohner/in einzieht soll noch renoviert werden. Meine Tochter fragt die Schwester, ob sie Kleidung benötigen. Ja, können sie, es wäre eine Frau auf der Station, die nur wenige Kleidungsstücke hier hat. So kann meine Kleidung jemandem noch nützlich sein. Das ist prima. Meine Tochter und Enkelin haben Klappkisten dabei. Darin wird alles andere was die Station nicht brauchen kann verpackt. Kleinigkeiten, die schnell verstaut sind. Die Blumen wollen sie auch behalten. Die erst vor zwei Tagen gekauften Lagerungskissen vermacht meine Tochter auch dem Pflegeheim. Die Schwestern sind sehr erfreut darüber und bedanken sich. Mutter-Gedächtnis-Lager-Kissen denkt meine Tochter.
Dir helfen sie nicht mehr Mutter, dann wenigstens einem anderen.
Die Klappkisten werden auf den Rollator gepackt und das war es. Diese Arbeit ist nun auch erledigt. Die Lebenden haben ganz schön zu tun für mich Tote, stelle ich fest. Vier Leute waren nun fast den ganzen Tag unterwegs und tätig um die ersten notwendigen Schritte zu erledigen.
Es wird noch Vieles folgen, das zu tun ist, für den heutigen Tag ist es genug.
Es erstaunt mich, dass einige der Schwestern traurig berührt über mein Dahinscheiden sprechen.
Es ist eine schwere Arbeit, die sie tagtäglich vollbringen müssen. Da müssen Arbeiten erledigt werden, die Menschen an die Grenzen des Möglichen bringen können. Zudem sollen sie immer verständnisvoll und freundlich sein. Ich ziehe meinen Hut vor euch meine lieben Pfleger und Pflegerinnen, ihr habt mir sehr geholfen die letzten Erdentage auszuhalten. Ich bin ganz zufrieden dass ich mein altes Haus verlassen konnte. War keine Freude mehr darin zu wohnen. Es dauert bis man weiß wie man da raus kommt, doch dann geht es ganz leicht.
Und nun, da wo ich jetzt bin gibt es weder gut noch schlecht. Es ist ein neutrales wahrnehmen dessen was geschieht.
Der Rollator macht etwas Probleme, sie müssen noch den richtigen Dreh rausfinden, damit mein braver Diener ins Auto passt. Die Kisten packen sie auf den Rücksitz. Und nun geht es nach hause.
„Auch das ist ein Abschied“, denkt meine Tochter, „jetzt habe ich keinen Grund mehr an diesen diesen Ort zu fahren. Habe auch hier einige Menschen kennen gelernt. Die ehemalige Leiterin des Pflegeheimes eine 77jährige Ordensschwester, die nun selbst ihren Lebensabend hier verbringt. Eine immer gut gelaunte, positiv eingestellte Frau. Der Mann aus meinem Wohnort, der meinte er wäre nur einige Wochen hier, wegen seiner Fußverletzung, er ist nun schon einige Monate hier. Die Frau, die hier an diesen Ort gezogen ist um ihren Mann täglich im Pflegeheim besuchen zu können.
Der alte Pfarrer, der Samstags immer seine sieben Sachen packt, weil er glaubt von seinem Bruder abgeholt zu werden. Die alte Frau, die mit der Babypuppe täglich auf der Couch im Flur liegt. Die kleinwüchsige Frau, mit der kraftvollen Stimme, die regelmäßig das Heim besucht, mit den Bewohnern singt, oder spielt, oder den einen oder anderen im Rollstuhl spazieren fährt. Dann noch die vielen Begegnungen mit den Pflegerinnen. Ja, es gab viele Begegnungen hier. Doch bin ich froh, dass es nun ein Ende hat.“
„ Was essen wir heute Abend“, unterbricht meine Enkelin die Gedankengänge meiner Tochter.
„Hast Du eine Idee?“
„Wie wäre es mit Spaghetti mit Tomatensoße und Salat?“
„Prima, das geht schnell und schmeckt gut!“
„Ich bin ganz schön geschafft“
„Ist ja auch nicht alltäglich, dass die Mutter stirbt.“
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„Das stimmt allerdings. Es ist eine einmalige, sich niemals wiederholende Erfahrung!"