Kurzgeschichte
Bis morgen

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"Bis morgen"
Veröffentlicht am 04. Februar 2012, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Katharina Bregulla / pixelio.de
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

gelernte Buchhändlerin, Mediapublishing-Studentin, lesesüchtiger Gedankenmaler, Katzenpersonal. Mehr von mir gibt's hier: www.gedankenmaler.blogspot.com (Kreatives) www.das-buecherei.blogspot.com (Gelesenes)
Bis morgen

Bis morgen

Bis morgen

Ein schrilles Geräusch reißt mich aus meinen Gedanken. Ein Klingeln. Das Telefon.
Ich werfe Block und Stift auf den Tisch und springe vom Sofa auf. Falle dabei fast über meine eigenen Füße, die vom langen Sitzen eingeschlafen sind.
Das Telefon klingelt weiter. In der Stille klingt es dreimal so laut.
Den ganzen Tag habe ich darauf gewartet. An manchen Tagen ist es das Einzige, was mich davon abhält, im Bett zu bleiben, einfach den Tag mit dem Kopf unter der Decke zu verbringen, wo es dunkel ist. Wo die Welt nicht zu mir

durchdringt.

Ich beeile mich. Ich weiß, dass du es bist, lange bevor ich deinen Namen auf dem Display blinken sehe. Trotzdem hüpft mein Herz höher, sobald ich die geliebten Buchstaben erkennen kann.
„Na?“, sage ich, als ich mir den Hörer ans Ohr halte.
„Hey Süße!“ Die Stimme, auf die ich mich den ganzen Tag gefreut habe. Deine Stimme. Und noch etwas anderes. Gedämpft im Hintergrund. Das gleichmäßige Klackern einer Computertastatur.
„Wie geht‘s dir?“
Es ist eine dieser Fragen, auf die man eigentlich keine Antwort will. Eine, die

man stellt, weil man sie stellen muss. Weil es sich irgendwie so gehört.
„Hmm ... ganz gut.“
Gut. Es ist eine Lüge. Du weißt es. Es auszusprechen, könnte es nicht deutlicher machen.
Aber niemand will es hören. Nicht jetzt.
Nur den Moment nicht zerstören. Er ist das Einzige, was ich habe. Was wir haben.
Wieder das Klackern im Hintergrund. Und noch was. Der Fernseher?
„Und bei dir?“, frage ich, um die Geräusche aus meinem Kopf auszusperren. Sie beanspruchen zu viel Raum. Raum, der für dich reserviert ist.
„Alles bestens“, sagst du, „wir sehen uns

ja bald.“
Bestens. Für dich ist es das. Deine Welt funktioniert, könnte nicht besser sein, während meine sich rückwärts dreht, immer schneller, mit jedem „Klack“, das durch den Hörer zu mir dringt. „Bald“ rückt in unerreichbare Ferne.
„Du, da ist mir heute vielleicht was passiert ...“, beginnst du, als ich nicht antworte. „Das muss ich unbedingt noch der Anna erzählen!“ Anna. Ich habe keine Ahnung, wer Anna ist. Ich rede mir ein, dass es mich nicht interessiert.
Emsiges Tippen. Es stört mich nicht. Es ist mir egal. Es ist dieser eine Satz, der immer wieder in meinem Kopf abgespult wird, sich ständig wiederholt, immer

wieder, sodass die Worte längst jede Bedeutung verloren haben. Es ist mir egal. Eine Endlosschleife leerer Silben, unauslöschlich eingebrannt. Doch außer schmerzhaften Wunden hinterlassen sie nichts.
Du erzählst mir von deinem Tag, von den Dingen, die du zu tun und die du geschafft hast. Davon, was dich gefreut, geärgert hat. Ich höre zu, unterbreche dich nicht. Sauge jedes Wort in mich auf, den Klang deiner Stimme.
Ich wünschte, ich könnte ein Teil davon sein. Teilhaben an deinem Leben. An dir. Mehr sein, als nur ein Telefonat am Abend, ein Gespräch unter vielen.
Ich schiebe den Gedanken weg, in die

hinterste Ecke, wo so viele bereits lagern, und rede stattdessen von mir. Vom Aufwachen in einem leeren Bett, von einem leeren Tag, der genauso ist wie alle anderen davor und danach, und vom Warten, darauf, endlich das vertraute Klingeln zu hören. Im Ohr immer das gleichmäßige „Klack, klack, klack“ deiner Tastatur.
Du sagst nichts. Ich weiß, dass du da bist, dort, am anderen Ende der Leitung, und zuhörst, was ich erzähle. Aber ich spüre, dass du nicht bei mir bist.
In diesem Moment fühle ich mich noch einsamer als sonst.
Ich drücke den Hörer fester an mein Ohr, als könnte ich dir dadurch näher

sein.

Ich sage nichts mehr. Lausche auf das Klackern im Hintergrund, das immer lauter zu werden scheint, sich in meinem Kopf bis zur Unerträglichkeit ausdehnt, bis du endlich fragst: „Sag mal, ist irgendwas?“
„Nein“, antworte ich, zu schnell. Aber du merkst es nicht.
„Nein ... nichts.“
Ich wische mit der freien Hand eine Träne weg, die sich einen Weg über meine Wange gebahnt hat, und unterdrücke das verräterische Schniefen.
„Ich vermisse dich“, sage ich, als ich mir sicher bin, dass ich wieder halbwegs normal atmen kann.

„Ich dich auch, Süße.“ Klack, klack, klack.
„Was machst du gerade?“
Kurz kehrt Stille ein. Bis auf den Fernseher, der im Hintergrund immer noch läuft.
„Ich? Och ... nichts weiter“, sagst du. Irgendwo ertönen die Geräusche einer Schießerei. „Ein bisschen Fernsehen.“
Das Klackern der Tasten setzt wieder ein. Ein wenig gedämpfter jetzt. Es sticht mir ins Ohr wie glühende Nadeln. Ins Ohr und durch bis ins Herz.
„Hör mal, Süße, ich bin hundemüde.“ Ein letztes Klackern unter deinen Fingern, dann ein dumpfes Geräusch. Das Zuklappen des Laptops. „Ich glaub,

ich gehe lieber gleich ins Bett. War ein langer Tag.“
„Hmm“, mache ich.
Wir verabschieden uns, du sagst, dass du mich liebst.
„Bis morgen, ja?“
Dann legst du auf.
Ich halte den Hörer noch eine Weile in der Hand, lausche auf den gleichmäßigen Ton des Freizeichens. Wieder laufen mir Tränen übers Gesicht und dieses Mal mache ich mir nicht die Mühe, sie wegzuwischen.
Dann, irgendwann, lege ich das Telefon zurück auf die Ladestation, zurück an seinen Platz.
Bis morgen.

Den nächsten Tag, an dem du nicht bei mir sein wirst.

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Hörbuch

Über den Autor

Moena90
gelernte Buchhändlerin,
Mediapublishing-Studentin,
lesesüchtiger Gedankenmaler,
Katzenpersonal.

Mehr von mir gibt's hier:
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www.das-buecherei.blogspot.com (Gelesenes)

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Luzifer Re: Re: Re: Re: Jaja, -
Zitat: (Original von Moena90 am 08.08.2012 - 13:27 Uhr)
Zitat: (Original von Luzifer am 08.08.2012 - 13:23 Uhr)
Zitat: (Original von Moena90 am 08.08.2012 - 13:13 Uhr) gibt es zu wenig Bücher hier, dass du so tief buddeln musst? ;)
Na, mich freut es jedenfalls, dass auch ältere Texte hin und wieder noch gelesen werden.

Ich buddel nicht, sondern habe von einigen Autoren die Texte in meinen Erinnerungen und sollten sie nicht gerade irgendwann ihr Profil hier löschen, kann man davon ausgehen, dass die Texte irgendwann gelesen werden. ^^
Schließlich gibt es nicht nur die Schreib- sondern manchmal auch die Leseblokade. =)

Ach so ist das! Auch eine Möglichkeit. Da hat man quasi immer einen Büchervorrat für schlechte Zeiten. ;)
Wenn es um Schreib- und Leseblockaden geht, hab ich im Moment vermutlich beides. Wobei ... eigentlich ist beides nur Faulheit. Ahem.

Jupp, für die schlechten Zeiten an einem Computer mit Internetzugang.
Kenne ich, meine flaut langsam wieder ab. ^^
Vor langer Zeit - Antworten
Moena90 Re: Re: Re: Jaja, -
Zitat: (Original von Luzifer am 08.08.2012 - 13:23 Uhr)
Zitat: (Original von Moena90 am 08.08.2012 - 13:13 Uhr) gibt es zu wenig Bücher hier, dass du so tief buddeln musst? ;)
Na, mich freut es jedenfalls, dass auch ältere Texte hin und wieder noch gelesen werden.

Ich buddel nicht, sondern habe von einigen Autoren die Texte in meinen Erinnerungen und sollten sie nicht gerade irgendwann ihr Profil hier löschen, kann man davon ausgehen, dass die Texte irgendwann gelesen werden. ^^
Schließlich gibt es nicht nur die Schreib- sondern manchmal auch die Leseblokade. =)

Ach so ist das! Auch eine Möglichkeit. Da hat man quasi immer einen Büchervorrat für schlechte Zeiten. ;)
Wenn es um Schreib- und Leseblockaden geht, hab ich im Moment vermutlich beides. Wobei ... eigentlich ist beides nur Faulheit. Ahem.
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Re: Re: Jaja, -
Zitat: (Original von Moena90 am 08.08.2012 - 13:13 Uhr) gibt es zu wenig Bücher hier, dass du so tief buddeln musst? ;)
Na, mich freut es jedenfalls, dass auch ältere Texte hin und wieder noch gelesen werden.

Ich buddel nicht, sondern habe von einigen Autoren die Texte in meinen Erinnerungen und sollten sie nicht gerade irgendwann ihr Profil hier löschen, kann man davon ausgehen, dass die Texte irgendwann gelesen werden. ^^
Schließlich gibt es nicht nur die Schreib- sondern manchmal auch die Leseblokade. =)
Vor langer Zeit - Antworten
Moena90 Re: Jaja, -
Zitat: (Original von Luzifer am 08.08.2012 - 11:26 Uhr) die Liebe, der Schmerz, die Trauer, Verzweiflung, ... im Grunde sind es doch alles Wörter die nur eines beschreiben.
Das Gefühl mit jemandem geliebten zu sprechen ist schön, blöd ist nur, wenn er einem vermittelt, dass er gerade mit bei einem ist und vielleicht sogar die letzten Male es auch nicht gewesen ist und womöglich auch nie mehr sein wird.
Es ist ein gefühlvoller Text, der mir sehr gefallen hat.

Viele Grüße
Luzifer

Hallo Luzifer!

gibt es zu wenig Bücher hier, dass du so tief buddeln musst? ;)
Na, mich freut es jedenfalls, dass auch ältere Texte hin und wieder noch gelesen werden.

Und ich sehe, du hast verstanden, worum es geht. Vielleicht sogar schon etwas weiter interpretiert, als der Text tatsächlich geht, aber das ist an der Stelle auch gewünscht. Erstmal sagt die Geschichte nur "Warum kannst du nicht einmal wirklich bei mir sein?" - wie es danach weitergeht, wer weiß. Das kommt dann wohl auf die beiden Beteiligten an.

Vielen Dank jedenfalls fürs Lesen, Kommentieren und Loben - hat mich sehr gefreut. :)

Liebe Grüße,
Mo
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Jaja, - die Liebe, der Schmerz, die Trauer, Verzweiflung, ... im Grunde sind es doch alles Wörter die nur eines beschreiben.
Das Gefühl mit jemandem geliebten zu sprechen ist schön, blöd ist nur, wenn er einem vermittelt, dass er gerade mit bei einem ist und vielleicht sogar die letzten Male es auch nicht gewesen ist und womöglich auch nie mehr sein wird.
Es ist ein gefühlvoller Text, der mir sehr gefallen hat.

Viele Grüße
Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Re: Re: Meine Liebe, -
Zitat: (Original von Moena90 am 28.02.2012 - 16:09 Uhr)
Zitat: (Original von LadyLy am 28.02.2012 - 12:23 Uhr) ich konnte die Anfänge meiner eigenen Beziehung darin herauslesen. Die Möglichkeit, dass der Anruf, der für einen selbst Leben & Existenz bedeutet für das Gegenüber eine Beschäftigung von vielen sein könnte.

Das Klacken der Tastatur, der laufender Fernseher - Und selber hätte sich das LyrIch Stille gewünscht, nichts was von der eigenen Stimme ablenkt, wenn es selber wenige Worte spricht.

Mich fasziniert immer wieder Dein Gefühl für Sprache. Großartig.

Liebe Grüße
Lychen (natürlich fleißig :)

Und mich fasziniert, wie du in einem Kommentar alles auf den Punkt bringst. Genau das sollte der Text sagen.
Vielen Dank für deinen Kommentar und dein Lob. :)

Liebe Grüße,
Mo (überhaupt nicht fleißig, natürlich. :P)


Ja, manchmal hab ich lichte Momente.

Wie gesagt, es ist mehr so, dass ich es tatsächlich nachvollziehen kann - Auch wenn ich selber fast immer irgendetwas neben dem Telefonieren tu, kann ich mir vorstellen, wie es dem LyrIch dabei gehen muss :)

Lyken (nicht erwartend, dass Du fleißig bist - Du hast Urlaub :)
Vor langer Zeit - Antworten
Moena90 Re: Meine Liebe, -
Zitat: (Original von LadyLy am 28.02.2012 - 12:23 Uhr) ich konnte die Anfänge meiner eigenen Beziehung darin herauslesen. Die Möglichkeit, dass der Anruf, der für einen selbst Leben & Existenz bedeutet für das Gegenüber eine Beschäftigung von vielen sein könnte.

Das Klacken der Tastatur, der laufender Fernseher - Und selber hätte sich das LyrIch Stille gewünscht, nichts was von der eigenen Stimme ablenkt, wenn es selber wenige Worte spricht.

Mich fasziniert immer wieder Dein Gefühl für Sprache. Großartig.

Liebe Grüße
Lychen (natürlich fleißig :)

Und mich fasziniert, wie du in einem Kommentar alles auf den Punkt bringst. Genau das sollte der Text sagen.
Vielen Dank für deinen Kommentar und dein Lob. :)

Liebe Grüße,
Mo (überhaupt nicht fleißig, natürlich. :P)
Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Meine Liebe, - ich konnte die Anfänge meiner eigenen Beziehung darin herauslesen. Die Möglichkeit, dass der Anruf, der für einen selbst Leben & Existenz bedeutet für das Gegenüber eine Beschäftigung von vielen sein könnte.

Das Klacken der Tastatur, der laufender Fernseher - Und selber hätte sich das LyrIch Stille gewünscht, nichts was von der eigenen Stimme ablenkt, wenn es selber wenige Worte spricht.

Mich fasziniert immer wieder Dein Gefühl für Sprache. Großartig.

Liebe Grüße
Lychen (natürlich fleißig :)
Vor langer Zeit - Antworten
Moena90 Re: -
Zitat: (Original von DerHein am 27.02.2012 - 23:50 Uhr) Das hört sich schwierig an...

Ist es vermutlich auch. ;)
Vor langer Zeit - Antworten
DerHein Das hört sich schwierig an...
Vor langer Zeit - Antworten
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