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Die Wächterin von Reilong (4) - Kapitel 16 - 20

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"Die Wächterin von Reilong (4) - Kapitel 16 - 20"
Veröffentlicht am 31. Januar 2012, 80 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Tjaaa.. eigentlich ich bin mehr eine Einzelgängerin und eine komlette Tagträumerin dazu xD Aber ab und an bin ich auch gerne unter Leuten, wobei es mir etwas an Gesprächsstoff fehlt, es sei denn es geht ums Schreiben und meine Geschichten. Da kann ich tagelang drüber reden :P Allerdings möchte ich hier auch mal zu meinen Geschichten anmerken, dass sie wirklich lange Stories sind, die sich über einen längeren Zeitraum erst richtig entwickeln und ...
Die Wächterin von Reilong (4) - Kapitel 16 - 20

Die Wächterin von Reilong (4) - Kapitel 16 - 20

Beschreibung

Samantha, Yasmine, Caroline und Nemu finden sich urplötzlich ein einer parallelen Welt wieder. Die Mädchen, bis auf Samantha, gehören zu den sagenumwobenen Wächterinnen, die angeblich das im Himmel schwebende Reich Reilong vor der Bedrohung der Nemesis retten sollen. Die Mädels beginnen mit einem harten Training, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Während der Kämpfe bemerkt Samantha jedoch, dass irgendetwas nicht ganz stimmt. Wieso sind sich die Rei und Nemesis so ähnlich? Was liegt eigentlich hinter den Angriffen auf Reilong? Samantha wird Zeugin eines bereits seit Jahrhunderten andauernden Kampfes, der auch ihr Kummer und Leid bringen wird. Zusammen mit Prinzessin Elisabeth, ihren vier bildschönen Leibwächtern und den Kräften der Wächterinnen kämpft sie jedoch dagegen an und versucht das Schicksal zu verändern. Enthält: Kapitel 16:

Kapitel 16: ein wenig Ablenkung

Fast drei Stunden lang wälzte ich mich durch mein Bett und versuchte zu schlafen, doch irgendwie kriegte ich die Kurve nicht mehr. Ich musste die ganze Zeit an Yasmine, Caro und Nemu denken. Die Nachricht, dass ich ebenfalls eine Wächterin war, schien durch das beinahige Scheitern an der Nordfront unter den Tisch zu fallen, was mir nur recht war. Aber ich machte mir ernsthafte Sorgen um die drei. Der Misserfolg schien arg an ihnen zu nagen. Vermutlich waren sie selbst ziemlich erschrocken darüber, wie schnell die Nemesis schon Gegenmaßnahmen ergriffen hatten und mit ihren Fähigkeiten klarkamen. Mich selbst schockte das auch.

Zurzeit waren wir jedoch alle noch viel zu durcheinander, um klar darüber nachdenken zu können. Ich befürchtete, dass auch eine Besprechung mit den Jungen im Augenblick eher sinnlos war. Vorher mussten die drei erstmal wieder Selbstvertrauen bekommen, dass die Nemesis eindeutig fast komplett zerschlagen hatten. Keine leichte Angelegenheit, doch mir kam eine Idee. Wobei diese mit Sicherheit ziemlichen Ärger mit sich zog. Doch als ich an Elisabeths Worte dachte, beschloss ich kurzerhand meine Idee in die Tat umzusetzen.

Als ich leise die Tür zu Yasmines Zimmer öffnete, in Erwartung dass sie noch schlief, sah ich prompt drei Mädchen mit schaurigen Leichenbittermienen auf dem großen Bett sitzen.

„…Ich meine, wir haben unser Bestes versucht“, sagte Caro beklommen.

„Aber scheinbar war das nicht gut genug“, murmelte Yasmine, die im Gegensatz zu Caro eher frustriert klang, „Und diese Soldaten reden jetzt schon alle vom großen Scheitern der Wächterinnen. Das ist echt unfair! Bloß weil wir diese Wächterinnen sind, dürfen wir uns keine Fehler erlauben oder was? Das schlägt doch fast dem Boden ins Gesicht!“

Nemu machte ein paar Handbewegungen, die natürlich keine der beiden verstand. So weit ich es erkannte, stimmte sie Yes zwar zu, war aber auch der Meinung, dass sie drei sich selbst überschätzt hatten und die Sache wahrscheinlich noch anders ausgesehen hätte, wenn sie nicht schon unmittelbar davor einen anderen großen Angriff gehabt hätten.

„Na super“, stöhnte Yasmine dann, „In einer Stunde dürfen wir uns Tintos Vorträge anhören. Darauf hab ich jetzt ja Lust.“

„Der könnte ehrlich mal etwas lockerer werden!“, stimmte Caro zu.

„Der Meinung bin ich auch“, bemerkte ich, woraufhin mich drei erschrockene Augenpaare anstarrten.

„Wann bist du denn reingekommen?“, fragte Yasmine verdattert.

„Schon vor einigen Sekunden.“

„Da fällt mir ein“, sagte Caro auf einmal und blickte dabei aber zu Yasmine, „Was war da eigentlich mit dir los? Du bist ja richtig durchgedreht!“

Kurz wirkte das Mädchen etwas überrascht und schien zu überlegen. „Keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin. Ich hab auf einmal die Kontrolle über meinen Körper verloren.. und naja, das Resultat habt ihr ja gesehen.“

„War echt ganz schön unheimlich“, bemerkte Caro und schauderte künstlich.

Ein schiefes Lächeln schlich sich auf Yes´ Lippen.

Ich selbst überlegte, ob sie absichtlich log oder sich nicht mehr richtig erinnerte. Denn sie hatte eindeutig mitbekommen, dass sich eine fremde Persönlichkeit in ihrem Körper befunden hatte. Dazu kam die Frage, ob sie wusste, um was für eine Persönlichkeit es sich genau gehandelt hatte. Wenn sie es wusste oder auch nur ahnte, hätte sie es eigentlich von selbst aus so schnell wie möglich einem der jungen Männer berichten wollen müssen. Schließlich fragte auch ich mich, wie es sein konnte, dass ein Nemesiskern in ihr gewesen war. Das war hier eine der großen und leider reichlich vorhandenen Preisfragen.

Jedoch schien sie nicht vorzuhaben irgendjemandem davon zu erzählen. Da war ich mir nun nicht sicher, ob ich das ebenfalls für mich behalten oder besser bescheid sagen sollte.

Dann fiel mir aber ein, weshalb ich eigentlich hier war.

„Aber Tintos Vorträgen könnten wir vielleicht für´s Erste entkommen“, sagte ich, „Auch wenn sie anschließend wahrscheinlich noch länger ausfallen werden.“

„Wie könnten wir dem entgehen?“, fragte Caro, die offensichtlich sofort Feuer und Flamme dafür war die Begegnung mit dem Zweitältesten aufzuschieben.

„Uns hier im Palast verstecken?“, riet Yasmine mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Nicht hier“, korrigierte ich ihre Vermutung, „Wir gehen in die Stadt.“

Einen Augenblick lang herrschte verblüfftes Schweigen.

„Und wie sollen wir hier rauskommen, ohne dass die Wachen es mitkriegen?“, fragte Yasmine, „Selbst wenn wir fliegen, werden uns die Wachen vom Dach sofort bemerken.“

„Das ist der springende Punkt.“ Ich grinste schon beinahe hämisch. „Die Vordertür können wir sowieso vergessen und fliegend würde man uns auch sofort bemerken. Aber wir müssen ja nicht fliegen. Wozu haben wir sonst unsere zwei Beine?“

„Hä?“ Caro verstand nicht, worauf ich hinaus wollte.

„Wir schleichen uns zu Fuß raus“, erklärte ich, „Hinten am Ende des Gartens auf dieser Seite ist eine Pforte, durch die wir unbemerkt rauskommen sollten. Hab ich den einen Tag auch schon gemacht.“

„Wie jetzt?“, fragte Yes verwirrt, doch ich winkte ab.

„Ist doch jetzt unwichtig“, sagte ich, „Wollen wir uns ein wenig die Zeit in der Hauptstadt von Reilong vertreiben oder nicht?“

Die drei sahen sich kurz an. Im nächsten Moment standen sie alle auf und aus Nemus Gestiken entnahm ich, dass ihr zurzeit jede Ablenkung recht wäre. Ich nickte lächelnd. Das würde mein zweiter Ausbruch werden. Und dieses Mal würde ich mich nicht von Mikhail erwischen lassen, wie auch immer er es das letzte Mal angestellt hatte mich zu bemerken.

 

Die drei Mädchen staunten nicht schlecht über das gerade zum Leben erwachende Reilong, das sie bisher ja nur vom Schloss aus hatten beobachten können. Da hatte ich es wesentlich leichter gehabt. Auch wenn ich ihnen auf dem Weg noch erklären durfte, woher ich das mit der Pforte gewusst hatte. Die Antwort sorgte dafür, dass ich auch den Rest meines Ausflugs schildern durfte, bis hin zu dem Zeitpunkt, wo Mikhail mich aufgegabelt hatte.

Anschließend beobachteten wir einige kleine Kinder beim Kriegen-spielen, wobei die vielleicht fünfjährigen Rei munter durch die Luft flogen und ein ums andere Mal beinahe mit ihren Eltern zusammenstießen, die am Rand des kleinen Platzes standen und ein Auge auf sie hatten, während sie selbst sich unterhielten.

Danach folgte ein gemütlicher Spaziergang, bei dem ich schmunzelnd bemerkte, wie auch meine drei Freundinnen von dem Ambiente hier fasziniert waren. Es schien tatsächlich zu klappen, wenigstens für kurze Zeit konnten sie ein wenig Abstand zu ihrem Dasein als Wächterinnen nehmen. Ich hoffte inständig, dass es ihnen half zu ihrem Tatendrang zurückzufinden.

Ganz nebenbei kamen wir auch an dem Platz vorbei, an dem ich die Jungen getroffen hatte. Die beiden Fußballtore standen sogar noch an den Seiten, auch wenn von Nick, Sean und den anderen natürlich nichts zu sehen war. Ich vermutete mal, dass es auch bei den Rei so etwas wie Schule gab und sie jetzt entweder auf dem Weg oder schon dort sein würden.

Ich lächelte matt.

Dann sah ich nur ein Stück weiter vorne eine Gruppe Jungen in unsere Richtung kommen und blieb verdutzt stehen.

„Glaubst du, sie merken es?“, fragte einer von ihnen.

„Dass wir schon wieder schwänzen?“ Nick zuckte mit den Schultern. „Selbst wenn wird es eh zu spät sein.“

„Erwartet aber nicht, dass ich euch bei der nächsten Arbeit wieder vorsage“, warf Sean ein und steckte resigniert die Hände in die Hosentaschen.

„Ach komm scho…“, setzte Nick an, blickte in dem Moment jedoch in meine Richtung und verstummte. Er wirkte genauso überrascht wie ich.

Die anderen blickten daraufhin ebenfalls in meine Richtung und an den sich aufhellenden Mienen merkte ich, dass sie mich erkannten. Kurz herrschte Schweigen, während meinen Freundinnen erst noch ein ganzes Stück weiter hinten auffiel, dass ich gar nicht mehr hinter ihnen war.

„Samantha“, sagte Nick dann auf einmal lächelnd, „Endlich sehen wir uns wieder.“

„Ho ho Nick…“, stichelte sofort ein Älterer, „Das hörte sich gerade nach einer ganz schönen Anmache an, weißt du das?“

„Eh?!“ Nick lief rot an und wollte etwas sagen, doch da waren auch schon die anderen munter dabei ähnliche Kommentare abzugeben. Er konnte sie gar nicht so schnell zurückweisen, wie sie ihn mit neuen Sprüchen bombardierten.

„Der Arme kann einem manchmal echt leidtun“, seufzte Sean lediglich.

Ich musste kichern. „Tja, wer den Schaden hat.“

„Ähm…“ Yasmine, Caro und Nemu waren wieder nähergekommen und musterten die Szene etwas unschlüssig. „Sind das die Jungen, mit denen du Fußball gespielt hast?“

Ich nickte.

Die anderen hörten nun auf sich auf Nick zu stürzen und sahen die drei Mädchen neugierig an.

„Seid ihr Freundinnen?“, fragte einer.

„Jap“, antwortete ich, „Das sind Yasmine, Caroline und Nemu.“

„Freut uns“, sagte Danny, dessen Namen ich vorhin herausgehört hatte und der schon beim Spiel letztes Mal ziemlich gut gewesen war, „Wollt ihr auch mal mitmachen?“ Er hielt einen Fußball hoch und grinste herausfordernd.

Die drei – völlig unvorbereitet auf eine solche Einladung – sahen sich fragend an.

„Na los“, sagte ich und schob sie demonstrativ in Richtung Platz, „Das hat mir auch geholfen einen freien Kopf zu bekommen.“

Zwar noch zögerlich, aber als dann auch noch die Jungen dazu kamen und die drei mitschnackten, gingen sie die Stufen runter. Es fand eine rasche Teambildung statt und Yasmine und Caro waren in der einen, Nemu in der anderen Mannschaft. Nur Sekunden später machte Danny schon den Anstoß und noch ein wenig unbeholfen bemühten sich die drei darum an den Ball zu kommen.

„Wie geht es eigentlich deinem Flügel?“, erkundigte Nick sich plötzlich, der neben mir stehen geblieben war.

„Äh…“ Stimmt ja, das war meine Ausrede gewesen, weshalb ich nicht fliegen konnte. Aber jetzt brauchte ich sie wohl nicht mehr. „Wieder alles in Ordnung.“

„Schön zu hören“, sagte er lächelnd.

„Die drei scheinen aber wesentlich weniger sportlich zu sein“, stellte Sean fest – ich hatte gar nicht gemerkt, dass er ebenfalls hier oben geblieben war und den anderen beim Spiel zusah.

„Es können ja nicht alle so geschickt sein“, erwiderte ich, „Ich hatte auch nur Glück, so gut bin ich normalerweise nicht.“

„Ach was“, konterte er, „Ich kann unterscheiden, wer Talent hat und wer zu blöd für dieses Spiel ist.“

Ich sah ihn resigniert an. Er ließ es ja fast so aussehen als wären sie pure Nieten. Zudem hatte ich fast den Eindruck, dass er die drei nicht leiden konnte. Er musterte sie ein wenig zu eingehend für meinen Geschmack und zog dabei so eine seltsame Miene.

„Das ist bei ihm ein Kompliment“, flüsterte Nick mir hinter vorgehaltener Hand zu und lächelte schief, „Hast du großen Ärger bekommen? Der Mann sah ja ganz nett aus, aber irgendwie hatte er auch eine ziemlich wütende Ausstrahlung gehabt.“

Nun war es mein Lächeln, das schief wurde. „Kann man so sagen, aber ich hab´s überlebt.“ Die Details, besonders die vom weniger düsteren Teil, behielt ich lieber für mich.

„Dann ist ja gut.“

Eine Weile lang sahen wir dem Spiel zu, ich wollte heute lieber meine drei Freundinnen beobachten, und Nick und Sean leisteten mir Gesellschaft. Zwischenzeitig machte sich Sean noch kurz darüber lustig, wie Nick mich ansah und ihm dann rausrutschte, dass mir Flieder auch sehr gut stand. So nervös wie er nach einer Erklärung suchte, war das wohl ein Versehen gewesen, aber ich dankte ihm nur schmunzelnd.

Am Morgen hatte ich ein elegantes und relativ dünnes, fliederfarbenes Oberteil mit dreiviertellangen Ärmeln und eine diesmal etwas weitere weiße Hose auf dem Schreibtisch in meinem Zimmer gefunden – scheinbar hatte es jemand dorthin gelegt, als ich geschlafen hatte. Im Gegensatz zu meinem etwas zerrissenen Shirt besaß dieses auf dem Rücken zwei dünne Schlitze, die für meine Flügel gedacht waren. Ich fühlte mich recht wohl in den leichten Klamotten und wie ich auch schon bei der letzten Farbkombination gedacht hatte, schien Mikhail das irgendwem angeordnet zu haben. Jedenfalls kannte ich sonst keinen, der zumindest einigermaßen über meine Farbvorlieben bescheid wusste.

Yes, Caro und Nemu trugen alle drei solche knielangen Kleider mit dünnen Trägern, wie ich zuvor. Bloß war Yasmines hellblau und ihre dreiviertellange Hose schwarz, Caros weinrot mit hellgrauer Hose und Nemus gelb mit haselnussbrauner Hose. Da ich meines erstens zerlegt und dann auch noch in meiner Welt unter der Matratze vergessen hatte, konnte ich es natürlich nicht mehr anziehen.

„Ich werd das Gefühl nicht los, dass ihr irgendwie anders seid…“, murmelte Sean so leise, dass ich ihn beinahe überhört hätte.

Zuerst wunderte ich mich nur darüber. Allerdings fiel mir dann ein, was er wahrscheinlich unterschwellig bemerkte. Den Umstand, dass wir keine geborenen Rei waren. Nur wie konnte ihm das auffallen?

„Hast du was gesagt?“, fragte Nick stirnrunzelnd.

„Nein, nichts“, wehrte Sean ohne zu zögern ab, „Hab nur mit mir selbst geredet.“

„Ach ja“, sagte Nick und wandte sich damit wieder an mich, „Hast du schon gehört? Angeblich sollen die sagenumwobenen Wächterinnen aufgetaucht sein.“

Beinahe wären mir glatt die Gesichtszüge entglitten. Nur mit größter Mühe konnte ich es bei meinen hochgezogenen Augenbrauen belassen.

„Wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, sollen sie schon seit einigen Tagen hier sein und unseren Soldaten bei dem Kampf gegen die Nemesis helfen“, fuhr der Junge unbeirrt fort, „Allerdings waren es bisher wohl nur drei, aber laut meinem Cousin – er gehört zu den Soldaten der ersten Truppe – ist gestern ganz plötzlich aus heiterem Himmel heraus die vierte Wächterin aufgetaucht und hat mit nur einem Angriff die Nemesis in die Flucht geschlagen, die vorher fast gegen die anderen drei gesiegt hätten.“

Es wurde immer schwerer meine Züge an Ort und Stelle zu halten. Ich betete, dass keine meiner drei Freundinnen ihn hörte und dass er später nicht noch ein zweites Mal davon anfangen würde. Sonst würde meine ganze schöne Idee mit Sicherheit voll nach hinten losgehen, wenn sie das hörten.

„Diese Wächterin ist bestimmt unglaublich stark, meinst du nicht?“, fragte er und sah mich begeistert an, „Ich will auch einmal so stark werden.. Naja, magische Kräfte werde ich nie haben, aber ich will eines Tages auch zur ersten der zwanzig Truppen gehören. Die sind die absolute Elite und ich werde bestimmt hart arbeiten müssen, aber ich werde es schon hinkriegen.“ Er war eindeutig fest entschlossen, was ich irgendwie bewundernswert fand.

„Bis du auch nur Soldat der zwanzigsten Truppe wirst, wird noch so einiges passieren müssen“, bemerkte Sean trocken, „Ein guter Soldat würde jedenfalls nicht die Schule schwänzen.“

Nick knurrte beleidigt, obwohl er eindeutig wusste, dass Sean Recht hatte. „Ich frage mich, wie sie so ist“, seufzte er dann aber und sah hoch in den Himmel, „Schade dass sie im Palast der Prinzessin untergebracht ist, ich hätte sie zu gerne mal kennengelernt.“

Ein schiefes Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen. Wenn er wüsste, wie einfach und normal diese Wächterin eigentlich war, wäre er bestimmt ziemlich enttäuscht. Auch wenn ich zu gerne mal seinen Gesichtsausdruck sehen würde.

Kapitel 17: Absinken (1)

„Samantha!“

Ich sah mich überrascht um, ehe mir klar wurde, dass ich ihre Stimme in meinem Kopf gehört hatte.

„Wo auch immer du und die anderen drei euch gerade rumtreibt, seid bloß auf der Hut“, befahl Prinzessin Elisabeth hektisch, „Es scheint als wären zwei oder drei Nemesis hier in Reilong. Ich setzte Mikhail und die anderen darauf an, aber ihr solltet auch vorsichtig…“

Und damit herrschte Stille in meinem Kopf. Kurz hatte ich eine richtige Verbindung zu Elisabeths Geist gespürt, aber mit einem Mal war es so als hätte man einem Telefon den Stecker gezogen. Auf einmal war die Leitung tot.

Die Botschaft war jedoch angekommen und meine Gesichtszüge entgleisten vor lauter Entgeisterung. Den beiden Jungen neben mir schien dies aufzufallen und sie sahen mich verwirrt an.

Gerade als Nick mich an der Schulter berühren wollte, rief ich: „Yes, Caro, Nemu!“

Die drei blieben augenblicklich stehen und sahen mich verwirrt an. Mein Ton schien ihnen bereits zu verraten, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte.

„Wir müssen zurück!“, rief ich, „Sofort!“

„Was…“

„Beeilt euch!“ Ich war bereits drauf und dran loszusprinten. „Ich erklär´s euch auf dem Weg!“

Die drei schienen gerade reagieren zu wollen, als urplötzlich ein Ruck durch die gesamten Landmassen ging. Ganz Reilong wurde von einem einzelnen Stoß, der dem eines heftigen Erbebens gleich kam, erschüttert. Wir und auch die Jungen gerieten aus dem Gleichgewicht und beinahe wäre ich hingefallen, aber ich konnte mich gerade noch fangen.

Zum Glück blieb es bei diesem einen Erdstoß, der einige der umliegenden Häuser bereits mitgenommen hatte. Viele Rei kauerten erschrocken auf der Straße und hielten die Arme schützend über ihre Köpfe, doch allmählich trauten sich die ersten wieder auf die Füße. Allerdings waren gerade als wir uns von dem ersten Schreck erholten, laute Rufe zu hören. Ich sah jemanden in den Himmel deuten und blickte selber hinauf.

Kaum sah ich es, fiel mir auch dieser ungewohnte Luftzug auf und die an uns vorbeirauschenden Wolken bestätigten meine schlimmsten Befürchtungen. Reilong war dabei zu sinken. Und mit jeder Sekunde nahm die Geschwindigkeit zu, das gesamte Land drohte abzustürzen und letztlich auf die Erde zu krachen!

„Oh Gott“, hauchte ich.

„Was ist los?“, fragte nun auch Yasmine entgeistert.

„Irgendwas stimmt nicht mit Li-.. mit der Prinzessin.“ Zwar hatte sie das nicht gesagt, aber dass sie so plötzlich verstummt war, konnte eigentlich nur das bedeuten. „Scheinbar befinden sich zwei oder drei Nemesis hier auf Reilong.“

„Was…?“ Caro starrte mich mit offenem Mund an.

„Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte ich und überlegte fieberhaft, was wir tun sollten.

„Am besten, wir suchen schnellstens nach der Prinzessin“, schlug Yasmine vor, „Wenn du recht hast, sollten dort auch die Nemesis sein.“

„Aber was, wenn wir wieder versagen?“, fragte Caro ein wenig beklommen und biss sich auf die Unterlippe. Sie schien diese Zweifel nur äußerst ungern hervorzubringen.

„Das wird nicht passieren“, erwiderte ich nach einigen Sekunden ernst, „Wenn ihr zusammenarbeitet, solltet ihr es auf jeden Fall schaffen können.“

Nemu machte einige rasche Gestiken mit den Händen. „Heute sind es ja auch nur drei und wir sind alle relativ gut ausgeschlafen“, übersetzte ich erleichtert, „Das sollte zu schaffen sein.“

„Und seit wann drückst du dich denn vor heiklen Situationen?“, fragte ich Caroline und lächelte ermutigend, „Du warst doch so begeistert von der Idee, den Nemesis mit deinen Flammen ordentlich einheizen zu können.“

Ich sah dem Mädchen an, dass es mit seinen Vorsätzen und Befürchtungen rang.

„Es ist nicht unmöglich, wenn ihr eure Köpfe anstrengt und richtig zusammenarbeitet“, bemerkte ich, „Da konnte euch doch schon früher keiner was vormachen. Ihr kennt euch gegenseitig doch am besten von allen. Besser als ich euch kenne. Wenn ein Team gegen sie ankommen kann, dann ihr!“

Aus ihren Rücken streckten sich die bunten Flügel und ich blickte in fest entschlossene Gesichter dreier tapferer Kriegerinnen.

„Wir werden der Prinzessin helfen“, verkündete Yasmine, „Pass nur auf.“

Damit flogen sie, Caro und Nemu auch schon geschwind davon und sausten tief über die Hausdächer hinweg in Richtung Palast. Erst als ich sie bereits aus den Augen verloren hatte, fiel mir auf, dass ich jetzt ja auch eine Wächterin war und ihnen eigentlich folgen müsste. Oh Heiliger, wo war ich mit meinen Gedanken bloß gewesen?

Ein Blick in den Himmel und auf die vorbei rauschenden Wolken gab mir jedoch die Antwort darauf. Wenn das so weiter ging, würde Reilong in weniger als zwei Minuten unten auf der Erde aufschlagen.

„Was ist hier los?“, fragte Nick verwirrt, „Hat sie eben Prinzessin gesagt? Gehören die drei zum Palast?“

„Kann man so sagen…“, murmelte ich nur halb bei der Sache.

Wie zum Teufel konnte man ein ganzes Land vor dem Absturz bewahren? Ich brauchte etwas, das die riesige Insel in der Luft halten konnte. Zumindest so lange, bis Elisabeth das wieder übernehmen konnte – durch dieses zum Teil noch verborgene Wissen in mir wusste ich, dass Reilong einzig und allein von Elisabeths gewaltigen magischen Kräften in der Luft gehalten wurde. Sie verwendete mindestens achtzig Prozent ihrer Macht dafür und für die Schutzbarrieren und es gab meines Wissens niemanden sonst, der in der Lage wäre ein ganzes Land im Himmel schweben lassen zu können.

„Hey!“, rief Nick irritiert und allmählich etwas aufgebracht zugleich, „Was geht hier vor?! Was haben die drei mit der Prinzessin zu tun…“

Die Antwort war verblüffend einfach. Der raue Wind hatte mich mal wieder auf eine Idee gebracht, die verrückt und genial zugleich war. Wie so häufig bei meinen Einfällen.

„Tut mir leid, Jungs“, sagte ich, während sich die weißen Schwingen aus meinem Rücken streckten und ich ein wenig in die Hocke ging, „Vielleicht irgendwann mal, aber ich muss jetzt verhindern, dass wir noch weiter sinken.“

„Wie willst du das anstellen?“, fragte nun auch Sean ungläubig, „Das wäre selbst dann unmöglich, wenn sämtliche Rei versuchen würden das Land zu tragen…“

„Wenn man den Wind auf seiner Seite hat, ist es nicht mehr unmöglich“, widersprach ich und stieß mich kräftig ab.

Wie vom Katapult abgeschossen schoss ich über das Land hinweg auf dem kürzesten Weg zum Rand des fliegenden Landes. Erst ging es über die Gebäude der Stadt und anschließend über Bäume und Wiesen hinweg. Dann schoss ich den steilen Hang hinunter und tauchte durch einige Wolken, wobei ich die ersten Lücken in der Barriere bemerkte – das war gar nicht gut!

Schließlich befand ich mich ein gutes Stück unterhalb der fliegenden Insel, die nun direkt auf mich zu kam.

Auch wenn es Wahnsinn war, holte ich noch einmal tief Luft und begann dann direkt unterhalb des Landes den Wind zu bündeln. Ich streckte die Arme nach oben und konzentrierte sämtliche Kraft auf ein Luftpolster, das Reilong für kurze Zeit in der Luft halten konnte.

Es fühlte sich jedoch an als sollte ich selbst die gesamte Insel tragen, ein praktisch unmögliches Unterfangen. Trotzdem beschwor ich immer mehr meiner Kräfte herauf, ein wahrer Sturm tobte und drückte von unten gegen die gewaltigen Landmassen. Ganz konnte ich das Absacken von Reilong nicht stoppen, doch immerhin verlangsamte sich der Fall ein ganzes Stück, was den anderen mehr Zeit verschaffte. Auch wenn es nicht viel war, denn lange würde ich das nicht durchhalten können.

Fast zwei Minuten lang gelang es mir die Fallgeschwindigkeit des Landes auf ein Minimum reduzieren, doch allmählich konnte ich nicht mehr. Reilong war keine Ahnung wie viele Quadratkilometer groß und ich verzog vor Anstrengung das Gesicht, als ich versuchte die letzten Reste meiner Kraft weiterhin auf das Abbremsen der zurzeit fallenden Insel zu konzentrieren.

Schweißtropfen rannen mein Gesicht herunter und ich keuchte, während ich innerlich betete, dass Yes, Caro und Nemu bald Erfolg hatten und Elisabeth helfen konnten.

„Meine Hochachtung.“

Erschrocken blickte ich auf und sah gut zehn Meter vor mir einen Nemesis. Im nächsten Moment erkannte ich ihn und sah den fünften Kommandeur der Nemesishauptstreitmacht nur verdattert an.

„Selbst für eine Wächterin sollte es kein Leichtes sein diese gewaltige Insel in der Luft zu halten“, stellte er fest und grinste hämisch, „Eigentlich wollte ich meinen drei Spionen neue Anweisungen geben, aber ich glaube, vorher sehe ich mir noch dieses Kunststück an.“

Ich verzog das Gesicht.

„Wie lange kann die kleine Wächterin des Windes wohl noch ihr geliebtes Reilong stützen?“ Sein herausfordernder Blick war eindeutig.

Es entstand eine gute Minute des Schweigens, in der ich schwer mit der Kontrolle über meine Fähigkeit rang, da mir der Wind durch die Erschöpfung nun ein ums andere Mal ausbrach. Jedoch hatte ich trotzdem nicht vor mich so bald geschlagen zu geben. Zudem gab es da einige Dinge, die ich wissen wollte.

„Wieso?“ Es war mehr ein Flüstern.

„Hm?“ Der Schwarzgeflügelte sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Wieso macht ihr das alles?“, fragte ich nun lauter und konnte dabei mein Keuchen nicht mehr verbergen, „Wieso habt ihr die Menschen in den Krieg gestürzt und wieso zum Teufel greift ihr die Rei an?!“

„Hmmm.. eine gute Frage“, räumte er ein, wenn auch nur mit gespieltem Nachdenken, „Das wüsstest du kleine Wächterin wohl gerne, nicht wahr? Tja, aber was bringt es mir dich darüber aufzuklären, was Father.. was unser Ziel ist?“

Trotz der Anstrengungen war diese winzige Pause unüberhörbar. „Father?“, fragte ich und versuchte einigermaßen ruhig Luft zu holen.

Der Nemesis grinste. „Da habe ich mich wohl verplappert, was?“ Er machte eine beinahe schon theatralische Geste des viel zu übertriebenen Kopfschüttelns mit einem ziemlich aufgebauschten Seufzen.

„Wie ist eigentlich Ihr Name?“, fragte ich beiläufig und hauptsächlich um ihn von diesem dämlichen Theater abzubringen.

In seinen dunklen Augen blitzte ein seltsamer Schimmer auf. „Eine Wächterin interessiert sich für die Identität ihres Erzfeindes, das sieht man auch nicht alle Tage.“

„Ich will nur wissen, was ich auf den Grabstein schreiben lassen soll.“ Mir war klar, dass ich mich nicht in der Position für solche Sprüche befand, aber weil ich in einem meiner Bücher bei einer ähnlichen Situation diesen Spruch verwendet hatte, kam er mir ganz von selbst über die Lippen.

„Hnhnhnhn.“ Den fünften Kommandeur schien diese Ansage auch eher zu amüsieren als einzuschüchtern. „Du hast Humor, kleine Wächterin. Und als Respekt für deinen Mumm werde ich dir meinen Namen verraten.“ Er machte eine kurze Pause, ehe er langsam sein breites Schwert aus der Scheide an seinem Gürtel zog. „Mein Name ist Raven. Nur leider muss ich dir sagen, dass du diesen Namen mit ins Grab nehmen wirst. Noch irgendwelche letzten Worte?“

Mein Kopf hatte in der Zwischenzeit kräftig gerödelt und über die Worte davor nachgedacht – im Gegenzug war Reilong noch ein ganzes Stück weiter gesunken – und kam jetzt mit einer wenigstens einigermaßen naheliegenden Vermutung. „Ist dieser ‚Father‘ euer Anführer?“, fragte ich schwer atmend und versuchte mich noch einmal gegen die gewaltigen Landmassen aufzustämmen, „Ist er derjenige, der die Rei angreifen will?“

Für einen winzigen Augenblick wirkte Raven tatsächlich überrascht. Wenn ich diesen kurzen Moment des Zögerns richtig deutete, hatte ich mit meinem gewagten Raten tatsächlich ins Schwarze getroffen. Dann jedoch grinste er wieder in seiner üblichen stark überheblichen Weise.

„Alle Achtung, du scheinst ja ein ziemlich kluges Mädchen zu sein“, stellte er fest und hob das Breitschwert, „Noch ein Grund mehr erstmal dich zu beseitigen.“

Mit einem Mal schoss er wie ein geölter Blitz auf mich zu und ich kniff reflexartig die Augen zu, in Erwartung auf den kommenden Schmerz, den ich beim besten Willen nicht mehr umgehen konnte.

Kapitel 18: Absinken (2)

Doch als mich der ihm vorauseilende Luftzug schon erreichte, hörte ich plötzlich ein dumpfes Geräusch – als hätte man ein ziemlich großes Kissen oder so gegen eine Scheibe geworfen.

Der Anblick als ich meine Augen vorsichtig wieder öffnete – obgleich ich eigentlich völlig fertig war – ließ mich laut prusten vor Lachen. Raven, der fünfte Kommandeur der Nemesishauptstreitmacht, hing etwa einen Meter vor mir in der Luft und sah aus wie eine Fliege, die gegen die Windschutzscheibe eines Autos geklatscht war. Zwar war er noch heil, aber alleine schon diese etwas verdrehte Pose als würde er wirklich an einer Glasscheibe kleben brachte mich so derbe zum Lachen, dass ich um ein Haar endgültig die Kontrolle über meine Fähigkeit verlor. Wohl bemerkt aber vor Lachen.

Dann löste er sich langsam wieder von der durchsichtigen Wand, die da scheinbar wirklich mitten in der Luft hang, und fasste sich erstmal vorsichtig an den Kopf. Das gab bestimmt derbe Kopfschmerzen, der Arme machte einen ganz schön belämmerten Eindruck und bewegte nur sehr bedächtig seine einzelnen Gliedmaßen, als wenn er testen wollte, ob sie alle noch ganz waren und funktionierten.

Als ich gerade aufatmete und mich vor allem wieder auf das Abstützen von Reilong konzentrierte, das mittlerweile nicht mehr weit von unseren Köpfen entfernt war, erfasste mich der nun auf einmal finstere Blick von Raven. Selbst der Hohn war verschwunden und hatte nur einen düsteren und wenn ich ehrlich war ganz schön einschüchternden Blick hinterlassen.

„So so, du willst es also auf die harte Tour“, sagte er in drohendem Tonfall und mir lief beinahe ein Schauer über den Rücken.

Ich wusste nicht genau was, aber etwas an ihm hatte sich verändert. Auf einmal spürte ich eine derartige Mordlust, dass ich unwillkürlich ein Stück zurück schwebte und Raven nur unsicher ansah. Dieser erwiderte unbarmherzig meinen Blick und ich merkte, wie sich seine Muskeln unmittelbar vor einem erneuten Angriff anspannten.

So plötzlich dass ich es noch nicht mal mit den Augen mitverfolgen konnte, zischte er mit erhobenem Schwert erneut auf mich zu. Hätte es nicht ein lautes Klirren gegeben, als sein Schwert auf den durchsichtigen Schutzschild – als den ich die Wand, gegen die er eben gekracht war, endlich identifizieren konnte – traf, hätte es mich wahrscheinlich erdolcht, ehe ich überhaupt gemerkt hätte, dass er vor mir war.

Nun starrte ich jedoch die vor mir schwebende, durchsichtige Silhouette von Prinzessin Elisabeth ungläubig an.

„Wage es nicht sie anzugreifen!“, fauchte das junge Mädchen den Nemesis an, der sie seinerseits finster anstarrte.

Wenn er in irgendeiner Weise überrascht war, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Stattdessen holte er mit dem Schwert aus und schlug auf den Schild ein, wobei das auch dieses Mal nicht viel mehr als ein klirrendes Geräusch brachte.

Elisabeth wandte sich nun unbeirrt dessen an mich. „Du kannst aufhören, ich brauch noch einen Moment bis ich Reilong wieder im schwebenden Zustand habe, aber deine Freundinnen haben die Nemesis erledigt, die mich überrascht hatten. Ich hab Yasmine zu dir geschickt, sie wird jeden Augenblick da sein, also halt noch ein bisschen durch…“

Ihre Silhouette wurde unvermittelt noch durchsichtiger und verschwand, genauso wie der Schild, wie ich an Ravens Schwert sah, das nun sauber durch die Luft schnitt. Ich war froh, dass sie in Ordnung war, und die Windkontrolle musste ich inzwischen zwangsweise aufgeben, da ich beim besten Willen keine Kraft mehr dazu hatte. Nur der Blick auf den Nemesis vor mir brachte mich zu der Frage, wie ich so gegen ihn durchhalten sollte. Immerhin hatte ich etwas mehr als eine Minute hier runter gebraucht und vom Palast aus sollte der Weg noch ein Stück weiter sein. Auch wenn es nur noch vielleicht eine Minute war, verriet mir der mörderische Ausdruck in Ravens Augen, dass ich nicht mehr so lange leben würde.

Einen kurzen Moment lang versuchte ich noch einmal die Kontrolle über den Wind zu erlangen, doch den Versuch gab ich sofort wieder auf. Ich brachte noch nicht mal mehr ein Lüftchen zustande.

Daraufhin plante ich so schnell ich konnte hoch zu fliegen und so Yes schon entgegen zu kommen – es behagte mir nicht sie gegen diesen gefährlichen Schwarzgeflügelten kämpfen zu lassen, doch sie hatte weit mehr Chancen als ich. Nur kaum wollte ich mich in die Richtung wenden, erschien Raven plötzlich über mir und durch mehr Glück als Verstand gelang es mir mich gerade noch so weit fallen zu lassen, dass sein Schwert wenige Millimeter über meine Brust hinweg sauste.

Ich drehte mich erschrocken und wollte jetzt nur noch irgendwo hin weg, doch mein Widersacher war fast noch schneller als der Wind und schnitt mir den Weg ab. Dieses Mal war er unmittelbar vor mir und seine Hand hatte wie ein Schraubstock meinen Arm gepackt. Es gab kein Entkommen und ich starrte nur entgeistert in seine tief braunen, fast schwarzen Augen.

Schwarz wie der Tod schoss es mir durch den Kopf

Es war nur ein Sekundenbruchteil, doch er erschien mir mehr wie eine ganze Minute. Als er sein Schwert zum vernichtenden Schlag hob, sah ich mein Ende kommen und wollte wenigstens die Augen zukneifen – das war feige, aber ich konnte nicht anders. Doch wie aus dem Nichts heraus schnellte ein anderes, schmaleres Schwert direkt über meine Schulter hinweg.

Jeden anderen hätte dieser Streich mit Sicherheit den Kopf gekostet, aber Raven gelang es irgendwie sich gerade noch rechtzeitig seitlich wegzudrehen und den Kopf in den Nacken zu legen. Dabei war er gezwungen meinen Arm loszulassen und ich wäre sehr wahrscheinlich einfach gefallen, da mich bei dem Schreck endgültig sämtliche Kräfte verlassen hatten, doch ein starker Arm hatte sich um meine Taille gelegt und presste mich nun an den hochgewachsenen Körper eines Mannes.

„Wie oft willst du mir eigentlich noch solche Sorgen bereiten?“, fragte Mikhail und sah mich mit seinen ozeanblauen Augen von oben herab an, „Du bist doch verrückt alleine zu versuchen ganz Reilong abzustützen.“

Zum einen war ich vollkommen überrascht, weil er so plötzlich hinter mir war und mich dazu noch gerettet hatte – zum wievielten Mal jetzt eigentlich schon? – aber am meisten verblüffte mich der Unterschied zum letzten Mal, als er dem fünften Kommandeur der Nemesishauptstreitmacht gegenübergestanden hatte. Obwohl er das andere Mal ausschließlich auf Raven konzentriert gewesen war, weil er ihm den Mord seiner geliebten Evelyn nicht verzeihen konnte, sah er jetzt nur mich an. Mit einem Blick, aus dem ehrliche Sorge sprach.

Ich war zu keiner Antwort fähig, zumal ich sowieso völlig fertig war. Meine Flügel verschwanden ganz von selbst und der Erwachsene zog mich noch ein Stück enger an sich.

Da war auf einmal ein ganz leises Geräusch, ähnlich einem Klacken von Metall, zu hören und die breite Klinge von Ravens Schwert blitzte im Licht, als er es von hinten mit der Spitze auf Mikhails Nacken richtete. Mit einer Entfernung von höchstens zwei Zentimetern wohl bemerkt.

Mikhails Augen wurden schmal und er blickte über seine Schulter. „Zeigst du deine Mordlust heute mal geradeheraus? Wie ungewöhnlich.“

Ein finsteres Lächeln war alles, was als Erwiderung kam. Dann stach er zu.

Nur anders als er – und auch ich – gedacht hatte, war nichts mehr da, was er erstechen konnte. Mikhail beherrschte anscheinend auch diese Technik, die es ihm erlaubte von einem Moment zum nächsten plötzlich an einem ganz anderen Ort wieder aufzutauchen. Jedenfalls befanden nun wir uns hinter Raven und Mikhail hielt bereits sein Langschwert direkt auf die Stelle zwischen den Schulterblättern und Flügeln des Nemesis gerichtet.

„Ich pflege es Fehler nur ein Mal zu begehen“, sagte er drohend, während er mich nach wie vor noch ganz nebenbei mal so festhielt.

Der Schwarzgeflügelte grinste jedoch verheißungsvoll. Mit Sicherheit wäre im nächsten Moment ein heißer Kampf zwischen den beiden ausgebrochen, doch just in der Sekunde erschien plötzlich überall um uns herum Wasser. Die leuchtend hellblauen Tropfen rannen in schmalen Bahnen durch die Luft und zogen den Kreis um den Nemesis rasend schnell enger, während Mikhail automatisch ein Stück zurück flog.

„Alles in Ordnung, Sam?“, fragte Yasmine besorgt, die von oben herunter geflogen kam und neben uns verharrte. Sie keuchte und auch wenn sie versuchte es nicht zu zeigen, sah ich ihr sofort an, dass die duzenden kleinen Schrammen und Stellen auf ihrem Körper verdammt wehtun mussten. Scheinbar war sie in einen direkten Nahkampf mit den Nemesis geraten, die die Prinzessin angegriffen hatten.

„Halb so wild“, antwortete ich und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, „Bin nur ziemlich k.o., das ist alles.“

„Gott sei Dank“, seufzte Yes daraufhin erleichtert.

„Wir sollten…“, setzte Mikhail an, doch auf einmal zischte der Nemesis einfach durch das Wasser, in dem meines Erachtens noch duzende spitze Eissplitter steckten – was ihn nicht zu interessieren schien –, und kam direkt auf uns zu.

Yasmine riss erschrocken die Arme hoch, woraufhin ein großer Schild aus Wasser vor uns erschien. Aber obwohl Raven nicht gleich durch den Schild drang, hielt er kräftig mit dem Schwert dagegen und Yes war die Anstrengung deutlich anzusehen. Stück für Stück wurde sie zurückgedrängt und daran, dass Mikhail sein Schwert bereits fester packte, sah ich, dass er sich bereit machte den Nemesis jederzeit abzuwehren.

In dem Augenblick war von oben jedoch ein lauter, angriffslustiger Schrei zu hören und mit einem Mal erkannte ich Ravis roten Haarschopf. Der jüngste der vier Brüder schoss senkrecht herab direkt auf den Schwarzgeflügelten zu, der auf das Brüllen hin natürlich sofort nach oben blickte.

Nur anscheinend war es kein Versehen, dass Ravi seine Aufmerksamkeit so offensichtlich auf sich zog. Denn kaum wandte Raven das Gesicht von uns ab, gab Mikhail meiner Freundin mit einer schnellen Geste zu verstehen, dass sie den Schild verschwinden lassen sollte, und schoss mit erhobenem Schwert ebenfalls auf den Nemesis zu.

Dieser bemerkte die Falle zu spät, schaffte es aber trotzdem gerade noch Mikhails Hieb auszuweichen, weswegen er jedoch von Ravis Lanze an der Seite getroffen wurde. Der Schnitt schien zwar nicht sehr tief, aber dafür ziemlich lang zu sein, so wie seine schwarzen Klamotten an der linken Seite in Fetzen hingen. Der Junge machte ein Stück weiter unten einen steilen Bogen und schoss wieder nach oben, während auch Mikhail erneut das Langschwert hob.

Raven verzog das Gesicht, doch in dem Augenblick schossen plötzlich lauter Dolche durch die Luft auf uns zu. Ravi musste eine scharfe Kurve machen, um nicht getroffen zu werden. Mikhail war ebenfalls zu einigen Ausweichmanövern gezwungen und Yasmine errichtete schnell einen Schild aus Wasser um sich.

„Verschwinden wir von hier“, sagte plötzlich ein Mädchen mit pechschwarzen Haaren und Flügeln, das neben Raven schwebte und bereits die nächsten Dolche in der Hand hatte. Scheinbar war es ebenfalls durch die noch nicht ganz wiederhergestellte Wolkenbarriere gekommen.

Als es mich und Yasmine ansah, wirkte es jedoch ziemlich verblüfft. Da erkannte ich die Nemesis ebenfalls – sie und ein anderer Junge hatten mich und Yes angegriffen, als wir zum ersten Mal hier in dieser Welt gelandet waren.

Raven verzog das Gesicht, ließ sich nach kurzem Zögern jedoch von dem Mädchen am Arm in Richtung Wolken ziehen, die sich allmählich wieder dichter zogen – ein Zeichen dafür dass Elisabeth dabei war die Barriere wieder zu rekonstruieren. Reilong selbst war bereits wieder dabei anzusteigen und daher war anzunehmen, dass wieder alles in Ordnung war.

„Sollten wir ihnen nicht folgen?“, fragte Ravi ein wenig treudoof und deutete mit der Lanze in Richtung der beiden Nemesis.

„Normalerweise würde ich dir zustimmen“, stellte Mikhail fest und ein ganz leicht angesäuerter Unterton schwang in seiner Stimme mit, „Aber die beiden hier sind nun wirklich nicht in der Verfassung für eine Verfolgungsjagd oder gar einen Kampf.“

Zwar zeigte ich es nicht, aber ich war froh, dass es für heute reichen sollte. Ich war fix und alle und Yes sah ebenfalls k.o. aus. Lange hätte sie nicht mehr durchgehalten und ich war kurz davor einzuschlafen.

Kapitel 19: das Schicksal der Prinzessin

„Was habt ihr euch bloß dabei gedacht?!“, fragte Tinto aufgebracht, als wir uns alle am nächsten Morgen im Salon zur Besprechung einfanden. Vermutlich bezog sich sein Wutanfall darauf, dass Yasmine, Nemu, Caro und ich uns gestern Morgen heimlich aus dem Palast geschlichen und in der Stadt rumgetrieben hatten.

Ich verzog ein wenig das Gesicht. „Wenn du unbedingt jemanden anschreien willst, dann mich“, sagte ich, „Ich hab die drei dazu überredet, also lass sie daraus.“

„Und es war unsere Entscheidung mitzukommen!“, fuhr Yasmine dazwischen, bevor Tinto etwas erwidern konnte, „Nimm nicht alles auf dich, Sam! Wir haben genauso Schuld!“

„Genau!“, stimmte Caro zu, „Wir hatten doch alle keinen Bock uns seine ständigen Vorträge anzuhören!“

Nemu nickte ebenfalls.

„W-Was…“ Tinto schien regelrecht fassungslos zu sein, als wir ihn alle finster anstarrten und mit Blicken zu durchbohren versuchten.

„Vielleicht solltest du mal ein wenig netter zu ihnen sein“, bemerkte Mikhail gelassen, „Dann werden sie wahrscheinlich nicht mehr so aussehen als wollten sie dich am liebsten irgendwo einsperren und den Schlüssel wegwerfen.“

„Du auch noch?“ Nun wirkte der Zweitälteste endgültig entgeistert.

„Hmmm, Freundlichkeit schadet nicht, weißt du“, fügte Ravi grinsend hinzu und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

„Habt ihr alle vergessen, in was für einer Lage wir uns befinden?!“, fragte Tinto, „Wir sind mitten im Krieg und so wie es aussieht kurz davor von den Nemesis vernichtet zu werden! Freundlichkeit rettet keine Leben!“

„Aber sie macht das Leben wesentlich angenehmer“, merkte ich an. Ich konnte diesen Kerl mittlerweile genauso wenig leiden, wie er mich. Seine ständigen Belehrungen und Vorträge gingen mir echt auf die Nerven, genau wie meinen drei Freundinnen. „Außerdem ist die Sache doch glimpflich ausgegangen, also was hast du gegen uns?“

Tinto verzog das Gesicht und murmelte etwas Unverständliches in der alten Sprache der Rei.

„Ich bin auch der Meinung, wir sollten die Sache einfach auf sich beruhen lassen.“ Mikhail lehnte an der Wand neben der Couch, auf der wir Mädchen Platz genommen hatten, und zuckte mit den Schultern. „Und Tinto, wenn du unbedingt einen Schuldigen suchst, dann kannst du dich genauso gut an mich oder die Prinzessin wenden.“

Die Aussage führte zu ein paar mehr verwirrten Gesichtern.

„Sie und ich haben die vier gestern Morgen zufällig gesehen, als sie sich nach draußen geschlichen haben“, erklärte der Älteste, „Aber da wir einstimmig der Meinung waren, dass ihnen eine kleine Auszeit nicht schadet, haben wir nichts weiter unternommen.“

„Ich glaub´s nicht…“, stöhnte Tinto und schüttelte den Kopf.

„Also was genau ist gestern bei euch passiert?“, wandte sich Mikhail an uns, „Könnt ihr uns kurz schildern, was passiert ist?“

„Na ja“, begann Yasmine leicht zögerlich, „Nachdem Sam uns gesagt hat, dass die Prinzessin in Gefahr ist, haben wir drei uns sofort auf den Weg zum Palast gemacht. Erst wussten wir nicht, wo wir suchen müssen, bis wir ein paar überwältigte Soldaten entdeckt hatten und ihrer Spur bis in den Thronsaal gefolgt sind. Dort hatten drei Nemesis die Prinzessin in ihrer Gewalt und haben sie bedroht. Wir konnten sie zum Glück überraschen und einen nach dem anderen ausschalten, auch wenn wir wie man sieht auch einiges eingesteckt haben.“

Tatsächlich sahen alle drei ganz schön mitgenommen aus. Zahlreiche Schnittwunden, blaue Flecken und verkrustete Stellen waren an ihren freien Armen zu sehen und so wie sie die Gesichter beim Gehen verzogen, bereitete bereits das ihnen außerordentliche Schmerzen. Dagegen hatte ich großes Glück gehabt gleich zweimal gerettet worden zu sein, einmal von Elisabeth und das zweite Mal durch Mikhail, der wie durch ein Wunder wieder gewusst hatte, wo ich mich befand.

Dieser sah mich abwartend an und ich spürte auch die Blicke der anderen auf mir ruhen.

„Tja…“ Ich wusste nicht recht, was ich jetzt von dem Geschehenen berichten sollte. „Mir sind meine eigenen Kräfte erst wieder bewusst geworden, als die drei schon weg waren. Allerdings ist mir aufgefallen, wie schnell Reilong an Höhe verloren hat. Deshalb habe ich versucht den Fall mit meiner Fähigkeit wenigstens einigermaßen abzubremsen, damit Yes, Caro und Nemu mehr Zeit haben. Dabei ist allerdings Raven aufgetaucht und hat mich angegriffen.. da fällt mir gerade ein, er hat jemanden namens ‚Father‘ erwähnt, der anscheinend dafür verantwortlich ist, dass die Nemesis uns angreifen!“

Das sorgte für Überraschung, wie ich an den Gesichtern der vier jungen Männer sehen konnte, aber auch meine drei Freundinnen sahen verblüfft aus.

„Wie meinst du das?“, fragte Tinto, der dabei sogar vergaß sauer zu klingen.

„‚Father‘ ist ihm nur versehentlich rausgerutscht“, bemerkte ich, „Als ich dann geraten habe, dass er der Anführer der Nemesis ist und die Vernichtung der Rei will, hat Raven so ausgesehen als hätte ich richtig geraten. Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen, aber es scheint mir sehr naheliegend.“

Einen Augenblick lang herrschte Stille, während alle versuchten diese Informationen zu verdauen und vor allem was mit ihnen anzufangen.

„Mal angenommen, du hast recht und dieser ‚Father‘ ist ihr Anführer“, überlegte Mikhail laut, „Bleibt immer noch die Frage, wie wir das Versteck der Nemesis aufspüren sollen. Wir haben in der Vergangenheit ja schon ein paarmal versucht ihren Aufenthaltsort herauszufinden, indem wir ihnen bei Rückzügen einfach gefolgt sind, aber früher oder später haben alle Verfolger die Nemesis immer aus den Augen verloren. Keiner von uns hat eine Ahnung, wie sie das machen, aber bisher ist noch keiner in der Lage gewesen das Versteck der Nemesis zu finden.“

„Gute Frage“, stellte Yasmine fest und schien zu überlegen.

Auch Caro und Nemu hatten nachdenkliche Mienen aufgesetzt und ich selbst versuchte natürlich ebenfalls irgendwo aus meinem Gedankensalat eine Idee herauszufischen, doch es wollte keine anbeißen. Scheinbar waren meine Köder nicht gut genug.

Wir alle dachten noch eine ganze Weile über diese Frage nach – abgesehen von Luke, der scheinbar lieber wieder mit der schneeweißen Katze spielte, die hier gelegentlich durch die Gänge des Palastes streifte, und Ravi, der unbemerkt von Tinto ein Nickerchen hielt – doch keiner kam zu einem Ergebnis. Man müsste herausfinden, wie die Nemesis es schafften so plötzlich spurlos zu verschwinden. Doch um das wiederum herauszufinden, müsste man die Truppen noch häufiger beobachten und verfolgen, was sehr wahrscheinlich auch nicht zum gewünschten Ergebnis führen würde.

Wenig später verabschiedeten wir uns dann. Der Zweitälteste hatte uns Wächterinnen, wie wir es im Prinzip nicht anders erwartet hatten, ab morgen wieder zum Training verdonnert. Alle einschließlich mir, die ich nun allem Anschein nach auch als Wächterin anerkannt war. Yasmine, Caroline und Nemu gingen rauf in ihre Zimmer, um sich von ihren Verletzungen zu erholen und noch ein wenig zu entspannen, bevor die Strapazen wieder losgingen. Ich selbst hatte vor meinem Zimmer jedoch Kehrt gemacht und war auf dem Weg zu dem Gang, in dem ich durch Zufall den Geheimgang runter zu Bibliothek entdeckt hatte. Zwar brauchte ich wahrscheinlich eine Weile, doch ich war zuversichtlich, dass es mir auch ein zweites Mal gelang den Mechanismus in Gang zu setzen, der die Pforte zum Geheimgang öffnete. Vielleicht wusste Elisabeth ja, wo sich das Versteck der Nemesis befand.

Als ich die Bibliothek betrat, war diese zunächst leer. Ich war versucht wieder in den alt aussehenden Büchern mit den schön geschwungenen Buchstaben zu blättern, doch ich hielt mich zurück.

„Ganz schön groß hier.“

Erschrocken drehte ich mich um und entdeckte direkt hinter mir den Nemesiskern, der zwar nach wie vor in meiner Barriere gefangen war und keinen Schaden anrichten, sich dafür aber anscheinend frei bewegen konnte, wenn ich mich nicht gerade darauf konzentrierte ihn an einem Punkt festzuhalten.

„Wie kommst du hier her?“, fragte ich perplex und sah mich dabei hektisch um, aber zum Glück schienen wir hier unten wirklich alleine zu sein. Nicht auszudenken, wenn jemand Tiya hier gesehen hätte.

„Als du vorm Zimmer wieder umgedreht bist, bin ich dir gefolgt“, antwortete der Kern kurz angebunden, „Die ganze Zeit über in dem Raum gefangen zu sein ist fürchterlich langweilig, weißt du das?“

„Und wie ich das weiß“, murmelte ich bei den Gedanken an meine ersten Tage hier resigniert, „Aber du kannst nicht einfach durch die Gänge fliegen! Was wenn dich jemand sieht?“

„Reg dich ab“, erwiderte Tiya gelassen, „Ich hab das Zimmer heute zum ersten Mal verlassen und war direkt hinter dir. Außerdem hätte ich mich zu Not jederzeit in irgendeiner Nische verstecken können. Glaub ja nicht, dass ich versessen darauf bin entdeckt zu werden. In einem Nest voller Feinde stehen meine Chancen in dieser Form viel zu schlecht, um mein Glück auf die Probe zu stellen.“

„Dein Wort in Gottes Gehör“, stöhnte ich und ging weiter, gefolgt von dem Nemesiskern.

„Aber eure Prinzessin hat wirklich einen komischen Geschmack“, stellte sie nach einigem Umsehen fest, „Das sind ja fast alles nur ausgedachte Geschichten. In unserer Bibliothek finden sich alle möglichen Fachbücher über Magie und Kampfkünste jeglicher Art, besonders in Fathers Privat…“

„Father?“ Ich blickte den Kern an.

Tiya schwieg.

„Also heißt euer Anführer wirklich so“, stellte ich fest.

Daraufhin spürte ich den unsichtbaren Blick der Nemesis auf mir. „Woher weißt du von Father?“

„Man könnte sagen, dass Raven sich etwas verplappert hat.“

„Der arrogante Idiot?“ Scheinbar kannte Tiya ihn, auch wenn sie ihm eigentlich noch nie zuvor begegnet sein sollte. „Sieht ihm ähnlich, dass er so dämlich ist.“

In dem Augenblick war ein raues Schaben zu hören und ich blickte erschrocken zu dem Regal, durch das Mikhail das letzte Mal hier nach unten gekommen war. Schnell packte ich die Windbarriere und schob sie hinten unter mein Shirt.

„Bleib bloß da und gib keinen Mucks von dir!“, zischte ich und wartete.

„Brauchst du mir nicht zu sagen!“

Es war nicht Mikhail, der die Bibliothek betrat, sondern Elisabeth selbst. Die Prinzessin sah mich kurz leicht überrascht an und einen Augenblick lang befürchtete ich, sie könnte Tiya entdeckt haben, doch dann ging sie ganz normal zu einem der Regale herüber und zog eines der Bücher heraus.

„Du bist schneller wieder hier, als ich dachte“, bemerkte das junge, vielleicht dreizehnjährige Mädchen, als es die Seiten umblätterte.

„Ich wollte dich etwas fragen“, sagte ich und trat näher.

„Ob ich weiß, wo sich das Versteck der Nemesis befindet?“

Ich nickte leicht verblüfft.

Jedoch verzog sich ihr Gesicht ein wenig. „Ich wünschte, ich wüsste es“, antwortete Elisabeth leicht angesäuert, „Aber obwohl dieser Kampf schon so lange andauert, weiß ich es noch immer nicht. Das war schon in allen Generationen zuvor ein großes Geheimnis, das wir nie zu entschlüsseln in der Lage waren. Es wurmt mich tierisch, aber bis auf das, was du von Raven erfahren hast, wissen wir nichts über diese Bande von Schwarzgeflügelten, außer dass sie uns und die Menschen vernichten wollen.“

Tiya regte sich an meinem Rücken ein Stück und ich befahl der Barriere still zu halten.

„Wir kennen weder ihre Gründe noch irgendetwas anders“, flüsterte die Prinzessin und nun konnte ich ihre Verärgerung und Frustration über diesen Zustand deutlich spüren, „Ich kann nicht glauben, dass es mir bis heute nicht gelungen ist, wenigstens das herauszufinden, wenn wir sie schon nie schlagen konnten. Aber nicht mal das habe ich geschafft!“

Vielleicht lag es daran, dass sie in meinen Augen immer noch aussah wie ein kleines Mädchen. Jedenfalls trat ich die letzten Schritte auf sie zu und nahm sie sanft in die Arme, wobei die Kleine mir nur bis zu den Schultern reichte. Sie war eindeutig überrascht von dieser plötzlichen Geste.

„Irgendwas wird uns schon einfallen“, versuchte ich sie aufzumuntern, „Mag sein, dass das Schicksal der Wächterinnen vorherbestimmt ist, aber wir werden ganz bestimmt nicht aufgeben. Außerdem glaube ich nach wie vor daran, dass man das Schicksal ändern kann. Gib nicht auf. Wenn du als Prinzessin aufgibst, was soll dann aus den Rei werden? Sie brauchen dich und wir genauso. Also bitte gib dir nicht die Schuld für etwas, das nicht deine Schuld ist. Glaub an dich und deine Fähigkeiten.“

Das Mädchen war still und schien ungeheuer verblüfft zu sein, ehe es hörbar die Luft ausstieß. Dann merkte ich, wie sie die Arme um mich legte und die Umarmung erwiderte.

„Die Wächterin des Windes wurde schon früher nicht selten auch als Wächterin der Hoffnung bezeichnet“, flüsterte Elisabeth und lächelte schwach, „Du hast mich gerade wieder daran erinnert.“

„Es muss schlimm sein, so oft den Tod von Leuten mitansehen zu müssen, die einem viel bedeuten.“ Ich war mir sicher, dass ihr die Wächterinnen der vergangen Generationen und alle anderen Rei sehr wichtig waren. Schon der Selbsthass, weil sie nach der langen Zeit noch immer keinen Anhaltspunkt über das Versteck der Nemesis hatte, und ihre sonstigen Bemühungen wiesen deutlich darauf hin. Es musste einfach furchtbar sein diesen Kreislauf immer wieder miterleben zu müssen und am Ende jedes Mal machtlos zu sein.

Sie weinte stumm und ich spürte, wie auch mir einzelne Tränen über die Wangen liefen. Sicher hatten die Wächterinnen ein schweres Schicksal, aber das von Elisabeth erschien mir noch tausendmal schlimmer. Immer wieder den Tod von Freunden mitansehen zu müssen war grausam und die reinste Folter. Ich wollte nicht mit ihr tauschen müssen.

Kapitel 20: Hoffnung und Misstrauen

„Eure Prinzessin ist wirklich was“, murmelte Tiya, als wir wieder auf dem Weg zurück zu meinem Zimmer waren, „Und dass dieser Kampf schon seit mehreren Generationen andauert, kann ich kaum glauben. Father hat so etwas nie erwähnt.“

„Hier wissen auch nur Lisa und ich davon bescheid“, bemerkte ich leicht betrübt, „Vor den anderen halten wir es lieber geheim.“

„Wundert mich nicht.“

Ich sah den Kern eine Weile lang an. „Warum versucht ihr Nemesis eigentlich die Rei zu vernichten?“

Sie antwortete nicht.

„Oder ist es nur dieser ‚Father‘, der unsere Vernichtung anstrebt?“, präzisierte ich die Frage nochmal.

Zwar kam wieder keine Antwort, doch ich spürte Tiyas Unentschlossenheit. Mittlerweile schien die Nemesis mir gegenüber nicht mehr annähernd so feindselig gestimmt zu sein wie am Anfang. Na ja, wir verstanden uns ja komischerweise trotz dessen wir von verfeindeten Arten stammten ziemlich gut, zumindest soweit ich das beurteilen konnte. Vielleicht – ganz vielleicht – gab es sogar eine Möglichkeit für die Rei und Nemesis einander zu verstehen, so wie Tiya und ich.

„Führst du mal wieder Selbstgespräche?“

Fast zu Tode erschrocken fuhr ich herum und entdeckte ein Stück weiter hinten Mikhail, der wie so häufig in den letzten Tagen einige Papiere in der Hand hatte und sie noch während des Gehens studierte. Tiya flitzte augenblicklich zur Seite und versteckte sich hinter einer dickbauchigen Vase, in der einige bunte Blumen blühten.

Mein ehemaliger Literaturagent hob eine Augenbraue. „Warum siehst du mich so an als hätte ich dich gerade bei etwas Verbotenem erwischt?“

„Äh…“ Gott sei Dank schien er den Nemesiskern nicht bemerkt zu haben. „Ach.. ich war gerade nur mit den Gedanken wo anders.. und du hast mich ziemlich erschreckt.“

Es war fast als roch er die Lüge. Sein Blick gab mir deutlich zu verstehen, dass er mir das nicht abkaufte.

„Was sind das eigentlich für Zettel?“, versuchte ich ihn abzulenken. Denn die Sache mit Tiya konnte ich ihm beim besten Willen nicht erzählen, dann war ich Hackfleisch.

Der Erwachsene blickte auf die Papiere in seiner Hand. „Hauptsächlich Berichte von den Auseinandersetzungen mit den Nemesis“, antwortete er schlicht, „In letzter Zeit kommen sie uns immer näher und Tinto und ich versuchen ein Muster hinter den Angriffen zu erkennen.. wenn auch bisher ohne Erfolg. Aber das ist nichts für dich, schließlich wissen wir beide, wie es um deine strategischen Denkfähigkeiten steht.“

Ich sah ihn finster an und war kurz davor etwas ziemlich Unschönes zu erwidern, doch in dem Moment klopfte er mir mit den Zetteln auf den Kopf.

„Überlass den Papierkram und das Planen uns“, fügte er hinzu und schmunzelte, „Ihr habt andere Aufgaben, die wir nicht vollbringen können.“

„Aber.. was wenn die Nemesis uns wieder abwehren können?“, fragte ich ein wenig beunruhigt.

„Erstens bin ich der Meinung, dass ihr durchaus das Potenzial habt auch damit fertig zu werden“, bemerkte er und beugte sich auf einmal zu mir runter, sodass er mit seinem Gesicht fast direkt vor meinem war, „Und außerdem sind wir ja auch noch da. Ein solcher Kampf wird nicht nur von einer oder vier Personen ausgetragen, sondern von uns allen. Wir werden euch nach Kräften unterstützen, also gib nicht auf bevor der richtige Kampf überhaupt begonnen hat.“

Es war verdammt schwer das Blut davon abzuhalten mir nicht in den Kopf zu steigen, wenn er mir plötzlich so nahe kam. Aber seine Worte munterten mich irgendwie auf, denn ich wusste, dass er es ernst meinte.

„Im Übrigen habe ich nicht von den Kämpfen gesprochen“, fügte Mikhail hinzu und sah mir in die Augen, „Ihr habt den Soldaten und auch den normalen Rei alleine schon durch euer Auftauchen Hoffnung gegeben, was weder ich, noch meine Brüder noch die Prinzessin so einfach können. Und dafür sind wir euch dankbar.“

„Ah…“ Davon hatte ich nichts gewusst, wobei wohl vor allem mein Wissen über den sehr wahrscheinlichen Ausgang des Krieges Schuld war, dass ich daran nicht gedacht hatte. Dabei wurde mir einmal mehr bewusst, warum Elisabeth dieses Geheimnis für sich behalten hatte und weshalb auch ich es tat. Diese Hoffnung sollte nicht zerstört werden, zumindest nicht zu früh.

Auf einmal neigte er den Kopf noch ein Stück und küsste mich auf die Nasenspitze. Meine Augen weiteten sich und mein Herzschlag schien erst einen Moment lang auszusetzen, ehe er mit dreifachem Tempo wieder einsetzte und lauthals in meiner Brust hämmerte. Völlig verdattert wich ich einen Schritt zurück, doch irgendwas schien sich direkt hinter mir zu befinden und ich stolperte natürlich prompt darüber.

„Aua!“ Ich rieb mir den schmerzenden Hintern und sah genau wie Mikhail die kleine weiße Katze verwirrt an, die nun zwischen uns saß und gerade mit einer ausgiebigen Fellpflege beschäftigt war. Dass ich über sie gestolpert war, schien sie nicht im Geringsten zu interessieren.

Dann seufzte Mikhail und schüttelte leicht den Kopf. „Ich hab ihm doch gesagt, er darf sie nur behalten, wenn sie keinem im Weg ist.“

Ich war immer noch rot im Gesicht und ziemlich froh über diese Ablenkung. Auch wenn ich ein wenig verwundert war, weil ihr Herrchen gar nicht in der Nähe war.

„Hier bist du.“ Luke kam um die Ecke gebogen und sah uns kurz leicht verwundert an, ehe ihm scheinbar klar wurde, was passiert war. Zumindest der Part, bei dem ich über das Fellknäul gestolpert war.

„Tut mir leid“, sagte er und ging neben mir in die Hocke, „Hast du dir wehgetan?“

„Nein, alles in Ordnung“, erwiderte ich und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, „Außerdem bin ich ja selber Schuld, wenn ich nicht nach hinten gucke.“ Besser gesagt war ein gewisser anderer jemand der Schuldige, der bei meiner Erklärung nur grinste. Verdammter Idiot! „Ist mit der Katze alles klar?“

Er lockte das hübsche Tier heran und nahm sie auf den Arm. „Ja.“

„Luke, was habe ich dir bezüglich Tiere innerhalb des Palastes gesagt?“, fragte Mikhail in leicht strengem Ton und stemmte seine freie Hand in die Hüfte.

Der Drittälteste senkte den Blick. „Wenn sie jemanden in irgendeiner Weise behindern oder stören, muss ich sie wieder nach draußen bringen.“ Er war eindeutig deprimiert, da das auch das war, was er nun tun musste. Obwohl er Tiere so sehr liebte – ich fühlte richtig mit ihm und sah Mikhail verärgert an. Es war schließlich nichts passiert, also warum verlangte er von Luke, dass er seine Freunde draußen aussetzte? Das war übertrieben!

In dem Moment jedoch legte Mikhail seinem Bruder eine Hand auf den Kopf und brachte seine schulterlangen und eigentlich glatten, flachsfarbenen Haare etwas aus der Ordnung. „Wenn du es begriffen hast, dann pass auf, dass die Kleine nicht noch einen der Soldaten zu Fall bringt. Sonst geht Tinto nicht nur dir sondern auch mir an den Kragen, weil ich dir erlaubt habe Tiere im Palast zu halten.“

Luke sah auf und Mikhail nickte ihm schmunzelnd zu, ehe er an uns vorbei ging und mit den Papieren winkte – da hatte ich mich wohl gründlich in ihm getäuscht. Er vergaß allerdings auch nicht nochmal über seine Schulter zu blicken und mir ein vielsagendes, leicht arrogantes Grinsen zuzuwerfen. Natürlich spielte er darauf an, wie er mich mal wieder eiskalt erwischt und einfach auf die Nasenspitze geküsst hatte. Selbstverständlich lief ich Trottel auch noch rot an, woraufhin sein Grinsen noch breiter wurde, bevor er um die Ecke verschwand.

„Dieser verfluchte…“ Mir fiel nur leider keine passende Bezeichnung für den Idioten ein.

Luke sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an, wohl nicht zu Letzt wegen meiner gerade reichlich vorhandenen Gesichtsfarbe.

Ich erwiderte seinen Blick, wobei ich mehr damit beschäftigt war die lästige Röte in die Schranken zurückzuweisen. Dann bemerkte ich, wie mich etwas am Arm berührte, und in der nächsten Sekunde schon kletterte die kleine Mieze von Luke zu mir auf den Schoß und machte es sich bequem. Irgendwie musste ich lächeln und strich ihr über das seidig glänzende Fell. Es war viel weicher als das von unseren Katzen zu Hause.

„Ihr scheint euch gut zu verstehen“, stellte Luke auf einmal fest, der nach wie vor neben mir hockte und dabei zusah, wie sich die schnurrende Katze zusammenrollte und von mir streicheln ließ.

„Sie ist aber auch ganz schön zutraulich.“

„Ich meine nicht Shirona“, bemerkte der Drittälteste, „Ich spreche von dir und Mikhail.“

„Hä?“ Daraufhin sah ich ihn irritiert an. „An welcher Stelle denn? Der Typ nimmt mich doch nur die ganze Zeit auf den Arm und macht sich einen Spaß daraus mich zu ärgern.“

Er legte den Kopf schief und schien mich dabei eingehender zu mustern. Die Antwort auf meine Frage unterschlug er einfach.

 „Und was ist eigentlich mit euch?“, fragte ich schließlich, als mir die Stille zu blöd wurde, „Wie ist er so als Bruder?“

Luke hob die Katze, die in der Zwischenzeit wieder zu ihm herübergeklettert war, hoch und sah sie nachdenklich an. „Bruder trifft es nicht ganz“, sagte er langsam, „Nachdem unser Vater verschwunden ist, kurz nachdem Ravi geboren wurde, hat Mikhail praktisch seinen Platz eingenommen und für uns alle gesorgt. Dank seiner Bemühungen sind wir alle nacheinander hier im Palast aufgenommen und zu Soldaten ausgebildet worden, bis die Prinzessin uns zu ihrer Leibgarde auserkoren hat.“

Zugegeben, ich war verblüfft. Ich hatte nie groß über die Vergangenheit der vier nachgedacht, aber anscheinend hatten sie es weiß Gott nicht leicht gehabt.

„Er ist manchmal etwas schwierig und wenn er richtig sauer auf einen wird, tut man besser alles, was er sagt, aber er hat auch viel Verständnis und Mitgefühl“, fügte Luke hinzu.

„Und er ist arrogant, muss immer Recht haben, liebt es auf Kleineren herumzuhacken und ist ein Naturtalent darin Schwächen herauszufinden“, fügte ich die etwas weniger schmeichelnden Charakterzüge des Ältesten der vier hinzu, „Aber komischerweise findet er immer aufmunternde Worte, wenn man gerade am Boden ist, und man kann sich jederzeit auf ihn verlassen.“ Ich verzog ein wenig das Gesicht, unschlüssig was ich selbst jetzt eigentlich von ihm hielt.

Wieder sah Luke mich mit diesem forschenden Blick an.

Da waren jedoch auf einmal Schritte hinter uns zu hören, die in dem Augenblick zum Stehen kamen.

„Was macht ihr beide da?“, fragte Tinto wenig begeistert.

„Ein Picknick?“, riet Ravi, der hinter ihm auftauchte und wie immer fröhlich grinste.

Luke hob lediglich die Katze ein Stück hoch und ich sagte schnell: „Wir spielen mit Shirona.“

„Dann spielt woanders weiter und hört auf den Gang zu blockieren“, erwiderte Tinto prompt, „Und nehmt die Klette gleich mit.“ Damit schob er Ravi zu uns und setzte seinen Weg alleine fort.

„Dabei habe ich ihn doch nur zu einem schönen Duell unter Brüdern herausgefordert“, murrte der Jüngste enttäuscht.

Ich lächelte leicht schief, kam dann aber wieder auf meine Füße und klopfte meine Klamotten kurz ab, während auch Luke wieder aufstand.

„Na ja, ich geh dann mal wieder in mein Zimmer und entspann mich noch ein bisschen vor morgen“, sagte ich und hob die Hand, „Bis dann Jungs.“

„Bis später!“, rief Ravi mir noch nach, dann war ich auch schon ebenfalls um die Ecke gebogen.

„Die tauchen echt auf wie Pilze aus dem Waldboden sprießen“, stellte Tiya leicht resigniert fest, die mir unauffällig gefolgt war und nun wieder mitsamt ihrer Barriere neben mir schwebte.

Ich musste irgendwie grinsen, da sie gar nicht mal Unrecht hatte.

Als ich schließlich wieder in den Gang zu meinem Zimmer bog, sah ich ein Stück weiter vorne Yasmine, Caroline und Nemu beieinander stehen und leise über etwas diskutieren. Stirnrunzelnd ging ich zu ihnen.

„Worüber redet ihr?“, fragte ich neugierig.

Die drei sahen mich an und mir fiel sofort auf, dass etwas nicht stimmte. Yasmine wirkte todernst und Caro und Nemu beide etwas verwirrt und vor allem zutiefst beunruhigt. Dann warfen sie sich gegenseitig leicht unsichere Blicke hinzu, bis Yasmine schließlich zwei Schritte auf mich zukam.

„Versprich aber, dass du das, was ich dir gleich erzähle, für dich behältst.“ Ihr düsterer Gesichtsausdruck verkündete bereits Unheil ohne dass sie überhaupt etwas Genaueres erwähnt hatte.

Mir schwante Übles und ich nickte nur kurz.

„Ich hatte wieder eine dieser grauenvollen Visionen, die ich in letzter Zeit schon öfter hatte“, erklärte sie leise aber eindringlich, „Nur dieses Mal habe ich nicht nur unser aller Tod in einem gewaltigen Kampf mit den Nemesis gesehen. Da war nicht nur ein in Schatten gehüllter Mann, der vor irgendetwas Großem steht, sondern noch jemand, den wir alle kennen.“ Sie schwieg einen kurzen Moment, der seine Wirkung nicht verfehlte. „Ich hab direkt neben ihm unsere Prinzessin gesehen“, flüsterte sie, „Wie sie einem der Nemesis befiehlt dich umzubringen, Sam.“

Ein, zwei Sekunden lang Schweigen.

Ich starrte sie nur wie vom Donner gerührt an und war völlig fassungslos. Was Yasmine da sagte, warf so ziemlich alles über den Kopf, was ich und wir alle glaubten. Denn laut diesem Traum war die Prinzessin anscheinend eine Verräterin und eigentlich auf der Seite der Nemesis. Ausgerechnet Lisa!?

Neun, zehn, elf Sekunden später herrschte immer noch Schweigen.

„Ich lüge nicht“, sagte Yes dann ernst, „Ich hab es wirklich so gesehen. Ich würde so etwas nicht erzählen, wenn ich mir nicht hundertprozentig sicher wäre. Und ich habe ein so ungutes Gefühl, dass ich es unmöglich ignorieren kann. Etwas stimmt hier nicht. Vielleicht ist es nur die Prinzessin, aber es kann natürlich auch sein, dass Tinto, Luke und die anderen beiden da auch mit drin stecken…“

„Unmöglich!“, sagte ich, lauter als gewollt, „Das ist absolut unmöglich. Li- die Prinzessin würde so etwas nicht tun, niemals! Und die Männer auch nicht, das…“

„Wir wollen es doch auch nicht glauben!“, fuhr Caro zum ersten Mal seit ich dazu gestoßen war auf, „Aber du weißt, wie häufig Yes´ Träume eingetreten sind!“

Das wusste ich. Fast neunundneunzig Prozent waren es, wenn ich genauer darüber nachdachte. Früher hatte ich das immer als pure Zufälle abgetan, aber während meines Aufenthalts hier auf Reilong hatte ich meine komplette Weltsicht überdenken müssen und damit auch meine Ansicht bezüglich ihrer Träume. Es war nicht unmöglich.

Yasmine sah mir in die Augen. „Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Prinzessin selbst hinter den ganzen Angriffen der Nemesis auf Reilong steckt. Warum kann ich natürlich nicht sagen, aber für mich steht fest, dass wir vorsichtig sein müssen, gerade auch was die jungen Männer angeht. Schließlich stehen sie als Leibgarde voll hinter ihrer Prinzessin.“

„Aber warum sollte sie sich dann so für uns einsetzen?“, erwiderte ich und suchte verzweifelt nach Gegenargumenten, bei denen nicht gleich herauskam, dass ich schon etwas länger Kontakt zu Elisabeth hatte – sollte ich mich verplappern, würde sie mir mit Sicherheit den Hals umdrehen. Ganz zu schweigen davon wie Yasmine und die anderen beiden darauf reagieren würden.

„Das kann auch nur gespielt sein“, konterte Yasmine finster, „Ich weiß nicht, warum du so auf ihrer Seite bist, aber du solltest bloß vorsichtig sein. Denk daran, in meiner Vision hat SIE befohlen DICH zu vernichten.“

Ich schluckte.

„Warum bist du überhaupt so für sie?“, fragte Caro verwirrt, „Ich dachte, wir sind Freunde.“

„Natürlich sind wir Freunde“, sagte ich schnell, „Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass jemand wie Prinzessin Elisabeth ihr ganzes Volk den Nemesis ausliefern soll. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.“

„Wer weiß, wir kennen sie schließlich nicht“, bemerkte Yasmine.

Nemu machte in der Zwischenzeit einige Gestiken mit den Händen. ‚Kann es sein, dass du sie vielleicht besser kennst als wir?‘, fragte sie und ich – bei ihrem Blick konnte ich nicht anders – nickte kurz flüchtig. Da sie von den drein immer noch die Ruhigste und Besonnenste war, hoffte ich einfach, dass sie die Information verkraftete, ohne gleich aus allen Wolken zu fallen.

Und ich täuschte mich nicht, sie war zwar eindeutig überrascht, nickte nach gut zwei Sekunden aber nur bedächtig. ‚Und du vertraust ihr?‘, fragte sie dann.

Es wunderte mich zwar ein wenig, dass sie gar nicht fragte, warum ich das nicht einfach laut sagte, aber anscheinend konnte sie sich denken, warum ich es nicht tat. Immerhin wusste sie nur zu gut, wie Yes und Caro auf derlei Überraschungen reagierten – jedenfalls alles andere als gelassen und mit so viel Theater, dass es jedes Mal bühnenreif war.

Ich deutete erneut ein Nicken an.

„Wirst du jetzt zu ihr oder einem der Männer gehen und von unserem Verdacht erzählen?“, fragte Yasmine schließlich, als wir alle eine Weile lang geschwiegen hatten.

„Nein“, antwortete ich klar, „Und ich glaube dir das, was du gesehen hast. Ich werde auch auf jeden Fall vorsichtig sein, aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass Elisabeth unsere Feindin sein soll. Ich kann es einfach nicht.“

Sie nickte, wobei ich jedoch das Gefühl bekam, dass ich damit das Todesurteil unserer Freundschaft unterschrieben hatte.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Caro.

„Auf jeden Fall werden wir uns nichts von unserem Verdacht anmerken lassen“, sagte Yasmine entschlossen, „Wenn Tinto, Ravi, Luke und Mikhail mit ihr unter einer Decke stecken, haben wir sonst schlechte Karten. Am besten sehen wir uns heimlich ein wenig im Schloss um und versuchen Beweise dafür zu finden, dass die Prinzessin mit den Nemesis verbündet ist. Die müssen ja auch irgendwie kommunizieren, also müsste sich da eigentlich irgendwas finden lassen.“

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Über den Autor

SilverRose
Tjaaa.. eigentlich ich bin mehr eine Einzelgängerin und eine komlette Tagträumerin dazu xD
Aber ab und an bin ich auch gerne unter Leuten, wobei es mir etwas an Gesprächsstoff fehlt, es sei denn es geht ums Schreiben und meine Geschichten. Da kann ich tagelang drüber reden :P
Allerdings möchte ich hier auch mal zu meinen Geschichten anmerken, dass sie wirklich lange Stories sind, die sich über einen längeren Zeitraum erst richtig entwickeln und daher auch gut und gerne zwischen zwanzig bis vierzig Kapitel mit unterschiedlichen Längen varieren. Sie sind nichts für Leute, die nur gerne kurze Happen lesen, sondern mehr für die, die auch im normalen Buchladen gerne mal zu einem drei - bis vierhundert-Seiten-Wältzer greifen. Sorry, aber kurz schreiben ist nicht gerade meine Stärke. Wenn ich das versuche, werden sie am Ende nur umso länger xD
(Auch wenn ich ja mittlerweile auch wenigstens ein paar Kurzgeschichten zum Reinschnuppern in meinen Schreibstil habe :P)
Und (der Ordnung halber) die erste Interviewfrage hier oben: Welche Geschichten hast du bisher schon verfasst?
Hm, das sind mittlerweile so einige...meine abgeschlossenen sind der Reihenfolge nach:
Meine abgeschlossenen Manuskripte sind der Reihenfolge nach:
1.1) Das Geheimnis der Federn: Die Wächterinnen der Federn;
1.2) Das Geheimnis der Federn: Der Kampf gegen die Finsternis;
2) Kyra: Die Wahl zwischen Licht und Finsternis;
3) Scarlett und das Geheimnis von Avalon;
4.1) Kampf der Geister: Vertrag;
4.1) Kampf der Geister: Geschwister der Dunkelheit;
5) Das verlorene Buch;
6) Silver Rose: Das Gesetz der Killer;
7) Der Schlüssel zum Tor der Feuergeister;
8) Reinblut & Halbblut;
9) Die Wächterin von Reilong;
10) Die letzte Zauberin;
11.1) Juwelenritter: Das vergessene Jahr des Blutes;
11.2) Juwelenritter: Die sieben Höllenfürsten;

Meine noch laufenden Geschichten (auch wenn ich nicht weiß, ob und wann ich es schaffe sie zu beenden) sind:
11.3) Juwelenritter: Dämonenherz (aktiv)
12) Bund mit dem Tod (neu - auf Standby)

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