Sehr geehrter Herr Kornelius Unger, mit diesem Schreiben möchten wir ihnen mitteilen, das sie sich als wehrdiensttauglich ausgezeichnet haben. Dementsprechend möchten wir sie bitten am 04.01.2010 sich in der unten aufgeführten Kaserne zu melden. Ein nicht beachten dieses Schreibens wird rechtliche Konsequenzen mit sich ziehen.
Er las nicht weiter, wollte nicht weiter lesen, konnte es nicht.
„Was steht drinnen?“, hakte sofort seine Mutter nach, sie war wie immer total neugierig und ganz gespannt, das es Veränderungen bedeutete.
Ohne ein Wort zu sprechen reichte er ihr den Brief. Sie musste wohl gerade an der entscheidenden Stelle gewesen sein, als er seine Sprache wieder fand: „Sie wollen mich einziehen.“ Sein Ton zeichnet sich durch Unbehagen und auch Angst aus. Wie immer verstand das seine Familie nicht.
Voller Stolz erwiderte sein Vater: „Wunderbar, endlich wird aus dir ein richtiger Mann. Lernst was es heißt Kameraden zu haben. Nicht so ein Gesocks wie das, was du im Internet findest. Oder was es heißt wie ein Mann zu handeln. Zucht und Ordnung, Disziplin. Es wird dir gut tun, dich reifen lassen.“
Wenn Kornelius ehrlich war, wollte er nicht reifen.
Seine Mutter setzte sofort nach: „Ach wie du aussehen wirst, in Uniform. Stolz die Flagge auf der Schulter. Unser Land wirst du verteidigen. Du wirst jemand sein auf den man stolz sein wird. Alle im Ort. Ich kann es gar nicht erwarten es den Meiers zu erzählen.“
Wenn Kornelius ehrlich war, wollte er nicht der Held in der Nachbarschaft sein.
Auch sein Bruder konnte sich seines Kommentar nicht enthalten: „Boah wie geil ist das den? Dann kannst’e voll durch den Wald rennen und Leute über den Haufen knallen. Bähm.“
Wenn Kornelius ehrlich war, wollte er keinem das Leben nehmen.
Mittlerweile war der Brief an seinen Vater gewandert, auch er las ihn. „Bis zum 4.1. haben wir ja noch ein paar Wochen Zeit.“
Zum Glück...
Ein hohes e, noch höheres f, noch während es klang ein a, nur um anschließen einen einfachen C-Dur anzuschlagen.
„Falsch!“ Kornelius blickte auf. „Da hat mehr als eine Saite nicht richtig geklungen.“ Er schlug den Akkord nochmal an. Sie hatte recht, er hatte nicht richtig gegriffen. „Sonst erkennst du doch auch immer wenn es nicht passt. Was ist heute los?“
Er überlegte sich wie er die richtigen Worte finden konnte, stellte aber schließlich fest, das es das beste war es einfach zu sagen wie es war: „Ich habe heute einen Brief bekommen, man zieht mich ein.“
„Oh“, es war schwer, ja gänzlich unmöglich zu sagen was sie einem damit mitteilen wollte. Selbst auf seinen Fragenden Blick hin blick sie vorerst stumm. Es war deutlich zu sehen, das sie erst überlegen musste wie sie auf diese Situation reagieren sollte.
„Meine Familie findet es toll, denkt ich werde zum Held der Nachbarschaft. Das aus mir endlich ein disziplinierter Mann wird.“
„Du willst das aber nicht“, erkannte Helen richtig. Sie hatte sich herunter gebeugt, um in seinen niedergeschlagenen Blick zu schauen.
„Alles was ich will, bist“ – er strich ihr sanft über die Wange – „du. Du und meine Gitarre. Was hältst du davon das wir durch brennen? Wie in diesen Filmen immer.“
Sie lächelte ihn bezaubernd an. „Das wäre wirklich schön.“
„Was hält uns dann noch?“
„Wir haben kein Geld, falls doch fände ich es frech, wenn ich dennoch weiter in diesem Café weiter arbeiten musste.“
Es war eine wunderbare Fantasie einfach nur sie beide, mit seiner Gitarre würden sie dem Sonnenuntergang entgegen reiten, aber sie hatte auch Recht, wie sollt man was zu essen finden? Oder anderes. Es war einfach keine Option.
Niedergeschlagen ließ er die Schultern hängen. „Kopf hoch mein Großer“, versuchte sie ihn aufzuheitern. „Es ist doch nur ein Jahr, außerdem können wir doch uns jedes Wochenende sehen. Zudem gibt es doch so etwas wie Briefe.“
Sie hatte ja so Recht. Ohne ein Wort zu sagen fiel er ihr an den Hals und drückte sie ganz fest. Die Umarmung gab ihm Halt.
Jetzt musste er es nur noch seinem Arbeitgeber sagen. Vielleicht würde er ihn nach dem Jahr wieder zurück nehmen. Immerhin gab es nichts in Kornelius Akte was ihn nicht als einen Mustergültigen Mitarbeiter auswies. Dennoch hatte er ein sehr ungutes Gefühl, als er dann in das Büro herein gerufen wurde.
„Ah Herr Unger, Sie wollten mit mir sprechen?“
„Ja, Herr Mechner. Es geht darum ich habe vor kurzem einen Brief bekommen, Anfang nächsten Jahres werde ich eingezogen. Ich muss meine Wehrpflicht erfüllen.“
„Oh, das ist nicht gut. Die Auftragslage ist zwar momentan nicht so gut, aber ich bezweifel’ das es noch lange dauert. Dann werde ich Arbeiter brauchen. Es tut mir leid, aber bei diesen schwankenden Aussichten kann ich keine Garantie aussprechen sie nach diesem Jahr zurück nehmen. Sie müssten schon Glück haben, das dieser Aufschwung genau zu ihrer Rückkehr erfolgt.“
Kornelius hätte damit nicht gerechnet. Einfach so unverblümt ins Gesicht gesagt zu bekommen, das er nicht nur ein Jahr aus seinen Leben verliert, sondern auch noch seinen Job.
„Ich kann schauen, was ich machen kann, doch nichts versprechen, am Ende entscheidet rein das Glück.“
„Dennoch bedanke ich mich bei ihnen Herr Mechner.“ Eine Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, das sobald er den Raum verlassen sollte, seine Akte und seine Person verschwinden würde. Für immer aus dieser Firma. Hängenden Schultern verließ er den Raum.
„Die Lage in...“, der Nachrichtensprecher, las monoton seinen Text vor. Nur das Bing der Mikrowelle brachte Abwechslung herein, auch wenn man dadurch einen Teil seiner Worte nicht verstand. „...eskaliert. Die Regierung hat zur Stunde, neutrale Beobachter in den Krisenherd geschickt. Fachleute schließen eine Militärische Intervention nicht aus.“
Sowie Kornelius das Essen aus der Mikrowelle holte, stellte er es sofort wieder auf die Anrichte. Militärische Intervention? Mit anderen Worten in einem Halben Jahr ist er nicht nur in einem Fremden Land, weit weg von zuhause, sondern auch noch mitten im Kriegsgebiet. War es da verwunderlich, das ihm der Appetit verging?
„Na wie fühlt man sich wenn man fürs Vaterland töten darf?“
„Versteckt den Staatsfeind, da kommt Kornelius.“
„Passt auf Freunde morgen attackieren sie unsere Stadt. Seid besser Ruhig.“
Es waren drei Punks auf der anderen Straßenseite. Als sie ihn erblickt hatten konnte sie es nicht mehr in sich halten, all diesen Hass auf das Militär, durch Spott gegen ihn, das Ventil gefunden. Er kannte sie. Nicht verwunderlich in dem Ort kannte sich praktisch jeder. Diese drei aber waren sogar mal mit ihm in einer Klasse gewesen. Damals sahen sie noch anders aus. Hatten keine Piercings oder Tattoos, die Haare schillerten auch nicht in allen Farben und die Kleidung war nicht so kaputt, aber an der Einstellung hatte sich nicht viel geändert, vielleicht nur noch ein wenig radikaler geworden.
Kornelius versuchte nicht auf sie zu hören. Sie einfach nicht zu beachten. Es hatte schon so manchen Konflikt verhindert. Nicht aber dieses Mal. Die Punks wollten Streit. Schnell kamen sie hergelaufen hatten ihn eingekreist. Einer von ihnen hatte ein T-Shirt mit einem passenden Spruch: ‘Für den Frieden töten ist wie für Keuschheit ficken’.
Der Besitzer rief: „Lies das! Ja so ist es!“
„Der kann doch gar nicht lesen, solang man es ihm nicht befohlen hat. Komm schon kleiner Soldat ließ was da steht.“
„Wie ein Roboter, muss man dir jeden Befehl geben.“
„Wenn du dich bücken musst, dann denk dran ganz tief, wenn sie dich entjungfern.“
Als sie merkten das sich Kornelius das alles stoisch über sich ergehen ließ verließ sie die Freude. Selbst als sie anfingen ihn herum zu schubsen, wehrte er sich nicht. So ließ sie von ihm ab. Der letzte Stoß ließ ihn gegen eine Hauswand taumeln. Die Punks waren schon lange weg, wie er immer noch gegen diese gelehnt stand. Sie hatten wohl Recht, oder? Er hätte gerne geweint, doch die Augen blieben trocken. Fehlte der Befehl dazu?
Die Tage bis zur Abreise wurden immer kürzer. Jede Minute die ihm seiner Zeit im Militär näher brachte, wurde er nervöser. Helen vermochte ihn schon bald nicht mehr zu beruhigen. Seine Familie die so stolz auf ihn war, war das Salz in seinen Wunden. Jeden Tag fiel ihm auf wie sehr im sein Beruf doch Spaß machte. Die Akkorde die er anschlug waren von Trauer geprägt. Falls er mal ein Lied schrieb, war das nicht mehr mit seinen Balladen und Rock-Songs von früher zu vergleichen.
Es kam wie es kommen musste, niemandem war es gelungen die Zeit anzuhalten. Es war nur noch eine Nacht die ihn von dem Leben in der Kaserne trennte. Zum Glück war Helen bei ihm. In dieser Nacht redeten sie nicht, hatten keinen Sex, nein schliefen nicht einmal. Er lag ihn ihren Armen und weinte. Ruhig, doch beständig. Es waren keine Worte notwendig. Die pure Anwesenheit spendete Trost. Mit ihrer Nähe machte sie aber auch wieder schlimmer, denn so erkannte er was er am meisten vermissen würde.
Die Nacht in Zweisamkeit endete zu schnell.
So kam es dann das er die Reise mit blutunterlaufenen Augen mit großen Ringen antrat. Jeden Tag lebte er nur dafür, das dieser ihm das Wochenende näher bringen sollte, um wieder zu seiner Gitarre und Helen zu gelangen, raus aus diesem gedankenleerenden Irrsinn.
So konnte die Zeit schnell vergehen, aber es kam nicht wie es kommen konnte, Helen war schon immer eine Frau gewesen, die gerne und oft bei Kornelius war. Nicht mal ganz zwei Tage am Wochenende waren doch zu wenig für sie. Ehe sie Schaden durch Vereinsamung nahm, fand sie Trost in den Armen eines anderen Mannes. Es war der Punk, mit seinem klugen T-Shirt.
Gekränkt von Helen und eingelullt durch die fortwährenden Kriegspropaganda unterschrieb Kornelius die Verpflichtung. Als dann sein Vaterland rief: ‘Komm schon kleiner Soldat, wir brauchen dich!’ Marschierte er an vorderste Front, nur das eine Granate seine Hände zerfetzte.
Ohne jemals Dank dafür zu bekommen hatte er alles verloren was ihm lieb war, keine Helen, keine Musik.